1. GEGENSTAND UND GRUNDBEGRIFFE DER STATISTIK
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- Peter Gerhardt
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1 1 1. GEGENSTAND UND GRUNDBEGRIFFE DER STATISTIK 1.1 Gegenstand der Statistik Die Statistik stellt ein Instrumentarium bereit, um Informationen über die Realität oder Wirklichkeit verfügbar zu machen. Definition der Statistik: Statistik ist die Lehre von Methoden der Gewinnung, Charakterisierung und Beurteilung von Informationen über die Wirklichkeit (Empirie). Informationen: Gewinnung: Charakterisierung: Beurteilung: Systematisch beobachtbare zähl- oder messbare Sachverhalte Datenerhebung, Operationalisierung und Systematisierung von Konzepten, Planung der Datenerhebung (design of experiments, design of surveys) Berechnung von zusammenfassenden Kennzahlen Schließen von unvollständigen Informationen (z.b. von einer Stichprobe) auf die zugrunde liegende Grundgesamtheit, Bereitstellen von Entscheidungsgrundlagen. Abbildung 1.1: Bereiche der Statistik Statistik Statistische Methodenlehre Deskriptive Statistik Induktive Statistik Zeitreihenanalyse Angewandte Statistik Wirtschaftsstatistik Bevölkerungsstatistik Sozialstatistik Multivariate Statistik
2 2 1.2 Statistische Einheiten und Massen Zentrale Fragen bei einer Erhebung von Daten: Welche Tatbestände sollen erhoben werden? Merkmale (Abschn. 1.3) Wer kommt als Träger der Informationen in Betracht? Statistische Einheiten Abbildung 1.2: Arten von statistischen Einheiten Statistische Einheiten Personen Organisationen Gegenstände Ereignisse Geographische Einheiten ein Kunde ein Unternehmen ein Gebäude eine Geburt eine Region ein Einwohner eine Universität ein Auto ein Unfall ein Kreis ein Haushalt ein Verband ein Produkt eine Auslieferung ein Staat In bestimmten Fällen ist eine Unterscheidung zwischen Erhebungs- bzw. Zähleinheiten und Untersuchungseinheiten (Darstellungs-, Auswertungseinheiten) vorzunehmen. Beispiel: Es können z.b. Eigenschaften von Arbeitnehmern wie Stundenlöhne oder Arbeitszeiten interessieren, die bei den Betrieben erhoben werden. In diesem Fall sind die Betriebe Erhebungseinheiten, die Arbeitnehmer dagegen Untersuchungseinheiten.
3 3 Statistische Masse Alle statistischen Einheiten zusammen bilden die statistische Masse (Grundgesamtheit, Kollektiv). Abgrenzung einer statistischen Masse (Identifikationskriterien): - sachlich, - räumlich, - zeitlich Tabelle 1.1: Fragen zur Abgrenzung statistischer Massen Abgrenzungskriterien Frage zur Abgrenzung sachlich Wer oder was sind statistische Einheiten, bzw. wer oder was sind die Träger der Information? räumlich Wo befinden sich die statistischen Einheiten? zeitlich Wann müssen die statistischen Einheiten existieren? Beispiel: Beispiele für die Abgrenzung der statistischen Masse sind: eingeschriebene Studenten (sachlich) in Kassel (räumlich) im Wintersemester eines bestimmten Jahres (zeitlich), Verkehrsunfälle (sachlich) in Hessen (räumlich) in einem bestimmten Zeitraum (zeitlich), Käufer eines Produkts (sachlich) im Monat Dezember eines bestimmten Jahres (zeitlich), die in Deutschland wohnen (räumlich). Beispiel: Unternehmenserhebungen Hier ist die Frage nach der sachlich adäquaten statistischen Einheit von besonderer Relevanz. Sind in einer konkreten Erhebung Unternehmen, Betriebe, Arbeitsstätten oder fachliche Einheiten (fachliche Unternehmensteile, fachliche Betriebsteile) als statistische Einheiten anzusehen.
