Sprechnotiz von Bundesrat Hans-Rudolf Merz Bundesratspressekonferenz vom 5. April 06
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1 Sprechnotiz von Bundesrat Hans-Rudolf Merz Bundesratspressekonferenz vom 5. April 06 Eigenständigkeit für Swisscom Sehr geehrte Damen und Herren Der Bundesrat hat heute die Botschaft zur Abgabe der Bundesbeteiligung an der Swisscom verabschiedet. Es sind fünf Argumente, die für den Aktienverkauf sprechen: 1. Swisscom braucht unternehmerische Freiheiten, die ihr der Bund nicht zugestehen kann. 2. Der Bund kann seine finanziellen und unternehmerischen Risiken vermindern. 3. Die Grundversorgung ist auch ohne Bundesbeteiligung sichergestellt. 4. Die Interessenkonflikte zwischen den Rollen des Bundes als Gesetzgeber, Regulator, Grosskunde und Mehrheitsaktionär können beseitigt werden. 5. Die sicherheitspolitischen Interessen des Landes bleiben gewahrt. 1
2 1. Eigenständigkeit als Chance für Swisscom Die Telekommunikation ist ein schnelllebiges Geschäft. Erstens verlangt die rasche technologische Entwicklung eine fortwährende und ebenso rasche Anpassung der Geschäftsmodelle. So rücken Telefonie, Internet und Fernsehen immer näher zusammen und werden vermehrt aus einer Hand angeboten. Zweitens ist die Telekommunikationsindustrie seit Jahren mit sinkenden Preisen konfrontiert. Das freut die Kunden. Aber es lässt die Umsätze der Anbieter schrumpfen, so dass eine weitere Konsolidierung der Märkte zu erwarten ist. Um diese Herausforderungen zu meistern, braucht Swisscom strategische und unternehmerische Freiheiten. Diese Freiheiten kann der Bund dem Unternehmen nicht gewähren. Denn wir sind den Steuerzahlerinnen und - zahlern gegenüber zu grösster Vorsicht im Umgang mit unserem Kapital verpflichtet. Das passt schlecht mit unternehmerischen Freiheiten zusammen. Der Fall Debitel illustriert diesen Zwiespalt sehr gut. Swisscom engagierte sich im Ausland und es resultierte ein beträchtlicher Verlust von 3,3 Milliarden. Das kann passieren. Die Zeche bezahlte aber letztlich mehrheitlich der Bund als Hauptaktionär. In der Folge wurde dem 2
3 Bundesrat auch vorgeworfen, er sei zuwenig sorgfältig mit öffentlichen Geldern umgegangen. Deshalb ist der Bundesrat der Ansicht, dass sich Unternehmertum und staatliche Vorsicht kaum verheiraten lassen. Private Investoren sind besser in der Lage, solche Risiken abzuwägen und einzugehen. Sie investieren Risikokapital und nicht Steuergelder. Mit einem neuen privaten, langfristig orientierten Aktionariat erweitern sich die strategischen Optionen von Swisscom. Damit kann sie ihre Wachstumsstrategie besser umsetzen. 2. Reduktion der Risiken für den Bund Die Bundesbeteiligung an Swisscom ist ein riesiger Vermögenswert. Aktuell ist sie 16.2 Milliarden wert. Damit gehen grosse Verlustrisiken einher. Ich gebe Ihnen ein einfaches Beispiel dazu: Wenn der Aktienkurs von Swisscom um 5 Franken sinkt, dann hat der Bund mit seinem heutigen Aktienpaket 190 Millionen Franken verloren. Bei 10 Franken sind es schon 380 Millionen. Das sind sehr grosse Beträge, die hier auf dem Spiel stehen. Im jährlichen Budgetprozess kämpfen wir um bedeutend kleinere Beträge. 3
4 Der grosse Vermögenswert wäre weniger problematisch, wenn sich die Swisscom in einem stabilen Umfeld bewegen würde. Das ist der Telekommunikationsmarkt aber nicht. Die Gefahr, dass Swisscom aufgrund einer falschen Technologie- oder Markteinschätzung plötzlich ins Hintertreffen gerät, ist real. Und wer trägt dafür letztlich das Risiko und die Verantwortung? Der Bund. Dafür ist er jedoch nicht geeignet. Unternehmertum ist Sache der Privatwirtschaft. Aufgabe des Bundes ist einzig, fruchtbare Rahmenbedingungen zu schaffen. 3. Grundversorgung Die Vernehmlassungsteilnehmer waren sich in einem Punkt einig: die langfristige Sicherstellung einer hochqualitativen Grundversorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen ist für die Schweizerische Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung. Davon ist auch der Bundesrat überzeugt. Der Schweizer Telekommunikationsmarkt ist im Grossen und Ganzen ein funktionierender Markt. Jede Einwohnerin und jeder Einwohner dieses Landes verfügt sofern gewünscht über einen Telefonanschluss; man kann fast auf jedem Berggipfel der Schweiz mobil telefonieren und hat die Wahl zwischen verschiedenen 4
