Stolperstein Scheinselbstständigkeit September Bernd Dondrup, Krankenkassen-Betriebswirt, Referent, Dozent, Autor, Bochum
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1 September 2016 Bernd Dondrup, Krankenkassen-Betriebswirt, Referent, Dozent, Autor, Bochum
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3 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung Grundlagen der Sozialversicherungspflicht Festlegen des sozialversicherungsrechtlichen Status Allgemeines Versicherungsrecht Wegfall von Merkmalen des alten 7 Abs. 4 SGB IV Beschäftigung i.s.d. 7 Abs. 1 SGB IV Arbeitsverhältnis (arbeitsrechtliche Folgen) Bedeutung amtlicher Eintragungen Bedeutung vertraglicher Vereinbarungen Eintritt von Versicherungspflicht Freie Mitarbeiter Abgrenzung Arbeitnehmer - Selbstständiger Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers Einschränkungen durch Weisungen des Auftraggebers Rechtsprechung und Abgrenzungskriterien Starke Merkmale für ein Beschäftigungsverhältnis Starke Merkmale für eine selbstständige Tätigkeit Scheinselbstständigkeit (aktuelle Entscheidungen) Auswirkungen einer Scheinselbstständigkeit Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen Arbeitsrechtliche Konsequenzen Rentenversicherungspflicht Selbstständiger Grundsätzliches zur Rentenversicherungspflicht Selbstständige mit nur einem Auftraggeber Befreiung von der Rentenversicherungspflicht Statusfeststellungsverfahren Allgemeine Grundlagen Prüfung der Sozialversicherungspflicht seitiges Antragsrecht der Vertragspartner Anfrageverfahren bei angekündigter Betriebsprüfung Antrag (kostenloses Verfahren durch die DRV) Anlagen Anlage 1 Bescheid der DRV zu einem Statusverfahren Anlage 2 Weitere LSG/BSG-Entscheidungen (AU 52003/069 - Scheinselbstständigkeit) 3
4 4 Inhaltsverzeichnis
5 1. Einleitung Scheinselbstständigkeit Zusammenfassung Begriff Scheinselbstständige treten im Erwerbsleben als selbstständige Unternehmer auf, obwohl sie von der Art ihrer Tätigkeit her Arbeitnehmer sind. Scheinselbstständige gelten daher in der Sozialversicherung als versicherungspflichtige Arbeitnehmer. Arbeitsrechtlich sind Scheinselbstständige regelmäßig Arbeitnehmer. Die Abgrenzung zwischen einer selbstständigen und einer nichtselbstständigen Tätigkeit ist entscheidend für die Frage der Einkünfteermittlung, für den Lohnsteuereinbehalt sowie die Umsatzsteuerpflicht. Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung Arbeitsrecht Ausgangspunkt für die Beurteilung der Selbstständigkeit ist 84 HGB. Danach ist selbstständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Sozialversicherung Die Definition eines Beschäftigungsverhältnisses - auch in Abgrenzung zur selbstständigen Tätigkeit - wird im Sozialversicherungsrecht durch 7 SGB IV vorgenommen. Die Möglichkeit der Statusfeststellung ist in 7a SGB IV geregelt. Das Gemeinsame Rundschreiben der Sozialversicherungsträger vom enthält zudem sehr ausführliche Aussagen rund um den Themenkomplex einer Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerbeschäftigung und Selbstständigkeit. Notizen: 5
6 Arbeitsrecht Der Begriff der Scheinselbstständigkeit ist in erster Linie ein sozialversicherungsrechtlicher Begriff. Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung, Urlaub und andere Rechte und Privilegien eines Arbeitnehmers werden durch die sozialversicherungsrechtliche Einordnung nicht beeinträchtigt. Das Bundesarbeitsgericht hat einen Katalog aufgestellt, an Hand dessen festgestellt wird, ob ein Selbstständiger nur Scheinselbstständiger und damit als Arbeitnehmer zu behandeln ist oder tatsächlich als Unternehmer arbeitet. Ausgangspunkt für die Beurteilung ist dabei der 84 HGB, der die Abgrenzung des kaufmännischen Angestellten vom selbstständigen Handelsvertreter regelt. Danach ist selbstständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Die ständige