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2 REISE HÜTTEN-SERIE TEIL 4 Sattes Grün im Eisacktal und am Horizont die Schneegipfel des Alpenhauptkamms die Aussicht vom Dolomiten-Balkon des Schlern. 168_ BIKE 6/05

3 4 SESAM ÖFFNE DICH! DER SCHLERN IST DAS WAHRZEICHEN SÜDTIROLS. WIE EINE FESTUNG THRONT ER ÜBER DEM EISACKTAL. DOCH ES GIBT GEHEIMTÜREN IN DER DOLOMITEN- WAND. ZWEI TAGE PANORAMA, ROSENROTE FELSEN UND EINE KNÜPPELDICKE ABFAHRT. BIKE 6/05 _169

4 REISE HÜTTEN-SERIE TEIL 4 Der Knüppelweg über den Schlernbach: nur bei trockenem Wetter ein Genuss, bei Regen eine Rutschbahn. DIE VERSTECKTEN SCHLUCHTEN IM SCHLERN-MASSIV SIND AUS DER FERNE NICHT ZU ERKENNEN. 170_ BIKE 6/05

5 TEXT/FOTOS MARCO TONIOLO Wie ein Ozean-Dampfer schiebt sich die Felsenfestung des Schlern langsam ins Blickfeld. Am Bug ragt ein scharfkantiger Sporn in den Himmel, der übrige Felsklotz ist flach, als hätte man den Gipfel mit einem Schwert abgeschlagen. Uneinnehmbar, denke ich jedesmal, wenn ich von Süden her über die Brenner-Autobahn kurve und bei Bozen direkt auf den Schlern zusteuere. Über 2000 Meter hoher, senkrechter Dolomitenfels doch dieses Mal wollen wir mit den Bikes tatsächlich da hinauf. DER AUFSTIEG ZUM SCHLERN Für die Tour rekrutieren wir den Local Lorenz Psaier. Er kennt einen schönen Auffahrtsweg für Biker und was noch wichtiger ist einen spannenden Abfahrtstrail, den er schon einige Male gefahren ist. Die Auffahrt wird ziemlich hart und eine kurze Tragepassage ist leider auch dabei, erklärt Lorenz und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Trinkrucksack. Dafür sei das Panorama umwerfend und die Abfahrt einzigartig. Allerdings nur, wenn das Wetter mitspielt... Ich lege den Kopf in den Nacken, auch die fünf anderen suchen den Himmel ab. Entwarnung: 4 Nur ein paar Schleierwolken ziehen friedlich über den Morgenhimmel. Wir lassen das Auto in Wolkenstein im Grödnertal zurück und heften uns an Lorenz Hinterreifen. Von hier aus können wir den Schlern noch nicht einmal sehen. Nur der Höhenmesser verrät, dass wir uns dem Dach des Schlern stetig nähern. Bald tauchen wir in den Wald unterhalb der Seiser Alm. Gott sei Dank weit weg vom Trubel der größten Hochalm Europas. Die Touristenströme konzentrieren sich hauptsächlich auf die bequeme Asphaltstraße und die Liftanlagen, die direkt auf diesen Aussichtsbalkon mit Blick auf die Dolomiten führen. Auf einer Almwiese finden wir einen Picknick-Holztisch, packen unsere Brotzeit aus und machen die erste Pause vor einer Kulisse, die schwer zu überbieten ist: Langkofel, Plattkofel und Sellagruppe glänzen in der klaren Septemberluft. Das Licht-Schatten-Spiel in den rauen Felswänden lässt die berühmten Felsbastionen um uns herum noch näher rücken. Selbst die vergletscherte Spitze der Marmolada ist in der Ferne zu erkennen. Jetzt ist Schluss mit der Gemütlichkeit!, ruft Lorenz in seinem südtiroler Dialekt und schwingt sich wieder in den Sattel. Kurz darauf hören wir seine Kette rasseln und verstehen sofort warum. Kurz nach der Mahlknechthütte beginnt die steile Auffahrt zum Tierser Alpljoch hinauf. Der Weg sieht nicht so aus, als ob er uns bis zu unserer Unterkunft auf 2440 Meter auch nur ein einziges angenehmes Flachstück gönnen wird. Ich rutsche auf die Spitze meines Sattels und bemühe mich, nicht nach oben zu schauen. Einfach treten, den Puls flach halten. Als ich das erste Mal wieder aufschaue, ist die Landschaft schroffer geworden. Wir bahnen uns unseren Weg durch ein enges Tal. Rechts und links ragen gelbliche Felswände auf. Doch inzwischen scheint sowieso alles gelb zu schimmern: der Schotter, das von der Sonne verbrannte Gras, sogar meine Bike-Kumpels. Und es ist heiß. Die Sonne knallt gnadenlos auf unsere Köpfe und ich muss kämpfen, dass ich im losen Schotter nicht das Gleich- > Harmloses Ungeheuer: Die schwarzen Gewitterwolken sorgten unterwegs für einen erhöhten Puls. Doch das Unwetter drehte ab. BIKE 6/05 _171

