Universitätsrepetitorium - Sommersemester 2010
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- Emilia Heidrich
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1 Juristische Fakultät Universitätsrepetitorium - Sommersemester 2010 Bezüge zum Völker- und Europarecht Lehrstuhl für Öffentliches Recht insbes. Verfassungsrecht, und Rechtsphilosophie Prof. Dr. Christoph Möllers, LL.M. Kadi Lösungsvorschlag [Nach EuGH, Urteil vom 03. September in den verbundenen Rechtssachen C-402/05 P und C-415/05 P Kadi und Al Barakaat, EuR 2009, Heft 1, 80 ff.; vgl. auch die Besprechung des Urteils von Kämmerer, EuR 2009, Heft 1, 114 ff.] Herrn Kadi ist zu raten, eine Nichtigkeitsklage als Individualklage vor dem Gericht erster Instanz der Europäischen Union (EuG) zu erheben, wenn diese zulässig und begründet ist. A Zulässigkeit der Individualnichtigkeitsklage I Zuständigkeit des EuG für die Individualklage: Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU) sieht in seinen Art. 263 I, 264 eine Nichtigkeitsklage vor. Das EuG ist für diese Klage in erster Instanz zuständig, Art. 256 I 1 F. 1 AEU. II Klagegegenstand: Herr Kadi wendet sich gegen die Verordnung 881/2002. Hierbei handelt es sich um einen Gesetzgebungsakt der Europäischen Union (vgl. Art. 288 I, II AEU) und somit um einen tauglichen Klagegegenstand nach Art. 263 I 1 F. 1 AEU. III Klagebefugnis: Fraglich ist, ob Herr Kadi klagebefugt ist. Dann müsste ihn die Handlung der Europäischen Union, gegen die er sich wendet, unmittelbar und individuell betreffen
2 Seite: 2 (Art. 263 IV Alt. 1 AEU). Verordnungen sind abstrakt-generelle Rechtsakte. Mithin können private Kläger grundsätzlich nicht individuelle Adressaten einer Verordnung sein. Gleichwohl ist von einer individuellen Betroffenheit des Klägers auszugehen, wenn ihn der Rechtsakt wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten (sog. Plaumann-Formel, vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62, Slg. 1963, S. 199). Herr Kadi wird im Anhang der streitgegenständlichen Verordnung namentlich genannt. Somit gibt die Verordnung bereits vor, dass die in ihr enthaltenen Sanktionsmaßnahmen gegen ihn zu richten sind. Er ist zudem unmittelbar betroffen, da die Verordnung kein Ermessensspielraum bez. des Einfrierens der Konten gewährt. Die Beeinträchtigung Herrn Kadis ist vielmehr unvermeidbar. Dies reicht für die Annahme einer unmittelbaren Betroffenheit i.s.d. Vorschrift aus. Mithin ist Herr Kadi klagebefugt i.s.d. Art. 263 IV Alt. 1 AEU. IV Frist: Schließlich ist davon auszugehen, dass die Frist des Art. 263 VI AEU gewahrt wäre (siehe Bearbeitervermerk). B Begründetheit der Individualklage Die Individualklage nach Art. 263 IV AEU ist begründet, wenn ein Nichtigkeitsgrund des Art. 263 II AEU vorliegt. I Unzuständigkeit: Die VO 881/2002 könnte bereits deswegen nichtig sein, weil sie außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Europäischen Union erlassen wurde. 1) Die VO 881/2002 setzte die Resolutionen 1267(1999) und 1390(2002) des Sichreheitsrates der Vereinten Nationen um. Diese richtet sich an die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen; die Europäische Union ist als solche jedoch kein UN-Mitglied. 2) Dies führt indes nicht zu einer Unzuständigkeit der Europäischen Union. Die UN- Charta fordert zwar die Befolgung der Resolutionen des Sicherheitsrates. Sie überlässt es jedoch den Mitgliedern, die Beschlüsse des Sicherheitsrates in geeigneten internationalen Einrichtungen durchzuführen (Art. 48 II UN-Charta).
