A Das Problem: Gesellschaft außer Rand und Band... 13
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- Hella Geier
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2 Inhalt Einleitung A Das Problem: Gesellschaft außer Rand und Band I Unternehmen: Dichtung und Wahrheit der Unternehmensethik II Konsumenten: Artikuliertes und faktisches Verbraucherverhalten III Mitarbeiter: Gespielte Leistungsbereitschaft und innere Kündigung IV Politik: Langfristiges Denken und permanenter Wahlkampf V Medien: Öffentliche Richter mit Glaubwürdigkeitsproblem B Zwei Beispiele: Sie gehen uns alle an weil wir alle es tun I Von Sklavenarbeit und anderen schrägen Beschäftigungsverhältnissen II Wenn»Schimmel im Essen«eine neue Bedeutung bekommt C Die Analyse: Was ist die verbindende Logik? I Unternehmen ohne Spielregeln II Konsumenten ohne Verantwortung
3 III Mitarbeiter ohne Bindung IV Politik ohne Durchblick V Medien ohne Tiefeneinsicht D Die Konsequenz: Umkehr und neue gesellschaftliche Rationalität I Umdenken: Wandel beginnt im Kopf II Andershandeln: Eine neue Agenda E Fazit: Die neue Lebensqualität Danksagung Anmerkungen
4 A Das Problem: Gesellschaft außer Rand und Band»Reine Logik und menschliches Verhalten vertragen sich nicht.«paul Watzlawick, Psychologe 1 Der Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch und der Pferdefleischskandal sind nur die Spitze des Eisbergs. Getrieben vom Drang zu überleben in einem immer härter werdenden Wettbewerb, werden Unternehmen von einseitigen Anreizen gesteuert, die zu klarem Fehlverhalten führen: Verantwortungslosigkeit gegenüber Mitarbeitern und Kunden, Verantwortungslosigkeit gegenüber der Umwelt in all ihren Erscheinungsformen. Interne und externe Bindungslosigkeit sowie fehlende Verbundenheit sind die Folgen. Durch fortschreitende Reduzierung der Wertschöpfungstiefe verlieren Unternehmen ihre Identität. Gleichzeitig werden sie konfrontiert mit gesellschaftlichen Forderungen nach Verantwortung und Compliance Forderungen einer Gesellschaft, die diese Prinzipien meist selbst nicht verinnerlicht hat und folglich auch nicht danach handelt. Von Unternehmen werden grenzenlose Gewinne und gleichzeitig ethisch korrektes Handeln erwartet ein gesellschaftliches Schizo-Verhalten, das viele unterschiedliche Formen annimmt. I Unternehmen: Dichtung und Wahrheit der Unternehmensethik 1 Verantwortung: Das eigentliche Schlüsselthema Spätestens seit dem Reaktorunglück in Fukushima scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass auch Unternehmen ihre Verantwortung für Nachhaltigkeit ernst nehmen müssen, wobei nicht
5 14 Das Problem: Gesellschaft außer Rand und Band klar wird, was jetzt im Einzelfall aus welchem Grund von wem ernst zu nehmen ist. Fukushima ist wenngleich inzwischen aus den Schlagzeilen verschwunden auch insofern wichtig, weil es zeigt, wie wenig Unternehmen ihre Prozesse im Griff haben. Dabei ist es egal, ob es sich um Atomenergie aus Frankreich oder Kaffeebohnen aus Südamerika handelt. Betrachtet man die Behandlung des Themas Unternehmensverantwortung, so scheinen wir auf einem guten Weg zu sein. Die gesellschaftliche, die unternehmensinterne wie auch die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion der letzten Jahre sind geprägt durch Themen wie Corporate Social Responsibility (CSR) und Nachhaltiges Management. Eine unüberschaubare Flut von Artikeln, Monografien und Sammelwerken zu diesem