Lichtes Dur und melancholisches Moll (4) Die Sängerin Kathleen Ferrier und der Dirigent Bruno Walter

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1 SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde Lichtes Dur und melancholisches Moll (4) Die Sängerin Kathleen Ferrier und der Dirigent Bruno Walter Von Wolfgang Sandberger Sendung: Donnerstag 16. Juli Uhr (Erstsendedatum: ) Redaktion: Ulla Zierau Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de 1

2 Musikstunde mit Wolfgang Sandberger Lichtes Dur und melancholisches Moll : Die Sängerin Kathleen Ferrier und der Dirigent Bruno Walter Donnerstag, 16. Juli 2015 Willkommen zur Musikstunde, (die auch heute Bruno Walter gewidmet ist: zum 50. Todestag des Dirigenten). 85 Jahre alt ist der legendäre Mozart- und Mahler-Exeget geworden und er hat in diesem langen Künstlerleben vor so manchem Orchester gestanden. In seinem Testament aber hat der jüdische Emigrant den Wiener Philharmonikern Dollar vermacht ein Zeichen für seine enge Verbundenheit mit jenem Klangköper, mit dem er vor seiner Emigration 1938 so intensiv zusammengearbeitet hat: Nur wenige Wochen vor Hitlers sogenanntem Anschluss, der Walter in die Emigration getrieben hat, ist in Wien noch eine Aufnahme mit der Prager Sinfonie von Mozart entstanden: Musik 1 CD Track Wolfgang Amadeus Mozart Finale aus der Sinfonie D-dur KV 504 Prager Wiener Philharmoniker Ltg. Bruno Walter Wiener Philharmoniker Edition o.l aufgenommen mit den Wiener Philharmonikern. Seiner Seele nach sei er ein Wiener gewesen so schreibt Bruno Walter 1944 in seinen Erinnerungen im amerikanischen Exil. Doch 2

3 geboren wurde er mitten im Herzen von Berlin ganz in der Nähe vom Alexanderplatz. Der Vater ist Buchhalter in einer Seidenfirma. Von dürftiger Abkunft, wie sein Sohn schreibt, sei der Herr Papa erfüllt gewesen vom Drang zum geistig Höheren ein gerade für jüdische Familien in dieser Zeit charakteristischer Zug, wie Stefan Zweig betont hat: Selbst der vermögendste Jude wird seine Tochter lieber einem bettelarmen Geistmenschen zur Gattin geben als einem Kaufmann. Das musikalische Talent scheint Bruno von der Mutter geerbt zu haben, sie spielt Klavier und die Begabung des Knaben wird früh entdeckt. Ja wie eine Art zweiter Mozart wird er als Wunderknabe auf Klavierabenden in Berlin herumgereicht. Die besonderen Fertigkeiten auf den schwarz-weißen Tasten sind die Basis für Walters späteren Erfolg: Als der Kapellmeister Gustav Mahler in Hamburg zum ersten Mal auf den jungen Bruno Walter trifft, wird er ihn süffisant fragen: Also sie sind der neue Korrepetitor, können sie gut Klavier spielen? Ausgezeichnet, antwortet der junge Walter naiv und Mahler lacht. Wie hervorragend Walter tatsächlich Klavier gespielt hat, davon zeugt heute noch eine Aufnahme aus dem Jahr 1939 von Mozarts Klavierkonzert d-moll KV 466 mit Bruno Walter als Solisten: Musik 2 CD 2 Track Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert d-moll KV Satz: Presto: Allegro assai. Prestissimo NBC Symphony Orchestra Bruno Walter, Klavier und Leitung mit dem Pianisten Bruno Walter. 3

4 Als das pianistische Wunderkind Walter in jungen Jahren den Dirigenten Hans von Bülow am Pult der Berliner Philharmoniker erlebt, da ist für ihn klar: nein, nicht eine Karriere als Pianist, sondern als Dirigent ist sein Traum: nichts anderes kommt in Betracht. Auf dem Weg zur Realisierung dieses Traums ist Köln die erste Station. 17 ist Bruno Walter gerade mal, als er als Korrepetitor an die Oper am Rhein engagiert wird damals, 1894 da hat der junge Mann übrigens in der Zeitung den Verriss der ersten Sinfonie eines gewissen Herrn Gustav Mahler gelesen doch allein die Beschreibung dieser Sinfonie hat bei dem jungen Dirigenten Interesse geweckt; der junge Korrepetitor will den Komponisten dieser Sinfonie unbedingt persönlich kennen lernen, Gustav Mahler, der damals junger Opernchef in Hamburg ist. Wenige Monate später ist auch Walter tatsächlich nach Hamburg engagiert worden, wo er recht bald das Vertrauen von Mahler gewinnt und ihn nach eben dieser Sinfonie befragen kann. In den Erinnerungen von Walter heißt es dazu: Sofort ging ein Glanz von Freude über Mahlers Gesicht. Er erzählte, daß er die erste Symphonie schon in Budapest aufgeführt habe, worauf er ebenso wie in Weimar verlacht und verhöhnt worden sei. Danach setzte Mahler sich an den Flügel und spielte mir das ganze Werk vor. Ich war vom ersten Augenblick an gefangen. Ich wußte: Hier ist eine Musik, für die du dich einzusetzen hast. Dies ist meine Lebensaufgabe. Sie ist es tatsächlich geblieben noch mit 84 Jahren, also nur ein Jahr vor seinem Tod hat Bruno Walter Mahlers erste Sinfonie noch einmal aufgenommen: 4