3 Seite: 3 Folglich ist die Zuständigkeit der Europäischen Union nach dem Unionsrecht zu bestimmen. a. Hiernach ist die Europäische Union zum Erlass eines Rechtsaktes nur dann zuständig, wenn die Mitgliedstaaten die Union hierzu primärrechtlich ermächtigt haben (Art. 5 II EU). Eine Ermächtigungsgrundlage für das Einfrieren von Konten findet sich in Art. 75 I, II AEU. Die VO 881/2002 dient der Bekämpfung des Terrorismus und somit der Verwirklichung eines Raums der Freiheit der Sicherheit und des Rechts (vgl. Art. 67 AEU). Daher ist dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung genüge getan. b. Nach dem Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 III EU ist die Zuständigkeit der EU jedoch nur gegeben, soweit auch die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahme auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Die Sanktionen der VO 881/2002 stehen in engem Zusammenhang mit dem freien Kapitalverkehr, welcher durch zahlreiche unionsrechtliche Vorschriften garantiert und gestaltet wird (vgl. Art. 63 ff. AEU). Zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen sowie aus Gründen einer zügigen und einheitlichen Umsetzung der UN-Resolutionen ist ein Tätigwerden auf Unionsebene gerechtfertigt. c. Folglich war die EU zuständig zum Erlass der VO 881/2002. II Verletzung der Verträge: Die VO 881/2002 könnte jedoch in sonstiger Weise den EU-Vertrag verletzen. 1) Dann stellt sich aber die Frage, ob die VO 881/2002 einer materiellen Rechtmäßigkeitskontrolle am Maßstab des Unionsrechts überhaupt zugängig ist. Denn die besagte Verordnung setzt lediglich detailgetreu Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen um. Eine Überprüfung der Verordnung bedeutete somit zwangsläufig eine inzidente Überprüfung Resolutionen. a. Gegen die Zulässigkeit einer materiellen Rechtskontrolle bei europäischen Umsetzungsakten von Sicherheitsratsbeschlüssen spricht, dass das UN-Recht aus völkerrechtlicher Sicht Vorrang gegenüber dem Recht der UN-Mitglieder genießt. Dies folgt aus Art. 103 der UN-Charta allgemein für Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der UN-Charta, während Art. 25 der UN-Charta die spezielle Pflicht der Mitglieder festschreibt, den Beschlüssen des Sicherheitsrates Folge zu leisten.
4 Seite: 4 Der Vorrang des UN-Rechts wird im Übrigen auch durch das europäische Primärrecht ausdrücklich anerkannt. Dies verdeutlicht Art. 351 I AEU, der besagt, dass die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten aus Übereinkünften, die bereits vor den Römischen Verträgen bestanden, durch die europäischen Verträge als zeitlich nachfolgende Übereinkommen nicht verdrängt werden. Der unbedingte Vorrang des UN-Rechts wäre nicht mehr gegeben, wenn regionale Gerichte wie das EuG Sicherheitsratsbeschlüsse einer Rechtmäßigkeitskontrolle unterzögen und sei es nur im Wege einer Inzidentprüfung anhand der Überprüfung einer Durchführungsmaßnahme. b. Der EuGH hält dagegen eine Rechtmäßigkeitskontrolle zumindest der VO 811/2002 als Durchführungsmaßnahme für zulässig. Hierbei handele es sich formal um einen Sekundärrechtsakt des Unionsrechts, der als solcher einer Überprüfung durch die europäischen Gerichte zugängig ist (vgl. Art. 19 I EU sowie das System der Art. 251 ff. AEU). Das Völkerrecht und das Unionsrecht seien autonome Rechtskreise; die Prüfung der Verordnung erfasse formal nicht die zugrunde liegenden UN-Resolutionen. Die faktisch mit dieser Prüfung einhergehende Inzidentkontrolle letzterer muss nach der Rechtsprechung des EuGH hingenommen werden: [280] Insoweit