Wir wollen zunächst unsere bisherigen Betrachtungen zum Lebesguemaß in einen allgemeineren Rahmen stellen. Dazu die
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- Stefanie Glöckner
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1 Kapitel 13 Das Hausdorffmaß Wir wollen zunächst unsere bisherigen Betrachtungen zum Lebesguemaß in einen allgemeineren Rahmen stellen. Dazu die Definition Gegeben sei eine Funktion µ : P(R n ) [0,+] auf der Potenzmenge P(R n ) mit den folgenden Eigenschaften: (i) Es gilt µ(/0) = 0. (ii) Es gilt µ(ω) µ(θ), falls Ω Θ. (iii) Es gilt µ! [ Ω k µ(ω k ) k=1 k=1 für jede abzählbare Folge von Teilmengen Ω 1,Ω 2,... mit Gleichheit genau dann, wenn die Ω k paarweise zueinander disjunkt sind Dann heißt µ ein äußeres Maß. Neben dem äußeren Lebesgueschen Maß, welches wir in den vorigen Abschnitten kennengelernt haben, wollen wir weitere Beispiele solcher Maße angeben: 1. Zählmaß Für jede Teilmenge Ω R n sei µ(ω) gleich der Anzahl der Punkte von Ω, falls Ω endlich ist, andernfalls µ(ω) =. 2. Punktmaß Es sei x 0 R n ein beliebiger Punkt. Dann sei µ(ω) = 1, falls x 0 Ω, andernfalls sei µ(ω) = 0. In diesem Kapitel wird aber das besonders für geometrische Zwecke geeignete Hausdorffmaß als Verallgemeinerung des Lebesgueschen Maßes im Mittelpunkt stehen, welches aus F. Hausdorff: Dimension und äußeres Maß aus dem Jahre 1919 zurückgeht. 355
2 Das Hausdorffmaß 13.1 Definition Es sei Ω R n eine nichtleere Menge. Wir definieren ihren Umfang als diamω := sup x y : x,y Ω. Seien nun abzählbar viele Mengen {Ω i },2,... gegeben mit diamω i δ für alle i = 1,2,... sowie [ Ω Ω i. Wir bezeichnen {Ω i },2,... als eine δ-überdeckung von Ω. Definition Seien Ω R n eine nichtleere Teilmenge und s [0,] eine nichtnegative, reelle Zahl. Zu δ > 0 bezeichnen wir dann die Zahl ) Hδ s (Ω) := inf ( (diamω i ) s : {Ω i },2,... ist eine δ-überdeckung von Ω als das δ-approximative s-dimensionale Hausdorffmaß von Ω. Es handelt sich also darum, die Summe der s-ten Potenzen der Mengendurchmesser aller möglichen δ-überdeckungen zu ermitteln. Mit kleiner werdendem δ > 0 wird die Zahl Hδ s (Ω) wachsen, da die Menge aller dann zulässigen δ-überdeckungen schrumpft. Es wird Hδ s (Ω) für δ 0 gegen einen Grenzwert konvergieren (δ-monotonie des Hausdorffmaßes). Definition Es heißt die Zahl H s (Ω) := lim Hδ s δ 0 (Ω) [0,+] das s-dimensionale Hausdorffmaß der Menge Ω R n Erste Beispiele Ohne Beweis wollen wir spezielle s-dimensionale Hausdorffmaße angeben. Für die z.t. sehr technischen Beweise verweisen wir auf die umfangreiche Literatur. 1. Es ist H 0 (Ω) gleich der Zahl der Punkte von Ω, d.h. es handelt sich hier um das uns bereits bekannte Zählmaß. 2. Stellt Ω eine hinreichend glatte (insb.: Lipschitzstetige) Kurve im R n dar, so gibt H 1 (Ω) die Länge dieser Kurve wieder.
