Bildung und Bildungssystem. Prof. Dr. Hartmut Ditton Lehrstuhl Allgemeine Pädagogik, Erziehungsund Sozialisationsforschung
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- Ulrike Krämer
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1 Bildung und Bildungssystem Prof. Dr. Hartmut Ditton Lehrstuhl Allgemeine Pädagogik, Erziehungsund Sozialisationsforschung # 1
2 Bildung Der wahre Zweck des Menschen ist... "die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen Wilhelm von Humboldt Wilhelm von Humboldt (Lithographie von Franz Krüger) ( ) # 2
3 Bildung (I) Traditionelle Bildungstheorien formale Bildungstheorien (Formung der menschlichen Kräfte) materiale Bildungstheorien (Erwerb von Inhalten, Wissen) Wolfgang Klafki: Kategoriale Bildung materiale und formale Bildung stehen in einem wechselseitigen Zusammenhang: Mensch eignet sich Wissen an, erschließt sich die Welt, wird dabei zugleich für die Welt erschlossen (formt seine Kräfte) Wechselseitige Erschlossenheit von Mensch und Welt # 3
4 Bildung (II) Begründungszusammenhang für Allgemeinbildung Zusammenhang zwischen personalen Grundrechten (Charta der UN; Grundgesetz) Leitvorstellung einer fundamental-demokratisch gestalteten Gesellschaft. Bildung als selbsttätig erarbeiteter und personal verantworteter Zusammenhang dreier Grundfähigkeiten Fähigkeit zur Selbstbestimmung, Mitbestimmungsfähigkeit Solidaritätsfähigkeit. # 4
5 Bildung (III) Allgemeinbildung ist in dreifachem Sinn zu bestimmen: a) Bildung für alle als demokratisches Bürgerrecht und Bedingung der Selbstbestimmung jedes einzelnen Menschen b) Bildung im Medium des Allgemeinen Aneignung der die Menschen gemeinsam angehenden Frage- und Problemstellungen der Gegenwart und Zukunft c) Bildung in allen Grunddimensionen menschlicher Fähigkeiten kognitiv, handwerklich-technisch, sozial, ästhetisch, ethisch/politische Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit # 5
6 Bildung (IV) Bildung im Medium des Allgemeinen Inhaltlich / materiale Komponente Orientierung an Schlüsselproblemen unserer Gegenwart und der vermutlichen Zukunft Dazu gehören: Friedensfrage Umweltfrage gesellschaftlich produzierte Ungleichheit neue Technologien Erfahrung der Liebe, Mitmenschlichkeit, Geschlechter- bzw. Partnerbeziehungen # 6
7 Bildung (V) Der Katalog der Schlüsselprobleme ist nicht beliebig erweiterbar, sondern bezogen auf epochaltypische Strukturprobleme von gesamtgesellschaftlicher bzw. übernationaler Bedeutung, die jeden einzelnen zentral betreffen Jeder einzelne soll: die Unverzichtbarkeit eigener Urteilsbildung, reflektierter Entscheidung und eigenen Handelns erfahren, sich mitverantwortlich fühlen. # 7
8 Bildung (VI) Bildung zielt auf vier grundlegende Einstellungen und Fähigkeiten (formale Komponente) Kritikbereitschaft und -fähigkeit (auch Selbstkritik) Argumentationsbereitschaft und -fähigkeit (Bemühung und Kompetenz) Empathie Vernetztes Denken / Denken in Zusammenhängen # 8
9 Bildung (VII) Bildung in allen Grunddimensionen menschlicher Fähigkeiten (Ganzheitlichkeit von Bildung, formaler Aspekt) Berücksichtigung der Mehrdimensionalität menschlicher Aktivität und Rezeptivität Grundsatz der Aspektverknüpfung als Verbindung von kognitiver Förderung sozialem, kooperativem Lernen, ästhetischer Gestaltung # 9
10 Bildung (VIII) Implikationen Allgemeinbildung schließt immer handfeste Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten ein (z.b. Lesen, Rechnen, Schreiben) aber auch Tugenden/Werte wie Selbstdisziplin, Konzentrationsfähigkeit etc. (allerdings nicht als Selbstzweck ) # 10