ist daran zu erinnern, dass die [Union] eine Rechtsgemeinschaft ist, in der weder ihre Mitgliedstaaten noch ihre Organe der Kontrolle daraufhin, ob ihre Handlungen mit der Verfassungsurkunde[n] der [Union], de[n] Vertr[ägen], im Einklang stehen, entzogen sind, und dass mit diese[n] Vertr[ägen] ein umfassendes System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen worden ist, das dem Gerichtshof die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe zuweist (Urteil vom 23. April 1986, Les Verts/Parlament, 294/83, Slg. 1986, 1339, Randnr. 23). [281] Außerdem können internationale Übereinkünfte nicht die in den Verträgen festgelegte Zuständigkeitsordnung und damit nicht die Autonomie des Rechtssystems der [Union] beeinträchtigen, deren Wahrung der Gerichtshof aufgrund der ausschließlichen Zuständigkeit sichert, die ihm durch Art. [19 Abs. 1 EU] übertragen ist, einer Zuständigkeit, die der Gerichtshof im Übrigen bereits zu den Grundlagen der [Union] selbst gezählt hat (vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/91 vom 14. Dezember 1991, Slg. 1991, I-6079, Randnrn. 35 und 71, und Urteil vom 30. Mai 2006, Kommission/Irland, C-459/03, Slg. 2006, I-4635, Randnr. 123 und die dort angeführte Rechtsprechung). [...]
5 Seite: 5 [284] Aus alledem folgt, dass die Verpflichtungen aufgrund einer internationalen Übereinkunft nicht die Verfassungsgrundsätze des [EU]- Vertrags beeinträchtigen können, zu denen auch der Grundsatz zählt, dass alle Handlungen der [Union] die Menschenrechte achten müssen, da die Achtung dieser Rechte eine Voraussetzung für ihre Rechtmäßigkeit ist, die der Gerichtshof im Rahmen des umfassenden Systems von Rechtsbehelfen, das dieser Vertrag schafft, überprüfen muss. [285] Insoweit ist hervorzuheben, dass sich in einem Kontext wie dem der vorliegenden Rechtssachen die dem [Union]srichter obliegende Rechtmäßigkeitskontrolle auf den [Union]srechtsakt bezieht, mit dem die betreffende internationale Übereinkunft umgesetzt werden soll, und nicht auf diese Übereinkunft als solche. [286] Was insbesondere einen [Union]srechtsakt angeht, der wie die streitige Verordnung der Umsetzung einer Resolution des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta dient, ist der [Union]srichter demnach nicht befugt, im Rahmen der in Art. [19 Abs. 1 EU] vorgesehenen ausschließlichen Zuständigkeit die Rechtmäßigkeit einer solcher Resolution des Sicherheitsrats zu prüfen, und sei diese Prüfung auf die Frage beschränkt, ob die betreffende Resolution mit dem ius cogens vereinbar ist. [287] Zudem würde ein Urteil eines [Union]sgerichts, mit dem festgestellt würde, dass ein [Union]srechtsakt zur Umsetzung einer solchen Resolution gegen eine höherrangige Norm der [Union]srechtsordnung verstößt, nicht den völkerrechtlichen Vorrang der betreffenden Resolution in Frage stellen. [...] c. Die Rechtssetzungsorgane der EU müssen zwar die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der UN-Charta und insbesondere die Beschlüsse des Sicherheitsrats beachten. Eine Grenze sei aber jedenfalls dann erreicht, wenn die Umsetzung der UN-Resolutionen die Verfassungsgrundsätze der europäischen Verträge, wozu jedenfalls die europäischen Grundrechte zählten, berühre: [293] Die Beachtung der im Rahmen der Vereinten Nationen übernommenen Verpflichtungen ist auch im Bereich der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit geboten, wenn die [Union] durch den Erlass von Rechtsakten, die auf der Grundlage [des Art. 75 AEU] ergehen, Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta umsetzt.
