Hervé Husson. Alles über Hühner

Transkript

1 Hervé Husson Alles über Hühner

2 16 Gut vorbereitet für die Hühner Rassehühner, ja oder nein? Welche Hühner suche ich mir aus? Die Eigenschaften eines Tieres werden zum Teil von Rasse und Abstammung bestimmt, trotz allem hat jedes einzelne seine eigene Persönlichkeit. Bestimmte Hühner können so zutraulich werden, dass sie auf ihren Namen hören und sogar auf den Schoß klettern. Andere dagegen lassen keinen näher als zehn Meter an sich heran. Tier mit Charakter Auf jedem Hühnerhof trifft man immer wieder Hennen mit folgenden Verhaltensweisen: Die Abenteurerin, die einem auf Schritt und Tritt folgt und auch ins Wohnhaus kommt, sobald Tür oder Fenster offen sind. Die Ausbrecherkönigin, die durch die kleinste Ritze zum Nachbarn entwischt. Die Wilde, die nicht ins Legenest will und ihre Eier partout in der Hecke verstecken muss. Die Dominante, die sich gegenüber den anderen Hennen aufspielt. Für einen Leckerbissen nimmt das Zwerghuhn sogar eine Kletterpartie in Kauf. Die Zerstreute oft Hühner mit Haube die für alles fünf Minuten länger braucht. Die Opportunistin, die sich bei der Aussicht, ein Insekt oder einen Wurm zu ergattern selbst Gartenhacke und Rasenmäher entgegenstellt. und wahrscheinlich noch weit mehr. Informieren Sie sich also beim Verkäufer über die typischen Verhaltensweisen einer bestimmten Rasse, aber auch der einzelnen Zuchtlinie und über die Aufzuchtbedingungen. Überlegungen vor dem Kauf Folgende Kriterien helfen bei der Auswahl Ihrer Hühner: Groß oder klein? Hühner werden in drei Gewichtsklassen unterteilt: schwer/mittel/ leicht. Die imposantesten wiegen bis zu 4 kg, die Hähne 5 kg, die kleinsten kaum 500 g. Letztere legen natürlich kleinere Eier, brauchen aber auch weniger Futter, richten weniger Schaden an und produzieren weniger Kot. Flieger oder Nichtflieger? Seit langem ist das Seidenhuhn der Urtyp eines flugunfähigen Huhns, weil seine Gefiederstruktur ihm jeglichen Flugversuch unmöglich macht. Beinahe flugunfähige Tiere findet man fast immer unter den schweren Rassen wie Brahma, Orpington, Cochin, Wyandotten: Wegen ihres Gewichts ist es diesen Hüh-

3 Rassehühner, ja oder nein? Welche Hühner suche ich mir aus? 17 Seidenhühner mit ihrem außergewöhnlichen Gefieder, den auffallend blauen Ohrscheiben und der schwarzen Haut entsprechen ganz und gar nicht dem Bild, das man von einem Huhn hat. Das gilt jedoch auch für viele andere Rassen. nern nicht möglich, einen Zaun von über 1,20 m Höhe zu überfliegen. Mittelgroße, leichtere Hühner überwinden 1,50 m bis 2 m. Die bewegungsfreudigsten schließlich können perfekt über etwa 20 m hinweg fliegen. Brüter oder Nichtbrüter? Hybridhühner brüten quasi überhaupt nicht. Bei den Rassehühnern findet man von beidem etwas. So sind beispielsweise Seidenhühner und Zwerg-Cochin bekannt dafür, passionierte Glucken zu sein. Und die Preise: Hybridhühner, wie sie auf Märkten angeboten werden, bekommt man schon durchschnittlich für zehn Euro. Für ein Huhn der gängigen Rassen kann der Preis manchmal mehr oder weniger, je nach Verfügbarkeit der Rasse, höher sein (siehe Seite 45). Rassehühner: eine Geschichte von immer neuen Entwicklungen Unter einem Rassehuhn versteht man ein Huhn, das den durch den Standard festgelegten Kriterien am nächsten kommt (siehe Rassegeflügelstandard, herausgegeben vom BDRG, Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter). Um den Fortbestand der Rasse zu sichern, selektieren die Züchter diejenigen Tiere aus, die den Kriterien nicht entsprechen. Das müssen Sie als Hobbyhalter natürlich nicht tun, aber solche nicht für die Weiterzucht geeigneten Tiere sind meistens sehr günstig zu bekommen. Es ist schwer, die Anzahl der Rassen weltweit zu beziffern, doch sind derzeit über 200 registriert. Einige davon werden seit Jahrhunderten in Europa gezüchtet, wie das La-Flècheund das Crève-Coeur-Huhn, zwei seit dem 15. Jahrhundert für ihr zartes Fleisch bekannte französische Rassen. Es gibt weit mehr Beispiele, denn seit dem Mittelalter züchtet jedes Land, ja sogar jede Region eigene Land-