Rechtsprechung des BAG erweitert diesen Begriff und geht davon aus, dass Arbeitnehmer ist, wer weisungsgebunden vertraglich geschuldete Leistungen im Rahmen einer von seinem Vertragspartner bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Nicht die vertragliche, theoretische Benennung im Vertrag ist entscheidend, sondern die tatsächliche Durchführung. Für das Vorliegen von Scheinselbstständigkeit spricht: Weisungsgebundenheit gegenüber dem Arbeitgeber, und zwar in zeitlicher und fachlicher wie in örtlicher Hinsicht, Eingliederung in den Betrieb des Auftrag-/Arbeitgebers, Einbeziehung in den betrieblichen Ablauf, keine Unternehmerinitiative, kein Unternehmerrisiko, festes Entgelt, Anspruch auf Urlaub, Entgeltfortzahlung, Leistungserbringung in eigener Person, keine Delegationsmöglichkeit an andere Personen, Arbeitsumfang wird von anderen bestimmt. Entscheidend ist immer die Gesamtabwägung. Es können einzelne Indizien vorliegen, ohne dass gleich der Schluss auf ein Arbeitnehmerverhältnis gezogen werden muss. Lohnsteuer Steuerrechtliche Kriterien der Selbstständigkeit Die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen zur Scheinselbstständigkeit (Auftraggeber schuldet die Sozialversicherungsbeiträge für Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung) haben zwar durchaus steuerliche Folgen, führen aber nicht unbedingt dazu, dass jeder Scheinselbstständige gleichzeitig auch steuerlich zum Arbeitnehmer wird. Die Regelung des 7 SGB IV ist eine sozialversicherungsrechtliche Regelung, die nicht ohne weiteres auf das Steuerrecht durchschlägt. 6
7 Es kann sein, dass ein Scheinselbstständiger sozialversicherungsrechtlich Beschäftigter wird, steuerlich aber Unternehmer bleibt. Auch bei derartigen Fallkonstruktionen müssen aber die steuerlichen Auswirkungen, z. B. auf die Rechnungsstellung (Umsatzsteuer), beachtet werden. Steuerlich kommt es nicht auf die wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeit an, sondern auf das unternehmerische Auftreten am Markt. Steuerlich selbstständig sind alle Steuerzahler, die unternehmerische Entscheidungsfreiheit haben und unternehmerische Chancen, aber eben auch Risiken haben (sog. Unternehmerinitiative und Unternehmerrisiko). Folgende wichtige Gesichtspunkte sprechen immer für die steuerliche Selbstständigkeit: Die (Dienst-)Leistung wird vom Steuerzahler am Markt angeboten. Entscheidend kommt es darauf an, dass die Leistung grundsätzlich am Markt angeboten wird und der Steuerzahler nach außen als Selbstständiger in Erscheinung tritt. Es muss also denkbar sein, dass ihn auch andere Kunden beauftragen könnten. Die Teilnahme am allgemeinen Marktgeschehen kann dann auch erfüllt sein, wenn die Leistung nur an einen Abnehmer erbracht wird. Abgrenzungsprobleme können sich dann ergeben, wenn der Steuerzahler lediglich seine bisherigen Aufgaben als Arbeitnehmer nunmehr selbstständig erbringt, weiterhin nur für seinen (ehemaligen) Arbeitgeber tätig ist und er weder andere Auftraggeber hat noch seine Dienstleistung bei anderen Kunden anbietet. Der Steuerzahler muss ein sog. Entgeltrisiko tragen. Das Risiko, bei Ausfallzeiten oder Schlechterfüllung der Leistung kein Honorar zu bekommen, ist ein wichtiges Indiz für die Selbstständigkeit. Mit anderen Worten: Wenn der Steuerzahler nur die Leistung vergütet bekommt, die er tatsächlich erbracht hat und er unter Umständen damit rechnen muss, dass der Auftraggeber bei Fehlern oder Mängeln keine Vergütung leistet, dann spricht vieles für die Selbstständigkeit und damit für die Unternehmereigenschaft. In der Praxis ist die steuerliche Beurteilung mitunter deshalb schwierig, weil das Gesamtbild der Umstände entscheidend ist (Arbeitsvertrag). In Zweifelsfällen wird das Finanzamt weitere Kriterien heranziehen, um die Selbstständigkeit zu überprüfen. Dazu gehört auch die organisatorische Einbindung in den Betrieb des Auftraggebers, die Freiheit, Ort und Zeitpunkt der Leistung selbst zu bestimmen, die Vergütungsregelung im Urlaubs- und Krankheitsfall oder die Möglichkeit, daneben noch andere Auftraggeber zu bedienen. Steuerrechtliche Einordnung Scheinselbstständiger Die 5/6- Umsatzgrenze des 7 SGB IV spielt steuerlich keine Rolle. Ist ein Auftragnehmer sozialversicherungsrechtlich als Scheinselbstständiger beurteilt, müssen bei der Abrechnung mit Scheinselbstständigen 2 Fallgruppen gebildet werden: 7
