Hilfe zum Sterben und Sterbehilfe
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- Jörn Walter
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1 Hilfe zum Sterben und Sterbehilfe Welchen Weg geht Deutschland? RA D. Rothenburg Verwaltungsprofessor Institut für Sozial- und Gesundheitswissenschaften Emden
2 Begriffe 1. Aktive Sterbehilfe Die gezielte schmerzlose Tötung eines Menschen durch Verabreichung eines tötlichen Giftes oder Beschleunigung des Todeseintritts. Tötung eines Menschen auf dessen eigenen Wunsch. In Deutschland strafbare Handlung nach 216 StGB. 216 StGB Ist jemand durch das ausdrückliche und ernsthafte Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. D. Rothenburg 2
3 Begriffe 2. Assistierter Suizid (=Beihilfe zur Selbsttötung) Die Bereitstellung eines tötlichen Giftes, das der Selbstmörder selbst einnimmt. Da in Deutschland die Beihilfe nur dann strafbar ist, wenn die Haupttat strafbewehrt ist, der Selbstmord aber kein Straftatbestand ist, bleibt auch die Beihilfe zum Selbstmord straffrei. Abgrenzung zur aktiven Sterbehilfe: kein Täterwille Nur der Selbstmörder hat Täterwillen. D. Rothenburg 3
4 Begriffe 3. Indirekte Sterbehilfe Bei der Verabreichung palliativmedizinischer Medikamente bei einer tödlichen Erkrankung wird eine lebensverkürzende Wirkung in Kauf genommen. Abgrenzung zur aktiven Sterbehilfe: Ziel ist die Linderung von Schmerz und Angst, nicht die die lebensverkürzende Wirkung. Kein Täterwille. D. Rothenburg 4
5 Begriffe 4. Passive Sterbehilfe ( gerechtfertigter Behandlungsabbruch ) Der Abbruch oder die Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen, die bei einem Patienten mit infauster Prognose den Tod hinauszögern, aber nicht mehr aufhalten können. Die Grenze zur (strafbaren)aktiven Sterbehilfe wird nicht überschritten, wenn die Unterlassung einer lebenserhaltenden Maßnahme durch aktives Tun (z.b. einer medizinischen Apparatur) erfolgt. (BGH Urteil vom Az.2 StR 454/09) D. Rothenburg 5
6 Rechtslage in Holland 1. Die aktive Sterbehilfe ( Tötung auf Verlangen ) wurde im Jahre 2002 in Holland legalisiert. Damit eine Tötung straffrei bleibt, muss von dem durchführenden Arzt allerdings ein bestimmtes Verfahren einhalten werden. Der Patient muss die Bitte nach einer Tötung äußern. Der Arzt muss zu der Überzeugung gelangt sein, daß der Patient die Bitte nach Tötung freiwillig und nach reif- licher Überlegung geäussert hat. Der Arzt muss zu der Überzeugung gelangt sein, daß keine Aussicht auf Besserung besteht. D. Rothenburg 6
7 Rechtslage in Holland Der Arzt muss den Patienten über dessen Situation und die medizinischen Probleme aufklären Der Arzt muss zu der Überzeugung gelangt sein, daß es für dessen Situation keine andere annehmbare Lösung gibt. Es muss mindestens ein anderer unabhängiger Arzt zu Rate gezogen werden, der den Patienten untersucht und schriftlich zur Einhaltung der Verfahrensschritte auffordert. Er muss die Tötung oder Beihilfe zur Selbsttötung fachgerecht durchführen. D. Rothenburg 7
8 Rechtslage in Holland 2. Weiteres Verfahren Arzt und Leichenbeschauer müssen die Tötung an eine regionale Kontrollkommission melden. Die Kontrollkommission überprüft die Einhaltung des Verfahrens. Mit positiver Überprüfung tritt der Strafausschließungsgrund ein, die Tat wird straffrei gestellt. Es besteht keine Pflicht des Arztes zur Durchführung einer Euthanasiemaßnahme. Die Tötung auf Verlangen ist nicht an die Volljährigkeit gebunden; notwendig ist die Einwilligung der Eltern bei jährigen; bei jährigen reicht Information. D. Rothenburg 8
9 Rechtslage in Holland 3. Bisherige Erfahrungen Seit der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe ist die Zahl der Sterbefälle angestiegen und steigt weiter an. Zahlen der Kontrollkommission: (aktive Sterbehilfe) 2007 : : : : 2919 D. Rothenburg 9
10 Rechtslage in Holland Es sind mehrere Fälle bekanntgeworden, in denen es zu Mißbrauch kam und das Verfahren nicht eingehalten wurde. Patienten wurden getötet, auch ohne daß sie einen entsprechenden Wunsch geäußert hatten. Dies führte dazu,daß in einigen Kliniken Patienten eine sog. Credo Card tragen mit der Aufschrift: Maak mij niet dood,doktor. ( Mach mich nicht tot Doktor) D. Rothenburg 10
