Handreichung/Leitfaden Kirchenasyl Informationen Diözese Rottenburg-Stuttgart (Stand , MR)

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1 Handreichung/Leitfaden Kirchenasyl 0 Vorbemerkung Das Kirchenasyl ist eine Nothilfe im Einzelfall und will auf keinen Fall den Rechtstaat untergraben. Asyl, d. h. Schutz am heiligen Ort zu gewähren, ist ein in fast allen Religionen zu findendes Gebot, das seinen Grund in der Würde des heiligen Ortes hat, die alles und insbesondere auch alle Personen umfasst, die sich dort aufhalten. Neben der Heiligkeit des Ortes tritt für ChristInnen als weiterer Grund die Beistandspflicht. Das höchste christliche Gebot der Gottes- und Nächstenliebe fordert einen unbedingten Einsatz für verfolgte und in Not befindliche Menschen. Im ältesten Teil des Corpus Iuris Canonici, dem sog. Decretum Gratiani, findet sich eine Bestimmung des Konzils von Orange aus dem Jahr 441 n. Chr., die dies prägnant zusammenfasst: Diejenigen, die sich zur Kirche geflüchtet haben, dürfen nicht ausgeliefert, sondern müssen wegen der Würde des geheiligten Ortes und der Beistandspflicht verteidigt werden. ( Eos, qui ad ecclesiam confugerint, tradi non oportet, sed loci sancti reverentia et intercessione defendi). 1 1 Vereinbarungen der Kirchen mit dem BAMF 2 - Kern der neuen Kommunikationsstruktur sind zentrale Ansprechpartner auf der Seite der Kirchen und des Bundesamts. Vermieden werden soll die direkte und ungesteuerte Eingabe von Einzelfällen an das Bundesamt durch einzelne Kirchengemeinden. Die Vereinbarung gilt bis Herbst 2015, bis dahin ist diese Kommunikationsstruktur zu erproben. - Die Kirchen haben zugesagt, ihrerseits diese Zeit zu nutzen, um den Gremien (Deutsche Bischofskonferenz und Rat der evangelischen Kirche in Deutschland) über den Verlauf des Gesprächs zu informieren und deutlich zu machen, dass ein unverhältnismäßiger Gebrauch des Kirchenasyls eine Gefahr für diese Tradition bedeutet. 1.1 Im Vorfeld ist zu beachten: Kirchenasyl ist immer ultima ratio, liegt außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Verfahren, kann durch staatliche Stellen jederzeit beendet werden, es wird zur Zeit respektiert, solange sich die Ausführenden an gemeinsame Absprachen halten. 1.2 Erste Prüfung eines Falles - Gründliche Prüfung des Einzelfalls und ausführliche Gespräche mit den Betroffenen im Vorfeld ist zwingende Voraussetzung für ein Kirchenasyl. Dazu ist ein Fachanwalt hinzuziehen. 1 Thesenpapier, Prof. Dr. Guth 2 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF); Gespräch vom Präsident des BAMF mit Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche. 1

2 - Gründliche Beratung innerhalb der Kirchengemeinde mit einem Kirchengemeinderatsbeschluss. - Menschenrechtsverletzungen und individuell unzumutbare Härten für den Betroffenen müssen gründlich erhoben werden. Dazu müssen Informationen über die individuelle Situation des Betroffenen in dem Land, in das er abgeschoben werden soll, gesammelt werden. - Bei einem Kirchenasyl wegen einer Überstellung in einen EU-Mitgliedstaat, sind unzumutbare Härten und individuell drohende Menschenrechtsverletzung überzeugend und konkret glaubhaft darzustellen. Das bloße Vorliegen einer anstehenden Überstellung in einen Unterzeichnerstaat der Dublin-Verordnung bietet keinen ausreichenden Anlass für die Gewährung von Kirchenasyl. Begründbare besondere Härten sind im individuellen Einzelfall hinzuzufügen. - Für ein erfolgreiches und angemessenes Kirchenasyl braucht es eine noch tragfähige Lösung der Probleme. Gibt es bereits eine gerichtliche Entscheidung, sind bisher nicht bekannte oder unbeachtet gebliebene Tatsachen vorzutragen. Sind durch ein Gericht mögliche Härten konkret geprüft und als nicht relevant bewertet worden, ist es für die Behörden oft schwierig zu einer anderen Entscheidung zu kommen. - In begründbaren Ausnahmefällen findet so frühzeitig wie möglich eine zwischen Kirche und BAMF gesteuerte, lösungsorientierte Einzelfallprüfung im Rahmen des rechtlich Möglichen statt. - Die Einzelfallprüfung erfolgt möglichst noch vor dem Eintritt in ein Kirchenasyl und bei Dublinfällen vor Ablauf der Sechsmonatsfrist nach der Dublin III Verordnung. - Grundsätzlich gilt, alles ist gut zu dokumentieren. 