8 1. Der Scheinselbstständige gilt auch steuerlich als Arbeitnehmer und nicht mehr als Unternehmer. In der Praxis sollte versucht werden, durch eine Rechnungsberichtigung die bisher ausgewiesene Umsatzsteuer rückgängig zu machen. Für den Auftraggeber ist wichtig, dass er die zu Unrecht an den Auftragnehmer gezahlte Umsatzsteuer von diesem zurückfordert. Die Rechnungsberichtigung durch den Auftragnehmer erfordert auch eine Berichtigung der Umsatzsteuer-Erklärungen bzw. Umsatzsteuer-Voranmeldungen, sowohl für den Auftragnehmer und den Auftraggeber. Dieses Verfahren sollte aber nur angewandt werden, wenn sich beide Beteiligten sicher sind, dass keine Unternehmereigenschaft mehr vorliegt. 2. Der Scheinselbstständige gilt weiterhin steuerlich als Unternehmer. In diesem Fall hat der Auftragnehmer seinem Kunden weiterhin Rechnungen mit Ausweis der Umsatzsteuer zu stellen. Der Auftraggeber (Kunde) wird nun Beitragsschuldner für die Sozialversicherungsbeiträge. Zumindest den Arbeitnehmeranteil muss er vom Rechnungsbetrag einbehalten und an die Krankenkasse abführen. Von diesem Arbeitnehmeranteil ist Umsatzsteuer zu erheben, weil es sich umsatzsteuerlich um Entgelt handelt. Umsatzsteuerlich zählt all das zum steuerpflichtigen Entgelt, was der Leistungsempfänger (Kunde/Auftraggeber) aufwendet (bezahlt), um die Leistung zu erhalten. Sozialversicherung Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft Ob ein Auftragnehmer selbstständig tätig oder beim Auftraggeber abhängig beschäftigt ist, hat für beide Beteiligten weitreichende Folgen. Bei Beschäftigungsbeginn muss jeder Arbeitgeber prüfen, ob ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Ist dies der Fall, folgen daraus umfangreiche Verpflichtungen für den Arbeitgeber. Ist der Arbeitgeber/Auftraggeber der Auffassung, dass im konkreten Fall keine abhängige Beschäftigung vorliegt, muss er formal nichts weiter veranlassen. Allerdings geht er das Risiko ein, dass beispielsweise bei einer Betriebsprüfung durch den Rentenversicherungsträger der Sachverhalt anders beurteilt wird. Daraus resultieren meist Nachzahlungen von Beiträgen und auch das Risiko der alleinigen Tragung der Arbeitnehmeranteile. Ein unterbliebener Abzug der Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge darf nur für die letzten 3 Lohn- und Gehaltsperioden nachgeholt werden. Es ist daher sehr sorgfältig zu prüfen, ob eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Das wichtigste Merkmal für eine Arbeitnehmereigenschaft liegt vor, wenn der Betroffene persönlich von seinem Auftraggeber abhängig ist. Liegen Merkmale sowohl einer Beschäftigung als auch einer Selbstständigkeit vor, entscheiden die überwiegenden Merkmale. 8
9 Hinweis Selbstständige können rentenversicherungspflichtig sein Sind Selbstständige von ihrer Tätigkeit und den Einkommensmöglichkeiten her eher einem Arbeitnehmer als einem Unternehmer vergleichbar, kann Versicherungspflicht zur Rentenversicherung als arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger bestehen. Die Beiträge zur Rentenversicherung müssen diese Personen selbst tragen. Kriterien der Abgrenzung Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung und gegen eine selbstständige Tätigkeit sprechen, sind: Der Erwerbstätige beschäftigt im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit regelmäßig