3 13.3 Skalierungsinvarianz H 2 (Ω) Area(Ω) ist der Inhalt eines hinreichend glatten (insb.: Lipschitzstetigen), zweidimensionalen Flächenstücks Ω R n. 4. H 3 (Ω) Vol(Ω) ist das Volumen eines hinreichend glatten (insb.: Lipschitzstetigen), dreidimensionalen Volumens Ω R n. Es stimmt also für glatte Mannigfaltigkeiten das Hausdorffmaß mit dem äußeren Lebesguemaß bis auf einen dimensionsabhängigen Faktor überein: H n (Ω) = 1 c n Vol n (Ω), n N, wobei c n genau dem Volumen des n-dimensionalen Balls vom Durchmesser 1 entspricht (oft wird das Hausdorffmaß mit diesem Proportionalitätsfaktor eingeführt) Skalierungsinvarianz Wir studieren nun das Verhalten des Hausdorffmaßes unter Ähnlichkeitstransformationen T : R n R n mit der charakteristischen Eigenschaft T (x) T(y) = λ x y für alle x,y R n mit einem Skalierungsfaktor λ > 0. Eine solche Abbildung überführt eine geometrische Figur in eine dazu ähnliche, aber skalierte Figur. Satz Es sei T : R n R n eine Ähnlichkeitstransformation mit Skalierungsfaktor λ > 0. Dann gilt H s (T (Ω)) = λ s H s (Ω) für alle Ω R n. Beweisidee. Ist {Ω i },2,... eine δ-überdeckung von Ω, so ist {T(Ω i )},2,... eine λ δ-überdeckung des Bildes T (Ω) mit der Eigenschaft (diamt(ω i )) s = λ s (diamω i ) s. Für die als Infimum gewählte Zahl Hλ s δ (Ω) bedeutet das aber H s λ δ (T (Ω)) λ s H s δ (Ω), da zur Auswertung von Hλ s δ (T (Ω)) mehr Mengen zur Konkurrenz stehen, als durch Skalierung der {Ω i },2,... entstehen. Also gilt nach Grenzübergang δ 0 H s (T (Ω)) λ s H (Ω). Wir führen dieses Argument noch einmal für die Inverse T 1 : R n R n aus und ersetzen dabei λ durch λ 1, um die umgekehrte Ungleichung zu zeigen.
4 Das Hausdorffmaß 13.4 Hölder- und Lipschitzabbildungen Eine Abbildung f : Ω R n R m heißt auf Ω Hölderstetig, falls f (x) f (y) L x y α für alle x,y Ω mit einer Konstanten L > 0 und einem Hölderexponenten α (0,1) richtig ist. Im Fall α = 1 wird f Lipschitzstetig genannt, mit der Lipschitzkonstanten L > 0. f (x) f (y) L x y für alle x,y Ω Satz Sei f : Ω R n R m eine Hölderstetige Abbildung. Dann gilt H s α ( f (Ω)) L s α H s (Ω) mit den oben angegebenen Konstanten L > 0 und α (0, 1). Beweisidee. Sei {Ω i },2,... eine δ-überdeckung von Ω. Wegen diam f (Ω Ω i ) L (diamω Ω i ) α L (diamω i ) α L δ α bildet { f (Ω Ω i )},2,... eine Lδ α -Überdeckung von f (Ω). Damit folgt wie im Beweis des vorigen Satzes bzw. diam f (Ω Ω i ) s α L s α H s α Lδ α ( f (Ω)) L s α H s δ (Ω). Der Grenzübergang δ 0 zeigt die Behauptung. Wichtig ist nun der als Folgerung resultierende (diamω i ) s Satz Ist f : Ω R n R m eine Lipschitzstetige Abbildung, so gilt H s ( f (Ω)) L s H s (Ω). Ist zum Beispiel f eine Isometrie mit der charakteristischen Eigenschaft so folgt f (x) f (y) = x y für alle x,y R n, H s ( f (Ω)) = H s (Ω), d.h. das Hausdorffmaß ist insbesondere translations- und rotationsinvariant.