11 Folgerungen für die Gestaltung von Unterricht Vier ineinandergreifende didaktische Prinzipien exemplarisches Lehren und Lernen methodenorientiertes Lernen handlungsorientierter Unterricht ( praktisches Lernen : Verknüpfen des praktischen Tuns mit der reflexiven Verarbeitung) Verbindung von sachbezogenem und sozialem Lernen (kooperierendes Lernen, konstruktive Konfliktbewältigung, Teilnahme und Teilhabe an Gruppenprozessen) # 11
12 Entwicklung des Bildungssystems in Deutschland nach 1945 # 12
13 Entwicklung des Schulwesens in der Bundesrepublik nach 1945 Wiederaufbau und Restauration ab 1945 Bemühungen um umfassende Bildungsreformen (frühe 60er) Stagnation (ab ca. Mitte der 70er) Qualitätsdiskussion (ab Mitte der 80er / Anfang der 90er) TIMSS-Schock / PISA-Schock empirische Wende # 13
14 Wiederaufbau und Restauration nach 1945 Forderungen in der Kontrollratsdirektive Nr. 54 demokratisches Schulsystem für eine demokratische Gesellschaft integriert, stufenartig aufgebaut (Vorbild USA: comprehensive school ) Dennoch Restauration des dreigliedrigen Schulsystems Interesse am schnellen Aufbau eines funktionsfähigen Schulsystems Distanzierung der westdeutschen Zonen von der 8jährigen Grundschule / Einheitsschule in der SBZ Politische Entwicklung: 1949: Verabschiedung des GG für die Bundesrepublik Kulturhoheit der Länder Gründung der ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) 50er Jahre: weitgehend als Phase der Restauration # 14
15 Bemühungen um umfassende Bildungsreformen Die 60er Jahre: Wirtschaftswachstum und Reformdiskussion 1953: Deutscher Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen Diagnose des Ausschusses: das Schulwesen ist hinter den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen zurückgeblieben. Empfehlungen: Einführung der Hauptschulschule und Einführung eines 9. (später 10.) Schuljahres; eine obligatorische Fremdsprache; Arbeitslehre als Fach Einführung einer 2-jährigen Förderstufe nach der Grundschule Differenzierung der höheren Schule (humanistischer Typ; 7-jähriges Gymnasium mit naturwissenschaftlichem, sprachlichem und musischem Zweig) Zeitanalysen: Picht (1964): Die deutsche Bildungskatastrophe Dahrendorf (1965): Bildung ist Bürgerrecht Peisert (1967): Bildungsbeteiligung in der BRD benachteiligte Gruppen Stichwort: Das katholische Arbeitermädchen vom Land # 15
16 Bemühungen um umfassende Bildungsreformen II 1965: Einrichtung des Deutschen Bildungsrates Bildungskommission legt ein wissenschaftliches Programm der Gutachten und Studien / Empfehlungen vor 1970: Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung einer gemeinsamen Kommission für Bildungsplanung (BLK) zentrale Aufgaben: gemeinsamer langfristiger Rahmenplan für eine abgestimmte Entwicklung des gesamten Bildungswesens gemeinsames Bildungsbudget erarbeiten Vorhaben der Bildungsforschung und Bildungsplanung anregen, koordinieren BLK kann nur Empfehlungen aussprechen, gilt nur für zustimmende Länder 1970: Bildungsrat legt Strukturplan für das Bildungswesen vor zentrale Empfehlung: vertikale Gliederung soll zugunsten einer horizontalen Gliederung aufgegeben werden # 16
17 Bemühungen um umfassende Bildungsreformen III 1973: BLK verabschiedet den Bildungsgesamtplan Orientierung am Strukturplan Sondervoten einiger Bundesländer / Diskrepanz zwischen A- und B-Ländern : Bildungsrat fordert eine weitere Demokratisierung der Schule und weitergehende Unabhängigkeit Bayern und Baden-Württemberg verlängern das Mandat des Bildungsrates nicht Veränderungen, die (dennoch) erreicht wurden: 2-jährige Orientierungsstufe (nur in einigen Bundesländern) Einführung Integrierter Gesamtschulen (Schulversuche, länderspezifisch!) Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe (Kurssystem) Einrichtung der Fachoberschule Annäherung der Lehrpläne/Stundentafeln der verschiedenen Schularten der Sekundarstufe I # 17
