Spiritualität des Laufens. von Frieder Schmidt

Transkript

1 Spiritualität des Laufens von Frieder Schmidt

2 Auf den folgenden Seiten berichte ich von Erfahrungen des Laufens. Aber es geht hier nicht nur um das Laufen. Alles, was einem hier begegnet, tritt einem auch in anderen Bereichen des Lebens entgegen. Wenn ich zum Beispiel von einer Grenzerfahrung spreche (12), dann ist das eine Erfahrung, die man auch in anderen Zusammenhängen wahrnehmen kann. Wenn ich sage: Du brauchst Zeit (1), dann gilt das auch für andere Dinge, die man mit einem spirituellen Hintergrund tun will. Alle zwanzig Punkte der Spiritualität des Laufens sind in andere Situationen übertragbar. So zeigt dieses Meditationsbuch exemplarisch, was meiner Meinung nach Merkmale eines spirituellen Lebens sind. Ohne, dass mit diesen Seiten der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird.

3 1 Du brauchst Zeit 2 Nimm das Wetter wahr 3 Achte auf den Weg 4 Der Atem 5 Anfang und Ende 6 Laufe so weit 7 Laufe deine Geschwindigkeit 8 Der Ausgleich 9 Die Haltung 10 iphone und Handy 11 Die Natur 12 Grenzerfahrung 13 Grenzenlosigkeit 14 Essen 15 Ein Anderer werden 16 Die Chance einer Steigung 17 Eine andere Kraft in dir 18 Die Qual des Laufens 19 Der Ursprung 20 Freude, Entspannung und Gelassenheit

4 1 Du brauchst Zeit Suche dir eine Zeit, in der du ohne Hektik sein kannst. Eine Zeit, wo dich nicht schon der nächste Termin drückt. Du brauchst Zeit zum Vorbereiten und Einstimmen, zum Laufen, zum Wiederankommen. Für die Zeit, die du dir nimmst, bekommst du Vielfaches zurück.

5 2 Nimm das Wetter wahr, wenn du läufst. Nimm wahr - die Wärme des Sommers und die Kälte des Winters, - die Regentropfen, die dir in das Gesicht schlagen, - den Schnee, der unhörbar fällt, - den Wind, der die Bäume zum Rauschen bringt, - den Nebel, der die Landschaft umhüllt und in Watte packt. Nimm wahr - die Sonne mit ihren Strahlen, ihrer Wärme, ihrem Verstecken hinter den Wolken. Nimm wahr die Sonne, mit ihrem gelb-orange-roten Untergang.

6 3 Achte auf den Weg! Du läufst über Erde und Schotter, durch Pfützen und Matsch. Umgefallene Bäume kreuzen deinen Weg. Du musst darum herum laufen, oder darüber springen. Wenn du kleine Wege läufst, werden Äste und Zweige dir manchmal in den Weg ragen. Und immer wieder tauchen Wurzeln auf. Ganz unterschiedliche Wege wirst du laufen. Zu allen wirst du ein eigenes Verhältnis entwickeln.

7 4 Der Atem In Büchern findest du viele Tipps, wie du atmen sollst. Mir haben die Hinweise nie etwas gebracht. Der Körper atmet so, wie er es braucht. Das Atmen ist etwas, worum du dich überhaupt nicht kümmern musst. Wie die Zeit vergeht, wie es Sommer und Winter wird, ohne dass du etwas dazu tun musst, so atmest du. Es passiert einfach. Das Atmen ist dir geschenkt. Es ist gut zu spüren, wie frei deine Nase auf Dauer ist. Selten wirst du eine Erkältung bekommen, oder krank sein. Es wird dir gut tun tief einzuatmen, wenn du dich anstrengst. Der Atem gibt dir Kraft und Energie. Der Atem gibt dir die Luft, die Anstrengung zu bewältigen.