5 13.5 Die Hausdorffdimension Die Hausdorffdimension Es sei {Ω i },2,... eine δ-überdeckung von Ω. Falls t > s, so wissen wir (diamω i ) t = (diamω i ) t s (diamω i ) s δ t s (diamω i ) s wegen diamω δ für alle i = 1,2,..., und wir erhalten die Abschätzung H t δ (Ω) δ t s H s δ (Ω). Unter der Voraussetzung H s (Ω) < ist damit nach Grenzübergang δ 0 H t (Ω) = 0 für t > s. Ist aber t < s (und diamω i > 0), so argumentieren wir wie folgt: (diamω i ) t = (diamω i ) s (diamω i ) s t (diamω i ) s δ s t = 1 δ s t wegen diamω i δ für alle i = 1,2,... Das liefert die Abschätzung H t δ (Ω) 1 δ s t H s δ (Ω), (diamω i ) s und unter der zusätzlichen Voraussetzung 0 < H s (Ω) < erhalten wir nach Grenzübergang δ 0 H t (Ω) = für t < s. Das bedeutet: Es existiert also ein kritischer Wert s, für welchen das s-dimensionale Hausdorffmaß H s (Ω) der Menge Ω von + nach 0 springt. Definition Dieser kritische Wert s [0, ] heißt die Hausdorffdimension der Menge Ω, in Zeichen dim H Ω [0,+]. Insbesondere gelten (was natürlich eines Beweises bedarf!) sowie dim H Ω = inf{s 0 : H s (Ω) = 0} = sup{s 0 : H s (Ω) = } +, falls 0 s < H s dimh Ω (Ω) =. 0, falls s > dim H Ω Grundsätzlich sollte der Begriff der Hausdorffdimension sämtlichen Dimensionsuntersuchungen geometrischer Mengen zu Grund gelegt werden.
6 Das Hausdorffmaß Die Hausdorffdimension erfüllt folgende grundlegenden Eigenschaften, die wir sämtlich ohne Beweis angeben: Es ist dim H Ω dim H Θ, falls Ω Θ. [ Es ist dim H Ω i = sup dim H Ω i.,2,... Ist Ω abzählbar, so ist dim H Ω = 0. Ist Ω R n offen, so ist dim H Ω = n. Ist Ω R n eine glatte (Lipschitzstetige) m-dimensionale Untermannigfaltigkeit, so ist dim H Ω = m Invarianzcharakterisierung Wir wollen uns davon überzeugen, dass die Hausdorffdimension invariant unter Bilipschitzabbildungen ist. Dazu beginnen wir mit dem Hilfssatz Die Abbildung f : Ω R n R m sei Hölderstetig. Dann gilt mit dem Hölderexponenten α (0, 1). dim H f (Ω) 1 α dim HΩ Beweis. Ist nämlich s > dim H Ω, so finden wir, unsere bisherigen Betrachtungen zusammengefasst, nach Satz 13.2 H s α ( f (Ω)) L s α H s (Ω) = 0, also auch H s α ( f (Ω)) = 0 mit der oben eingeführten Lipschitzkonstanten L > 0. Also muss dim H f (Ω) s α richtig sein. Beachten Sie aber, dass die Lipschitzkonstante L > 0 in der Abschätzung gar nicht mehr vorkommt! Satz Ist f : Ω R n R m Lipschitzstetig, so gilt Ist f sogar Bilipschitz, d.h. ist dim H f (Ω) dim H Ω. L 1 x y f (x) f (y) L 2 x y für alle x,y Ω, so gilt dim H f (Ω) = dim H Ω.
7 13.7 Beispiel: Der Cantorstaub Beispiel: Der Cantorstaub Diese Verallgemeinerung der sogenannten Cantormenge, die wir erst später vorstellen möchten, erhalten wir durch folgende iterative Konstruktion: 1. Zerlege das Einheitsquadrat in 16 Teilquadrate. 2. Lösche von diesen 16 Teilquadraten 12 und behalte Wende diese Prozedur auf die verbleibenden 4 Teilquadrate an usw. Die nach infiniter Anwendung dieser Prozedur erhaltene Punktmenge im R 2 heißt Cantorstaub. Satz Für den Cantorstaub F R 2 gelten 1 H 1 (F) 2 sowie dim H F = 1. Beweis. Wir gehen in mehreren Schritten vor. 1. Die Punktmenge F k, die wir nach k-facher Anwendung der oben beschriebenen Prozedur erhalten, besteht aus 4 k Quadraten der gemeinsamen Seitenlängen 4 k. Nehmen wir also diese 4 k Quadrate der Menge F k als δ-überdeckung des Cantorstaubes mit δ = 2 4 k (mit dem Durchmesser 2 4 k eines jeden der 4 k Quadrate). Es folgt H 1 δ (F) 4k ( 2 4 k ) = 2, denn Hδ 1 (F) wird ja als Infimum berechnet. Diese Abschätzung gilt nun für alle δ > 0, so dass wir nach Grenzübergang δ 0, wie behauptet, erhalten H 1 (F) Es bezeichne P: R 2 R 2 die orthogonale Projektion einer Menge des R 2 auf die x-achse. Diese Abbildung besitzt die Eigenschaft, gegenseitige Abstände von Punkten nach Projektion nicht zu vergrößern, d.h. es gilt P(x) P(y) x y für alle x,y R 2. Diese orthogonale Projektion ist also eine Lipschitzstetige Abbildung mit Lipschitzkonstante L 1.
