Integration von Schülerinnen und Schülern mit einer Sehschädigung an Regelschulen
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1 Integration von Schülerinnen und Schülern mit einer Sehschädigung an Regelschulen Didaktikpool Zahlbegriffsentwicklung blinder und sehender Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf Lernmaterialien im Gemeinsamen Unterricht - 5 Vorbemerkungen zur Untersuchung - Melanie Linscheidt 2002 Universität Dortmund Fakultät Rehabilitationswissenschaften Rehabilitation und Pädagogik bei Blindheit und Sehbehinderung Projekt ISaR Dortmund Tel.: 0231 / Fax: 0231 / isar@uni-dortmund.de Internet:
2 Teil B: UNTERSUCHUNG ZUR EIGNUNG DER LIMAS IM GEMEINSAMEN UNTERRICHT 5 Vorbemerkungen zur Untersuchung In diesem Kapitel sollen die Ziele der Untersuchung und die Vorgehensweise vorgestellt und begründet werden. In Kapitel 5.1 wird erläutert, welches Ziel mit der Untersuchung verfolgt wird. Da die Untersuchung im Rahmen der qualitativen Sozialforschung stattfindet und die Daten mit Hilfe der teilnehmenden Beobachtung gewonnen werden, soll auf diese Aspekte in Kapitel 5.2 näher eingegangen werden. Dabei wird zugleich der Ablauf der Untersuchung erläutert, indem die theoretischen Aspekte direkt auf die vorliegende Untersuchung bezogen werden. 5.1 Ziele der Untersuchung Ein weit verbreitetes Problem im Unterricht mit blinden Schülern, besonders im Gemeinsamen Unterricht mit sehenden Schülern, ist die Beschaffung von Unterrichtsmaterialien. Die meisten Lernmaterialien, die in der Regelschule verwendet werden, sind für blinde Kinder nicht geeignet. Dabei ist der handelnde Umgang mit konkreten Gegenständen bei der Entwicklung des Zahlbegriffs für blinde Kinder besonders wichtig (vgl. Kapitel 3.2.1). Aus diesem Grund soll in der vorliegenden Arbeit ein Lernmaterial zur Unterstützung der Zahlbegriffsentwicklung so angepasst werden, dass es auch für blinde Schüler eine wertvolle Hilfe darstellt. Da die Rechenstäbe bzw. die logischen Blöcke besonders für die Zahlbegriffsentwicklung geeignet sind (vgl. Kapitel 3.4), habe ich mich für dieses Lernmaterial entschieden und es modifiziert. Das adaptierte Material, die LiMa-Stäbe, sollen nun im Unterricht im Hinblick auf die Zahlbegriffsentwicklung eingesetzt werden, um zu untersuchen, ob sie blinde und 1
3 sehende Schüler tatsächlich für die Entwicklung des Zahlbegriffs im Gemeinsamen Unterricht unterstützen können. Auf Basis der vorliegenden Untersuchung können bezüglich der Eignung des Materials für die Entwicklung des Zahlbegriffs im Gemeinsamen Unterricht selbstverständlich keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden. Diese beziehen sich prinzipiell lediglich auf die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der untersuchten Schüler. Um eine Allgemeingültigkeit zu erreichen, müsste das Material an einer repräsentativen Anzahl von Schülern getestet werden. Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich mich jedoch auf zwei integrativ arbeitende Klassen mit je einer blinden Schülerin beschränken. Dennoch können meiner Ansicht nach zahlreiche Erkenntnisse gewonnen werden, die zwar keine Repräsentativität beanspruchen dürfen, aber dennoch wertvolle Hinweise für den Umgang mit diesem Material liefern. 5.2 Ablauf der teilnehmenden Beobachtung innerhalb der qualitativen Sozialforschung In diesem Kapitel soll zunächst die qualitative von der quantitativen Methode abgegrenzt werden, um eine Einordnung der vorliegenden Untersuchung zu ermöglichen. Die teilnehmende Beobachtung, die nachfolgend beschrieben wird, findet direkten Bezug zur vorliegenden Untersuchung. Im Anschluss daran werden die theoretischen Grundlagen der qualitativen Sozialforschung vorgestellt und direkt auf die vorliegende Untersuchung bezogen, um gleichzeitig die Vorgehensweise zu begründen. Zuletzt wird die Vorgehensweise bei der Aufbereitung und Analyse der Daten verdeutlicht. Das Kapitel soll einen Überblick über die Vorgehensweise der Untersuchung geben und dieser ein theoretisches Fundament zugrunde legen. 2