8 5 Anfang und Ende Jeder Weg hat einen Anfang und ein Ende. Plane auch du, wo du losläufst, wohin dich dein Weg führt und wo du ankommst. Du kannst immer noch von deinem Vorhaben abweichen. Aber der Plan gibt dir einen Rahmen, der dich stützt. Es ist frustrierend ziellos herumzulaufen

9 6 Laufe so weit Nimm dir nicht zuviel vor. Nicht jeder muss ein Marathonläufer werden. Finde heraus, welche Weglänge für dich die richtige ist. Laufe so weit, wie es dir entspricht.

10 7 Laufe deine Geschwindigkeit Laufe deine Geschwindigkeit! Viele werden schneller laufen als du. Du wirst sie beneiden. Vielleicht fühlst du dich unter Druck gesetzt und meinst, du müsstest so schnell sein wie andere. Laufe so schnell, oder so langsam, wie es für dich stimmt. Du hast dein eigenes Tempo.

11 8 Der Ausgleich Vergiss nicht zu dehnen. Beuge so der Verkürzung der Muskeln vor. Und trainiere auch die Muskeln, die beim Laufen nicht gefordert werden. Die Belastung durch das Laufen ist einseitig. Dein Körper braucht den Ausgleich.

12 9 Die Haltung Die Haltung des Läufers ist aufrecht. Nach vorne gebeugt ist nicht gut laufen. Die Arme pendeln in einer Gegenbewegung die Beine aus. Wenn das rechte Bein vorne ist, schwingt der linke Arm mit nach vorne. Das Gleiche geschieht auf der anderen Seite. Die Hände und Unterarme zeigen geradeaus.

13 10 iphone und Handy Mancher läuft mit einem iphone. Du kannst zehn Minuten dicht hinter ihm laufen, er merkt es gar nicht. Wenn du ihn dann an den Haaren ziehst, erschreckt er sich, weil da jemand ist. Lass` das iphone, lass das Handy Zuhause! Sei bereit für das, was dieser Lauf dir geben wird.

14 11 Die Natur Im Verlauf der Monate nimmst du die Veränderungen in der Natur wahr. Nach dem üppigen und warmen Sommer mit den bunten Blumen auf den grünen Wiesen, nach dem Sommer mit Farbenpracht, Lebensfreude und Schwimmen - Gehen, kommt der feuchte Herbst. Die Blätter werden gelb und rot und fallen von den Bäumen. Der Winter kommt mit Kälte, Schnee und Matsch. Die Tage sind kurz, du hast nur wenig helle Zeit zum Laufen. Aber irgendwann hörst du wieder deutlicher das Zwitschern der Vögel, die Tage werden wieder länger, du kannst auch wieder abends laufen. Die Natur erwacht, die Knospen brechen auf, die Menschen kommen aus ihren Häusern, neues Leben schafft sich Raum. Genieße die Natur, den Wechsel der Jahreszeiten, die Veränderung der Bäume, Sträucher und Gräser.

15 12 Grenzerfahrung Es gibt die Erfahrung der Grenze. Irgendwann in der Laufwoche und im Laufjahr musst du eine Pause machen. Du kannst nicht immer laufen. Irgendwo ist eine Grenze. Du, dein Körper, braucht eine Pause, eine Erholung, eine Unterbrechung. Es gibt Grenzen dessen, was du erreichen kannst. Beim Laufen lernst du deine Grenzen kennen. Irgendwann werden dir bei jedem Gang die Treppe hoch die Beine wehtun. Du wirst Probleme mit den Gelenken, mit den Muskeln, vielleicht mit der Achillessehne bekommen. Du wirst spüren, dass du an Grenzen stößt. Dann habe den Mut und die Gelassenheit zum Zurücknehmen. Gönne dir und deinem Körper eine Pause, ein eingeschränktes Training.