8 Das Hausdorffmaß 3. Wir wenden nun die orthogonale Projektion P auf unsere Konstruktion an: Nach jedem Schritt bildet sie die F k auf das Intervall [0,1] ab. Satz 13.3 zusammen mit der zweiten Bemerkung aus Abschnitt 13.2 liefert 1 = [0,1] = l 1 ([0,1]) = H 1 ([0,1]) = H 1 (P(F k )) = H 1 (P(F)) H 1 (F). Insbesondere entnehmen wir jetzt dim H F = 1. Damit ist die Aussage bewiesen Fraktale und fraktale Dimension Die Cantorstaub-Menge ist ein Beispiel eines sogenannten Fraktals. Der Begriff des Fraktals geht auf B. Mandelbrot zurück und bezeichnet eine Menge mit zu wenig Regularitätseigenschaften (nach dem lateinischen Wort fractus). Es gibt keine mathematische Definition des Fraktalbegriffs. Wir erwarten aber von einer fraktalen Menge F Eigenschaften wie die folgenden: (i) (ii) (iii) (iv) F besitzt eine nichttriviale Feinstruktur. Diese Feinstruktur kann auf Grund ihrer Irregularität nicht mit den klassischen Mitteln der Differentialrechnung, des Riemannschen oder Lebesgueschen Integrationskalküls usw. erfasst und behandelt werden. F besitzt oft eine selbstähnliche Struktur, und ebenso oft ist F rekursiv definiert. Die sogenannte fraktale Dimension von F ist echt größer als ihre topologische Dimension. Die topologische Dimension einer Menge ist stets eine natürliche Zahl und wird wie folgt rekursiv definiert: Sie ist 0 für einen Punkt oder eine total unzusammenhängende Menge; sie ist 1, falls jeder Punkt der Menge eine hinreichend kleine Umgebung, deren Rand die Dimension 0 besitzt usw. Sie ist 1 für die leere Menge. Der Begriff fraktale Dimension ist nicht eindeutig festgelegt. Oft wird in diesem Zusammenhang auf den Hausdorffschen Dimensionsbegriff verwiesen. Da die Hausdorffdimension aber für viele praktische Beispiele nur schwer oder sogar gar nicht zu bestimmen ist, begnügt man sich gewöhnlich mit alternativen Dimensionsbegriffen mit ihren eigenen Vor- und Nachteilen. Auch der dritte Punkt unserer Charakterisierung eines Fraktals ist nur für Beispiele anwendbar. Es verbleibt also einziger belastbarer Punkt der einer gewissen Feinstruktur, die i.d.r. vom Riemannschen oder Lebesgueschen Maß nicht mehr sinnvoll aufgelöst werden kann.
