Distributives Marktversagen: Marktliche Allokationslogik vs. Gerechtigkeit
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- Eugen Voss
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1 Distributives Marktversagen: Marktliche Allokationslogik vs. Gerechtigkeit Primäre Einkommensverteilung Marktliche Allokationslogik: Entlohnung der Produktionsfaktoren als Preissignale, d.h. als Ausdruck relativer Knappheit Gesellschaft und Gerechtigkeit funktionale Einkommensverteilung personale Einkommensverteilung Gerechtigkeitstheorien ethisch gebotene = gerechte Verteilung Lohn w (für Arbeit) Haushalt 1: w l 1 (1) Zins r (für Kapital) Pacht p (für Boden) Gewinne G (Residuum) Haushalt 2: w l 2 + r k 2 + G 2 Haushalt i: w l i + r k i + p B i Haushalt n: w l n + r k n + p B n + G n (1) Gerechtigkeitskonflikt (2) deskriptiver Konflikt (3) politischer Konflikt (3) (2) Gesellschaftlicher Diskurs als gerecht empfundene Verteilung Σ (w l i + r k i + p B i + G i ) = L + R + P +G = Y = Volkseinkommen = Summe aller primären Einkommen Politisches System politisch gewünschte Verteilung
2 Einkommensverteilung in der BR Deutschland im Jahr 2007: Haushalte des Quintils Nettoeinkommensanteil 1. 7,2 % 2. 12,4 % 3. 17,1 % 4. 23,8 % 5. 39,5 % und im internationalen Vergleich (2002): Land Anteil der untersten 10% Anteil der obersten 10% Relation Japan 4,8 21,7 4,5 Deutschland 3,3 23,7 7,2 Kanada 2,8 23,8 8,5 Indien 3,5 33,5 9,6 Vereinigtes Königreich 2,6 27,3 10,5 China 2,4 30,4 12,7 USA 1,8 30,5 16,9 Russland 1,7 38,7 22,8 Nigeria 1,6 40,8 25,5 Mexiko 1,6 41,1 25,7 Südafrika 1,1 45,9 41,7 Brasilien 1,0 46,7 46,7
3 Utilitarismus Jeremy Bentham [ ], John Stuart Mill [ ] Ziel des Staates: Summe der Nutzen aller Gesellschaftsmitglieder zu maximieren ( Das größte Glück der größten Zahl ) Annahme eines abnehmenden Grenznutzens staatliche Umverteilung mit dem Ziel eines egalitären Ergebnisses gerechtfertigt, sofern: A und B identische Grenznutzenfunktionen des Einkommens besitzen Nutzen von A und B kann kardinal gemessen werden Kritik: der Utilitarismus rechtfertigt eigentlich ungerechtes Verhalten, sofern dies den Gesamtnutzen maximiert Die Unmöglichkeit eines Paretianischen Liberalen (A. Sen)
4 a b b b a b A C D B Utilitarismus: Optimale Einkommensverteilung
5 Egalitärer Liberalismus (Rawls) I John Rawls [ ]: Theory of Justice (1971) Urzustand, Schleier des Nichtwissens ( veil of ignorance ) Maximin-Regel : die Position (oder der Nutzen) desjenigen wird maximiert, der bisher am schlechtesten gestellt ist Erstes Gerechtigkeitsprinzip ( Freiheitsprinzip ): Jede Person hat das gleiche Recht auf die größtmögliche grundsätzliche Freiheit, die mit einer ähnlichen Freiheit für andere vereinbar ist Zweites Gerechtigkeitsprinzip ( Differenzprinzip ): Soziale und ökonomische Ungleichheiten sollen so eingerichtet werden, dass sie (a) zum größtmöglichen Vorteil der am schlechtesten gestellten Person(en) sind (b) mit Ämtern und Positionen verbunden sind, die für alle unter Bedingungen einer fairen Chancengleichheit zugänglich sind Prioritätsprinzip: Eine Verringerung der Freiheit der am schlechtesten gestellten Gesellschaftsmitglieder kann nicht gerechtfertigt werden, selbst wenn es zu ihrem ökonomischen Vorteil ist
