Zu wenig altersgerechte und barrierearme Wohnungen Konsequenzen wenn nichts passiert
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- Dennis Kappel
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1 Zu wenig altersgerechte und barrierearme Wohnungen Konsequenzen wenn nichts passiert Kurzvortrag Impulse für den Wohnungsbau in Nürnberg Freitag, Dr. Thomas Beyer, MdL Landesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt in Bayern I. Wohnverhältnisse von Älteren Der Zweite Bericht der Staatsregierung zur sozialen Lage in Bayern von 2009 zeigt eine differenzierte Situationsanalyse zu den Wohnverhältnissen von Älteren 1. Im Durchschnitt steht danach jedem Haushalt in Bayern eine Wohnfläche von 99 m² bzw. 45 m² pro Kopf zur Verfügung. Die Wohnungen von Haushalten mit 65-jähriger oder älterer haupteinkommensbeziehender Person sind mit durchschnittlich 94 m² etwas kleiner. Dies gilt besonders bei den 75-Jährigen und älteren mit 89 m². Da Ältere jedoch öfter alleine oder zu zweit wohnen, steht über 65-Jährigen pro Kopf mit 62 m² eine größere Fläche zur Verfügung als im Durchschnitt der Bevölkerung. Der Pro-Kopf-Wohnfläche-Konsum der Älteren übersteigt mit 62 m² den der unter 65-Jährigen mit 42 m² um 20 m². Der Wohnkonsum der Älteren hat sich nach den Angaben des Sozialberichtes Bayern 2009 in den letzten Jahrzehnten erheblich erhöht. Zehn Jahre zuvor waren es erst 57 m². Ältere, vor allem 65- bis unter 80-Jährige leben seltener in beengten Verhältnissen als andere Haushalte. Im Ländervergleich aber müssen Ältere in Bayern (10%) öfter 1 Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Zweiter Bericht der Staatsregierung zu sozialen Lage in Bayern, München 2009 (im Folgenden: Sozialbericht Bayern 2009), S. 556 ff.
2 in beengten Wohnverhältnissen leben als Ältere in Baden-Württemberg (5%) oder in Nordrhein-Westfalen (5%). Die Wohneigentumsquote der Älteren liegt mit 48% fast genau beim Landesdurchschnitt von 49%. Aufgrund günstigerer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen wohnen die nachrückenden jüngeren Alten mit 65- bis unter 75-jähriger haupteinkommensbeziehender Person häufiger in den eigenen vier Wänden als die 75-Jährigen und älteren. Die Einkommensbelastung durch die Ausgaben für das Wohnen liegt bei Älteren leicht über dem Landesdurchschnitt, wenn sie zur Miete wohnen. Bei Älteren, die im Eigentum wohnen, liegt sie aber deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Die niedrigere Belastung der Eigentümer spiegelt das Altersvorsorgepotenzial von Wohneigentum wieder, weil im Rentenalter nur noch Nebenkosten, jedoch kaum noch Zins- oder Tilgungsleistungen anfallen. Die höhere Belastung der Älteren in Mietwohnungen wird zum Teil durch steigende Mieten, vor allem aber durch sinkende Einkommen ab dem Renteneintritt verursacht. Der Sozialbericht 2009 der Arbeiterwohlfahrt 2 hebt hervor, dass sich gerade bei älteren Menschen das Leben und der Tagesablauf häufig auf die Wohnung und deren Umfeld konzentriere. Beides trage zu Wohlbefinden und Teilhabe bei. Der AWO-Sozialbericht identifiziert die Miethöhe für ältere Menschen als einen entscheidenden Faktor, der zum Armutsrisiko wird, vor allem in den niedrigen Einkommensgruppen. Ein großer Teil der Haushalte in Deutschland mit hoher Mietbelastung 3 sind danach Ein-Personen-Haushalte (47,6%), darunter viele von Senioren. Unbeschadet der Gefahr unzulässiger Pauschalierungen lässt sich demnach als Zwischenergebnis festhalten, dass die Wohnraumversorgung von Älteren als solche überwiegend gesichert erscheint. Andererseits ist auch in Bayern für eine nicht zu vernachlässigende Gruppe der Älteren das Thema beengter Wohnverhältnisse, 2 AWO Bundesverband e. V. (Hrsg.), Sozialbericht 2009, Was hält die Gesellschaft zusammen? Zur Zukunft der sozialen Arbeit in Deutschland, Berlin 2009, S. 229 f. 3 Nach dem 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung gilt eine Mietbelastung als besonders hoch, wenn sie mehr als 30% beträgt (Brutto-Kaltmiete in Prozent des Haushaltsnettoeinkommens). 2
