Oberstufe Musik. Musik und Religion. Arbeitsheft für den Musikunterricht in der Sekundarstufe II an allgemein bildenden Schulen.

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1 Oberstufe Musik Musik und Religion Arbeitsheft für den Musikunterricht in der Sekundarstufe II an allgemein bildenden Schulen Christoph Richter Die Reihe Oberstufe Musik wird herausgegeben von Torsten Brandt.

2 Inhaltsverzeichnis Religiöser Ausdruck in der Musik Was ist religiöse Musik? 4 Sprechen, Singen und Musizieren in religiösen Feiern 5 Musik und Bewegung 9 Religiöse Lieder Mitteilung und Selbstausdruck 11 Anregungen zur Beschäftigung mit religiösen Liedern 13 Exkurs: Religiöse Lieder in der Kunstmusik 16 Die Entstehung des religiösen Liedes 18 Eine kleine Werkstatt für religiöse Musik 21 Vom Gottesdienst in den Konzertsaal Musik als Dienerin der Religion? 23 Die Emanzipation der Kunstmusik 26 Weltliche religiöse Musik 28 Religiöse Musik als Alltagsmeditation 33 Exkurs: Religiöse Musik ohne Texte 35 Ist Orgelmusik religiöse Musik? 38 Die Messe Ursprung und der christlichen Liturgie 44 Eine Messe außerhalb des Gottesdienstes 50 Religiöse Lieder in Nordamerika 53 Musik in der jüdischen Religion 57 Die jüdische Liturgie Musik im Islam 60 Ausübung religiöser Musik Musik in Indien 63 Musik und Religion 3

3 Vom Gottesdienst in den Konzertsaal Requiem von Brahms eine Thementafel b) Motette a) Choral c) Fuge e) Totentanz 30 Musik und Religion

4 Vom Gottesdienst in den Konzertsaal zu b) Motette >> Musik und Religion 31

5 Musik im Islam Ausübung religiöser Musik Die Ausübung von Musik im Islam ist seit dem Beginn der muslimischen Religion um 622 n. Chr. ein umstrittenes Thema. Das Spektrum der Äußerungen reicht von einem völligen Verbot der Musik (sowohl als Begleitung religiöser Feiern als auch im privaten Lebensbereich der Gläubigen) über die partielle Erlaubnis von Musik (wenn diese den Gläubigen von seinen religiösen Pflichten nicht abhält) bis hin zur uneingeschränkten Erlaubnis. Trotz dieser Divergenzen hat sich eine lebendige Tradition von religiöser Musik im Islam herausgebildet. Sie ist für die Mehrheit der Muslime gar nicht wegzudenken. Im Folgenden sei ein Überblick über die verschiedenen Formen der religiösen Musik im Islam zusammengestellt. Grundsätzlich wird in den mehrheitlich muslimischen Gesellschaften des Nahen Ostens eine Klassifizierung von Musik in die folgenden zwei Kategorien vorgenommen: Sama Der Begriff Sama bezeichnet sowohl den Vorgang des Musik-Hörens als auch eine eigene Gattung von Musik. Unter diesem Begriff wird heilige und religiöse Musik subsumiert. Ghina ist das Gegenstück zu Sama. Wörtlich übersetzt heißt Ghina Gesang. Unter diesen Begriff fallen alle anderen Arten von Musiken wie Volksmusik und auch die Musik der Beduinen. Die drei Arten der religiösen Musik Grundsätzlich lässt sich die religiöse Musik der islamischen Welt in drei Arten unterteilen. Man unterscheidet die Koran-Rezitation von den Gebetsrufen und der Lobpreisung des Propheten (Sufi-Gesang). 1. Die Lesung des Koran im Rezitationston Der gesungene Vortrag des Korans gehört neben dem Gebetsruf und dem Lobpreis des Propheten zu der im engeren, liturgischen Sinne religiösen Musik im Islam. Aus emischer Sicht (d. h. aus der Sicht der Muslime) wird der Koran sowohl gelesen als auch singend rezitiert. In dieser Praxis spiegelt sich die innerislamische Diskussion über ein Musikverbot wieder. In der Praxis erfüllt die Rezitation des Korans eine liturgische und mystische Funktion im religiösen Alltag eines Gläubigen. Die durch den Erzengel Gabriel an den Propheten Muhammad übermittelten Verse ( n. Chr.) werden als die Worte Gottes verstanden und stellen ewige Wahrheiten dar. Der Koran (die heilige Schrift des Islam) umfasst 114 Kapitel (arab. Suren), welche ihrer Länge nach geordnet sind. Die einzelnen Suren sind jeweils in Verse (arab. Ayat) unterteilt. Die Kunst der Koranrezitation (HB 12) tagwid folgt strengen, komplizierten Regeln, welche die Aussprache, die Intonation (Tonfolge) und die Tempi festlegen. Für die Tongebung sind Kehlkopf- und Rachenlaute sowie eine spezielle Behandlung der Vokale und Konsonanten maßgebend. (Vgl. dazu auch den weiterführenden Text Vortragsregeln zur Koranrezitation auf der CD zum Heft). Große Moschee in Dubai 2. Der Gebetsruf Der Gebetsruf (türk. Ezan) ist die zweite Kategorie religiöser Musik im Islam (HB 13). Schon zu Lebzeiten des Propheten war er integraler Bestandteil islamischer Liturgie. Anfänglich als einfacher Ruf ausgeführt, entwickelte sich in den Jahrhunderten eine eigene, regional sehr unterschiedliche und kunstvoll gestaltete Gesangsform heraus. Fünfmal am Tag (am Morgen, am Mittag, am Nachmittag, bei Sonnenuntergang und am Abend) steigt der Muezzin auf das Minarett einer Moschee und lädt durch seinen Ge- 60 Musik und Religion