6 REISE HÜTTEN-SERIE TEIL 4 Im Schlern-Gebiet warten zähe Anstiege, aber sie werden mit jeder Menge Panorama und abenteuerlichen Trails belohnt. Der Bilderbuch-Pfad direkt nach dem Frühstück in der Tierser Alpl. Danach beginnt der Aufstieg zum Schlern-Plateau. 172_ BIKE 6/05

7 ENROSADÜRA WENN DIE SONNE UNTERGEHT, SCHEINEN DIE SONST BLEICHEN DOLOMI- TEN-FELSEN WIEDER WIE ROSEN ZU LEUCHTEN. gewicht verliere. Doch die Belohnung lässt nicht allzu lange auf sich warten: Oben im Fels leuchtet schon das rote Dach der Tierser Alpl. Die Hütte hat eine magische Anziehungskraft, denn die letzen Meter haben wir trotz der schmerzenden Beine schnell geschafft. Lorenz empfängt uns bereits und hat Apfelschorle für alle geordert. Diese Hütte wurde erst 1963 fertig gebaut, erklärt Lorenz. Sie ist nur im Sommer geöffnet und wird im Oktober für den ganzen Winter geschlossen. Umgeben von spannenden Felsgipfeln dient die Hütte vor 4 allem Bergsteigern und Kletterern als Basislager. Der Hüttenbauer selbst eröffnete zwei verschiedene Klettersteige, die vom Haus leicht zu erreichen sind. Sie führen auf die nahen Gipfel. Von dort ist das weitläufige Panorama noch schöner. Wir geben uns mit der Aussicht von der Hütte aus zufrieden. In unseren Rucksäcken hätten wir ohnehin keinen Platz mehr für die Kletterausrüstung gehabt. Und abgesehen davon zittern meine Beine nach dieser Auffahrt. Nach und nach verlassen die Tagestouristen die Hütte. In kleinen Karawanen wandern sie wieder ins Tal hinunter. Nur wenige übernachten auf der Hütte, wir sind fast allein. Draußen ist es empfindlich kalt geworden. Aber die Show, die jetzt beginnt, wollen wir auf keinen Fall verpassen. Der Sonnenuntergang in den Dolomiten es gibt sogar Legenden über ihn. So wie die von König Laurin, dem König der Zwerge. Er soll einst hier am Eingang seines Reiches wunderbare Rosen gepflanzt haben. Als der König und seine Zwerge jedoch gefangen genommen wurden so erzählt die Legende soll der König diese berühmten Worte gesprochen haben: Ich will, dass niemand die Rosen sieht. Weder bei Tag, noch bei Nacht. Doch er hatte die Stunde des Sonnenuntergangs vergessen. Seither strahlen die sonst bleichen Dolomitenfelsen im Abendlicht in warmen, leuchtenden Rottönen. Besonders der Rosengarten, die Berggruppe, in der wir uns gerade befinden. Dieses Ereignis wird heute Enrosadüra genannt, im Gedenken daran, dass es die schönen Rosen von König Laurin sind, die die Dolomiten färben. Als ich am nächsten Tag aus der Tür trete, stehen die anderen bereits fahrbereit vor der Hütte und folgen mit den Augen dem Pfad, der vor uns liegt. Eine schöne, lange Gerade unterhalb der Roterdspitze ein >

