DER VERFASSUNGSGERICHTSHOF DES FREISTAATES SACHSEN
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- Willi Tiedeman
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1 Vf. 25-IV-01 DER VERFASSUNGSGERICHTSHOF DES FREISTAATES SACHSEN IM NAMEN DES VOLKES Beschluss In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn J. Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt R. hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen durch den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Dr. Thomas Pfeiffer sowie die Richter Klaus Budewig, Ulrich Hagenloch, Alfred Graf von Keyserlingk, Hans Dietrich Knoth, Hans v. Mangoldt, Siegfried Reich, Hans-Peter Schneider und Hans-Heinrich Trute am 18. Oktober 2001 b e s c h l o s s e n :
2 2 1. Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen, soweit mit ihr eine Verletzung von Artikel 18 der Sächsischen Verfassung gerügt wird. 2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. G r ü n d e : I. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des 7. Senats des Sächsischen Finanzgerichts vom 26. Februar 2001, durch den sein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine auf die Aufhebung eines Haftungsbescheids gerichtete Klage zurückgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer war Prokurist der S. GmbH und wurde nach deren Auflösung am 19. Oktober 1999 zum Liquidator bestellt. Wegen offener Steuerschulden der S. GmbH erließ das Finanzamt D. I gegen den Beschwerdeführer am 24. Januar 2000 einen Haftungsbescheid (Az. 201/118/04193) über DM ,52. Dieser wurde am 26. Januar 2000 durch Niederlegung zugestellt, wobei der Postzustellungsurkunde zu Folge der Benachrichtigungsschein in den Hausbriefkasten des Beschwerdeführers eingeworfen worden sein soll. Nach einer Mahnung durch das Finanzamt legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 16. März 2000, eingegangen am 20. März 2000, Einspruch gegen den Haftungsbescheid ein und beantragte am 03. April 2000 wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diese versagte das Finanzamt D. I mit Bescheid vom 30. August 2000 und verwarf zeitgleich den Einspruch als unzulässig. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer am 20. September 2000 beim Sächsischen Finanzgericht Klage und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Er verwies darauf, dass er den Benachrichtigungsschein in seinem Hausbriefkasten nicht vorgefunden und erst durch die Mahnung vom 08. März 2000 Kenntnis von dem Haftungsbescheid erlangt habe. Möglicherweise sei der Benachrichtigungsschein zwischen die in den Hausbriefkasten eingeworfenen Werbesendungen geraten und gemeinsam mit diesen vernichtet worden.
3 3 Durch Beschluss vom 26. Februar 2001, zugestellt am 02. März 2001, hat das Sächsische Finanzgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne und im Hinblick hierauf seiner Klage keine Erfolgsaussicht zukomme. Vor allem entschuldige das Verlegen oder Verlieren eines Schriftstückes ebenso wenig wie das Übersehen der Mitteilung oder die versehentliche Vernichtung des Benachrichtigungsscheins über die Zustellung. Hiergegen richtet sich die am 02. April 2001 eingegangene Verfassungsbeschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Artikel 15 SächsVerf i.v.m. dem Rechtsstaatsprinzip) sowie seines Grundrechts auf gleichen Zugang zum Gericht unabhängig von seinen wirtschaftlichen Verhältnissen (Artikel 18 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 SächsVerf) rügt. Er verweist darauf, dass er mit einer Zustellung nicht habe rechnen müssen, da gegen ihn weder ein gerichtliches Verfahren anhängig gewesen sei noch er sich mangels Anhörung durch das Finanzamt auf den Erlass eines Haftungsbescheides habe einstellen müssen. Der Sächsische Staatsminister der Justiz hat Stellung genommen. II. Die Verfassungsbeschwerde ist mangels einer den Erfordernissen von 38 SächsVerfGHG genügenden Begründung unzulässig, soweit mit ihr eine Verletzung von Artikel 18 SächsVerf geltend gemacht wird. Die Fachgerichte sind zwar durch Artikel 18 Abs. 1 SächsVerf i.v.m. Artikel 28 SächsVerf gehalten, bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes die Lage von Verfahrensbeteiligten, die zur Verfolgung ihrer Rechte der Prozesskostenhilfe bedürfen, weitgehend der Situation jener Verfahrensbeteiligten anzugleichen, welche die Verfahrenskosten aus eigenen Mitteln zu tragen haben (vgl. BVerfGE 81, 347 [356 ff.]; BVerfGE 78, 104 [117 f.]). Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Finanzgerichts kann dem Beschwerdeführer aber von vornherein nicht gegenüber wirtschaftlich besser situierten Verfahrensbeteiligten benachteiligen, da sie sich ausschließlich auf die mangelnde Erfolgsaussicht seines Vorbringens - nicht auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen nach 142 Abs. 1 FGO, 114 ZPO - stützt. III.