4 18 Gut vorbereitet für die Hühner geflügerassen. Die Tiere wurden wegen der Eier und des Fleisches gezüchtet, zwei damals lebensnotwendige Produkte. Die Zuchtwahl erfolgte durch die Natur selbst, indem sich die Tiere an ihre Umgebung und das örtliche Klima anpassten und dadurch sehr widerstandsfähig wurden. Erst nach 1840, mit der Öffnung der Häfen im Orient für den Welthandel, begann die Geschichte der modernen Geflügelhaltung. Asiatische Hühner von äußerst stattlicher Statur (Langschan, Brahma, Cochin ), die bis dato im Abendland unbekannt waren, kamen per Schiff nach Europa und in die USA. Zwischen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden viele Rassen, einheimische und fremde, untereinander gekreuzt und neue entstanden daraus: Lachshuhn, Orpington, Rhodeländer, Wyandotten, Sussex Gleichzeitig kamen aus jedem neu entdeckten Land der Welt neue Rassen an, so etwa das Araucana-Huhn aus Chile. Die industrielle Hühnerhaltung Mitte des 20. Jahrhunderts bedeutete das Ende für viele lokale, europäische Rassen, weil sie durch leistungsfähigere aus dem Ausland ersetzt wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwanden viele regionale Rassen bis auf wenige Exemplare oder wurden völlig ausgelöscht. Inzwischen wurden manche wieder rückgezüchtet oder aus den übrig gebliebenen Tieren wieder aufgebaut. Der Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter (BDRG) und die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) sowie die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) führen eine Gemeinsame Rote Liste alter, heimischer und gefährdeter Geflügelrassen. Warum Rassehühner kaufen? Die Selektion der Rassen gehört nicht unbedingt zu den Hauptanliegen eines Hobbyzüchters. Dennoch hat es Vorteile, wenn Sie Ihre Hühner bei einem professionellen Züchter kaufen: Sie leisten einen kleinen Beitrag dazu, alte Rassen zu bewahren und zu fördern. Die angebotenen Tiere haben meist alles zu bieten: gute Legeleistung, natürliche Brut, zartes Fleisch. Mit zwei bis drei verschiedenen Rassen haben Sie quasi das ganze Jahr hindurch Eier und bringen außerdem Formen-, Farbund Charaktervielfalt in Ihre Hühnergruppe. Wie viele Eier legt ein Huhn? Die Legeleistung von Rassehühnern kommt nicht an die industriellen Zahlen heran. Für mich ist ein Tier, das 120 Eier pro Jahr während der Legeperiode vom Frühjahr bis Herbst legt, also etwa ein Ei alle zwei bis drei Tage, eine gute Legehenne. Und nicht zu vergessen: Ein Huhn, das weniger Eier legt, produziert dafür länger Eier, mindestens über vier bis fünf Jahre. Extravagante Rassen Hierbei handelt es sich um Rassehühner, die rein nach ästhetischen Kriterien gezüchtet werden, wobei meist Legeleistung und Fleischqualität auf der Strecke bleiben. Ein typisches Beispiel dafür sind die Sebright-Hühner, deren Standard seit 1874 anerkannt ist. Sie sind mit die kleinsten Zwerghühner überhaupt und die Tatsache, dass von ihnen kaum Eier oder gar Fleisch zu erwarten sind, spielt für den passionierten Züchter dieser Hühner nur eine untergeordnete Rolle. Das heißt aber nicht, dass solches Ziergeflügel generell zu nichts zu gebrauchen ist. Viele Zierhühner bieten eine ordentliche Legeleistung, brüten und ziehen ihre Küken groß. Informieren Sie sich einfach über ihre jeweiligen Vor- und Nachteile. Als Zierhühner gelten: typische Rassehühner mit extravaganten Merkmalen wie unter anderem Paduaner, Holländer Haubenhühner oder Sultanhühner. Wegen ihrer Federhauben und der teilweise vorhandenen Federbärte sollte man sie bei längeren Regenphasen nicht unbedingt ins Freie lassen. Hier ist ein überdachter Auslauf die bessere Variante, er bedeutet für diese Hühner keine Beeinträchtigung der Lebensqualität. Schließlich gehören sie alle zu den äußerst ruhigen Rassehühnern. Wer aber denkt, dass sie wegen ihrer Federstrukurmerkmale keine