8 REISE HÜTTEN-SERIE TEIL 4 Kurze Stärkung vor atemberaubender Kulisse. Danach beginnt der steile Anstieg zur Tierser Alpl. 4 Bilderbuchpfad. Wir genießen jeden Meter und treten nur ganz langsam voran. Denn Lorenz hat verraten, dass der Spaß bald vorbei ist. Tatsächlich endet der Traumpfad an einem Steig. Wir müssen die Bikes schultern. 40 Minuten dann sind wir oben, schätzt Lorenz und steigt voran. Doch unser Guide kennt jede Menge Geschichten aus dieser Region und motiviert uns während der Tragerei, indem er uns in den schillerndsten Farben vom bevorstehenden Abfahrtstrail erzählt. Als wir das Gipfel-Plateau des Schlern erreichen, wirft uns das Panorama erst einmal um. Der Blick reicht bis zu den Schneegipfeln des Alpenhauptkamms, die umliegenden Dolomiten-Türme scheinen zum Greifen nah. Unten leuchtet das satte Grün des Eisacktales und die Autobahn windet sich wie eine Schlange zum Brenner 2000 Meter unter uns. Am Schlernhaus, auf 2450 Meter, ist es soweit. Der Pfad Nummer 1 beginnt seine Reise in die Tiefe. Eine Reise, die erst 1000 Meter tiefer auf einer Schotterstraße enden wird. Für Biker ohne die nötige Fahrtechnik beginnt hier die längste Schiebestrecke der Dolomiten. Der Pfad kippt in die Vertikale und zieht schon zu Beginn alle Register: Wir droppen mehr oder weniger gekonnt über große Stufen aus blankem Fels, zirkeln durch Spitzkehren und klappern über unbehauene Pflastersteine. Dann mündet der Weg in den einzigartigen Knüppelweg. Er schlängelt sich durch eine enge Schlucht und jetzt wird mir auch klar, warum dieser Weg definitiv nur bei schönem Wetter fahrbar ist: Der Weg besteht zum Großteil aus langen Holzbrücken. Bei Regen verwandeln sie sich in Rutschbahnen. Doch heute sind sie trocken. Die Reifen surren über die robusten Holzplanken und wir schussern wie Flipperkugeln durch die Steg-Kurven. Bis mein Vorderrad doch für einen Bruchteil einer Sekunde wegrutscht und mir etwas braunes, würziges ins Gesicht sprenkelt. Trotz des schönen Wetters haben wir Pech: Vor kurzem scheint hier der Viehabtrieb stattgefunden zu haben. Auf ihrem Marsch vom Schlern ins Tal haben die Kühe in regelmäßigen Abständen ihre Fladen hinterlassen. Der Weg ist heute also nicht nur rutschig, sondern auch noch stinkig. Später erfordert ein Schottermonster absolutes Gleichgewicht. Während ich mich bemühe, um die gröbsten Steine herum zu steuern, kämpfe ich gleichzeitig gegen das Überschlagsgefühl an. Am Völser Weiher legen wir eine Rast ein, um uns von dieser Abfahrt zu erholen. Das Adrenalin pumpt noch durch meine Adern, als ich mich noch einmal umdrehe. Keine Ahnung, wo wir da runter gefahren sind. Der Schlern steht wieder als uneinnehmbare Festung da. Kein Weg, keine Schneise ist in der Felswand zu erkennen. In einem leichten Auf und Ab folgen wir den Trails nach Seis. Dort wartet der letzte Anstieg zur Seiser Alm, zurück zum Auto. Es ist bereits später Nachmittag, als wir die letzten Höhenmeter erklommen haben und ins Grödner Tal hinunter blicken. Direkt gegenüber verfärben sich schon die Geisler Spitzen. Wir haben es nicht eilig. Also setzen wir uns vor der letzten Abfahrt in die Wiese und warten bis das tägliche Lichtspiel der Enrosadüra beginnt. An diesem schönen Spätsommerabend würde es mich nicht wundern, wenn König Laurin selbst vorbeikäme. 174_ BIKE 6/05