9 13.9 Die Cantorsche Mittel-Drittel-Menge Die Cantorsche Mittel-Drittel-Menge Betrachte das Einheitsintervall E 0 := [0,1]. Die Cantorsche Mittel-Drittel-Menge ist das Resultat folgender rekursiven Konstruktion. 1. Es bezeichne E 1 diejenige Menge, die man aus E 0 nach Löschen des mittleren Drittels von E 0 erhält, d.h. E 1 = 0, ,1. 2. Die Menge E 2 erhält man nach Löschen der mittleren Drittel der beiden Intervalle, aus denen E 1 besteht, d.h. E 2 = 0, , , ,1 usw. Die Cantorsche Mittel-Drittel-Menge C R besteht nun aus allen Punkten, die in allen E k enthalten sind, oder eben C = \ E k. k=0 Hier einige ihrer geometrischen Eigenschaften: (i) (ii) (iii) C ist selbstähnlich. Insbesondere sind die beiden Intervalle von E 1 ähnlich zur Menge E 0, beide jedoch mit 1 3 skaliert. C besitzt eine Feinstruktur, d.h. C besitzt in diesem Fall nichttriviale, selbstähnliche Strukturen auf jeder beliebigen Skala. C entsteht durch einen einfachen, rekursiven Prozess. Und hier einige ihrer analytischen Eigenschaften: (iv) (v) (vi) (vii) C ist überabzählbar unendlich. C besitzt verschwindendes Lebesguemaß. C ist total unzusammenhängend, d.h. jede Zusammenhangskomponente eines Punktes von C ist der Punkt selbst. C ist nirgends dicht. Satz Es gilt H s (C) = 1 für s = log2 log
10 Das Hausdorffmaß Beweis. Wir gehen nur auf die Ermittlung der Hausdorffdimension s = log2 log3 ein. Die Berechnung des zugehörigen Hausdorffmaßes gestaltet sich schwieriger, als wir es im Beispiel des Cantorstaubes kennen gelernt haben. Anstatt also die exakten Hausdorffschen Größen zu ermitteln, begnügen wir uns mit folgendem Alternativargument. 1. Setzen wir zunächst C L := C 0, 1 3, CR := C 2 3,1, so gilt offenbar die disjunkte Zerlegung C = C L C R. Die Mengen C L und C R sind zu C ähnlich und entstehen aus C nach Skalierung mit dem gemeinsamen Faktor 3 1. Wir berechnen daher 1 s 1 s H s (C) = H s (C L ) + H s (C R ) = H s (C) + H s (C). 3 3 Die letzte Gleichheit hierin ist nichts anderes als die Skalierungsinvarianz des Hausdorffmaßes aus Satz Ist also s der kritische Wert der Hausdorffdimension unter der Annahme 0 < H s (C) <, so können wir die Gleichung durch H s (C) dividieren und erhalten 1 s 1 = 2 bzw. s = log2 3 log3. Damit schließen wir unsere Beweisidee ab Ähnlichkeitsdimension. Kochsche Schneeflocke Die Zahl s = log2 log3, die wir mit den Ausführungen des vorigen Beweises tatsächlich berechnet haben, bezeichnet man als die Ähnlichkeitsdimension der Cantormenge. Sie entspricht in diesem Beispiel ihrer Hausdorffdimension (das bedarf eines Beweises, den wir im Rahmen dieser Vorlesung nicht erbringen können). Die Ähnlichkeitsdimension kann nur für rekursiv definierte, selbstähnliche Mengen berechnet werden und wird sich auch in solchen Fällen in der Regel von dem Wert
11 13.10 Ähnlichkeitsdimension. Kochsche Schneeflocke 365 der Hausdorffdimension unterscheiden. Sie spiegelt also die Selbstähnlichkeit und die Skalierungseigenschaften einer fraktalen Menge wieder. Definition Die Ähnlichkeitsdimension berechnet sich gemäß log(zahl der Unterteilungen). log(skalierungsfaktor) Unsere Rechnung im vorigen Beispiel zur Cantormenge motiviert den in dieser Definition auftretenden Logarithmus. Für welche Mengen diese Dimension mit der Hausdorffdimension übereinstimmt, muss hier offen gelassen werden. Beispiel Unterteilt man das Einheitsintervall [0, 1] in 4 Teilintervalle durch Skalierung mit dem Faktor 1 4, so ist log4 log 1 4 = log4 log4 = 1. Und unterteilt man ferner das Einheitsquadrat [0, 1] [0, 1] in 4 Teilquadrate durch Skalierung mit dem Faktor 2 1, so ist log4 log 1 2 = log4 log2 = 2. Ähnlichkeitsdimension, Hausdorffdimension und topologische Dimension stimmen also für diese elementargeometrischen Mengen überein. Beispiel Wenden wir aber diese Prozedur auf die rekursiv definierte und aus selbstähnlichen Teilen bestehende Kochsche Schneeflocke an, so folgt für ihre Ähnlichkeitsdimension log4 log 1 3 = log4 log Nachfolgend sind die ersten drei Konstruktionsschritte dieser Kurve skizziert: H. von Kochs Motivation war, mit dieser Kurve ein einfaches Beispiel eines Graphen einer nirgends differenzierbaren Funktion zu präsentieren. Dabei berief er sich fast ausschließlich auf elementargeometrische Argumente im Gegensatz zu den rein analytischen Konstruktionen solcher Monsterkurven seiner Zeit.