6 Seite: 6 [294] Bei der Ausübung der zuletzt genannten Befugnis muss die [Union] nämlich eine besondere Bedeutung dem Umstand beimessen, dass nach Art. 24 der UN-Charta der Sicherheitsrat, indem er aufgrund von Kapitel VII der Charta Resolutionen beschließt, die Hauptverantwortung wahrnimmt, die ihm zur weltweiten Wahrung des Friedens und der Sicherheit übertragen ist, eine Verantwortung, die im Rahmen des Kapitels VII die Befugnis einschließt, zu bestimmen, was eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellt, und die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um beide zu wahren oder wiederherzustellen. [...] [296] Ist die [Union] aufgrund einer solchen Handlung verpflichtet, im Rahmen des [AEU-Vertrags] die danach gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, impliziert diese Verpflichtung, wenn es um die Umsetzung einer Resolution des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta geht, dass die [Union] bei der Ausarbeitung der fraglichen Maßnahmen den Wortlaut und die Ziele der betreffenden Resolution sowie die maßgeblichen Verpflichtungen, die sich aus der UN-Charta in Bezug auf eine solche Umsetzung ergeben, gebührend berücksichtigt. [...] [301] Zwar hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Art. [351 AEU], wenn sein Tatbestand erfüllt ist, Abweichungen vom Primärrecht [...] zulassen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Centro-Com, Randnrn. 56 bis 61). [...] [303] Die betreffenden Bestimmungen können aber nicht dahin verstanden werden, dass sie eine Abweichung von den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zulassen, die in Art. [2,] 6 EU als Grundlage der Union niedergelegt sind. [304] Art. [351 AEU] könnte es nämlich keinesfalls erlauben, die Grundsätze in Frage zu stellen, die zu den Grundlagen der [Union]srechtsordnung selbst gehören, worunter auch der Schutz der Grundrechte fällt, der die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der [Union]srechtsakte im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten durch den [Union]srichter einschließt. 2) Fraglich ist nunmehr, ob die VO 811/2002 gegen europäische Grundrechte verstößt. a. Die Verordnung könnte den Anspruch Herrn Kadis auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz verletzen. Dieser Anspruch ist in Art. 47 der
7 Seite: 7 Grundrechte-Charta sowie in Art. 6 I der EMRK verbrieft und ist somit für die Organe der Union nach Art. 6 I UAbs. 1, III EU verbindlich. Zudem handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz (vgl. Art. 6 III EU), der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt. Der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes verlangt es, dass belastende Maßnahmen gegenüber dem Betroffenen angezeigt und ausführlich begründet werden. Denn nur dann ist es dem Betroffenen möglich, sich angemessen gegen die Maßnahme zu verteidigen. Herr Kadi wurde nie über die ihn belastende Maßnahme informiert. Das Einfrieren seiner Konten wurde gegenüber Herrn Kadi auch nicht begründet. Zwar mag es im Einzelfall angebracht sein, zwischen dem Interesse des Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz und widerstreitenden zentralen Geheimhaltungsbelangen der Staaten abzuwägen. Dies kann jedoch allenfalls dazu führen, dass die geplante Maßnahme gegenüber dem Betroffenen im Vorfeld nicht angedroht wird. Nach Vollzug der Maßnahme muss der Betroffene jedoch informiert werden. Auch ist seitens der Kommission nicht dargelegt worden, inwiefern eine Abwägung zwischen dem Anspruch Herrn Kadis auf rechtliches Gehör und dem rechtsstaatlichen Begründungserfordernis erfolgt ist. Folglich ist Herr Kadi bereits hierdurch in seinem Recht auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz verletzt. [345] In der vorliegenden Rechtssache ist zunächst festzustellen, dass [.] die streitige