11 Rechtslage in Holland 4. Weitere Entwicklung Trotz einiger bekanntgewordener Mißbrauchsfälle besteht aktuell keine Absicht einer Gesetzesänderung. Im Gegenteil. Für März 2012 wurde in Holland eine spezielle Sterbeklinik geplant und sechs ambulante Euthanasiestationen, deren einzige Aufgabe die Tötung von Menschen ist. D. Rothenburg 11
12 Entwicklung in Deutschland Der Gesetzesentwurf sieht die Schaffung eines neuen Straftatbestandes vor: 217 StGB E: Gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung (1) wer absichtlich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine andere ihm nahestehende Person ist. D. Rothenburg 12
13 Entwicklung in Deutschland Begründung der Bundesregierung: 1. Notwendigkeit eines strafrechtliches Pendants zum Zivilrecht ( 1901 ff BGB) BGHSt:. 2. Anlehnung an die Empfehlung des nationalen Ethikrates vom : Forderung nach einem Verbot der gewinnorientierten Beihilfe zum Suizid. 3. Die Kommerzialisierung der Beihilfe, bei der nicht die Beratung und lebensbejahende Perspektive im Vordergrund steht, sondern die Gewinnerzielungsabsicht stellt eine qualitative Änderung in der Praxis der Sterbehilfe dar. D. Rothenburg 13
14 Entwicklung in Deutschland 4. Durch die Teilnahme am allgemeinen Marktgeschehen kann der Eindruck einer normalen Dienstleistung ( Sie wollen sterben? - Wir helfen gern ) entstehen und die Zunahme der Suizide fördern ( Das Angebot schafft die Nachfrage ) 5. Die Hemmschwelle zum Suizid wird gesenkt, auch gerade für schwer kranke und alte Menschen, die zum einfachen Suizid vermehrt veranlasst werden könnten, um ihren Angehörigen nicht zur Last zu fallen. 6. Auch wenn ein direkter Zusammenhang zwischen einer gewerbsmäßiger Förderung der Selbsttötung und Suizidrate wissenschaftlich nicht bewiesen werden kann, zeigt das Ansteigen D. Rothenburg 14
15 Entwicklung der Fallzahlen die Tendenz, daß mit zunehmender Liberalisierung auch zunehmend von entsprechenden Angeboten Gebrauch gemacht wird. Selbsttötungen in Belgien Fälle Fälle Selbsttötungen in der Schweiz Fälle Fälle D. Rothenburg 15
16 Entwicklung in Deutschland Rechtliche Einordnung des Gesetzes (durch die Bundesregierung) Verfassungsrechtlich 1. Art.12 GG garantiert zwar die Berufsfreiheit. Das Verbot gewerbsmäßiger Suizidförderung ist aber eine zulässige Schrankenbestimmung nach Art 12 Abs. 2 GG. Diese ist gerechtfertigt durch die staatliche Pflicht, den Schutz menschlichen Lebens nach Art 2 Abs. 2 S. 1 GG zu gewährleisten. D. Rothenburg 16
17 Entwicklung in Deutschland 2. Das durch Art 1,2 GG geschützte Selbstbestimmungsrecht jedes Menschen wird durch das Verbot gewerbsmässiger Förderung der Selbsttötung nicht verletzt, da durch dieses Gesetz die Möglichkeit, selbst über die Beendigung seines Lebens entscheiden zu können, nicht berührt wird. Ein Anspruch auf Erleichterung der Selbsttötung, d.h. auf Hilfe zum Suizid gibt es nicht. (BVerfG vom BvR 1832/07) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Nr. 2346/03 Urteil vom ; z.zt anhängig: Koch./.BRD ) D. Rothenburg 17
18 Entwicklung in Deutschland 3. Das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht reicht nicht Im Fall der kommerziellen Suizidhilfe durch den früheren Hamburger Justizsenator Kusch hatte das Verwaltungsgericht (Urteil vom ; Az 8 E 3301/08) eine entsprechende Verbotsverfügung bestätigt, die auf die polizeirechtliche Generalklausel gestützt war. ( Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ) Dies war eine Einzelfallentscheidung. Notwendig ist aber eine allgemeine inhaltliche Grenzbestimmung. D. Rothenburg 18
19 Entwicklung in Deutschland 4. Ein bloßes Werbeverbot reicht nicht Hintergrund: Gesetzesentwurf BR Drs. 149/10 vom Darin sollte die Werbung für Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt werden. 5. Eine weiterreichende Verbotsregelung ist nicht notwendig. Hintergrund: Gesetzesentwurf BR Drs. 230/06 vom Darin sollte die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe gestellt werden. D. Rothenburg 19