9 INFO PANORAMA-RUNDE AM SCHLERN >> DIE TOUR 70 Kilometer, 2400 Höhenmeter in zwei Tagesetappen Schwierigkeitsgrad: Diese Dolomiten-Runde um den Schlern macht nur bei stabilem, schönem Wetter Spaß. Erstens verpasst man sonst das Alpenglühen (Enrosadüra) und die 360-Grad-Aussicht vom Schlern-Plateau in die umliegenden Dolomiten. Und zweitens verwandelt sich der Knüppelweg bei Regen in eine Rutschbahn, die selbst zu Fuß schwierig zu meistern ist. Achtung: Der Schlern ist ein Naturpark! Einige Passagen des Abfahrtstrails sind so steil, dass die Hinterradbremse blockieren und die Reifen Spuren hinterlassen würden. An diesen Stellen bitte absteigen und schieben. Die Schwierigkeiten dieser Tour um den Schlern bestehen in der anstrengenden, steilen Auffahrt zur Tierser Alpl- Hütte, der 40-minütigen Tragepassage zum Gipfelplateau des Schlerns und der technisch sehr anspruchsvollen Abfahrt durch die Schlucht bis fast nach Völs hinunter. Die 1000 Höhenmeter beinhalten sämtliche Schwierigkeiten: Stufen, Geröll, Felsplatten, Serpentinen und die berühmten langen Holzbrücken des Knüppelweges. Ohne entsprechende Fahrtechnik ist man zum Schieben verurteilt. Tipp für den letzten Anstieg zur Seiser Alm: Von Seis zur Seiser Alm gibt es inzwischen eine Seilbahn. Im Gegenzug wird die ehemals viel befahrene Asphaltstraße zur Seiser Alm von 9 bis 17 Uhr für den Verkehr gesperrt. Biker haben daher zwei bequeme Aufstiegsmöglichkeiten: Sie können die knapp 900 Höhenmeter entweder mit der Seilbahn (Preis: 9 Euro inkl. Bike) oder auf der Auto freien Asphaltstraße zurücklegen. Start-/Zielpunkt: Wolkenstein Hüttenübernachtung: Tierser Alpl-Hütte (2441 m), Tel. 0039/0471/727958, 22 Schlafplätze im Doppelzimmer, 50 Schlafplätze im Matratzenlager. Übernachtung mit HP: 39,40 Euro (Zimmer), 31,40 Euro (Lager). Die Hütte klebt zwischen gelben Dolomiten-Wänden und ist ein perfekter Ort, um abends das Alpenglühen zu beobachten. Sobald die Tagestouristen abgezogen sind, kehrt Ruhe ein. Man sieht keinen Lift, kein Dorf, keine Zivilisation. Die südtiroler Wirte sind nicht nur gastfreundlich, sondern auch ausgesprochen gute Köche. >> ROUTEN-BESCHREIBUNG 1. Etappe: Wolkenstein La Selya Ciaslat Monte Pana Forstweg Nr. 3 bis Saltria Forstweg Nr. 8 bis zum Seiser Alm-Haus Tierser Alpljoch Tierser Alpl-Hütte (Übernachtung). 2. Etappe: Wegmarkierung 3,4 bis zum Schlern-Haus (40 Minuten Tragen unterhalb der Roterdspitze) Wegmarkierung Nr. 1 über den Knüppelweg und die Sessel-Schwaige Alm Forststraße bis zum Völser Weiher Wegmarkierung Nr. 2 bis nach Seis Asphaltstraße bis zur Seiser Alm (gesperrt für Autos zwischen 9 und 17 Uhr) oder mit der Seilbahn Saltria Forstweg Nr. 3 bis Monte Pana Ciaslat La Selya - Wolkenstein. >> BESTE TOURENZEIT Von Juli bis September. Im Frühjahr ist der Schlern meist noch mit Schnee bedeckt, ab Oktober kann es schon sehr kühl werden. >> KARTE Kompass-Karte Nr. 59, Sellagruppe (Maßstab 1:50000). >> ANREISE MIT DEM AUTO München Innsbruck Brenner Autobahn-Ausfahrt Klausen Gröden und weiter Richtung Wolkenstein (277 Kilometer/Fahrzeit: 2:45 Stunden). >> INFO Tourismusverein Wolkenstein, Meisulesstr. 213, Wolkenstein (BZ), Tel. 0039/0471/795122, Übernachtungstipp in Wolkenstein: Bike Hotel Piccolo, Rainelstr. 51, Wolkenstein-Gröden, Tel. 0039/0471/795186, Eigentlich ein Domizil für Bergsteiger und Kletterer: die Tierser Alpl auf 2440 Meter. Start Tour Hütte Castelrotto Bulla Ortisei San Giacomo St. Christina/Gröden Wolkenstein A22 m Seis r A l Fiè allo Sciliar Ums M m Sciliar Schlernhaus SCHLERN S e i S Ü D T I R O L s e 2080 m Goldknopf Mahlknechthütte 2951 m Plattkofel 3101 m Langkofel Knüpp e lsteig Tierser Alpl-Hütte 2 km BIKE 6/05 _175

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