keinen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig im Monat 450 EUR übersteigt. Der Erwerbstätige ist auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig. Der Auftraggeber oder ein vergleichbarer Auftraggeber lässt entsprechende Tätigkeiten regelmäßig durch von ihm beschäftigte Arbeitnehmer verrichten. Die Tätigkeit lässt typische Merkmale unternehmerischen Handelns nicht erkennen. Die Tätigkeit entspricht dem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit, die der Erwerbstätige für denselben Auftraggeber zuvor aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hatte. Diese Kriterien wurden durch die Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit entwickelt. Hinweis Es gelten die tatsächlichen Verhältnisse Entscheidend sind die tatsächlichen Verhältnisse. Die vertraglichen Bezeichnungen spielen keine Rolle. Antrag auf Statusentscheidung durch die Rentenversicherung Hat der Auftraggeber im Zusammenwirken mit dem Auftragnehmer Zweifel an dem Vorliegen von Versicherungspflicht oder wollen sich die Beteiligten rechtlich absichern, können sie bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) in Berlin beantragen, den Status des Erwerbstätigen feststellen zu lassen. Eine Statusfeststellung wird nicht durchgeführt, wenn vor der Antragstellung bereits durch die Einzugsstelle oder einen Rentenversicherungsträger, z.b. durch Ankündigung einer Betriebsprüfung, ein Verwaltungsverfahren, in dem auch über das Bestehen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entschieden werden kann, eingeleitet wurde. Antragsberechtigt sind Arbeitgeber/Arbeitnehmer bzw. Auftraggeber/Auftragnehmer. 9
10 Beiträge Wird bei einem bislang als selbstständig eingeordneten Auftragnehmer ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis festgestellt, gelten für die Beitragsberechnung die allgemeinen Grundsätze wie für alle Arbeitnehmer. Die Beiträge sind aus den erzielten Einnahmen (= beitragspflichtiges Arbeitsentgelt) zu berechnen und vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils zur Hälfte aufzubringen. Bei Erwerbstätigen, die nach dem Steuerrecht als Selbstständige beurteilt werden, gilt in der Rentenversicherung ein Betrag in Höhe der Bezugsgröße als monatliches Arbeitsentgelt. Im Jahr 2016 ist das im Rechtskreis West einschließlich West-Berlin ein Betrag i.h.v EUR und im Rechtskreis Ost einschließlich Ost-Berlin ein Betrag i.h.v EUR. Bei Nachweis eines höheren oder niedrigeren Einkommens ist jedoch dieses Einkommen zu berücksichtigen, mindestens jedoch monatlich 450 EUR. Hinweis Reduzierte Bemessungsgrundlage in den ersten 3 Jahren Für die ersten 3 Jahre nach Aufnahme der Tätigkeit gelten als beitragspflichtige Einnahme (ohne Nachweis der tatsächlichen Einnahmen) allerdings nur 50 % der monatlichen Bezugsgröße (2016: 1.452,50 EUR/West und 1.260,00 EUR/Ost). Der Versicherte kann allerdings beantragen, auch in den ersten 3 Jahren nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit Beiträge nach einem Entgelt i.h.v. 100 % der monatlichen Bezugsgröße zu zahlen. Diese Regelung gilt in der Rentenversicherung im Übrigen auch für diejenigen Personen, die als echte Selbstständige anzusehen sind und als solche der Rentenversicherungspflicht unterliegen. Bestandsschutz bindender Feststellungen nach altem Recht Die bis zum gültige Fassung des 7 Abs. 4 SGB IV war durch das Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit vom grundsätzlich rückwirkend zum in Kraft getreten. Sozialversicherungsverhältnisse, die aufgrund einer Entscheidung nach 7 Abs. 4 SGB IV (alter Fassung) bereits im Jahr 1999 unanfechtbar festgestellt worden sind, können nicht rückwirkend aufgehoben werden. Diese Bescheide können nur auf Antrag der Beteiligten und nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden. Notizen: 10
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