Farbe auskommen. Himmel, Kleidung, Zierrat, alles muss blau also göttlich sein. Zum einen, weil auch der Mantel der Jungfrau Maria immer und immer in

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2 Farbe auskommen. Himmel, Kleidung, Zierrat, alles muss blau also göttlich sein. Zum einen, weil auch der Mantel der Jungfrau Maria immer und immer in Blau dargestellt wird, und zum anderen, weil dieses aus Lapislazuli gewonnene Blau eine der kostbarsten Farben ist. Gemahlener Edelstein, verrührt mit den Ölen meines Vaters, ist wie blaues Gold und gibt allen Bildern himmlische Leuchtkraft, hat Jan van Eyck einmal gesagt. Die Maler reißen sich darum. Leider auch die Diebe. Gar nicht himmlisch, sondern scheußlich irdisch waren die Gesellen, die Papa kurz vor Gent überfielen, als er mit übervollen Taschen von einer Einkaufsreise zurückkam: Lapislazuli und Gold zwar nur kleine Mengen, aber genug, um Begehrlichkeiten zu wecken. Papa starb, nachdem man ihn vom Pferd gestoßen hatte, durch zwei große

3 Schläge auf den Kopf und ein schwaches Herz, das immer voller Liebe für uns, seine kleine Familie, geschlagen hatte. Die Güte meines Vaters war legendär. Mama liebte ihn wie am ersten Tag, und ich hatte im Gegensatz zu unendlich vielen anderen Kindern eine schöne Kindheit. Bis vor einem Vierteljahr eben, als uns Papas Tod in wirtschaftliche Nöte brachte, denn Mama verstand von Ölen und Farben nichts, dafür umso mehr von Gewürzen und Kräutern, also Zutaten, aus denen man köstliches Essen zaubern konnte. Da waren wir nun Mama und ich, zwei Frauen, allein mitten in Flandern. Zwar nicht ganz mittellos, aber ohne gesellschaftliche Anerkennung. Die erhielt man nur, wenn es einen Mann im Haus gab. Wir beschlossen, auf einen Beginenhof in Brüssel zu ziehen. Beginenhöfe gibt es seit

4 gut zweihundert Jahren, und sie sind ein Segen für Kinder und Frauen. Nicht nur Wohnmöglichkeiten, sondern auch Arbeit, Essen und Hilfe aller Art bietet diese lose Gemeinschaft. In vielen Städten wurden Beginenhöfe eröffnet, meist robuste Ziegelbauten, von Mauern umgeben, geleitet von einer Grande Dame, die jedem Beginenhof vorsteht. Beginen kümmern sich um Kranke und Waisen, die sogenannten Wohnkinder. Und dazwischen fertigen sie natürlich auch Klöppelarbeiten, Wolle und andere nützliche Materialien und Handarbeiten an. Ich habe das alles von Mama erfahren, die sich schon mit den Beginen beschäftigt hat, als Papa noch lebte. Ich weiß noch, als ich sie gefragt habe, woher der seltsame Name kommt, aber sie konnte es mir nicht sagen. Vielleicht von den beigen Kleidern, die die

5 Beginen in der Regel tragen, oder von der heiligen Begga, die ein Kloster gegründet hat. Der Beginenhof in Brüssel, an der Place du Béguinage, war auch unsere Rettung. Die kleine bescheidene Kemenate, in der ich jetzt nach Papas Tod mit Mama lebe, ist ein gutes Versteck vor der Welt, die Mama nach dem Mord an ihrem Mann nicht mehr sehen will. Zuerst mochte ich es hier, aber jetzt bedrückt mich die Enge. Ich komme mir gefangen vor. Ich will so gern andere Menschen sehen. Und ich will endlich wieder malen, schließlich habe ich das bisher in unserem Zuhause immer gedurft. Ich finde meine Sachen auch gar nicht so schlecht, auch wenn Mama meint, dass ich den Menschen immer Wurstfinger malen würde. Und wenn schon, ich will ja lernen, wie man richtig malt!

6 Genau diese Gedanken trieben mich um, als ich nach dem Streit mit Mama dem Fremden auf dem Platz vor dem Beginenhof begegnet bin. Der Mann deutete, nachdem er mich angesprochen hatte, auf zwei Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Imposante Fachwerkhäuser mit roten Ziegeln zwischen den pechschwarzen Balken. Ich konnte es nicht fassen. Die anderen Beginen sprachen voller Bewunderung von seinem Besitzer und nannten ihn den Meister Flanderns: Rogier van der Weyden. Ich kenne einige seiner Bilder. Nun, um ehrlich zu sein, ich meine sie zu kennen, denn Papa hat mir haarklein von ihnen berichtet und Miniskizzen angefertigt, damit ich sie mir vorstellen kann. Auch Papa sprach immer in den höchsten Tönen von»rogier«und hatte ihn sogar schon einige Male beliefert, auch, als van der Weyden noch in Tournai wohnte, einem