6 Egalitärer Liberalismus (Rawls) II Allgemeines Gerechtigkeitspostulat: Alle sozialen Primärgüter Freiheit und Chancen, Einkommen und Vermögen sind gleichmäßig zu verteilen, es sei denn eine ungleichmäßige Verteilung von einigen oder allen diesen Gütern ist zum Vorteil der am schlechtesten Gestellten Rawls Gerechtigkeitsentwurf lässt Einkommensdisparitäten zu, da (soweit) diese Anreize zur ökonomischen Aktivitätsentfaltung steigern und dadurch die Möglichkeiten der Gesellschaft verbessert werden, den Armen zu helfen Kritik: ein Entfernen jeglichen kulturellen Hintergrundwissens lässt die Verhandlungsführer gedanklich immobil werden, aber, wenn man dies nicht unterstellt, werden ihre Entscheidungen kulturspezifisch sein Rawls Aufzählung von Freiheitsrechten ist zu eng Maximin-Kriterium nur unter sehr restriktiven Bedingungen gesellschaftliches Optimum
7 Naturrechtslibertarismus eine Gruppe von Libertaristen verteidigen privaten Besitz aus moralischen Gründen, nämlich als ein Naturrecht Robert Nozick [ ]: Anarchy, State and Utopia (1974) Eine Person ist zu einem Besitz berechtigt, wenn sie sich diesen angeeignet hat: (a) durch Verdienst ( justice in aquisition, Aneignungsgerechtigkeit) oder (b) durch die Erbschaft von Vermögen, das wiederum durch gerechten Verdienst errungen worden ist ( justice in transfer, Übertragungsgerechtigkeit) Der Staat darf zu Unrecht erworbenen Besitz umverteilen ( principle of ractification, Berichtigungs- oder Korrekturprinzip) Solange der Prozess der Festsetzung der Einkommensverteilung rechtmäßig ist, ist die resultierende Verteilung gerecht, egal wie ungleichmäßig sie auch sein mag freiheitsliberale Vorliebe für einen Nachtwächterstaat mit streng begrenzten Zuständigkeiten Kritik: Jede Einkommenserzielung ist auf Arbeitsteilung mit Anderen angewiesen; müsste mit Blick auf die realhistorischen unberechtigten Aneignungen (USA: Native Americans ; Europa: Kriege, Vertreibungen) nicht fast jeder Besitz umverteilt werden?
8 Empirischer Libertarismus Friedrich August von Hayek [ ], Milton Friedman[ ] Freiheit als Abwesenheit von Zwang Friedrich August von Hayek (1944): Der Weg in die Knechtschaft Verteilungsergebnis in einer Marktwirtschaft kann nicht gerecht oder ungerecht sein Soziale Gerechtigkeit als quasi-religiöser Aberglaube Das aktive Streben nach sozialer Gerechtigkeit durch den Staat führt zur Zerstörung der individuellen Freiheit Der Staat besitzt keine distributive Funktion, abgesehen von streng begrenzten Maßnahmen zur Linderung gravierender Armut
9 Schlussfolgerungen für die Rolle des Staates Naturrechtslibertarismus Empirischer Libertarismus Utilitarismus Egalitärer Liberalismus Privateigentum unverletzlich wesentlich pragmatisch (Kriterium: Gesamtwohlfahrt) pragmatisch (Kriterium: Maximin) Steuern staatlicher Diebstahl stark eingeschränktes Besteuerungsrecht probates politisches Mittel probates politisches Mittel Umverteilung Verteilungsgerechtigkeit irrelevant beschränkt auf Bekämpfung gravierender Armut Befürwortung, solange Gesamtwohlfahrt steigt Befürwortung, sobald Maximin erfüllt Öffentliche Produktion abgelehnt beschränkt auf wenige (rein) öffentliche Güter pragmatisch (Kriterium: Gesamtwohlfahrt) pragmatisch (Kriterium: Maximin) Soziale Sicherungssysteme abgelehnt nur residualer Wohlfahrtsstaat unterstützt unterstützt (Einkommensumverteilung als (Sozial-) Versicherung)
