Radioaktivität und Gesundheit
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- Busso Baumann
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1 Radioaktivität und Gesundheit Dr. med. Alex Rosen Vorsitzender IPPNW Deutschland Sommerakademie Atomares Erbe 3. August 2017 Wolfenbüttel
2 Zentrale Fragestellungen Was ist eigentlichen Radioaktivität und wie wirkt sie auf Gewebe und auf den menschlichen Körper? Was ist mit Strahlenrisiko gemeint? Was sagen die neuesten Studien zu den gesundheitlichen Folgen ionisierender Strahlung im Niedrigdosisbereich Wie lassen sich Strahlenrisiken reduzieren?
3 Was ist Radioaktivität?
4 Was ist Radioaktivität?
5 Was ist Radioaktivität? Strahlung vs. Strahler
6 Was ist Radioaktivität?
7 Was ist Radioaktivität? Halbwertszeit: Zeit, in der die Menge und damit auch die Radioaktivität eines Radionuklids durch den Zerfall auf die Hälfte gesunken ist
8 Was ist Radioaktivität? Strahlung vs. Direkt aus der Quelle Cloudshine Groundshine Strahler Externe Kontamination Inhalation Ingestion
9 Was ist Radioaktivität? Becquerel (Bq) : Einheit für Radioaktivität Anzahl von Kernzerfällen pro Sekunde Beispielsgrößen: Uran238 im Boden: Bq/kg Caesium137 im Boden: 20 Bq/kg
10 Was ist Radioaktivität? Grey (Gy) : Einheit für Energiedosis Absorbierte Energie pro Masse Ungewichteter Faktor In der Medizin nicht hilfreich
11 Was ist Radioaktivität? Sievert (Sv): Strahlungswichtungsfaktor WR Einheit für Strahlendosis Absorbierte Energie pro Masse Gewichtung nach Strahlungsart (Äquivalentdosis) -Strahlung 20 -Strahlung 1 -Strahlung 1 Gewichtung nach Organempfindlichkeit (Effektivdosis) Gewebewichtungsfaktor WT Knochenmark 0,12 Beispielsgrößen für Effektivdosis: Hintergrundstrahlung: 2-4 msv/a Transatlantikflug: 0,05 msv 1 Röntgenbild des Thorax: 0,02 msv 1 Zigarette: 0,007 msv Schilddrüse 0,04 Haut 0,01
12 Was ist Radioaktivität? Berechnung von Effektivdosis aus Aktivität: Isotope Iodine-131 Caesium-137 Strontium-90 Fetus 5.5 x x x10-4 Probenart Fukushima Gemüse März Fukushima Gemüse März Fukushima Gemüse April Fukushima Gemüse April Ibaraki Spinat März Ibaraki Spinat März Fukushima Reis, November Leitungswasser in Iitate 20. März Leitungswasser in Tokyo 23. März Seebarsch, im September 2011 gefangen47 Child < 1 year 5.5 x x x10-5 Menge 500g 500g 500g 500g 500g 500g 500g 1l 1l 500g Child 1-14 years 2.2 x x x10-5 Aktivität Bq/kg 2, Bq/kg Bq/kg Bq/kg Bq/kg Bq/kg Bq/kg 965 Bq/l 210 Bq/l 670 Bq/kg Isotope Jod-131 Cäsium-137 Jod-131 Cäsium-137 Jod-131 Cäsium-137 Cäsium-137 Jod-131 Jod-131 Cäsium-137 Adult 1.1 x x x10-6 Säugling < 1 J 698,5 msv 424 msv 27,50 msv 144 msv 14,88 msv 0,31 msv 0,17 msv 0,53 msv 0,12 msv 0,11 msv Kind 1-14 J 279,40 msv 172,25 msv 11 msv 58,50 msv 5,95 msv 0,13 msv 0,07 msv 0,21 msv 0,05 msv 0,04 msv Quellen: ECRR; Rosen A: Gesundheitliche Auswirkungen der Atomkatastrophe von Fukushima, IPPNW 2011