5 Musik 3 CD 1 Track Gustav Mahler Kräftig bewegt, doch nicht zu schnell, 2. Satz aus der Sinfonie Nr. 1 Titan Columbia Symphonie Orchestra Ltg. Bruno Walter (Februar 1961) Sony SM2K Der 84-jährige Bruno Walter dirigiert Gustav Mahler: das war Wer diese späte Aufnahme mit einem Live-Mitschnitt von 1939 vergleicht, der kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: In der eben gehörten Columbia-Produktion von 1961 ist Walters Gangart viel, viel gemächlicher und entfacht streng genommen nicht mehr den suggestiven Sog des frühen Mahler-Mitschnitts. Die Temposteigerungen sind bestenfalls angedeutet und der Walzer- Mittelteil ist nicht ganztaktig gedacht, nein, jedes der drei Viertel wird da geradezu schulmeisterlich ausgespielt. Der Rundfunk- Redakteur und Autor Michael Schwalb hat sich mit Bruno Walter intensiv beschäftigt und solche Unterschiede zwischen dem frühen und dem späten Bruno Walter in mehreren lesenwerten Essays herausgestellt. Ein paar bemerkenswerte Kontinuitäten gibt es dennoch zwischen den, salopp formuliert: rasanten Vorkriegs- und den immer gemächlicheren, geglätteten Nachkriegsaufnahmen. Beispiel: das berühmte Adagietto aus Mahlers Fünfter. Sowohl in der Wiener Aufnahme von 1938 als auch in der fast auf die Sekunde gleich langen Aufnahme mit den New Yorkern 1947 ist Bruno Walter ein strenger Sachverwalter Mahlers: in beiden Fällen ist seine Einspielung des Adagiettos mit weniger als 8 5

6 Minuten Spieldauer die kürzeste überhaupt; Barbirolli und Solti etwa, gemeinhin ja auch nicht für langatmige Tempi bekannt, benötigen immerhin 2 Minuten länger, ganz zu schweigen etwa von Bernsteins satten 11 oder gar Haitinks ausufernden 14 Minuten! Bruno Walter kann für sich dabei den Anspruch einer authentischen, von Mahler sanktionierten Darstellung erheben. Davon abgesehen wirkt Walters Tempo nie gehetzt, ja dieses Adagietto glüht vielmehr von innen heraus wunderbar dahinströmend hier die Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern vom Januar 1938: Musik 4 CD Track Gustav Mahler Adagietto aus der Sinfonie Nr. 5 cis-moll Wiener Philharmioniker Ltg. Bruno Walter 150 Jahre Wiener Philharmoniker Edition Akribisch ist Walters Arbeit gewesen. Glaubwürdige Biographen erzählen, dass es bei zarten Pianissimo-Einsätzen vorgekommen sei, dass der Dirigent abgeklopft habe, noch ehe ein Musiker eingesetzt habe: Schon zu laut, meine Freunde. Wie oft Walter den Beginn des eben gehörten Adagietto hat ansetzen lassen, das wissen wir allerdings nicht. Berühmt geworden ist diese Mahler-Musik ja übrigens viel später erst als Filmmusik zu Viscontis Tod in Venedig, diesem morbiden Abgesang, dem die gleichnamige Novelle von Thomas Mann 6