10 Funktionale Argumente für Umverteilung Positive Nutzenexternalität ( Altruismus ) Versicherungsfunktion des Staates Verbesserter Schutz von Eigentumsrechten bei Umverteilung Erhöhung der individuellen Produktivität durch Umverteilung Erhöhung des sozialen Kapitals durch Umverteilung Gegenargumente allokative Zusatzlasten von Steuern und Transferzahlungen Reduktion der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisbildung höhere Spendenbereitschaft der Vermögenden höhere Risikobereitschaft führt zu einer Zunahme von Kriminalität Ansprüche können aufgrund von Umverteilung schneller zunehmen als materielle Besserstellung Gefahr des Rent Seeking
11 Staatliche Umverteilung (1): Mindestlöhne Lohnssatz Arbeitsangebot Arbeitslosigkeit GG s lohnsatz Mindestlohnsatz MarktGG GG S beschäftigung Arbeitsnachfrage Beschäftigung (Arbeitsmenge)
12 Staatliche Umverteilung (2): (Progressive) Einkommensbesteuerung
13 Stabilitätsbezogenes Marktversagen: Konjunkturelle Schwankungen Reales BIP oberer Wendepunkt Wachstumstrend (Produktionspotential) tatsächliches BIP unterer Wendepunkt unterer Wendepunkt 1. Phase: Erholung 2. Phase: Prosperität 3. Phase: Rezession 4. Phase: Depression Zeit In Marktwirtschaften verläuft der Wachstumsprozess nicht stetig, sondern unter konjunkturellen Schwankungen im Auslastungsgrad des Produktionspotenzials (das den Wachstumstrend einer Volkswirtschaft beschreibt) Ein Konjunkturzyklus dauert typischerweise zwischen 3 und 8 Jahren Die Bewegung hin zu einem Hochpunkt wird als Aufschwung bezeichnet, jene zu einem Tiefpunkt als Abschwung Nimmt das reale BIP in absoluten Zahlen ab (negative Wachstumsraten), so spricht man von einer Rezession
14 Staatliche Stabilisierungspolitik: Magisches Viereck hoher Beschäftigungsstand stabiles Preisniveau Stabilitäts- und Wachstumsgesetz 1967 außenwirtschaftliches Gleichgewicht stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum
15 Staatliche Stabilisierungspolitik: Fiskal- und Geldpolitik Ziel staatlicher Stabilisierungspolitik ist es, den Abweichungen der gesamtwirtschaftlichen Aktivität vom Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft entgegenzuwirken Neuere Theorien (z.b. Theorie realer Konjunkturzyklen) identifizieren die Ursachen konjunktureller Schwankungen auch auf der Angebotsseite einer Volkswirtschaft Die angewandte Stabilisierungspolitik basiert hingegen nach wie vor auf einer weitgehend nachfrageorientierten Erklärung von Konjunkturzyklen In Deutschland wurde das verfügbare konjunkturpolitische Instrumentarium durch das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 wesentlich erweitert. Grundsätzlich lassen sich unterscheiden: Fiskalpolitik und Geldpolitik Der Staat ( Fiskus ) beeinflusst durch die Steuer-, Ausgaben- und Schuldenpolitik die gesamtwirtschaftliche Nachfrage direkt und indirekt Eine aktive konjunkturelle Steuerung mit Hilfe der Fiskalpolitik wird jedoch durch zeitraubende finanzpolitische Entscheidungsprozesse erschwert, die zu Zeitverzögerungen ( time lags ) führen Es ist in hohem Maße umstritten, ob sich auch die Geldpolitik konjunkturpolitisch betätigen soll Nach Ansicht der sog. Monetaristen (u.a. Milton Friedman) sollte sie allein auf eine mittelfristige Stabilisierung des Preisniveaus abzielen Allerdings ist unstrittig, dass die Geldpolitik auch konjunkturelle Wirkungen hat Heute herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass eine aktive Feinsteuerung der Konjunktur durch den Staat kaum möglich ist
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