Ich sehe was was Du nicht siehst
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- Swen Lange
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1 Ich sehe was was Du nicht siehst Heiner Deubel Department Psychologie Ludwig-Maximilians-Universität München Ich sehe was was Du nicht siehst
2 Ich sehe was was Du nicht siehst Ich sehe etwas, was eigentlich nicht da ist und Ich sehe nichts, obwohl etwas da ist Heiner Deubel Department Psychologie Ludwig-Maximilians-Universität München Ich sehe was was Du nicht siehst
3 Übersicht Wahrnehmungskonstanzen und visuelle Illusionen Offene und verdeckte Aufmerksamkeit Change blindness und Inattentional Blindness Ich sehe was was Du nicht siehst
4 Was ist (visuelle) Wahrnehmung? Eine Definition Die Summe der Prozesse, mit deren Hilfe wir Informationen, Wissen über externe Objekte und Ereignisse gewinnen Visuelle Wahrnehmung: Quelle der Informationen ist das Licht, das die Objekte aussenden oder reflektieren Wozu dient Wahrnehmung? Ermöglicht zielgerichtetes Handeln in der Umwelt zum Überleben und Reproduzieren! Ich sehe was was Du nicht siehst
5 Was ist (visuelle) Wahrnehmung? Dient zur Gewinnung von Wissen über die Welt. Dieses Wissen ermöglicht es dem Wahrnehmer, geeignet zu handeln. Gegenbeispiel: Kamera Auge-Kamera-Analogie Dieses Wissen betrifft Objekte und Ereignisse in der Umwelt, nicht das subjektive Erleben des Beobachters. Wahrnehmungen müssen intersubjektiv vergleichbar sein Wissensgewinn geschieht, indem in einem aktiven Prozess bestimmte Informationen selektiv extrahiert werden! Informationsverarbeitungsansatz der kognitiven Psychologie Ich sehe was was Du nicht siehst
6 Wie geschieht Wahrnehmung? Ein bottom-up Prozess, unmittelbar, automatisch? Ich sehe was was Du nicht siehst
7 Wie geschieht Wahrnehmung? Ein bottom-up Prozess, unmittelbar, automatisch? Eher nicht: Was sehen Sie jetzt?! Wahrnehmung ist aktiv, berücksichtigt Vorwissen, Erwartungen... Ich sehe was was Du nicht siehst
8 Wie geschieht Wahrnehmung? Ein bottom-up Prozess, unmittelbar, automatisch? Ich sehe was was Du nicht siehst
9 Ist Wahrnehmung veridikal? Ein klares Fenster in die Welt?... nein, viele Gegenbeispiele: Sehen als Inverses Problem Ich sehe was was Du nicht siehst
10 Visuelle Größentäuschungen: Müller-Lyersche und Ponzo - Täuschungen Welche Linie ist länger? Ich sehe was was Du nicht siehst
11 Visuelle Illusionen: Pickel oder Dellen? Ich sehe was was Du nicht siehst
12 Visuelle Illusionen: Pickel oder Dellen Ich sehe was was Du nicht siehst
13 Visuelle Illusionen: Helligkeit Ich sehe was was Du nicht siehst
14 Visuelle Illusionen: Hell oder dunkel? Ich sehe was was Du nicht siehst
15 Ist Wahrnehmung also veridikal? Ein klares Fenster in die Welt?... Nein! Aber warum nicht? Weil zumeist die verfügbare Information nicht vollständig und nicht eindeutig ist (Beispiel Objekthelligkeit) und weil der Wahrnehmungsapparat eigentlich eine Fehlkonstruktion ist! (Optik, Rezeptoren, zentrale Verarbeitung, Eigenbewegungen,...) Hermann von Helmholtz: "The eye has every possible defect that can be found in an optical instrument and even some which are peculiar to itself..." Ich sehe was was Du nicht siehst
16 Beispiel: Fehlkonstruktion Auge Krabbe Mensch Rezeptoren nach hinten gerichtet! Blinder Fleck (Durchmesser 3-5 Grad, Grad temporal)! Retina ist äußerst inhomogen (selbst innerhalb der Fovea)! Farbsehen auf zentralen Retinabereich beschränkt! Optische Abberationen (Abbildungsfehler) (sphärische, chromatische,...) 2 Dioptrien Unterschied in der Brechung von rot und blau! Ständige Retinabewegungen aufgrund von Sakkaden Wahrnehmung angewiesen auf retinale Stabilität Dennoch: Wahrnehmung erscheint uns als perfekt! Wir sehen kein Blutgefäße kein Loch, keine Farbringe, kein Hüpfen, kein Verschmieren... Ich sehe was was Du nicht siehst