Themenkomplex ist in der letzten Zeit erschienen. Fragen der Unternehmensethik werden zunehmend auch in betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Studiengänge integriert, so auf der Bachelor-, Master- und MBA-Ebene. Herauszustellen ist wegen ihres umfassenden Anspruchs die Initiative»UN Principles of Responsible Management Education«(PRME),»welche die Förderung von Verantwortung und Nachhaltigkeit in der Managementausbildung zum Ziel hat. Sie wurde 2007 ins Leben gerufen, um unter anderem die Umsetzung der Inhalte des Global Compacts zu fördern. Hierzu wurden sechs Prinzipien formuliert, welche insbesondere auf die Integration der Themenfelder Verantwortung (Corporate Social Responsibility) und Nachhaltigkeit in akademische Curricula und in die universitäre Forschung sowie die Förderung von Dialogprozessen zugeschnitten sind. Die Initiative kann als Reaktion auf die zunehmende Bedeutung unternehmerischer Verantwortungsübernahme verstanden werden, was neue Managementkompetenzen erfordert.«2 Dies ändert aber nichts daran, dass der ganze Bildungsbereich immer mehr zur Spielwiese für amateurhafte Experimente und kostengetriebene Einsparungen wird: Gerade die Tendenz hin zu reinen MINT-Universitäten aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik mit gleichzeitigem
6 Unternehmen: Dichtung und Wahrheit der Unternehmensethik 15 Abbau von geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen zeigt, dass die Politik nicht zwingend den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der gesellschaftspolitischen Verantwortung Rechnung trägt. 3 Gleichzeitig drängt sich angesichts zahlreicher später noch zu diskutierender Fälle aus der Wirtschaft eine ganz böse Vermutung auf: Kann es nicht sogar sein, dass dieses laute Geklapper mit derartigen Konzepten nur die bestehenden Defizite überdecken soll? Oder soll dieses Rufen wie ein lautes Pfeifen im Wald die eigene Unsicherheit überspielen? Symptomatisch dazu der Bildungsbereich: Hier prangt auf dem Titelbild von global focus (Heft 1, 2013) einer von der European Foundation of Management Development (EFMD) herausgegebenen Zeitschrift für Business Schools ein großes Chamäleon. Im Untertitel wird dann vom»business of Change«gesprochen, vor allem aber davon, dass sich auch eine Business School ändern muss, damit sie den Studierenden und der Gesellschaft gut dienen kann. Nun spricht absolut nichts gegen Veränderung. Bemerkenswert aber wird es, wenn der Grund für ein solches Umdenken im Druck der Umwelt liegt. Offenbar gibt es hier wie auch in den Unternehmen keine tiefere Einsicht in das Problem: Man befasst sich mit Nachhaltigkeit, weil es von Kunden und anderen Interessen gruppen so gewünscht oder gefordert wird. Entsprechend intensiv fällt dieses»sichbeschäftigen«dann auch aus. Unternehmen aller Wirtschaftssektoren und Branchen überschlagen sich gegenwärtig in der Überarbeitung ihrer Leitbilder, Visionen und Missionen in Richtung auf ein unternehmensethisches sogenanntes PPP-Konzept (»People Planet Profit«), das auch als»triple Bottom Line Concept«bezeichnet wird. 4 Dabei geht es darum, unternehmerisches Handeln nicht mehr nur an den Interessen der Anteilseigner (Shareholder) auszurichten (»Profit«), sondern auch die berechtigten Interessen anderer Anspruchsgruppen (Stakeholder) zu berücksichtigen, das heißt, soziale (»People«) und ökologische Belange (»Planet«) gleichermaßen zu beachten.