4 4 Differenzierung der statistischen Masse nach der Verweildauer Bestandsmassen (stocks) --- Bewegungsmassen, Ereignismassen (flows) Eine statistische Einheit gehört Eine statistische Einheit gehört einer Bestandsmasse eine Bewegungsmasse nur eine bestimmte Zeit an. gedachte Sekunde an. stichtagsbezogen Erfassung Zugangsmasse, Abgangsmasse periodenbezogene Erfassung Korrespondierende Massen: Bestands- und Bewegungsmassen, die über eine Fortschreibungsformel miteinander verbunden sind. Fortschreibungsformel: Endbestand = Anfangsbestand + Zugänge Abgänge B t = B t-1 + Z t A t B t = Bestand zum Zeitpunkt t (= Endbestand der Periode von t 1 bis t) B t-1 = Bestand zum Zeitpunkt t 1 (= Anfangsbest. der Periode t 1 bis t) Z t A t = Zugangsmasse in der Periode t 1 bis t = Abgangsmasse in der Periode t 1 bis t B t-1 Z t - A t B t t-1 Periode t t Zeit Schließen aus einer Nettoänderung der Bewegungsmassen (Z t A t ) auf die zugehörige Bestandsveränderung (B t B t-1 ): B t Bt 1 Bes tan dsveränderung = Z t At Nettoveränderung der Bewegungsmassen
5 5 Beispiel: Korrespondierende Massen Bevölkerung = Bevölkerung Geburten Zuwanderungen 2003 Sterbefälle 2003 Abwanderungen 2003 Kapitalstock = Kapitalstock Bruttoinvestitionen 2003 Abschreibungen 2003
6 6 1.3 Merkmale Statistische Einheiten: besitzen Vielzahl von Eigenschaften (= Tatbestände). Bei Erhebung: nur ganz bestimmte Tatbestände interessieren. Beispiel: Volkszählung Bei einer Volkszählung interessieren nur Tatbestände der Bevölkerung, die für allgemeine Planungszwecke relevant sind. Hierzu zählen bevölkerungsund erwerbsstatistische Merkmale wie z.b. das Alter, das Geschlecht, die Religion, die Stellung im Beruf, die Erwerbstätigkeit, nicht jedoch individuelle Eigenschaften und Tatbestände wie z.b. Krankheit, Urlaubsreise, Vereinszugehörigkeit. Merkmal: Eigenschaft einer statistischen Einheit, die bei einer statistischen Untersuchung interessiert. Abbildung 1.3: Statistische Einheit und Merkmale Statistische Einheit Merkmal 1 Merkmal 2 Merkmal 3 Merkmal 4 Merkmalsausprägungen: Mögliche Realisationen, Modalitäten Merkmalsträger: Statistische Einheit, an der ein Merkmal erhoben wird. Merkmalswert (Beobachtungswert, Messwert): Eine an einer statistischen Einheit ermittelte Merkmalsausprägung
7 7 Die statistischen Einheiten interessieren nur in ihrer Eigenschaft als Merkmalsträger, d.h. nicht in ihrer Totalität (mit allen ihren Kennzeichen), nicht in ihrer Individualität (Statistik arbeit mit anonymen Daten). Ein Merkmal muss operational definiert sein, d.h. es muss bei der Beobachtung einer statistischen Einheit entscheidbar sein, welche Merkmalsausprägung vorliegt. Beispiel: Operationale Definition Wird z.b. das Merkmal Bildung durch die Anzahl der Jahre des Schulbesuchs gemessen, so liegt zwar eine enge, aber operationale Definition vor. Unterscheidet man die Ausprägungen hochgebildet, gebildet und ungebildet (nach welchen Kriterien?), dann liegt keine operationale Definition vor. Beispiel: Merkmal und Merkmalsausprägungen Merkmal Alter (operational definiert als Anzahl der vollendeten Jahre) Geschlecht (dichotomes Merkmal, d.h. Merkmal mit zwei Ausprägungen) Haushaltsgröße (Anzahl der Personen pro Haushalt) Stellung im Beruf (Gliederung der amtlichen Statistik) Güteklasse (operationale Definition der Qualität eines Produkts) Merkmalsausprägungen Ausprägungen: 0, 1, 2, 3,... Jahre Klassen: z.b. bis unter 15 Jahre 15 bis unter 30 Jahre 30 bis unter 50 Jahre 50 bis unter 65 Jahre über 65 Jahre männlich, weiblich 1, 2, 3,... Personen Selbständige, Mithelfende Familienangehörige, Beamte, Angestellte, Arbeiter z.b. I, II, III, IV A, B, C, D
8 8 nach dem Informationsgehalt Arten von Merkmalen Qualitative Merkmale Komparative Merkmale Quantitative Merkmale = oder Zusätzl.: > oder <; Zusätzl.. mind. Differenzen interpretierbar d.h. Rangfolge Nominalskala Ordinalskala Metrische Skala z.b. Nationalität, Steuerklasse z.b. Güteklasse, Schulnoten z.b. Haushaltsgröße, Einkommen, Rendite Metrische Skala Intervallskala Verhältnisskala Absolutskala Differenzen interpretierbar (kein natürlicher Nullpunkt) Verhältnisse interpretierbar (natürlicher Nullpunkt) z.b. Temperatur, Scheidungsjahr z.b. Einkommen, Rendite Natürlicher Nullpunkt und natürliche Einheit z.b. Haushaltsgröße, Kinderzahl nach der Anzahl möglicher Merkmalsausprägungen Diskrete Merkmale Quasi-stetige Merkmale Stetige Merkmale Das Merkmal ist streng genommen diskret, kann in Das Merkmal kann Das Merkmal kann in einem Intervall a x b aber in einem Intervall einem Intervall a x b sehr viele Werte annehmen, so dass es praktisch viele Werte anneh- a x b unendlich nur endlich viele Werte annehmen. wie ein stetiges Merkmal men. behandelt wird. z.b. Steuerklasse, z.b. Einkommen, Umsatz z.b. Alter, Rendite Haushaltsgröße Auszählung Klassierung
9 9 nach der Häufbarkeit Nicht-häufbare Merkmale Eine statistische Einheit kann nur einen Merkmalswert bei einem Merkmal haben (Normalfall). z.b. Einkommen, Alter Häufbare Merkmale Eine statistische Einheit kann mehrere Merkmalswerte bei einem Merkmal haben. z.b. Beruf, Krankheit Da nicht-häufbare Merkmale für die statistische Auswertung günstiger sind, werden für Doppelausprägungen häufig eigene Kategorien wie z.b. Bäcker und Konditor beim Merkmal Beruf gebildet. nach der Art der Messung Manifeste Merkmale Direkt beobachtbare Merkmale z.b. Umsatz, Alter, Haushaltsgröße Latente Merkmale Merkmale werden indirekt gemessen bzw. konstruiert. z.b. Intelligenz, Nutzen Man schließt z.b. von (manifesten) Meinungsäußerungen (opinions) auf latente Einstellungen (attitudes), von der (manifesten) Fähigkeit, bestimmte Aufgaben zu lösen und Fragen zu beantworten auf die dahinterstehende Intelligenz als latentes Konstrukt.
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