17 Ist Wahrnehmung also veridikal? Ein klares Fenster in die Welt? Nein! Wahrnehmung geschieht vielmehr auf der Basis unsicherer, unvollständiger, verzerrter Information! d.h., Wahrnehmung kann lediglich ein Modell der Welt erzeugen, eine Hypothese darüber, welche physikalischen Gegebenheiten das jeweilige sensorische Muster verursacht haben könnten! Aktive Suche nach Information Hypothesentesten: Sensorische Stimulation liefert Daten für Hypothesen über den Zustand der externen Welt. Ich sehe was was Du nicht siehst
18 Informationsquellen zur Tiefen- und Größenwahrnehmung: Retinale Größe, Akkommodation, Konvergenz der Augen, Tiefeninformation durch Verdecken und Bewegung, Querdisparation, relative Höhe im Blickfeld, atmosphärische Perspektive, lineare Perspektive, gewohnte Größe, Texturgradient... Ich sehe was was Du nicht siehst
19 Also: Wahrnehmung ist konstruktiv. Wahrnehmung erzeugt lediglich (wahrscheinliche) Hypothesen über die physikalische Realität! (Helmholtz) Wahrscheinlichkeitsprinzip von Hermann von Helmholtz: Wir nehmen dasjenige Objekt wahr, das mit der größten Wahrscheinlichkeit die Ursache unserer jeweiligen sensorischen Empfindung ist Hierzu werden alle verfügbaren Informationsquellen genutzt, Beispiel Größenwahrnehmung:!Aber: Die aus der unvollständigen Information gewonnenen Hypothesen können unter Umständen falsch sein! visuelle Täuschungen! Schlüssel zum Verständnis von Illusionen: Wahrnehmungskonstanzen Ich sehe was was Du nicht siehst
20 Größenkonstanz Ich sehe was was Du nicht siehst
21 Größenkonstanz: Sehwinkel und Entfernung Zentrales Problem der Größenwahrnehmung: Größe der retinalen Projektion eines Objekts (Sehwinkel) hängt (umgekehrt proportional) von der Entfernung des Objekts ab!! Abschätzung der Größe eines Objekts ist nur möglich, wenn dessen Abstand vom Beobachter bekannt ist (bzw. richtig berechnet werden kann).! Größenkonstanz: Richtige Wahrnehmung der Größe von Objekten unabhängig von ihrer Entfernung d r H r = k * H/d H = K * r * d Ich sehe was was Du nicht siehst
22 Ponzosche Täuschung Ich sehe was was Du nicht siehst
23 Der Amessche Raum Größenkonstanz QuickTime Movie Ich sehe was was Du nicht siehst
24 Helligkeitskonstanz Wahrgenommene achromatische Farbe eines Objekts unabhängig von Beleuchtung Problem der Helligkeitskonstanz: L(x,y) = I(x,y) * R(x,y) L(x,y) (reflektierte) Luminanz des Objekts I(x,y) Beleuchtung des Objekts R(x,y) Reflektanz des Objekts (Objekteigenschaft) PROBLEM: Unendlich viele Wertepaare R(x,y), I(x,y) können zu der beobachteten Objektluminanz L(x,y) führen!! R(x,y) = L(x,y) / I(x,y) Ich sehe was was Du nicht siehst
25 Helligkeitskonstanz Wahrgenommene achromatische Farbe eines Objekts unabhängig von Beleuchtung Mechanismen der Helligkeitskonstanz: - Berücksichtigung von Relationen Simultankontrast Verhältnisprinzip koffka-movie.swf Ich sehe was was Du nicht siehst
26 Farbkonstanz Relative (annähernde) Gleichheit der wahrgenommenen Farbe trotz wechselnder Lichtverhältnisse L(x,y,w) = I(x,y,w) * R(x,y,w) Farbkonstanz beruht wesentlich auf einer Abschätzung der Beleuchtungsverhältnisse Ich sehe was was Du nicht siehst
27 Farbkonstanz Some surfaces appear the same color, even when the ambient lighting changes. The wavelength of the blue squares on the left matches the wavelength of the yellow squares on the right! Ich sehe was was Du nicht siehst
28 L = R * I 10 Luminanz L(x,y,w) 5 Zapfenaktivität 0 K M L = Reflektanz R(x,y,w) Vermutete Reflektanz = wahrgenommene Objektfarbe * K M L Illumination I(x,y,w) K M L Vermutete Beleuchtung I Ich sehe was was Du nicht siehst
29 Formkonstanz: Visuelle Ergänzung Sie sehen Dinge, die eigentlich gar nicht vorhanden sind Sehen Sie sich um was sehen Sie wirklich ganz? Ich sehe was was Du nicht siehst
30 Unmögliche Objekte Falls unsere Wahrnehmung eine direkte, eindeutige Reflexion der physikalischen Realität wäre, sollten unmögliche Objekte einfach nicht wahrnehmbar sein! Stattdessen versucht das Wahrnehmungssystem, sie als normale physikalische Objekte zu interpretieren Ich sehe was was Du nicht siehst