5 Anbieterinnen; Breitband-Internet ist in über 98 Prozent der Schweizer Haushalte verfügbar. Man darf sagen, dass die Schweiz über ein überdurchschnittliches Angebot an Telekomleistungen verfügt. Auch die Preise sind stark gesunken. Wissen Sie noch, was ein Ferngespräch 1997 kostete? 25 Rappen die Minute. Heute sind es bei Swisscom noch 8 Rappen. All das verdanken wir hauptsächlich der Liberalisierung von Und sollte der Markt in gewissen Ausnahmefällen nicht funktionieren, dann haben wir im Fernmeldegesetz ein gutes Sicherheitsnetz, nämlich die Grundversorgung. Sie stellt sicher, dass auch unsere zahlreichen Randregionen in den Genuss von hervorragenden Telekomdienstleistungen kommen. Wie funktioniert die Grundversorgung? Die Grundversorgung wird aufgrund einer Konzession erbracht. Diese wird regelmässig, d.h. alle vier bis fünf Jahre, ausgeschrieben. Heute erbringt Swisscom Fixnet AG die Grundversorgung auf der Basis einer bis 2007 befristeten Konzession. Die Arbeiten zur Ausschreibung der Konzession ab 2008 sind bereits angelaufen. Sollte 5
6 sich wider Erwarten niemand um die Grundversorgungskonzession bewerben, kann die Eidg. Kommunikationskommission ComCom eine Anbieterin dazu verpflichten. So weit wird es jedoch kaum kommen. Es ist für eine Telekomanbieterin nämlich kommerziell interessant, über möglichst viele direkte Anschlüsse zu verfügen, um ein umfangreiches Bündel an Dienstleistungen verkaufen zu können. Neben Swisscom hat denn auch bereits ein anderes Unternehmen öffentlich angekündigt, sich um eine Grundversorgungskonzession zu bewerben. Was passiert im absolut theoretischen Fall, wo sich eine Anbieterin weigert, die Grundversorgung zu erbringen oder ungenügende Qualität liefert? Dann hat die ComCom griffige Sanktionsinstrumente in der Hand, wie z.b. hohe Bussen. Aber ich möchte hier noch einmal in aller Deutlichkeit festhalten: Es ist nicht damit zu rechnen, dass die ComCom je zu scharfen Sanktionen greifen muss. Denn erstens würde eine fehlbare Anbieterin einen grossen Reputationsverlust erleiden. Und zweitens zeigen alle Privatisierungsbeispiele in Europa, dass die Sorge um einen Qualitätsabbau der Grundversorgung unbegründet 6
7 ist. Die Grundversorgung funktioniert auch dort, wo das ehemalige staatliche Unternehmen privatisiert wurde. Das wird in der Schweiz nicht anders sein. 4. Beseitigung der Interessenkonflikte Der Bund ist heute Gesetzgeber und Regulator im Telekommunikationsmarkt. Gleichzeitig ist er aber auch Miteigentümer der grössten Unternehmung in diesem Sektor. Und darüber hinaus ist er auch ein sehr grosser Kunde von Swisscom. Daraus ergeben sich unweigerlich Interessenkonflikte. Auf der einen Seite setzt sich der Bund als Regulator im Interesse des Wirtschaftsstandorts Schweiz für tiefe Telekommunikationspreise ein. Von tiefen Preisen profitiert insbesondere auch der Bund als Kunde. Auf der anderen Seite erwartet der Bund aber auch, dass Swisscom ihren Unternehmenswert steigert und dem Bund hohe Erträge einbringt. 5. Die sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz sind gewahrt Die Ängste um die sicherheitspolitischen Interessen des Landes sind unbegründet. Zum einen wird die Infrastruktur immer in der Schweiz bleiben; die Kabel, 7
8 Antennen und Telefonzentralen werden auch bei einem Verkauf nicht ins Ausland transportiert. Zum anderen sind die Fernmeldedienstanbieterinnen dazu verpflichtet, ihre Infrastruktur darauf auszurichten, dass sie in der Schweiz, autonom und durch Schweizer Personal bedient werden kann. Im Notfall kann der Bund sogar Infrastruktur und Personal requirieren. 6. Was passiert, wenn Swisscom weiterhin in mehrheitlich staatlichen Händen bleibt? Was passiert, wenn wir auf die Privatisierung verzichten? Kurzfristig entsteht wohl kein grosser Schaden. Mittelund langfristig sind die Risiken jedoch beträchtlich: Swisscom bleibt in ihren Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt, denn der Bund kann aufgrund seiner Verantwortung gegenüber den Steuerzahlern nicht zu hohe Risiken eingehen. Entsprechend schlechter sind ihre Chancen, sich im Markt zu behaupten. Dies wiederum ist ein Risiko für die Volkswirtschaft und den Standort Schweiz, das nicht zu verantworten ist: Die Schweiz könnte mit Blick auf die Versorgung von preisgünstigen und auf dem 8
9 neusten technologischen Stand befindlichen Telekommunikationsleistungen ins Hintertreffen geraten. Um dies zu verhindern, will der Bundesrat die Swisscom in die Eigenständigkeit entlassen. Denn nur so wird sie für die Zukunft gerüstet sein und weiterhin ein erfolgreiches Unternehmen bleiben. 9
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