Ein Menschenschicksal
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- Louisa Britta Fürst
- vor 6 Jahren
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1 Ein Menschenschicksal Originaltitel: Sudba tscheloweka Produktion: Studio Mosfilm, Moskau, 1959 Buch: J. Lukin, F. Schachmagonow nach der Erzählung von Michail Scholochow. Regie: Sergej Bondartschuk. Kamera: Nikolai Monachow. Musik: Weniamin Basner Darsteller: Sergej Bondartschuk (Andrej Sokolow), P. Boriskin, Sinaida Kirijenko, Pawel Wolkow, Juri Awerin u. a. (Normal, Schwarz/Weiß, 2729 m, ca. 100 min; für Kinder unter 14 Jahren nicht zugelassen) Ersteinsatz: 6. November 1959 Inhalt: Der Leidensweg eines einfachen Menschen im Zweiten Weltkrieg: Der Zimmermann Andrej Sokolow lebt friedlich mit seiner Frau und seinen drei Kindern, bis der Krieg ausbricht. Er wird Soldat und gerät in deutsche Kriegsgefangenschaft, kommt in ein Konzentrationslager. Sokolow muß Unmenschliches ertragen, doch ihm gelingt die Flucht. Dann muß er erfahren, daß seine Frau und seine Töchter bei einem Bombenangriff umkamen, sein Haus zerstört ist. Wieder geht er an die Front, wo auch sein Sohn als Offizier kämpft. Der Sohn fällt noch am Tag des Sieges. Trotz seiner bitteren Erfahrungen und schweren Verluste bewahrt sich Sokolow den Glauben an die Kraft des Menschen und die Zukunft: er adoptiert einen verwaisten kleinen Jungen. Aktenbefunde: BArch DR 1 (Sekretariat Erich Wendt) BArch/FA O Bemerkungen: Der sowjetische Film Ein Menschenschicksal wurde bei der Zulassung der Originalfassung am 2. Mai als ein außerordentliches sowjetisches Filmkunstwerk von tiefem Wahrheitsgehalt und einer sozialistisch-humanistischen Aussage eingeschätzt. Sein kulturpolitischer Stellenwert war so hoch, daß er am 15. Mai 1959 vom Leiter der Kulturkommission des Politbüros des ZK der SED, Alfred Kurella, und Joachim Mückenberger von der ZK-Abteilung Kultur 2 besichtigt wurde (Dokument 1). Es wurde beschlossen, den Einsatz des Films mit allen Mitteln der Partei, des Staatsapparates und der Massenorganisationen zu unterstützen. Kurella sah dabei auch ein Problem, das beim Einsatz des Films in der DDR auftreten konnte: weil Deutsche in Ein Menschenschicksal nur als Feinde auftreten, sollte in der Vorwerbung der Prozeß vom Damals zum Heute verdeutlicht, das Freundschaftsverhältnis der Sowjetunion zu dem deutschen Volk zum Ausdruck gebracht werden. Am 10. September wurde die synchronisierte Fassung von Ein Menschenschicksal zugelassen 3. Der Film kam am 6. November 1959 zum Einsatz. In der ersten Woche erreichte er bereits Besucher 4. Am 1. Dezember 1959 übermittelte der Direktor des Progress-Filmvertriebs, Rudi Müller, dem Hauptdirektor der VVB Film, Ernst Hoffmann, eine Mitteilung des Leiters der Abteilung Presse und Werbung der Progress-Bezirksdirektion Erfurt vom 24. November 1959 (Dok. 2). 1 Protokoll Nr. 191/59 B v. 27. Mai BArch/FA O Von Direktor des DEFA-Studios für Spielfilme. 3 Protokoll Nr. 421/59 v. 10. September BArch/FA O Meldung der Ur- und Erstaufführungsergebnisse v. 17. November BArch/FA O.6340.