31 Teil 2: Offene und verdeckte Aufmerksamkeit Ich sehe was was Du nicht siehst
32 Aufmerksamkeit Bislang: eher frühe, automatische Verarbeitungsmechanismen, parallel neuer Aspekt: aktive Selektion, seriell! Was ist Aufmerksamkeit? William James ( ): Everyone knows what attention is. It is the taking posession by the mind, in clear and vivid form, of one out of what seem several simultaneously possible objects or trains of thought. Focalization, concentration of consciousness are of its essence. It implies withdrawal from some things in order to deal effectively with others, and is a condition which has a real opposite in the confused, dazed, scatterbrain state... Ich sehe was was Du nicht siehst
33 Offene Aufmerksamkeit: Blickbewegungen Offene Aufmerksamkeit: Ausrichtung der Blickrichtung mit sakkadischen Blickbewegungen Blickfixationen sind nicht zufällig Es werden bevorzugt informationstragende Strukturen (bei Gesichtern: Augen, Mund) fixiert Aufgabenabhängigkeit Ich sehe was was Du nicht siehst
34 Blickbewegungen auf natürlichen Szenen: Aufgabenabhängigkeit (Yarbus, 1967) Schätze materiellen Wohlstand Schätze Alter The Unexpected visitor Erinnere Position Wie lange war Unexpected visitor weg? Ich sehe was was Du nicht siehst
35 Inhomogenität der visuellen Projektionen Verteilung der Photorezeptoren in der Retina Cortikale Vergrößerung Steiler Abfall der visuellen Auflösung 10t! Ich sehe was was Du nicht siehst
36 Verdeckte Aufmerksamkeit (covert attention) bereits von Hermann von Helmholtz beschrieben Typische Operationalisierungen in der Kognitionspsychologie: Reaktionszeitaufgaben (Posner) Texturunterscheidung Visuelle Suche Nothdurft (1990) Ich sehe was was Du nicht siehst
37 Suchaufgabe: Suche nach grünem Objekt! Ich sehe was was Du nicht siehst
38 RT = f(setsize) bei Merkmalssuche (pop-out Suche) Bei der Suche nach einem durch eine elementare Eigenschaft (basic feature) definiertem Objekt ist die Suchzeit (RT) unabhängig von der Anzahl der Distraktoren (= set size = display size) pop-out elementarer Features Suche erfolgt automatisch, parallel Ich sehe was was Du nicht siehst
39 Elementarmerkmale nach Treisman und weitere pop-out - Merkmale Elementarmerkmale: Orientierung Krümmung Farbe Bewegung Geschlossenheit Farbe, Helligkeit Tiefe (binokular) Tiefe und Schatten Schattierung Ich sehe was was Du nicht siehst
40 Suche nach Konjunktion von Eigenschaften Konjunktions-Suche: Suche nach Kombination zweier oder mehrerer Features. Ich sehe was was Du nicht siehst
41 Suche nach rotem, geneigtem Objekt Ich sehe was was Du nicht siehst
42 RT = f(setsize) bei Konjunktionssuche Reaktionszeitaufgabe Konjunktionssuche: Suche nach Objekt mit Kombination zweier (elementarer) Eigenschaften RT: linear ansteigende Funktion der Anzahl der Distraktoren Steigung: Verarbeitungszeit je Element Steigung (nein) = 2 * Steigung (ja) Ich sehe was was Du nicht siehst
43 Merkmalsintegrationstheorie (Feature Integration Theory, Treisman & Gelade, 1982) 1. Präattentive Stufe: Analyse (Zerlegung) in Elementarmerkmale: parallel, automatisch 2. Attentive Stufe: Verknüpfen der Elementarmerkmale einzelner, durch Aufmerksamkeit selegierter Elemente. Serieller, aktiver Prozess 3. Beachtetes Objekt wird wahrgenommen! Erstellung einer Objektdatei (object file) 4. Objekterkennung durch Vergleich mit visuellem Objektgedächtnis Ich sehe was was Du nicht siehst
44 Funktionen verdeckter Aufmerksamkeit bei der Wahrnehmung Aufmerksamkeit bindet Elementarmerkmale A. ermöglicht Objekterkennung A. bewirkt Encodierung des Objekts in das Arbeitsgedächtnis bestimmt somit Inhalt der Bewußtseinsspanne (3 4 Objekte )! Attention for perception and memory!weitere wichtige Funktion: Attention for action Ich sehe was was Du nicht siehst