4 Qualitative versus quantitative Forschung Innerhalb der Sozialforschung werden im Allgemeinen zwei unterschiedliche Herangehensweisen bezüglich der Forschungsaufgabe unterschieden, nämlich die qualitative und die quantitative Methode. Die quantitative Forschungsrichtung ist dadurch gekennzeichnet, dass für die Analyse von Daten ausschließlich statistische Verfahren und mathematische Berechnungen verwendet werden, während bei der qualitativen Methode hauptsächlich Analysetechniken gebraucht werden, die sich von denen eines Alltagsmenschen nicht wesentlich unterscheiden. Sie werden lediglich bewusster und wissenschaftlicher verwendet und deutlich detaillierter reflektiert und analysiert (vgl. Strauss 1994, 26f). Mayring (1990, 9) betont, dass sich qualitatives und quantitatives Denken nicht ausschließen und dass beide Aspekte in jeder Forschung mehr oder weniger stark vertreten sind. Schließlich wird auch in den meisten qualitativen Forschungen nach einer Anzahl o.ä. gefragt. Bei meinen Untersuchungen werde ich mich an der qualitativen Forschungsrichtung orientieren, da eine relativ offene Beobachtung der Kinder im Umgang mit dem Material meiner Ansicht nach bessere Ergebnisse liefern wird, als ein standardisiertes Verfahren, welches nur sehr vereinzelte Aspekte erfassen kann und den Kontext nicht in dem Maße mit einbeziehen kann. Weitere Begründungen für die Verwendung des qualitativen Verfahrens werden sich im Laufe dieses Kapitels bei den Erläuterungen der theoretischen Grundlagen der qualitativen Sozialforschung ergeben. Die teilnehmende Beobachtung Die qualitative Sozialforschung kann an unterschiedlichen Orten auf sehr unterschiedliche Weise durchgeführt werden, beispielsweise in Form von Interviews, Einzelfallstudien, Experimenten oder Beobachtungen, welche wiederum in viele verschiedene Formen unterteilt werden (vgl. Lamnek, 1993). Die vorliegende teilnehmende Beobachtung findet im Klassenraum statt, um möglichst nahe am Kind zu sein und es beim Umgang mit den Materialien optimal beobachten zu können. 3
5 Bei der Wahl der zu untersuchenden Klassen ist es wichtig, dass diese von einem integrativ betreuten blinden Kind besucht werden, denn die LiMa-Stäbe wurden für blinde Kinder im Gemeinsamen Unterricht mit sehenden hergestellt, die Informationen aus der Umwelt zu einem großen Teil über haptische und nicht über visuelle Eindrücke erhalten. Dementsprechend wurden die LiMa-Stäbe modifiziert und tastbar strukturiert, damit blinde Schüler sinnvoll und effektiv mit ihnen arbeiten können. Für die Untersuchungen ist es günstig, mit einer ersten oder einer zweiten Klasse zu arbeiten, weil hier die Entwicklung des Zahlbegriffs besonders im Vordergrund steht (vgl. u.a. Kapitel 3.2.3). Im Folgenden möchte ich die Methode der teilnehmenden Beobachtung etwas genauer beschreiben und charakterisieren. Sie ist eine sehr gängige Methode für die Forschung im Feld, in diesem Fall im Klassenraum (vgl. Girtler 1988, 49). Der Forscher nimmt selbst an der sozialen Situation teil und kann diese dadurch von Innen betrachten. Wie alle qualitativen Methoden ist auch die teilnehmende Beobachtung nicht voll standardisiert. Lediglich ein offen zu handhabender Beobachtungsleitfaden ist zur Erleichterung der Beobachtung sinnvoll. Durch Aufzeichnungen mit einer Videokamera wird eine umfassende und genaue Wiedergabe der Daten ermöglicht, welche dann beliebig oft wiederholt und in Zeitlupe oder als Standbild angesehen werden können. Dies ermöglicht eine weitgehend objektive Beschreibung und vielfältige Interpretation der Daten. Aus Gründen der Ethik sollten die Versuchspersonen immer darauf hingewiesen werden, dass ihre Aktivitäten mit einer Videokamera aufgezeichnet werden. Hierfür ist in jedem Fall eine Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten einzuholen. Eine Gefahr bei der Aufzeichnung mit einer Videokamera besteht darin, dass die Beobachteten sich nicht natürlich verhalten. Eine solche unerwünschte Reaktion der Versuchspersonen auf die Videokamera könnte jedoch minimiert werden, indem die Kamera möglichst klein und leise ist und auf einem Stativ steht, so dass sie wenig Aufmerksamkeit auf sich lenkt und es möglich ist, diese nach einer Weile zu vergessen (vgl. Lamnek 1993, 100f). Die 4