1.3 Umsetzung und einzelne Schritte Im Vorfeld wird die HA VI Caritas zur Klärung und zum Bezug von Informationen in den Entscheidungsprozess einbezogen. Nach Rücksprache mit der HA VI Caritas, werden die erforderlichen Dokumente zusammengestellt und der konkrete Sachverhalt wird zusammengefasst. 1. Hinzuziehen eines Fachanwaltes Zur ersten Beratung beauftragt die Kirchengemeinde immer einen Fachanwalt. Die Kosten für die Beratung werden auf Antrag über den Zweckerfüllungsfonds Flüchtlingshilfen (s. caritas.drs.de Migration und Flucht, Zweckerfüllungsfonds Flüchtlingshilfen ) übernommen. Entscheidet sich eine Kirchengemeinde für ein Kirchenasyl sind die weiteren Kosten von der Kirchengemeinde zu bezahlen. 2. Vorgespräch mit dem Betroffenen zur Darstellung des Einzelfalles Eine gründliche Beratung im Vorfeld sowie ein persönliches Gespräch mit dem Betroffenen steht am Anfang des Prozesses. Bei Bedarf ist hier ein Dolmetscher hinzuzuziehen. Dabei wird die persönliche Situation sowie der Verfahrensstand erfragt. Die Menschenrechtsverletzungen bzw. die individuelle Härte ist erfragt und dokumentiert. Dies ist mit Unterlagen (Gutachten, Gerichtsurteile, etc.) belegt. Die Unterlagen des Betroffenen werden zusammengestellt: Dokumente, Bescheide der Behörden, gerichtliche Entscheidungen, etc. - Formular 1 Mindestanforderung für die Darstellung des Einzelfalls - Formular 2 Erfassungsbogen für Härtefälle/Kirchenasyl - Formular 3 Einverständniserklärung für das Katholische Büro Stuttgart Ergebnisse werden an die HA VI Caritas weitergeleitet. Kommt es zum Kirchenasyl, sind die Dokumente an das katholische Büro Stuttgart und die HA VI Caritas zu faxen. 2

3 3. Gründliche Beratung innerhalb der Kirchengemeinde mit Kirchengemeinderatsbeschluss und Information an Dekan. Die Information mittels Formular 4 Beschlussformular Kirchenasyl für Kirchengemeinderat festhalten Ergebnisse sind an das katholische Büro Stuttgart, den Dekan und die HA VI Caritas weiterzuleiten. 4. Ökumenisches Kirchenasyl Soll das Kirchenasyl ökumenisch durchgeführt werden, ist zu klären, ob die Information über das katholische Büro oder die jeweils Zuständigen der evangelischen Kirche erfolgen soll. 5. Information an die Ausländerbehörde vor Ort Gleichzeitig zu allen stattfindenden Prozessen muss die Ausländerbehörde vor Ort und die bisher für den Fall zuständige Außenstelle des BAMF von der Kirchengemeinde informiert werden. Dazu werden die bereits genutzten Formulare verwendet. Es ist insg. darauf zu achten, dass das Aktenzeichen des Falles angegeben wird. Dies dient der leichteren Zuordnung. 1.4 Zuständige behördliche Ansprechpartner BAMF Einreise über einen anderen europäischen Staat, Überstellung in den Ersteinreisestaat (Dublin-Verfahren). BAMF Abschiebung ins Herkunftsland, da Asylverfahren negativ beschieden wurde. Hier sollte geprüft werden, ob es für den Fall Chancen in der Härtefallkommission geben kann. Ausländerbehörde Ablauf eines Aufenthaltstitel, Entfallen der Duldung, deshalb Abschiebung ins Herkunftsland. Erteilung einer Duldung oder eines Aufenthaltstitels erfolgt über die Ausländerbehörde vor Ort. Auch muss geprüft werden, ob es für den Fall Chancen in der Härtefallkommission geben kann. 2 Was ist Kirchenasyl, wann kann es zustande kommen: Kirchenasyl kann grundsätzlich möglich werden, wenn die Abzuschiebenden durch die Abschiebung in eine Bedrohung geraten, welche lebensgefährlich sein kann. Dazu gehört auch, wenn Flüchtlinge bei ihrer Rückkehr Folter oder Tod zu erwarten haben, wenn ihnen ihre Existenzgrundlage genommen ist, wenn nicht ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung stehen, wenn die medizinische Versorgung fehlt oder wenn durch die Abschiebung die Menschenwürde bedroht ist. Das Kirchenasyl gewährt einen vorläufigen kurzzeitigen Schutz, eine Atempause, kann aber keine Dauerlösung sein. Das Ziel ist es Zeit zu gewinnen, um Lösungen zu finden oder eine erneute rechtliche Prüfung des Sachverhaltes zu erwirken. Bei der Gewährung eines Kirchenasyls können sich die Kirchengemeindemitglieder auf die Verfassung berufen. Das Kirchenasyl soll freilich nicht zu einer politischen Kraftprobe missbraucht werden. Wenn staatliche Organe in eine Kirche eindringen, um in der Kirche Schutz suchende Personen herauszuholen und zu verhaften, darf dies nach geltendem katholischen Kirchenrecht nur im Einverständnis mit den zuständigen kirchlichen Stellen geschehen. Dem Kirchenasyl im eigentlichen Kirchenraum kommt in der Regel so auch eine größere Akzeptanz von Seiten des Staates zu. 3 3 Vgl. Thesenpapier, Prof. Dr. Guth 3

4 2.1 Was zu beachten ist Menschen im Kirchenasyl sind Menschen ohne Papiere und sie haben keinen Aufenthaltsstatus, das bedeutet: - Es gibt keine öffentlichen Zuwendungen, die Versorgung muss von außen gewährleistet sein - Finanzielle Aspekte sind im Vorfeld zu klären - Es gibt keine Unterstützung für medizinische Kosten; ist ein Arzt angefragt, ob er eine evtl. notwendige Betreuung übernehmen wird? - Den Betroffenen und den Unterstützern ist die aufkommende belastende Situation bewusst - Es braucht das Einverständnis und eine aktive Teilnahme einer breiteren Basis. Die Gemeinde ist mit den Betroffenen bereits einen Weg gegangen und weiß um die Situation. - Die Betroffenen sind in alle Entscheidungen mit einzubinden, Entscheidungen sind nicht ohne deren Zustimmung zu treffen - Anwesenheiten sind zu planen, evtl. braucht es Nachtwachen - Einkäufe und Botengänge sind zu erledigen - Ist für tagesstrukturierende Maßnahmen gesorgt, da das Kirchengelände womöglich nicht verlassen werden kann? - Kinder sind am besten in Kindertageseinrichtungen und Schulen unterzubringen, sie leiden am meisten unter der Situation (s. UN-Kinderrechtskonvention) - Das Kirchenasyl muss von der Allgemeinheit vor Ort nachvollziehbar sein, wenn möglich sollte es eine ökumenische Zusammenarbeit geben. - Überlegungen zum Ausgang des Kirchenasyls sollten im Vorfeld angestellt werden, dazu gehören auch die Überlegungen über einen negativen Ausgang und die Dauer der Schutzgewährung Räumlichkeiten - Können geeignete Räumlichkeiten für den geplanten Zeitraum zur Verfügung gestellt werden (Schlafen, Kochen, Bad und WC, sowie Telefon und Sicherheitsfragen sind zu klären)? - Der Pfarrer ist als Gemeindeleiter der Hausherr und anzufragen 2.2 Kirchenasyl bei Dublin Fällen Situation: Die Rückstellung steht bevor nun soll bis zum Fristende Kirchenasyl gewährt werden; danach ist ein Asylantrag in Deutschland möglich; - Nach Klärung im Vorfeld Kirchengemeinderatsbeschluss an das katholische Büro und HA VI Caritas faxen (s. oben genannte Formulare und Vorgehensweise) - Die Ausländerbehörde vor Ort informieren - Zur Dokumentation und Vernetzungszwecken eine Information an Asyl in der Kirche (info@kirchenasyl.de) senden - Gründe nennen, warum Deutschland eher zuständig sein sollte als ein anderes EU-Land (siehe Berichte zu Italien, Ungarn oder Polen); oder Gründe wie Familienzusammenhalt etc. nennen. (s.o. unter 1.3 beschriebenes Verfahren) Die Anmeldung des Kirchenasyls eilt, da es sonst als Untertauchen gewertet wird. Wird das Kirchenasyl den Behörden rechtzeitig mitgeteilt, gilt es nicht als Untertauchen. 4