45 Kopplung von Blickbewegungssteuerung und Aufmerksamkeit Execution of eye movement > Masking of targets and disctractors Presentation of central movement cue Start Presentation of discrimination target DT (E or ) + > Ich sehe was was Du nicht siehst > ms 100 ms (SOA) 80 ms X ms >
46 Diskriminationsleistung DT position variable DT position constant Correct discrimination [%] DT=MT Saccade Correct discrimination [%] DT=MT Saccade Relative DT position Relative DT position Ich sehe was was Du nicht siehst
47 Bewegungssequenzen 2nd saccade Masking Presentation of discrimination target and distractors Saccade cue 150 ms Start of trial ms 50 ms (SOA) Ich sehe was was Du nicht siehst
48 Aufmerksamkeit bei der Planung von Bewegungssequenzen > > > > % correct st ST between 2nd ST other DT position Ich sehe was was Du nicht siehst
49 Aufmerksamkeit bei der Planung von Zielbewegungen Verdeckte Aufmerksamkeit und Bewegungssteuerung sind eng gekoppelt Jeder Zielbewegung geht eine Verschiebung visueller Aufmerksamkeit zu dem Bewegungsziel(en) voraus Diese Aufmerksamkeitsverschiebung ist obligatorisch und räumlich äußerst selektiv! selektive visuelle Wahrnehmung (und damit das, was wir zu jedem Zeitpunkt wahrnehmen) wird wesentlich von unseren aktuellen Handlungszielen bestimmt! Was aber, wenn keine Aufmerksamkeitsausrichtung erfolgt oder diese abgelenkt ist? Ich sehe was was Du nicht siehst
50 Teil 3: Change Blindness und Inattentional Blindness A breakdown in simultaneous information processing (R.F. Haynes, 1980) Ich sehe was was Du nicht siehst
51 Flicker Paradigma (Rensink 1997) Original und Modifiziertes Bild im schnellen Wechsel (blank screen) Beobachter reagieren sobald sie die Veränderung entdeckt haben msec bis 2 sec Originalbild msec Blank -usw. Ich sehe was was Du nicht siehst
52 Ich sehe was was Du nicht siehst
53 Ich sehe was was Du nicht siehst
54 Ich sehe was was Du nicht siehst
55 Operationalisierungen von Change Blindness Veränderungen werden vorgenommen während 1. Einer Sakkade oder eines Lidschlags 2. Einer Unterbrechung der Fixation durch Blank Screen Schnitt 3. Einer Realen Unterbrechung Aufmerksamkeit wird abgelenkt durch globale Transienten Sehr langsame Veränderungen Ich sehe was was Du nicht siehst
56 Blink Experiment O Regan, Deubel, Clark & Rensink (Vis. Cog 2001): Registrierung von Blick- und Lidschlagbewegungen während Change Blindness Aufgabe Central Interest: always mentioned by judges Marginal Interest: never mentioned by judges (Equal visual salience) Ich sehe was was Du nicht siehst
57 BLINK Experiment ON C of I OFF C of I not seen Number of Blinks before detection Ich sehe was was Du nicht siehst
58 Ich sehe was was Du nicht siehst
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61 Probability of Change Detection Ich sehe was was Du nicht siehst
62 Operationalisierungen von Change Blindness Veränderungen werden vorgenommen während 1. Einer Sakkade oder eines Lidschlags 2. Einer Unterbrechung der Fixation durch Blank Screen Schnitt 3. Einer Realen Unterbrechung Aufmerksamkeit wird abgelenkt durch globale Transienten Sehr langsame Veränderungen Ich sehe was was Du nicht siehst
63 Ich sehe was was Du nicht siehst
64 Ich sehe was was Du nicht siehst
65 Schlussfolgerungen Visuelle Wahrnehmung (visuelles Arbeitsgedächtnis) ist hochgradig selektiv Entsprechend scheint unsere interne Repräsentation der Welt äußerst sparsam zu sein: vielleicht nur 3-4 Objekte? Woher rührt also die grand illusion (O Regan)? Vision on demand Praktische Konsequenz: Wir sehen anscheinend viel weniger als wir glauben! Plötzliche Veränderungen werden nicht wahrgenommen, wenn sie während Sakkaden oder Lidschlägen erfolgen! ¼ unserer wachen Zeit sind wir blind Ich sehe was was Du nicht siehst
Neurophysiologie und -psychologie der Aufmerksamkeit. Seminar, WS 2011/2012
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