12 Das Hausdorffmaß Weierstraß nirgends differenzierbare Funktion Hierbei handelt es sich tatsächlich um eine ganze Klasse stetiger, aber in keinem Punkt differenzierbarer Funktionen. Die Weierstraßsche nirgends differenzierbare Funktion f (x) := k=1 λ (s 2)k sin(λ k x), x [0,1], mit reellem λ > 1 und reellem s (1,2) ist zwar überall stetig, aber eben nirgends differenzierbar. Sie besitzt Feinstrukturen in unserem oben dargelegte Sinn, tatsächlich sind diese Strukturen aber noch nicht vollständig aufgedeckt. Unbekannt sind insbesondere die Hausdorffdimensionen dieser Kurven. Wahrscheinlich gilt dim H f ([0,1]) = s, wenigstens für die meisten Werte von λ > 1. Ein Beispiel eines Graphens einer nirgends differenzierbaren Funktion ist der Graph einer Brownschen Bewegung, benannt nach dem schottischen Botaniker R. Brown (1827). Das hierbei zu Grunde liegende mathematische Modell wurde im Jahre 1923 von N. Wiener entwickelt Flächenfüllende Kurven Im Jahre 1891 stellte D. Hilbert, motiviert von Ideen G. Peanos, ein Beispiel einer nirgends differenzierbaren, aber überall stetigen und sogar flächenfüllenden Kurve, definiert auf dem kompakten Einheitsintervall [0, 1], vor. Hier die wesentlichen Konstruktionsschritte: 1. Die Strecke [0, 1] teilen wir in 4 gleiche Teilstrecken und das Einheitsquadrat in 4 gleiche Teilquadrate 1, 2, 3, 4. Jeder Teilstrecke wird ein Teilquader zugeordnet (Bild unten links). 2. Nun teile jede Teilstrecke wiederum in 4 gleiche Teilstrecken, es entstehen 16 neue Teilstrecken. Gleichzeitig teile jede der 4 Quadrate in 4 gleiche Quadrate geteilt, es entstehen 16 neue Quadrate mit der im mittleren Bild angedeuteten Anordnung. 3. Wir denken uns dieses Verfahren unendlich oft fortgesetzt
13 13.12 Flächenfüllende Kurven 367 Satz Die so gefundene Abbildung ist eindeutig und stetig, aber nirgends differenzierbar. Sie ist aber nicht eineindeutig, insbesondere entsprechen einem jeden Punkt des Quadrats ein, zwei, drei oder vier Punkte der Linie. Die Hilbertsche Kurve ist also nicht injektiv. Um das einzusehen, ist besonders auf diejenigen Punkte zu achten, die auf den Grenzen zwischen mehreren Teilquadraten liegen - die Kurve konvergiert im Grenzfall gegen diese Punkte von mehreren Seiten, und daher auch die in Hilberts Satz erwähnte Unterscheidung. Auch die Hilbertsche Kurve möchten wir auf Grund ihrer rekursiven Definition und ihrer Feinstruktur als Fraktal bezeichnen. Sie kann aber im gewöhnlichen Sinn nicht als Kurve angesehen werden. Flächen- und raumfüllende Kurven findet man oft in der Biologie: Die Natur muss sich nämlich u.a. der Aufgabe annehmen, dreidimensionale Raumbereiche (z.b. die menschliche Niere) durch nahezu eindimensionale Kurvennetze (z.b. die Blutgefäße) möglichst lückenlos zu überdecken.
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