13 Was ist Radioaktivität? Quellen von ionisierender Strahlung
14 Was ist Radioaktivität? Hintergrundstrahlung
15 Was ist Radioaktivität? Medizinische Strahlung
16 Was ist Radioaktivität? Lifestyle Strahlung
17 Was ist Radioaktivität? Industrielle Strahlung
18 Wie wirkt Radioaktivität?
19 Wie wirkt Radioaktivität? Expositionspfade:
20 Wie wirkt Radioaktivität? Expositionspfade: - Strahlung - Externe Kontamination - Ingestion - Inhalation - Inkorporation
21 Wie wirkt Radioaktivität? Expositionspfade:
22 Wie wirkt Radioaktivität? Biologische Wirkung
23 Wie wirkt Radioaktivität? Folgen akuter Verstrahlung - Absterben von Darmepithelien - Absterben von Hautepithelien - Blindheit - Knochenmarksdepression
24 Wie wirkt Radioaktivität? Folgen chronischer Verstrahlung - Mutationen und Krebs - Herz-Kreislauf-Erkrankungen - Katarakte - Unfruchtbarkeit - Mutationen im Erbgut
25 Wie wirkt Radioaktivität? Die wichtigsten radioaktiven Strahler: - Iod131: Schilddrüsenkrebs - Caesium137: Solide Tumore - Strontium90: Leukämie - Plutonium240 : Lungen-/Leberkrebs
26 Zeit für eine Pause!
27 Was bedeutet Risiko?
28 Was bedeutet Risiko? Definitionen: Risiko: Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines bestimmten Ereignisses während eines definierten Zeitraums Relatives Risiko: Verhältnis zwischen dem Risiko für ein bestimmtes Ereignis in zwei definierten Gruppen
29 Was bedeutet Risiko? Wie hoch ist das Risiko in der blauen Gruppe? 0,25 / 25% Wie hoch ist das Risiko in der roten Gruppe? 0,34 / 34% Wie hoch ist das relative Risiko der roten zur blauen Gruppe? 1,36
30 Was bedeutet Risiko? Wie hoch ist das Risiko in der blauen Gruppe? 0,25 / 25% Wie hoch ist das Risiko in der roten Gruppe? 0,6 / 60% Wie hoch ist das relative Risiko der roten zur blauen Gruppe? 2,4 / 240%
31 Was bedeutet Risiko? Definitionen: Zusätzliches absolutes Risiko Excess absolute risk (EAR): Differenz zwischen dem Risiko zweier Gruppen Zusätzliches relatives Risiko Excess relative risk (ERR): Verhältnis zwischen dem Risiko in der einer Gruppe zum Risiko in der anderen Gruppe
32 Was bedeutet Risiko? Wie hoch ist das zusätzliche absolute Risiko (EAR) zwischen roter und blauer Gruppe? 0,09 / 9% Wie hoch ist das zusätzliche relative Risiko (ERR) zwischen roter und blauer Gruppe? 0,36 / 36% Welchen Wert empfindet ihr als hilfreicher in der Bewertung?
33 Was bedeutet Risiko? Wie hoch ist das zusätzliche absolute Risiko (EAR) zwischen roter und blauer Gruppe? 0,35 / 35% Wie hoch ist das zusätzliche relative Risiko (ERR) zwischen roter und blauer Gruppe? 1,4 / 140% Welchen Wert empfindet ihr als hilfreicher in der Bewertung?