2 Sie enthielt eine Abschrift einer Filmkritik 5, die an der katholischen Kirche in Dingelstädt im Eichsfeld ausgehangen hatte, 6 und bei einem operativen Einsatz von den kirchlichen Veröffentlichungen abgeschrieben worden war. 7 In dieser Kritik wurde Ein Menschenschicksal als künstlerisch beachtlich, aber aus ethischen Gründen nur mit Vorbehalten für Erwachsene zu empfehlen eingeschätzt. Begründet wurde das einmal mit einem religiösen Seitenhieb in einer Szene, in der ein verzweifelter Gläubiger die einzige als Christ definierte Gestalt des Films in einer Kirche gezeigt wird, nach Meinung des katholischen Kritikers als geistig minderbemittelter Hysteriker : In dieser Verallgemeinerung ist damit ein weiteres Steinchen in das Bild gesetzt, daß Religion überholt sei und daß nur noch Dumme gläubig sind! Zweitens kritisierte der Verfasser, daß alle auftretenden deutschen Soldaten... faschistisch-sadistisch seien. Diese Charakterisierung trifft aber sicher nicht die Wirklichkeit und sei eine Rückkehr zur Kollektivschuldbehauptung. Er resümierte: Der Film Ein Menschenschicksal hätte ein Antikriegsfilm werden können... so aber wird die Furchtbarkeit des Krieges durch starke und einseitige Haßgesänge verdeckt. Rudi Müller bezeichnete in seinem Begleitbrief an Ernst Hoffmann (Dok. 3) diese Kritik als feindliche Propaganda und Mißbrauch der demokratischen Rechte unserer DDR durch die Kirche gegen die Arbeiter- und Bauernmacht : Ich bin der Ansicht, daß das Auftreten kirchlicher Elemente gegen den so tief humanistischen Film... vom Haß gegen die Sowjetunion und die Deutsche Demokratische Republik geleitet wird. Er schlug vor, den Vorgang seitens der VVB dem Ministerium des Innern zu übergeben. Ernst Hoffmann schloß sich dieser Meinung an, sandte den Vorgang aber zunächst am 7. Dezember 1959 an den für Film zuständigen Stellvertretenden Minister für Kultur, Erich Wendt (Dok. 4). Wendt ließ sowohl dem Staatssekretär für Kirchenfragen, Werner Eggerath, als auch dem Ministerium des Innern am 14. Dezember 1959 Abschriften der Schreiben zugehen (Dok. 5 u. 6), und zwar ohne eine ausführliche eigene Stellungnahme. Weitere Informationen zu dieser Angelegenheit finden sich nicht. 8 Ein Menschenschicksal erreichte in 8 Monaten Laufzeit fast 4,4 Millionen Besucher. 9 Am 17. Januar 1975 bekam der Film einen Wiedereinsatz mit neuer Kopien- und Werbeausstattung. Dokument 1 Protokoll der Vorführung am 15. Mai 1959 v. 19. Mai BArch/FA. O Anwesend: Genosse Alfred Kurella und Genossin Kurella, Genosse Mückenberger (zur Diskussion Genossin Beling und Genosse Liedtke). Beschluß: Dieser sowjetische Film bedarf seiner Bedeutung entsprechend eine allseitige und umfassende Vorbereitung und Unterstützung. Darum ist er mit allen Mitteln der Partei, des Staatsapparates und der Massenorganisationen zu unterstützen. 5 Ob es sich dabei um die offizielle innerkirchliche Filmbesprechung (fb 0603) oder um eine auf deren Grundlage individuell erarbeitete handelte, läßt sich an Hand der veröffentlichten Kurzfassung der Filmbesprechung (in: Filme in der DDR , S. 295) nicht entscheiden. 6 Vgl. Stechfliege, S....! 7 Das Schreiben enthält zahlreiche Markierungen von einem der Empfänger. Da es weitergeleitet wurde, ist nicht klar, ob dies R. Müller oder E. Hoffmann war. 8 In den Vorgängen um die Filme Kein Ärger mit Cleopatra und Das hölzerne Kälbchen (beide DEFA) zeigt sich während des I. Halbjahres 1960 eine ausdrücklich betonte Taktik der Vermeidung von Konflikten mit der katholischen Kirche. 9 Handschriftlicher Vermerk auf der Statistik v. 17. November 1959 (vgl. Anm. 4). 2