7 16 Das Problem: Gesellschaft außer Rand und Band Somit wird eine dreifache Berichterstattung der Unternehmen erforderlich: Auf der Ebene der Bilanz oder Gewinn- und Verlust-Rechnung genügt nicht allein der Gewinnausweis (»Bottom Line«), sondern der Ausweis aller drei Leistungsdimensionen (»Triple Bottom Line«) ist erforderlich. In Analogie hierzu steht seit den 1990er Jahren das MBA-Programm der Universität des Saarlandes mit der programmatischen Leitlinie»Menschen, Märkte und Moral«. Unternehmen beschränken sich nicht nur auf eine Neupositionierung und Profilierung im Sinne dieses PPP-Ansatzes, sondern treten zunehmend und öffentlichkeitswirksam auch entsprechenden Initiativen bei, zum Beispiel der Initiative»Verantwortung Zukunft«:»Sie hat das Ziel, das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer ausgewogenen Betrachtung von ökonomischen, gesellschaftlichen und ökologischen Aspekten in unternehmerischem Handeln zu verstärken, und orientiert sich dabei an globalen Megatrends. Im Mittelpunkt der Initiative steht die Frage: Wie können die Unternehmen ihrer gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Verantwortung gleichermaßen gerecht werden?«5 Zudem lassen Unternehmen ihre Wertschöpfungsprozesse von neutralen Institutionen auditieren und zertifizieren. Zu erwähnen sind unter anderem die Business Social Compliance Initiative (BSCI), deren Ziel es ist,»sozial verantwortungsvolles Handeln in den weltweiten Zuliefererketten europäischer Wirtschaftsunternehmen sicherzustellen und kontinuierlich zu verbessern«, 6 sowie die Ethical Trading Initiative (ETI), ein Zusammenschluss von Gewerkschaften, Organisationen und Unternehmen, die sich fairen Löhnen und Arbeitsbedingungen verschreiben. So gibt die Modekette Esprit an,»99 Prozent ihrer Zulieferer würden von den 11 eigenen Kontrolleuren oder Fremdfirmen auditiert«, oder:»wettbewerber H&M hat 2012 genau Audits durchgeführt und dafür 100 Mitarbeiter eingesetzt.«7 Unternehmen gehen sogar kooperative Arrangements mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ein, was beispielsweise
8 Unternehmen: Dichtung und Wahrheit der Unternehmensethik 17 in einem Co-Branding seinen Niederschlag findet. 8 All dies deutet eigentlich auf eine heile Welt hin: Keine Sorge alles im grünen Bereich. Die Welt ist in Balance, auch Markt und Moral sind im Gleichgewicht! Doch bei näherem Hinschauen beginnt der Lack auf den schönen neuen Fassaden rascher abzublättern, als er überhaupt aufgetragen wird. Artikuliertes und faktisches Handeln driften weit auseinander Widersprüchlichkeit, Gespaltenheit oder, anders formuliert: Schizo-Verhalten ist kennzeichnend für die unternehmerische Realität. Aber es gibt noch viel Gravierenderes. Da wird groß über die Arbeitsbedingungen von Näherinnen in Indien und Pakistan berichtet, da werden Audits durchgeführt und Zertifikate in die Luft gehalten, da wird die Liebe zu allem Möglichen beteuert, doch dann passiert es in Bangladesch: In einem der Vororte der Hauptstadt Dhaka stürzt im April 2013 ein achtstöckiges Gebäude ein, wobei es zu über Toten kommt. In dem Gebäude waren Tausende von Näherinnen beschäftigt, die auch für deutsche Unternehmen zu Hungerlöhnen in einer unzumutbaren und unsicheren Arbeitsumgebung gearbeitet haben. Prompt kursieren Listen der Unternehmen, für die in dieser Fabrik gearbeitet wurde, und dann gibt es auch sehr schnell im Fernsehen die passenden Bilder: Günther Jauch und Panorama zeigen das Foto einer Bluse aus den Fabriktrümmern, die zur aktuellen Verona-Pooth-Kollektion von KiK gehört. 9 Nachdem dieser Tatbestand nicht dementiert werden kann, erklärt KiK, dass es seit 2008 keine direkten Geschäftsbeziehungen zu dieser Produktionsstätte habe und der Importeur zwar noch im Jahr 2013, aber nicht zum Zeitpunkt des Unglücks dort produzieren ließ. Kurz darauf taucht ein Prüfsiegel vom TÜV Rheinland auf, der aber Wert auf die Feststellung legt, dass bauliche Gegebenheiten nicht zum vorgesehenen Prüfauftrag gehört haben:»auditoren des TÜV Rheinland haben zwei Fabriken in dem Gebäude in den zurückliegenden Jahren nach dem BSCI-Standard beziehungsweise dem Sedex-Standard auditiert. Beide Standards beziehen
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