6 Musik im Islam sang zum Gebet ein. Üblicherweise werden die folgenden sieben Zeilen ein oder mehrmals wiederholt: a. Gott ist der Größte. b. Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah. c. Ich bezeuge, dass Muhammad Gottes Gesandter ist. d. Auf zum Gebet. e. Auf zum Heil. f. Gott ist der Größte. g. Es gibt keinen Gott außer Allah. Die Gebetsrufe werden in bestimmten Tonarten (Tonskalen, Motiven) hervorgebracht, die nur die Muezzine beherrschen (s. Notenbsp. unten). 3. Lobpreisungen des Propheten Die Lobpreisungen des Propheten (madaih an-nabawi), welche die Angehörigen der Sufi-Orden singen oder musizieren, können am ehesten in unserem Sinne als Musik bezeichnet werden, charakterisiert durch Melodie, Rhythmus und musikalische Form. Im engeren, liturgischen Sinne sind sie sowohl eine literarische Gattung als auch eine weit verbreitete Gesangsform. Ihre Verbreitung verdankt diese Gattung vor allen Dingen den islamischen Mystikerorden, den Sufis. Entstanden ist diese Art des religiösen Gesangs unmittelbar nach dem Tode des Propheten (632 nach Chr.) als eine Art Totenklage. Es handelt sich aber keineswegs um ausschließlich traurige und schwermütige Lieder; in den Lobpreisungen wird die Erinnerung an den lebenden Propheten gepflegt. Lobpreisungen des Propheten Folgende Gesangsformen gehören zu der Obergattung madaih an-nabawi: Tanzila: Offenbarung Ibtihal: Flehen Tawassul: Bitte Sufismus Das Wort Sufi (deutsch Wolle ) verweist auf die langen wollenen Gewänder der Mitglieder der Sufi-Orden oder Sufi-Sekte, die einerseits in strenger Askese leben und andererseits ihr Leben den Künsten weihen, mit Dichtung, Gesang, Instrumentalspiel, Tanz. Viele Sufis, die gelegentlich auch Derwische oder Fakire genannt werden, sind in Gruppen organisiert, die tariqua heißen, was gleichzeitig Weg und Bruderschaft bedeuten kann. Viele von ihnen bestehen darauf, dass das Konzept des Sufismus alle Religionen übergreift und auf eine höhere Ebene der Existenz verweist, die erst noch zu entdecken und zu entwickeln sei. Spätere Stücke nennen nicht nur den Propheten als Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern auch andere Mitglieder der Propheten-Familie (arab. ahl al-bait). Einen besonders großen Stellenwert nimmt diese Gattung religiöser Musik bei den Schiiten ein. Charakteristisch für diese poetisch-musikalische Gattung sind bestimmte arabischen Versmaße. Es handelt sich um eine Art melodiösen Gedichtvortrags. Nach Beendigung einer Verszeile wird die Pflichtformel gesungen: Herr, segne deinen Geliebten (Propheten), den besten aller Menschen, und schenke ihm bis in alle Ewigkeit Heil. (Für weitere Infos s. auch den Text über Vortragsregeln zu den Lobpreisungen des Propheten auf der CD zum Heft.) Die Musik der Sufis Der Sufismus ist die mystische Ausrichtung des Islams. Wie in anderen Mystikergruppen auch, ist es das Ziel der Sufis, in Gläubiger bei der Lektüre des Koran Musik und Religion 61