4 4 Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes geltend macht, bleibt die Verfassungsbeschwerde in der Sache ohne Erfolg. 1. In diesem Umfang ist die Verfassungsbeschwerde allerdings zulässig. a) Der Sächsische Verfassungsgerichtshof ist berechtigt, die Anwendung der bundesgesetzlichen Vorschriften der Finanzgerichtsordnung und der Zivilprozessordnung jedenfalls insoweit am Maßstab der Sächsischen Verfassung zu messen, als Letztere mit den grundgesetzlichen Gewährleistungen übereinstimmt (vgl. SächsVerfGHG, Beschluss vom Vf. 1 IV 95, JbSächsOVG 1998, 28; BVerfGE 96, 345 [364 ff.]). Eine solche deckungsgleiche Ausgestaltung besteht bei der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Zwar fehlt es an einer Artikel 78 Abs. 3 SächsVerf korrespondierenden Kodifizierung im Grundgesetz. Dies bewirkt aber keine inhaltliche Diskrepanz, da Artikel 78 Abs. 3 SächsVerf jedenfalls in Bezug auf die Effektivität des Rechtsschutzes nur ausdrücklich verankert, was Artikel 19 Abs. 4 GG, Artikel 2 Abs. 1 GG, Artikel 103 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip immanent ist (vgl. zur Deckungsgleichheit von Artikel 78 Abs. 2 SächsVerf mit Artikel 103 Abs. 1 GG: SächsVerfGH, Beschluss vom Vf. 20-IV-98 -; SächsVerfGH, Beschluss vom Vf. 1-IV-98 -; SächsVerfGH, Beschluss vom Vf. 20-IV-99). b) Die Verfassungsbeschwerde wahrt insoweit auch die sich aus 28 SächsVerfGHG ergebenden Begründungsanforderungen. Insbesondere ist unschädlich, dass der Beschwerdeführer wohl in Anlehnung an einige auf Artikel 2 Abs. 1 GG i.v.m. dem Rechtsstaatsprinzip gründende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (so bei Wiedereinsetzung zuletzt: BVerfG NJW-RR 2001, 1076; BVerfG, Beschluss vom BvR 1138/97) das verfassungsrechtliche Gebot wirkungsvollen Rechtsschutzes schwerpunktmäßig bei Artikel 15 SächsVerf angesiedelt hat, obwohl es seine spezifische Ausprägung durch Artikel 78 Abs. 2 und 3 SächsVerf erfährt. 2. Die Verfassungsbeschwerde ist aber unbegründet. a) Die in den Verfahrensordnungen enthaltenen Regelungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dienen der Verwirklichung einer fundamentalen Rechtsschutzgarantie (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom
5 5 - Vf. 53-IV-94 -), sodass die Fachgerichte die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlasst haben und vorbringen muss, um nach einer Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erhalten, nicht überspannen dürfen (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom Vf. 53-IV-94; BVerfGE 40, 88 [91 f.]; BVerfGE 25, 158 [166]; BVerfG NJW-RR 2001, 1076; BVerfG NJW 1997, 1770 [1771]; BVerfG, Beschluss vom BvR 1753/97; BVerfG, Beschluss vom BvR 1138/97). Dies gilt in besonderer Weise bei der Versäumung einer Einspruchsfrist nach 108 AO, bei der die Wiedereinsetzung die verfassungsrechtlich geforderte Ergänzung des summarischen Verwaltungsverfahrens bildet und die Risiken kompensiert, die sich durch die Zulässigkeit der Ersatzzustellung ergeben (vgl. für ersten Zugang zu Gericht: BVerfGE 41, 23 [26]; BVerfG, Beschluss vom BvR 1735/97 - ; SächsVerfGH, Beschluss vom Vf. 53-IV-94). b) Diesen Gewährleistungen wird der angegriffene Beschluss gerecht. aa) Keiner abschließenden Entscheidung bedarf dabei, ob sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine die erste gerichtliche Sachentscheidung eröffnende Wiedereinsetzung beim behaupteten Verlust des Benachrichtigungsscheins nach der hierzu im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit entwickelten Übung richten (vgl. BFH, Beschluss vom X B 101/00; BfH, Urteil vom V R 51/94 m.w.n.; FG München, Urteil vom K 4885/99; ebenso: LAG Frankfurt a.m., Beschluss vom Sa 1072/85 BB 1986, 1092) oder ob insoweit die im Bereich der Zivilrechtspflege im Vordringen befindliche Sicht (BGH NJW-RR 2001, 571; OLG Brandenburg OLG-NL 2001, 187 [188]; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 1148; abweichend: BayObLG, Beschluss vom Z BR 9/01) den Maßstab des Grundgesetzes und der Sächsischen Verfassung wiedergibt. bb) Der angegriffene Beschluss hält nämlich selbst vor dem letztgenannten Verständnis stand. Zwar hat sich das Finanzgericht bei seiner Darstellung der Erfordernisse für eine Wiedereinsetzung an der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs orientiert, die insoweit an die Gewährung einer Wiedereinsetzung strengere Anforderungen stellt als die höchstgerichtliche Zivilrechtsprechung. Die nachfolgenden Ausführungen des Finanzgerichts belegen aber, dass der Beschluss vom letztlich auf einer einzelfallbezogenen Gesamtwürdigung beruht,
6 6 gegen die verfassungsrechtlich mangels näherer Darlegung der Empfangsorganisation im Haushalt des Beschwerdeführers nichts zu erinnern ist. So hat dieser weder vorgetragen, in welchem Umfang in seinen Hausbriefkasten tatsächlich Werbematerial eingeworfen wird, noch welche Personen üblicherweise den Inhalt des Hausbriefkastens entnehmen und ob diese hierbei in der Vergangenheit die erforderliche Sorgfalt haben walten lassen. IV. Die Entscheidung ergeht kostenfrei ( 16 Abs. 1 SächsVerfGHG). gez. Pfeiffer gez. Budewig gez. Hagenloch gez. Graf von Keyserlingk gez. Knoth gez. v. Mangoldt gez. Reich gez. Schneider gez. Trute
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