3 Die Leitung des Ministeriums für Kultur beauftragt die Leitung der VVB Film, einen Maßnahmeplan zu erarbeiten, der der Abt. Kultur als Arbeitsgrundlage dient, um dem Sekretariat des ZK eine dementsprechende Beschlußvorlage zu unterbreiten. Hierzu wurden vom Genossen Kurella folgende Anregungen gemacht: Die VVB Film überprüft die Möglichkeit zur Herstellung eines Kurzfilmes, der das Freundschaftsverhältnis der Sowjetunion zu dem deutschen Volk zum Ausdruck bringt. Dazu sollte Filmmaterial vom Besuch des Genossen Chruschtschow in der DDR verwandt werden und zwar verarbeitet mit Bildausschnitten aus dem Film Ein Menschenschicksal, die unserem Publikum den charakteristischen Unterschied der damals entgegengesetzte Standpunkte demonstrieren. Unter dem Motto...und nicht vergessen soll in diesem Film der Prozeß vom Damals zum Heute wirkungsvoll gestaltet werden. Dieser Film müßte sehr kurzfristig hergestellt werden, da er der Vorwerbung dienen soll. Weitere Empfehlungen des Genossen Kurella, die nur als Anregung für nützliche Ideen und jede Initiative gedacht waren, sind eine gut vorbereitete Werbung a. durch unsere Lichtspielhäuser b. durch Fernsehfunk, Rundfunk und Presse und auch durch die Popularisierung des Buches von Michail Scholochow Ein Mensch und sein Schicksal (so heißt der Originaltitel und so sollte auch der Filmtitel sein). Für das Beiprogramm wird etwas Heiteres empfohlen. Selbstverständlich bedarf dieser Film einer ausgezeichneten Synchronisation. Es wurde der Vorschlag gemacht, den Autor und Dichter, Genossen M. Scholochow in Zusammenarbeit mit der Abt. Literatur des Ministeriums für Kultur und dem Deutschen Schriftstellerverband in die DDR einzuladen. Das Wichtigste sind wohldurchdachte Vorschläge für den Sekretariatsbeschluß unserer Partei, die die propagandistische und agitatorische Unterstützung des Films durch Partei, Staatsapparat, Massenorganisationen, wie FDGB und FDJ, auch durch die Betriebe und Kampfgruppen und nicht zuletzt durch die Nationale Front des Demokratischen Deutschlands herbeiführen. Dokument 2 Brief von Selig, Leiter der Abt. Presse und Werbung der Bezirksdirektion Erfurt des Progress Film-Vertrieb, an Progress v. 24. November Mit Markierungen eines Empfängers. BArch DR 1/ 7721 Betr.: Filmeinschätzung Ein Menschenschicksal durch die Kirche im Eichsfeld. Nachstehende Einschätzung erfolgte in den kirchlichen Veröffentlichungen an der Kirche in Dingelstädt. Ein Menschenschicksal Künstlerisch beachtlich. Aus ethischen Gründen mit Vorbehalten für Erwachsene. Dieser, als Film des Jahres propagierte Streifen, vermag seine Vorschußlorbeeren nicht ganz einzuheimsen. Der in der Reklame vorgenommene Vergleich mit dem Film Die Kraniche ziehen 10 fällt sehr zu Ungunsten [von Ein Menschenschicksal ] für dieses Meisterwerk aus. Ursachen dafür liegen bei der ethischen und künstlerischen Aussagekraft der Filme. Freilich ist der Gesamteindruck von Ein Menschenschicksal beeindruckend. Bondartschuk liefert als Regisseur und Schauspieler beachtliches. Die Symbolsprache und die Dokumentation weisen den Streifen als Kunstwerk aus. 10 Originaltitel: Letjat shurawli. UdSSR 1957, Regie: Michail Kalatosow. Ersteinsatz: 6. Juni