5 Rassehühner, ja oder nein? Welche Hühner suche ich mir aus? 19 meisten dieser Rassen mit einem sehr zutraulichen Wesen ausgestattet sind. Das macht sie für die Hobbyhaltung besonders interessant. Dann verzichtet man auch gerne auf ein paar Eier, denn sie sind seit jeher Zierhühner, keine unbedingten Nutzhühner. Wirtschaftsrassen Das Chabo-Huhn ist sehr klein und besitzt kurze Beine, mit denen es sich im hohen Gras nicht so gut bewegen kann. richtigen Hühner seien, wird schnell eines Besseren belehrt. Sie lieben nämlich alles, was auch anderen Hühnern gefällt. Und für ein Staubbad, wo man sich bis zum Hals eingräbt, sind diese Rassen immer zu haben! Zwergrassen, wenn sie von Natur aus so sind (Chabo, Zwerg-Cochin ), also nicht von einer großen Rasse abstammen oder die Zwergform einer bestehenden Rasse darstellen (Orpington, Brahma, Sussex, Wyandotten, La-Flèche-Huhn und andere). Warum kauft man sich extravagante Rassen? Hühnerrassen von sehr außergewöhnlichem Aussehen gehören zu den ältesten gezüchteten Hühnern überhaupt, sie zierten schon die Gemälde der alten Meister. Bis heute sind sie absolute Hingucker. Dazu kommt, dass die Ab dem Ersten Weltkrieg exportierten die USA neue, auf Legeleistung spezialisierte Rassen nach Europa (Wyandotten, Rhodeländer ). Zu dieser Zeit wurden auf Wettbewerben Hühner vorgestellt, die pro Jahr 280 bis 300 Eier legten, wohingegen unsere einheimischen Rassen gerade mal 160 schafften. Durch groß angelegte Werbekampagnen, bei denen nie geahnte Profite versprochen wurden, ließen sich zahlreiche Züchter von diesen Hühnern überzeugen, obwohl die Fleischqualität nicht die beste war. Diese amerikanischen Hühner, die heute als Rasse angesehen werden, waren in der Tat die ersten Wirtschaftsrassen: durch künstliche Selektion entstandene Tiere, mit maximaler Legeleistung bei minimalem Selbstkostenpreis. Da die Entwicklung der europäischen Geflügelzucht durch die beiden Weltkriege stark ausgebremst wurde, waren die amerikanischen Forscher auf den Gebieten der Selektion und Geflügelaufzucht 20 Jahre voraus und überschwemmten ab 1948 die Märkte mit konkurrenzlosen Legehennen und schnell wachsenden Fleischhühnern. In den 1960er Jahren wurde dieser zeitliche Verzug ausgeglichen, indem auch andere Län- Nutzungsart Legeleistung Fleischleistung Bruteigenschaften Fleischrassen eher gering meistens sehr gut unterschiedlich Legerassen hoch eher gering kaum vorhanden Zweinutzungsrassen (Zwiehühner) mittel mittel je nach Rasse Extravagante Rassen eher gering eher gering je nach Rasse Hybriden je nach Linie sehr hoch je nach Linie sehr hoch kaum vorhanden

6 20 Gut vorbereitet für die Hühner Abgesehen von ihrer Funktion als Nutztiere sind Hühner wunderschöne Ziervögel, mit denen man sich gern in der Freizeit beschäftigt. der Wirtschaftsrassen einführten. Die Tiere trugen damals einfache Nummern (466, 477, 579 ), doch schon bald führte man Namen ein, um ihre lokale Herkunft zu benennen (zum Beispiel Warren ). Aus dieser industriellen Entwicklung stammen die Hühner, die heute auf den Märkten verkauft werden das Ergebnis einer hundertjährigen Zuchtarbeit. Warum Hybridhühner? Von Produktionsbetrieben werden diese Hühner hoch geschätzt. Sie sind ökonomisch am rentabelsten. Eine industrielle Legehenne garantiert tatsächlich in den beiden ersten Jahren eine Legeleistung von quasi täglich einem Ei, und die Masthähnchen wachsen extrem schnell heran. Die natürliche Fortpflanzung gestaltet sich zwar schwierig, doch der Nachschub an neuen Tieren ist kein Problem. Die Hybriden sind ideale Anfängertiere, weil sie dem Neuling ermöglichen, das Verhalten eines Hühnervolks zu verstehen, und dies zu einem niedrigen Preis und mit schnellen Resultaten. Entscheiden Sie sich hingegen für einheimische oder exotische Rassehühner, bietet sich, um die schwächere Legeleistung auszugleichen, die Haltung von zusätzlich zwei oder drei Industriehybriden an. Das Aus fürs Poussin cocotte Vor dem Zweiten Weltkrieg stand auf vielen Speisekarten von Pariser Restaurants das Poussin cocotte, ein an einem Stück in einem Schmortopf aus Kupfer serviertes junges Hähnchen. Als die ersten Industriehähnchen Einzug in die Pariser Hallen hielten, erkannten die Restaurantbesitzer sofort ihren Vorteil. Sie kauften die Hühner für zwei Francs das Stück und verkauften sie für zwölf bis 15 Francs was für ein Glücksgriff! Die Kunden aber ließen sich nicht zum Narren halten, denn die Fleischqualität war schlechter und so verschwand das Poussin cocotte von der Karte.