7 zugrunde liegt (auch sie feiert in diesem Jahr übrigens einen runden Geburtstag: vor 100 Jahren ist sie veröffentlicht worden. ) Mit Thomas Mann ist Bruno Walter eng befreundet gewesen, gestern schon heben wir diesen roten Faden in der SWR 2 Musikstunde verfolgt. Überhaupt hat Walter die Freundschaft gepflegt: Reinhardt, Schnitzler, Hofmannsthal, Werfel: sie alle gehörten zu seinem Kreis, viele davon Emigranten wie er. Nach Hitlers Machtübernahme 1933 hat Walter Deutschland verlassen; er zieht nach Wien, wo er ja schon in der Ära Mahler an der Hofoper gewirkt hatte. Nun erwartet ihn ab 1936 die künstlerische Leitung der Wiener Staatsoper und damit eine enge Verbindung zu den Philharmonikern - wenn auch deren Hauptdirigent in jenen Jahren der Weltstar Arturo Toscanini gewesen ist. Den sogenannten Anschluss Österreichs im März 1938 erlebt Walter auf einer Gastspielreise in Amsterdam. Die Rückkehr nach Wien ist ihm nun verwehrt, seine Bibliothek, Teile seiner Partituren und Orchestermaterialien, all sein Besitz fällt in die Hände der Nazis. Wer auf die Diskographie jener Jahre schaut, der findet Spuren dieser Emigration in Etappen: Im Mai 1939 finden wir Walter in Paris, ja er wird kurzzeitig sogar französischer Staatsbürger. In diesen Pariser Frühlingswochen vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs nimmt Walter mit dem Orchester des Pariser Konservatoriums die Symphonie fantastique von Hector Berlioz auf aus dieser Aufnahme hier der zweite Satz, die Ballszene: 7

8 Musik 5 CD 2 Track Hector Berlioz Un bal, zweiter Satz aus der Symphonie fantastique op. 14 Paris Conservatoire Orchestra Ltg. Bruno Walter (Mai 1939) History Die Ballszene, der zweite Satz aus der Symphonie fantastique op. 14 von Hector Berlioz mit dem Orchester des Pariser Konservatoriums unter Bruno Walter, eine Aufnahme vom Mai 1939 in Paris, wo Bruno Walter vor den Nazis auf der Flucht gewesen ist in diesen Sommer 1939 fällt noch eine weitere Katastrophe, eine private Katastrophe für den Familienvater Walter: seine zweite Tochter Gretel hat eine Affäre ausgerechnet mit dem damals schon legendären Don-Giovanni, dem Bariton Ezio Pinza: Ihr Ehemann ist deshalb so eifersüchtig, dass er Gretel erschießt und sich dann auch selbst tötet. Das Leben: grausamer als die Opernbühne. Wenige Wochen später besteigt Bruno Walter in Genua ein Schiff nach New York. Nichts bindet den Dirigenten mehr an das alte Europa hat Bruno Walter in der Met in New York den Don Giovanni dirigiert, eben mit dem besagten Ezio Pinza in der Titelrolle was müssen das für Emotionen gewesen sein Musik 6 CD 2 Track Wolfgang Amadeus Mozart Don Giovanni, daraus: Deh vieni alla finestra Ezio Pinza, Don Giovanni Orchestra of the Metropolitan Opera Ltg. Bruno Walter (7. März 1942) Naxos

9 Bruno Walter Wer den Namen Bruno Walter hört, der denkt natürlich auch an den großen Mozart-Dirigenten. Mozart und Walter, Walter und Mozart: Wolfgang Stresemann, Assistent von Walter in Amerika und später Intendant des Berliner philharmonischen Orchesters hat zum 100. Geburtstag der Berliner Philharmoniker diese Verbindung unterstrichen: Mozart und Walter verwandte Seelen hat er sie genannt: wie Walter Mozarts gesangvolle Leichtigkeit, Anmut und schwebende Süße gestaltet, zu gleicher Zeit aber auch die gesamte Skala menschlichen Ausdrucks, religiöser Tiefe, Dämonie, Liebe und Hass wiedergibt, der Musik niemals Energie und Vitalität vorenthält und sie doch stets in die höhere Sphäre der Schönheit erhebt, all das hat vielen seiner Mozart-Aufführungen das Signum der Weisheit letzter Schluss eingetragen so Stresemann über Walters Mozart-Interpretationen. Vor der Geschichte ist das mit der Weisheit letzter Schluss natürlich so eine Sache: Auch heute haben wir große Mozart-Interpreten, die einen neuen, durchsichtigeren, historischeren, und ebenfalls nicht seichten Mozart dirigieren: Nikolaus Harnoncourt, John Eliot Gardiner oder Christopher Hogwood. Und doch: Walters Mozart-Interpretationen sind Meilensteine der Interpretationsgeschichte. Was wir diesen Aufnahmen immer abspüren: die emotionale Komplexität, die in Walters Persönlichkeit begründet liegt: Sie glauben gar nicht so Walter zu einem Freund Sie glauben gar nicht, wie mich diese in ihrem Umfang eher kleinen Mozart- Symphonien beglücken: jede ein glitzernder Diamant 9

10 Musik 7 CD 2 Track Wolfgang Amadeus Mozart Andante, 2. Satz aus der Sinfonie Nr. 38 D-dur KV 504 Prager Columbia Symphony Orchestra Ltg. Bruno Walter Sony SM2K