5 2.3 Kirchenasyl für Untergetauchte : Situation: Die Menschen sind aufgefordert worden sich zu melden, daraufhin sind sie untergetaucht. Als bereits Untergetauchte sind sie zur Kirchengemeinde gekommen: - Kirchengemeinderatsbeschluss sofort an das katholische Büro und HA VI Caritas faxen (s. oben genannte Formulare und Vorgehensweise) - Die Ausländerbehörde vor Ort sofort informieren - Zur Dokumentation und Vernetzungszwecken eine Information an Asyl in der Kirche (info@kirchenasyl.de) senden - Gründe für das Untertauchen benennen - Die Ausgangsbedingungen sind hier grundsätzlich anders als bei Dublin -Fällen und es muss genau geprüft werden, welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt (s.o. unter 1.3 beschriebenes Verfahren) 2.4 KGR Beschluss Bereits von Anfang an ist es wichtig einen offiziellen Beschluss zu fassen, sich auf diesen Weg einzulassen, welcher von allen KGR-Mitgliedern getragen werden kann und mit den KGR-Mitgliedern gründlich beraten wurde. Diese Information geht nicht nur an die HA VI Caritas, auch der zuständige Dekan ist zu informieren. (s. Formular 4 Beschlussformular Kirchenasyl für Kirchengemeinderat ) Es ist wichtig, immer alles gut zu dokumentieren und Akten über Anwälte anzufordern. Bei Unsicherheiten können zuständige kirchliche Beratungsstellen oder die Ökumenische BAG Asyl in der Kirche ( kontaktiert werden. Wichtig: Gibt es keine Möglichkeit einen Grund für einen Aufenthalt zu finden, sollte man Beratungsstellen für eine freiwillige Rückkehr kontaktieren und diese gut vorbereiten. 3 Öffentlichkeitsarbeit 4 - Ein Kirchenasyl ist öffentlich, denn die Behörden werden immer benachrichtigt. Es ist nicht geheim und niemand wird versteckt. - Zumeist sind es stille Kirchenasyle, die Presse ist hier nicht von Anfang an eingeschaltet. - Verhärten sich Fronten und es ist klar, dass mit der Presse mehr erreicht werden kann, dann sollte die Presse eingeschaltet werden. - Wenn es zu einer Öffentlichkeit kommt, dann mit einer Stimme sprechen. - Kommt die Information über ein Kirchenasyl an die Presse, sollte versucht werden auf die Presse Einfluss zu nehmen, um eine Berichterstattung gezielt mit Informationen zu unterfüttern oder auf einen bestimmten Termin zu verlegen, um Verhandlungen nicht zu gefährden. - Sonstige mögliche öffentlichkeitswirksame Aktionen: Unterschriften sammeln, Informationsstände machen, in einem Gottesdienst auf die Situation hinweisen, Briefe an Politiker schreiben, etc. - Ist ein Kirchenasyl positiv zu Ende gegangen, kann ein Fest für alle Beteiligten gemacht werden. Dazu kann man dann die Presse einladen. - Es ist zu bedenken, dass durch eine Veröffentlichung Bilder und Namen auch den heimischen Behörden oder Geheimdiensten bekannt werden. Angehörige in der Heimat können so in Gefahr geraten. 4 Vgl. Kriterien Zusammenstellung Diözese Rottenburg-Stuttgart und Checkliste Asyl in der Kirche 5

6 4 Beenden des Kirchenasyls 5 - Das Kirchenasyl kann auf folgende Weise beendet werden: - Die geschützten Personen verlassen das Kirchenasyl aus eigener Entscheidung, da es zu viel, zu anstrengend, etc. wird. - Der Asylantrag kann gestellt werden, da die Fristen ablaufen (werden Flüchtlinge z.b. in ein anderes Bundesland verbracht, kann man Kontakte zu dortigen Einrichtungen aufnehmen, um die Flüchtlinge zu unterstützen). Das Verfahren geht positiv aus. Das Verwaltungsgerichts- oder Oberverwaltungsgerichtsurteil muss abgewartet werden oder der Aufenthaltstitel nach einer Härtefallkommissions-Entscheidung wird gewährt. 5 Adressen und Ansprechpartner Bischöfliches Ordinariat, HA VI Caritas, Jahnstr. 30, Stuttgart Tel. 0711/ , Fax 0711/ HA-VI@bo.drs.de caritas.drs.de Migration und Flucht Katholisches Büro, Staffelbergstr. 14, Stuttgart Fax 0711/ leitung@kath-buero-sgt.de Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart Liste der Fachanwälte über caritas.drs.de Asyl in der Kirche Quellen: Vorgaben der deutschen Bischofskonferenz, 2015 Checkliste - Asyl in der Kirche Thesen Prof. Dr. Hans-Jürgen Guth, Universität Tübingen, 2015 Kriterien Zusammenstellung Diözese Rottenburg-Stuttgart, 2006 Kirchenasyl, Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln, Checkliste Asyl in der Kirche 6