18 Strukturplan für das Bildungswesen (1970) I Grundlage: Begabungs-Begriff nach H. Roth Begabung ist keine statische Größe das Bildungswesen soll Begabungen fördern; die Aufgabe des Bildungssystems ist die Förderung aller in gleichem Maße, nicht die Auslese I) Grundsätze: Ausgang: Befähigung des Menschen, seine Grundrechte wahrzunehmen Grundlinien: Einheit des Bildungswesens; Gliederung nach Schulstufen Allgemeine Ziele: Chancengleichheit; Mitwirkung aller Beteiligten (Schüler, Eltern, Lehrer); Wandlungsfähigkeit des Bildungssystems Zentral ist das Lernen lernen Bildungsgänge müssen durchlässig sein # 18
19 Strukturplan für das Bildungswesen (1970) II II) Elemente: frühes Lernen ständige Weiterbildung Curriculum Differenzierung Lernziele und Lernzielkontrollen Beratung im Bildungswesen III) Aufriss: Elementarbereich: pädagogisch sinnvolles Angebot; spielerischer Charakter soll erhalten bleiben (Kindergarten-Curricula) Primarbereich: Einschulung im 5.Lebensjahr; 2 Jahre Eingangsstufe und 2 Jahre Grundstufe Sekundarbereich I: Vermittlung einer für alle verbindlichen Grundbildung Abitur I; Angebot spezieller Bildungsmöglichkeiten, die die individuellen Voraussetzungen berücksichtigen (Integration und Differenzierung) Sekundarbereich II: Durchlässigkeit, Verzahnung berufsbezogener und allgemeiner Bildungsgänge; Abitur II Weiterbildung: Angebote in Form von Kurseinheiten nach dem Prinzip des Baukastensystems # 19
20 BLK: Der Bildungsgesamtplan von 1973 Bekenntnis zur Notwendigkeit einer einheitlichen Entwicklung des Bildungswesens Grundzüge des bestehenden Bildungswesens: Einteilung in getrennte Schulformen (Hauptschule, Realschule und Gymnasium) Grundzüge des zukünftigen Bildungswesens: Unter Berücksichtigung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung soll der Anspruch des einzelnen auf Förderung und Entwicklung seiner Begabungen und Fähigkeiten erfüllt werden (Individualisierung und Differenzierung). Grundbildung muss wissenschaftsnah sein; lebenslanges Lernen Der Bildungsgesamtplan spricht ausschließlich von Schulstufen: Elementarbereich: Bildungsangebot, das Entwicklungsfähigkeit erhöht und umweltbedingte Benachteiligungen frühzeitig auszugleichen versucht Primarbereich: Hinführung zu schulischem Arbeiten Sekundarbereich I: Durchlässigkeit; Individualisierung + Differenzierung Sekundarbereich II: breites Kursangebot; Verzahnung von Bildungsgängen im allgemeinen und beruflichen Bildungswesen Tertiärbereich: Durchlässigkeit; aufeinanderbezogene Studiengänge Weiterbildung: zur Bewältigung der schnell wechselnden Anforderungen # 20
21 Evaluation von Schulversuchen mit Gesamtschulen Breites Forschungsprogramm zur Evaluation von Schulversuchen: Aurin (Baden-Württemberg) Fend (Nordhein-Westfalen, Niedersachsen) Schorb (Bayern) Krecker u.a. (Rheinland-Pfalz) Ergebnisse waren uneinheitlich (keine eindeutige Überlegenheit oder Unterlegenheit eines der Systeme) wesentlich bedeutsamere Unterschiede zwischen Einzelschulen seither veränderter Diskussionskontext: Marktorientierung größere Autonomie für Schulen Modernes, effizienteres Management Maßnahmen der Qualitätskontrolle- und -sicherung stärkerer Einbezug aller Beteiligten (Schüler, Eltern, Lehrer, reg. Umfeld) # 21
22 Struktur des deutschen Bildungssystems Struktur des deutschen Bildungssystems # 22
23 Bildungsbeteiligung Bildung in Deutschland, 2014, S. 55 # 23
24 Sprachförderbedarf Bildung in Deutschland, 2014, S. 62 # 24
25 Verteilung in Deutschland - Sekundarbereich Bildung in Deutschland, 2014, S. 71 # 25
26 Ganztagsschulen und Schülerbeteiligung Bildung in Deutschland, 2014, S. 79 # 26
27 Absolventen und Abgänger Bildung in Deutschland, 2014, S. 91 # 27
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