34 Was bedeutet Risiko? Berechnung der attributalen Krebsinzidenz (ERR) laut BEIR VII: Quelle: "BEIR VII report, phase 2: Health risks from exposure to low levels of ionizing radiation." National Academies Press, Washington, 2006, p. 279f
35 Was bedeutet Risiko? Berechnung der attributalen Krebsinzidenz (ERR) laut BEIR VII: Quelle: "BEIR VII report, phase 2: Health risks from exposure to low levels of ionizing radiation." National Academies Press, Washington, 2006, p. 279f
36 Was bedeutet Risiko? Berechnung der attributalen Krebsinzidenz (ERR) laut BEIR VII: 970 zusätzliche Krebsfälle pro Männern mit einer Exposition von 0,1 Sv zusätzliche Krebsfälle pro Frauen mit einer Exposition von 0,1 Sv Berechnung pro Personen-Sv: 970 pro PSv = 0,097 pro PSv pro PSv = 0,141 pro PSv Herausrechnen des mittlerweile obsoleten Dosisreduktionsfaktors von 1,5: 0,097/PSv x 1,5 = 0,1455/PSv 0,141/PSv x 1,5 = 0,2115/PSv Geschlechterneutraler Durchschnittswert: 0,1785/PSv = ~18% pro PSv (CI 9-35%) EAR: 0,18 / 0,25 = 0,72 (CI 0,36-1,4) Quelle: "BEIR VII report, phase 2: Health risks from exposure to low levels of ionizing radiation." National Academies Press, Washington, 2006, p. 279f
37 Was bedeutet Risiko? Berechnung der attributalen Krebsinzidenz (ERR) laut BEIR VII: EAR = 9%/PSv EAR = 18%/PSv EAR = 35%/PSv
38 Was bedeutet Risiko? Linear No-Threshold Model (LNT):
39 Was bedeutet Risiko? Linear No-Threshold Model (LNT): msv = 1 Sv 2 von 10 entwickeln Krebs (0,9-3,5) 100 msv = 0,1 Sv 2 von 100 entwickeln Krebs (0,9-3,5) 10 msv = 0,01 Sv 2 von entwickeln Krebs (0,9-3,5) 1 msv = 0,001 Sv 2 von entwickeln Krebs (0,9-3,5)
40 Was bedeutet Risiko? Individuelles vs. Bevölkerungsbezogenes Risiko: Szenario 1: 100 Menschen werden einer Strahlendosis von je 1 Sv ausgesetzt Gesamtdosis: 100 PSv Berechnung der Krebsfälle: 0,18 pro PSv (CI 0,09-0,35) 18 Fälle (CI 9-35) Individuelles Risiko, an Krebs zu erkranken: 18% (CI 9-35%)
41 Was bedeutet Risiko? Individuelles vs. Bevölkerungsbezogenes Risiko: Szenario 2: Menschen werden einer Strahlendosis von 0,001 Sv ausgesetzt Gesamtdosis: 100 PSv Berechnung der Krebsfälle: 0,18 pro PSv (CI 0,09-0,35) 18 Fälle (CI 9-35) Individuelles Risiko, an Krebs zu erkranken: 0,018% (CI 0,009-0,035%)
42 Was bedeutet Risiko? Wo war der Fehler? Szenario 1: Individuelles Risiko, an Krebs zu erkranken 18% (CI 9-35%) Szenario 2: Individuelles Risiko, an Krebs zu erkranken 0,018% (CI 0,009-0,035%) Grundrisiko, an Krebs zu erkranken: 25% Szenario 1: Individuelles Risiko, wegen der zusätzlichen Strahlenbelastung an Krebs zu erkranken 18% (CI 9-35%). Individuelles Risiko an Krebs zu erkranken 43% (CI 34-60%) Szenario 2: Individuelles Risiko, wegen der zusätzlichen Strahlenbelastung an Krebs zu erkranken 0,018% (CI 0,009-0,035%). Individuelles Risiko an Krebs zu erkranken 25,018% (CI 25,009-25,035%)
43 Was bedeutet Risiko? Beispiel Kinderleukämie um AKWs:
44 Was bedeutet Risiko? Beispiel Kinderleukämie um AKWs: Im Schnitt 256 neue Kinderleukämiefälle < 5 Jahren im Jahr Zwischen 1980 und Fälle in ganz Deutschland Im 5 km-radius um deutsche Atomkraftwerke wären daher 17 Fälle zu erwarten Tatsächlich gefundene Fälle: 37 EAR: = 20 zusätzliche Fälle (0,8 pro Jahr) ERR: 20/17 = 1,176 (117,6%) Anstieg der absoluten Zahl der Kinderleukämiefälle: 20/5.893 = 0,34%