20 Entwicklung in Deutschland Begriffe :geschäftsmäßig/gewerbsmäßig 1. Geschäftsmäßigkeit geschäftsmäßig handelt, wer die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegenstand seiner Beschäftigung machen möchte (RG 72,315) und zwar auch ohne Erwerbsabsicht. 2. Gewerbsmäßigkeit gewerbsmäßig handelt, wer sich aus wiederholter Tatbegehung eine nicht nur vorrübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang verschaffen möchte. (BGH 1,383) D. Rothenburg 20
21 Entwicklung Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung ist in 217 Abs. 2 StGB E ein persönlicher Strafausschließungsgrund enthalten für 1. Angehörige und 2. andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen Die sich als nicht gewerbsmäßig Handelnde an einer Tat nach 217 Abs. 1 StGB E beteiligen. D. Rothenburg 21
22 Entwicklung in Deutschland Begriff des Angehörigen (vgl. 11 StGB) 1. Verwandte in gerader Linie (Eltern,Kinder, Grosseltern) 2. Verschwägerte in gerader Linie (Schwiegereltern, Schwiegerkinder, Stiefvater, Stiefkinder) beachte : Schwägerschaft endet nicht durch Ehescheidung 3. Ehegatten 4. Verlobte 5. Geschwister 6. Geschwister der Ehegatten D. Rothenburg 22
23 Entwicklung in Deutschland Begriff der nahestehenden Person Es gibt dazu keine Legaldefinition, aber bereits bestehende Straftatbestände, in denen der Begriff verwendet wird (z.b. 35 StGB) Nach der Gesetzesbegründung handelt es sich bei diesem Personenkreis um Personen, mit denen ein auf eine gewisse Dauer angelegtes zwischenmenschliches Verhältnis besteht, das ähnliche Solidaritätsgefühle wie in der Regel- unter Angehörigen hervorruft und deshalb beim Suizidwunsch des anderen zu einer vergleichbaren emotionalen Zwangslage führt. D. Rothenburg 23
24 Entwicklung in Deutschland Die aktuelle Gesetzesbegründung wurde von der Bundes- regierung geändert. In der ursprünglichen Fassung hiess es in Bezug auf die nahestehenden Personen. Auch Ärzte und Pflegekräfte können darunter fallen wenn eine über das rein berufliche Verhältnis hinausgehende, länger andauernde persönliche Beziehung entstanden ist, wie dies z.b. beim langjährigen Hausarzt oder einer entsprechenden Pflegekraft der Fall sein kann. D. Rothenburg 24
25 Entwicklung in Deutschland Auf Protest von Kirchen- und Ärztevertreter wurde zwar dieser Satz aus der Gesetzesbegründung durch Kabinettsbeschluss gestrichen, nicht aber Änderungen am Gesetzestext vorgenommen. Inhaltlich ändert sich also durch die Streichung dieses Satzes in der Gesetzesbegründung nichts. Justizministerin Leutheusser Schnarrenberger: Wenn die Beihilfe geleistet werde aus Liebe und Zuneigung und als Ausdruck einer intimen zwischenmenschlichen Verbindung solle sie straffrei bleiben. D. Rothenburg 25
26 Entwicklung in Deutschland Für Ärztinnen und Ärzte gibt es eine berufsrechtliche Regelung der Sterbehilfe. 16 der Berufsordnung lautet: Ärztinnen und Ärzte dürfen- unter Vorrang des Willens der Patienten auf lebensverlängernde Maßnahmen nur verzichten und sich auf die Linderung der Beschwerden beschränken, wenn ein Hinausschieben des unvermeidbaren Todes für die sterbende Person lediglich eine einen unzumutbare Verlängerung des Leidens bedeuten würde,. Ärztinnen und Ärzte dürfen das Leben der oder des Sterbenden nicht aktiv verkürzen. Sie dürfen weder ihr eigenes noch das Interesse Dritter über das Wohl der Patienten oder des Patienten stellen. D. Rothenburg 26
27 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit D. Rothenburg 27
28 630 d BGB E (1) Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist di Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach 1901a Abs. 1 S. 1 die Maßnahme gestattet oder untersagt. Wietergehende Anforderungen an die Einwilligung aus anderen Vorschriften bleiben unberührt. Kann eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. 28
29 (2) Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt voraus, daß der Patient oder im Fall des Absatzes 1 Satz 2 der zur Einwilligung Berechtigte vor der Einwilligung nach Maßgabe von 630e aufgeklärt worden ist. (3) Die Einwilligung kann jederzeit und ohne Angabe von Gründen widerrufen werden. 29
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