6 Erfahrung zeigt außerdem, dass die Personen die Kamera nach einer gewissen Zeit vergessen und die Situation wieder völlig natürlich ist. Mayring (1990, 58) hat einen Ablaufplan der teilnehmenden Beobachtung erstellt, nach dem zunächst die Beobachtungsdimensionen bestimmt und ein Beobachtungsleitfaden erstellt werden. Für die vorliegende Untersuchung wird ebenfalls ein Beobachtungsziel sowie ein Leitfaden formuliert (Kapitel 7.1). Nach Mayring (1990, 58) folgt dann die teilnehmende Beobachtung bzw. das Handeln im Feld, wobei Notizen gemacht und Beobachtungsprotokolle geschrieben werden. Solche Notizen werde ich neben der Aufzeichnung mit der Kamera ebenfalls machen, um evtl. Daten und Eindrücke, welche die Kamera nicht festhält, zusätzlich berücksichtigen zu können. Diese werden dann in die Schülerbeschreibungen (Kapitel und 7.2.2) und die Reflexionen der Unterrichtsstunden (vgl. Kapitel und 7.2.4) einfließen. Der letzte Schritt ist die Schlussauswertung, in der alle Beobachtungen und Eindrücke zusammengefasst und analysiert werden. Theoretische Grundlagen der qualitativen Sozialforschung In verschiedenen Veröffentlichungen zum Thema qualitative Sozialforschung werden unterschiedliche Grundsätze formuliert, die bei einer entsprechenden Forschung Beachtung finden sollten. Die Grundsätze unterschiedlicher Autoren unterscheiden sich zwar auf den ersten Blick, beinhalten jedoch im Großen und Ganzen dieselben Aspekte. In meinen Ausführungen werde ich mich an den Überlegungen Mayrings (1990, 9ff) orientieren und einige für die vorliegende Arbeit relevante Aspekte aufgreifen. Mayring (1990, 9ff) setzt bei der qualitativen Sozialforschung eine Orientierung am Subjekt voraus, d.h. dass im Mittelpunkt der Untersuchungen immer der Mensch steht. Um dem gerecht zu werden, sollte stets der gesamte Mensch in seiner Vergangenheit und mit seinen aktuellen Problemen betrachtet werden (vgl. Mayring 1990, 13). Die vorliegende Untersuchung zentriert die beiden blinden 5
7 Schüler, die in Kapitel bzw ausführlich beschrieben werden. Dabei wird besonders deren Verhalten, aber auch das familiäre Umfeld sowie ihre Anamnese beschrieben. Das zweite Postulat der sorgfältigen Deskription beinhaltet den Bezug zu einem Einzelfall, dem mit einer Schülerbeschreibung entsprochen wird. Weiterhin fordert Mayring (1990, 16) Offenheit gegenüber dem Untersuchungsgegenstand, d.h. dass bei Bedarf Änderungen bezüglich der Strukturierungen, der Hypothesen und auch der Methoden möglich sein sollten. Dennoch oder gerade deshalb müssen die Methoden der Erkenntnisgewinnung bei einer solch offenen Verfahrensweise genau dokumentiert werden, damit sie für nachfolgende Untersuchungen nachvollziehbar sind. Dieser Forderung möchte ich in Kapitel 6 und 7 nachgehen. Kapitel 6 beschreibt die Überlegungen bezüglich des Materials, während in Kapitel 7 von den Untersuchungen in der Klasse die Rede ist. Für die Interpretation der Ergebnisse ist ein gewisses Vorverständnis bezüglich des Zahlbegriffs bzw. der Zahlbegriffsentwicklung nötig, welches in Teil A dieser Arbeit ausführlich zur Sprache kam und besonders bei der Auswertung und Analyse der Daten noch einmal aufgegriffen wird. Mayring (1990, 18f) betont, dass auch introspektive Daten bei der Analyse der Ergebnisse verwendet werden können, diese aber als solche verdeutlicht werden müssen. Er gibt zu bedenken, dass eine Forscher-Gegenstands-Interaktion nicht auszuschließen sein kann, d.h. dass Forscher und Gegenstand sich gegenseitig beeinflussen können. Vorgehensweise bei der Aufbereitung und Analyse der Daten In der Literatur ist eine Vielzahl unterschiedlicher Aufbereitungsmethoden zu finden, die nach den Kriterien der Fülle des Materials, des Ziels der Analyse und der Art des Datenmaterials ausgewählt werden sollten. In der vorliegenden Arbeit sollen Grundgedanken des selektiven Protokolls nach Mayring (1999, 78) berücksichtigt werden. Diese Methode ist darauf ausgerichtet, eine große Datenmenge zu verarbeiten, da irrelevante Teile weggelassen werden können, 6
8 um überflüssige Daten zu vermeiden. Mayring stellt dabei als wichtig heraus, dass zur Datenauswahl sehr genau definierte Kriterien aufgestellt werden, um eine eindeutige Zuordnung zu ermöglichen. Prototypen in Form von Beispielen können die Zuordnung erleichtern. Die Methode birgt allerdings die Gefahr, den Gesamtzusammenhang der Situation zu verlieren, da nicht alle Daten berücksichtigt werden. In Bezug auf diese Arbeit ist jedoch der Kontext im Vorfeld in Form der Unterrichtsbeschreibungen (vgl. Kapitel und 7.3.2) genau dargestellt worden, so dass diese Gefahr minimiert werden kann. Im Hinblick auf diese Kriterien sollen in Kapitel 7.1 Beobachtungskriterien erarbeitet werden, nach denen das Datenmaterial überarbeitet und relevante Aspekte schriftlich festgehalten werden. Die Analyse der so entstandenen Daten soll ebenfalls anhand dieser Beobachtungskriterien erfolgen, die aufbauend auf einer Hauptfragestellung und mehreren untergeordneten Fragestellungen beruhen (vgl. Kapitel 8). 7
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