16 13 Grenzenlosigkeit Auf der anderen Seite gibt es die Erfahrung der Grenzenlosigkeit. Du hast gelernt eine halbe Stunde, eine dreiviertel Stunde, eine ganze Stunde zu laufen. Siebzig Minuten läufst du ohne Unterbrechung und fühlst dich gut dabei und danach. Warum solltest du nicht auch einen Marathon laufen können? Der Läufer spürt sein Vermögen, seine Entwicklung, seine Kraft. Er nimmt wahr, dass ihm fast grenzenlose Leistungen möglich sind.

17 14 Essen Du wirst wahrnehmen, wie du isst. Ob du zu viel isst, oder ob du ein gutes Maß hältst. Dein Körper gibt dir eine Rückmeldung, wie du mit ihm umgehst.

18 15 Ein Anderer werden Hin und wieder wird es vorkommen, dass dich beim Laufen ein Problem belastet und dir ein Gedanke nicht aus dem Kopf will. Wenn du ihn gar nicht loswirst, dann denke ihn eben weiter und wehre dich nicht gegen ihn. Vielleicht verliert der Gedanke durch deinen Lauf an Intensität. Eins wirst du auf alle Fälle erfahren: Du bist gelaufen, du hast frische Luft geatmet, du hast dich bewegt. Das Problem, mit dem du losgelaufen bist, hat sich vielleicht nicht verändert. Aber du bist in der Zeit des Laufens ein Anderer geworden.

19 16 Die Chance einer Steigung Eine Steigung vertreibt dir dunkle Gedanken, weil du dich anstrengen musst. Du musst atmen, musst darauf schauen, dass du im Schritt bleibst. Du bist gefordert. Deine ganze Aufmerksamkeit ist auf die Bewältigung dieser Steigung gerichtet. Da bleibt kein Raum mehr für Anderes.

20 17 Eine andere Kraft in dir Es wird der Moment kommen, da scheint es dir, als liefest du nicht selbst. Es ist, als würdest du dir selbst zuschauen, als wärest du außerhalb deines Körpers. Du, dein Körper, bewegt sich von allein, ohne dein Zutun, ohne eigene Anstrengung. Du spürst, da ist noch eine andere Kraft in dir, die dich voran bringt. Diese Erfahrung kannst du dir nicht erlaufen. Sie wird dir geschenkt.

21 18 Die Qual des Laufens Da ist die Qual vor dem Lauf, die Unlust zum Laufen, das Sich-überwinden-Müssen. Da ist die Faulheit, die Trägheit, die Schwerfälligkeit. Warum sich denn in Bewegung setzen? Und da ist Qual beim Laufen selbst. Jede kleine Erhebung wird zum Problem. Da ist die Länge des Weges. Nach der Hälfte des Weges merkst du, dass du gerne aufhören würdest. Aber du musst ja irgendwie zurückkommen. In der Mitte des Weges kann man nicht einfach aufhören. So lernst du beim Laufen das Durchhalten, das Weitermachen. Über Unlust, Antriebslosigkeit und Verweigerung hinweg.

22 19 Der Ursprung Die Geschwindigkeit des Laufens ist ein menschliches Maß. Im Gegensatz zur Geschwindigkeit beim Autofahren, oder beim Fliegen. Das Laufen führt uns zurück zu unserer Herkunft, zu unseren Wurzeln. Es führt uns zu unserem Ursprung.

23 20 Freude, Entspannung und Gelassenheit Da ist die Freude, die Entspannung, die Gelassenheit nach dem Lauf. Du bist rundherum zufrieden, wie neu geboren. Du hast Luft und Licht in dich aufgenommen. Du hast geatmet, hast deine Muskeln angespannt, hast geschwitzt und gekeucht, dich angestrengt, Durststrecken bewältigt, Langeweile durchstanden, Unlust hinter dir gelassen. Nun bist du angekommen. Die Freude kennt keine Grenzen. Gefühle von Glückseligkeit und vollkommener Zufriedenheit gewinnen in dir Raum.

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