4 Anteil daran hat auch die Kameraführung, obwohl sie nicht ganz die Eindringlichkeit und Überzeugungskraft hat, wie die Bilder in den Kranichen. Außerdem ist die Wiederholung von Passagen etwas billig. Diese kleinen Schönheitsfehler wären unbedeutend, wenn nicht schwerwiegende ethische Vorbehalte gemacht werden müßten. Der Film Ein Menschenschicksal hätte ein Antikriegsfilm werden können, wenn man es mit Heimatliebe und Glauben an die Kraft der Menschen hätte bewenden lassen. So aber wird die Furchtbarkeit des Krieges durch starke und einseitige Haßgesänge verdeckt. Er ist eine Rückkehr zur Kollektivschuldbehauptung. Alle auftretenden deutschen Soldaten sind faschistisch-sadistisch. Diese Charakterisierung trifft aber sicher nicht die Wirklichkeit, ohne daß hierbei die Grausamkeiten der KZs und der SS in Frage gestellt werden sollen. Neben diesen Verzerrungen, die Haß hervorrufen müssen, ist auch der religiöse Seitenhieb erkennbar. Die Szenen in der Kirche stellen den auftretenden Gläubigen als geistig minderbemittelten Hysteriker hin. In dieser Verallgemeinerung ist damit ein weiteres Steinchen in das Bild gesetzt, daß Religion überholt sei und daß nur noch Dumme gläubig sind! Diese Einschätzung wurde bei einem operativen Einsatz von den kirchlichen Veröffentlichungen abgeschrieben. Dokument 3 Brief des Direktors des VEB Progress Film-Vertrieb, Rudi Müller, an den Hauptdirektor der VVB Film, Ernst Hoffmann, v. 1. Dezember Anlage: Dokument 2. Es ist nicht selten, daß sich die Kirche auch bei uns gegen sozialistische Filme wendet. Im großen und ganzen hat das nicht die von diesen Kräften erhoffte Wirkung erreicht. Aber in den Gebieten der DDR, in denen die Kirche noch einen starken Einfluß auf die Menschen ausübt, ist das schon etwas anders. Wie z. B. in den ländlichen Gebieten Thüringens. Ich bin der Ansicht, daß das Auftreten kirchlicher Elemente gegen den so tief humanistischen Film Ein Menschenschicksal, wie es durch die Kirche im Eichsfeld geschehen ist, vom Haß gegen die Sowjetunion und die Deutsche Demokratische Republik geleitet wird. Beiliegend übermittle ich eine Abschrift dieser feindlichen Propaganda, die uns die Bezirksdirektion Erfurt übergab. Das, was sich hier laufend gegen die sozialistischen Filme abspielt, ist Mißbrauch der demokratischen Rechte unserer DDR durch die Kirche gegen die Arbeiter- und Bauernmacht. Diese Sache sollte seitens der VVB dem MdI 11 übergeben werden. Dokument 4 Brief des Hauptdirektors der VVB Film, Ernst Hoffmann, an Erich Wendt, Staatssekretär im Ministerium für Kultur v. 7. Dezember Als Anlage überreiche ich zwei Originalschreiben des Genossen Müller, VEB Progress- Filmvertrieb, mit der Bitte, wenn Übereinstimmung vorliegt, diesen Vorgang dem MdI zu übergeben. 11 Ministerium des Innern. 4
5 Dokument 5 Brief des Persönlichen Referenten von Erich Wendt, Rehse, an den Staatssekretär für Kirchenfragen, Werner Eggerath, v. 14. Dezember [...] Im Auftrage des Genossen Staatssekretär Wendt sende ich Ihnen die beiliegende Abschrift eines Berichtes vom Leiter der Abteilung Presse und Werbung des VEB Progress- Filmvertrieb. Dokument 6 Brief von Rehse an das Ministerium des Innern, Sekretariat des Staatssekretärs, z. H. des Persönlichen Referenten v. 14. Dezember Werter Genosse! Anbei erhalten Sie die Abschrift einer Information der Bezirksdirektion Erfurt des VEB Progress-Filmvertrieb über die kirchliche Gegenpropaganda zu dem sowjetischen Film Ein Menschenschicksal zu Ihrer Verwendung. 5
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