45 Was bedeutet Risiko? Beispiel Kinderleukämie um AKWs:
46 Wie gefährlich ist Strahlung?
47 Wie gefährlich ist Strahlung? Hintergrundstrahlung 16% höheres Risiko pro 100 Bq/m3 (95% CI 5-31%) Rauchen ist kein confounder Es gibt keine Schwelle Lineare Dosis-Wirkungs-Kurve, weit unter aktuellen Grenzwerten Radon kann verantwortlich sein für 9% aller Lungenkrebsfälle 2% aller Krebstodesfälle
48 Wie gefährlich ist Strahlung? Hintergrundstrahlung Korrelation zwischen Hintergrundstrahlung und dem Leukämierisiko 12% höheres Risiko pro msv Knochenmarkdosis (95% CI 3 22%)
49 Wie gefährlich ist Strahlung? Medizinische Strahlung 10,9 Millionen Patienten Ein CT (4,5 msv) erhöhte das Krebsrisiko um rund 24% Jedes zusätzliche CT erhöhte das Risiko um weitere 16% Je jünger, desto höher das Risiko: 1-4 Jahre: 35% höheres Krebsrisiko 5-9 Jahre: 25% höheres Krebsrisiko Jahre: 14% höheres Krebsrisiko
50 Wie gefährlich ist Strahlung? Uranbergbau ehemalige Uranbergleute Signifikant Korrelation zwischen Arbeistzeit und Krebsrisiko 21% höheres Krebsrisiko pro working level month (95% CI 18 24) Rauchen ist kein Confounder Die wahren Effekte sind vermutlich noch viel höher
51 Wie gefährlich ist Strahlung? Atomindustrie 154 Lokalitäten Arbeiter > 90% hatten Exposition < 50 msv Solide Tumoren: 97% höheres Risiko pro Sv (95% CI ) Leukämie: 193% höheres Risiko pro Sv (95% CI 0-847) 1-2% aller Todesfälle bei Atomarbeiter waren vermutlich strahlenbedingt
52 Wie gefährlich ist Strahlung? Atomindustrie Signifikant erhöhtes Krebsrisiko bei Kindern < 5 Jahren innerhalb von 50 km rund um AKWs Confounder konnten nicht identifiziert werden.
53 Wie gefährlich ist Strahlung? Atomindustrie ( ) Schilddrüsenkrebsfälle in Europa durch Tschernobyl ( ) andere Krebsfälle in Europa l > strahlenbedingte Krebstodesfälle in Europa
54 Wie gefährlich ist Strahlung? Nicht-Krebserkrankungen Meta-Analyse von 10 peer-reviewed Studien von: Atomarbeitern Berufsmäßig strahlenexponierten Hibakusha Das Risiko von kardiovaskulären Erkrankungen stieg um 1 13 % pro Sv Korrelation von kardiovaskulärer Mortalität und Strahlendois ähnlich zur Korrelation von Krebsmortalität und Strahlendosis (~5 % pro Sv)
55 Wie gefährlich ist Strahlung? Nicht-Krebserkrankungen Ca Kinder nach Strahlentherapie für kutane Hämangiome Exakte Dosiskalukation (durchschnittl. Hirndosis < 100 mgy) Negative Dosis-Wirkungs-Kurve: Lernfähigkeit Logisches Denken Räumliche Vorstellungskraft Oberschulreife
56 Risikoreduktion ALARA Prinzip As Low As Reasonably Achievable = So niedrig wie vernünftigerweise erreichbar Was sind Faktoren, die nicht beeinflussbar sind? Was sind Faktoren, die beeinflusst werden können? Was sind Möglichkeiten, die individuelle Strahlenbelastung zu reduzieren? Was sind Möglichkeiten, die Strahlenbelastung der Bevölkerung zu reduzieren?
57 Risikoreduktion Risikokalkulation Die Risikofaktoren der ICRP beziehen sich auf den sog. Reference-Man von 1975: Jahre Weiß Männlich Größe 170 cm Gewicht 70 kg
58 Risikoreduktion Risikokalkulation Die relativen Risiken für spezielle Bevölkerungsgruppen (vor allem bei Exposition in der Fötalzeit oder als Kleinkind) sind höher als die des Bevölkerungsdurchschnitts" (UNSCEAR, 2014) Strahlenschutz muss jenseits herkömmlicher Erwachsenenmodelle die besondere Vulnerabilität des ungeborenen Lebens und des Kleinkinds in Betracht ziehen.
59 Gesundheitliche Folgen ionisierender Strahlung Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit
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