Verordnung [...] [k]ein Verfahren für die Mitteilung der Umstände, die die Aufnahme der Namen der Betroffenen in Anhang I der Verordnung rechtfertigen, gleichzeitig mit der Aufnahme oder im Anschluss daran und für deren Anhörung vors[ieht]. [346] Sodann ist darauf hinzuweisen, dass der Rat [Herrn Kadi] zu keinem Zeitpunkt die [ihm] zur Last gelegten Umstände mitgeteilt hat, die die erstmalige Aufnahme [seines] Namen[s] in Anhang I der streitigen Verordnung und dementsprechend die Verhängung der darin vorgesehenen Restriktionen gerechtfertigt haben sollen. [...] [348] Da der Rat [Herrn Kadi] weder die ih[m] zur Last gelegten Umstände mitgeteilt hat, mit denen die gegen [ihn] verhängten Restriktionen begründet werden, noch ich[m] das Recht gewährt hat, innerhalb einer angemessenen Frist nach Anordnung der betreffenden Maßnahmen Auskunft über diese Umstände zu erhalten, war[] [er] nicht in der Lage, [seinen] Standpunkt hierzu sachdienlich vorzutragen. Somit sind die Verteidigungsrechte [Herrn
8 Seite: 8 Kadis], insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör, nicht gewahrt worden. b. Schließlich könnte Herr Kadi auch in seinem Recht auf Eigentum, wie es sich aus Art. 17 der Grundrechte-Charta und dem 1. Zusatzprotokoll zur EMRK ergibt, verletzt sein. Die Konten des Herrn Kadi unterliegen diesem Eigentumsschutz. Dieser ist bereits berührt, wenn der Betroffene nicht frei über sein Eigentum verfügen kann. Dass Herr Kadi durch das Einfrieren der Konten nicht enteignet wird, ist daher unerheblich. Zwar sind Eingriffe in das Eigentum, die dem legitimen Ziel der Terrorismusbekämpfung dienen und verhältnismäßig sind, im Einzelfall gerechtfertigt sein. Nach dem EuGH schlagen vorliegend die verfahrensrechtlichen Defizite (siehe oben) auf das materielle Eigentumsrecht durch. Herr Kadi ist auch in seinem Eigentumsrecht verletzt. [367] Ferner ist zu prüfen, ob bei der Anwendung der betreffenden Verordnung auf Herrn Kadi dessen Eigentumsrecht im konkreten Fall gewahrt worden ist. [368] Insoweit ist daran zu erinnern, dass die anwendbaren Verfahren auch dem Betroffenen eine angemessene Gelegenheit bieten müssen, sein Anliegen den zuständigen Stellen vorzutragen. Um sicherzustellen, dass diese untrennbar mit Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 1 zur EMRK verbundene Voraussetzung eingehalten ist, sind die anwendbaren Verfahren abstrakt zu betrachten (vgl. in diesem Sinne u. a. EGMR, Urteil Jokela/Finnland vom 21. Mai 2002, Reports of Judgements and Decisions 2002-IV, 45 und die dort angeführte Rechtsprechung sowie 55). [369] Die streitige Verordnung ist jedoch, soweit sie Herrn Kadi betrifft, erlassen worden, ohne ihm irgendeine Garantie zu geben, dass er sein Anliegen den zuständigen Stellen vortragen kann, und dies in einer Situation, in der die Beschränkung seiner Eigentumsrechte im Hinblick auf die umfassende Geltung und effektive Dauer der gegen ihn verhängten Restriktionen als erheblich betrachtet werden muss. [370] Deshalb stellen unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache die Restriktionen, die die streitige Verordnung für Herrn Kadi durch seine Aufnahme in die Liste in ihrem Anhang I mit sich bringt, eine ungerechtfertigte Beschränkung seines Eigentumsrechts dar.
9 C Seite: 9 Urteilsinhalt: Das EuG wird auf die Individualnichtigkeitsklage die VO 881/2002 im Hinblick auf Herrn Kadi für nichtig erklären, Art. 264 I AEU. Mithin ist Herrn Kadi zu raten, die Klage nach Art. 263 I, II, IV AEU vor dem EuG zu erheben.
(Art. 57 Abs. 2 EG, 60 EG, 133 EG und 301 EG; Verordnung Nr. 881/2002 des Rates)
Quelle: http://curia.europa.eu Verbundene Rechtssachen C-402/05 P und C-415/05 P Yassin Abdullah Kadi und Al Barakaat International Foundation gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen
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