3 insbesondere aber bezahlbaren Wohnraumes akut. Die Miethöhe ist gerade in diesen Fällen ein nicht zu leugnender Faktor für das Auftreten von Altersarmut. II. Wohnsituation von Pflegebedürftigen In Bezug auf die Wohnsituation von pflegebedürftigen Menschen zeigt sich der Sozialbericht Bayern 2009 weniger konkret 4. Festzuhalten ist zunächst, dass zwei Drittel der Pflegebedürftigen zu Hause leben. Die Pflegestatistik in Bayern weist für Dezember insgesamt Pflegebedürftige aus. Danach wurden zu Hause (66,8%) versorgt. Durch Pflegedienste wurden ambulant Pflegebedürftige betreut. In Fällen wurde die häusliche Pflege durch die Angehörigen geleistet. Allein diese Zahlen beweisen, in welch hoher Zahl bereits heute Wohnraum auch auf den Aspekt der Pflegebedürftigkeit Rücksicht nehmen müsste. Die Realität wird dem erfahrungsgemäß freilich in den wenigsten Fällen gerecht. Nach dem Sozialbericht Bayern wird in den nächsten Jahren der Bedarf an Leistungen der Pflege dramatisch wachsen. So wird die Zahl der Pflegebedürftigen zwischen 2005 und 2020 im gesamten Bundesgebiet um 36,8% zunehmen. In Bayern wird sie sogar überdurchschnittlich ansteigen (37,8%). Die Zahl der Pflegebedürftigen erhöht sich hier nach den Prognosen der Bayerischen Staatsregierung von rund im Jahr 2005 auf im Jahre Ungeachtet der Frage, in welchem Umfang tatsächlich Pflegebedürftigkeit künftig nach dem Grundsatz ambulant vor stationär primär zu Hause organisiert werden kann, ergibt sich unmittelbar, dass allein bei Fortschreibung des bisherigen Verhältnisses von ambulanter und stationärer Pflege auch die Notwendigkeit einer alters- und pflegegerechten Wohnraumgestaltung dramatisch zunehmen wird. Der Sozialbericht Bayern 2009 führt an 7, entsprechend dem vorgenannten Grundsatz gebe es zunehmend mehr Anpassungen im Bestand und entsprechende 4 Vgl. S. 590 f. 5 Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung. 6 S. 588 f. 7 S
4 Neuerrichtungen von Wohnungen mit dem Ziel, dass Wohnen zu Hause auch für Pflegebedürftige zu ermöglichen. Konkrete Zahlen, insbesondere Aussagen zu einem Zuwachs von pflegegerechten und barrierefreien Wohnungen in Bayern werden aber nicht genannt. Stattdessen muss der Verweis auf die seit 1. Januar 2008 in Bayern in Art. 48 der Bayerischen Bauordnung neu gegebenen rechtlichen Voraussetzungen genügen. Demnach müssen in Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein. Auch mit den neuen Wohnraumförderungsbestimmungen 2008 werde das Ziel verfolgt, Wohnraum barrierefrei zu gestalten. Die DIN Teil 2 ist danach für alle im bayerischen Wohnungsbauprogramm zu fördernden Miet-/Genossenschaftswohnungen verbindlich vorgeschrieben. Auch die Bundesregierung verweist darauf, amtliche statistische Angaben zur Zahl der altersgerechten und barrierefreien Wohnungen in Deutschland liegen nicht vor 8. Die Bundesregierung macht sich indes die Einschätzung der Expertenkommission Wohnen im Alter zu eigen, die im Rahmen des Forschungsvorhabens Marktprozesse und wohnungspolitischer Handlungsbedarf des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung die Zahl der mobilitätseingeschränkten Haushalte bis 2020 auf rund 3 Millionen beziffert. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe hat im Rahmen des Forschungsvorhabens des Bundesbauministeriums die Wohnsituation älterer Menschen in Deutschland untersucht und die hierfür einberufene Sachverständigenkommission wissenschaftlich begleitet 9. Nach einer dabei 2009 durchgeführten repräsentativen Befragung von Seniorenhaushalten ergibt sich, dass gerade einmal 5 Prozent aller Altershaushalte in Wohnungen leben, die als barrierefrei bzw. als barrierearm gelten. Nach dem KDA entspricht dies ca Wohnungen. Als Fazit stellt das KDA fest, um für alle Seniorenhaushalte ein bedarfsgerechtes Wohnangebot sicher zu stellen, müssten aktuell über 10 Millionen Wohnungen 8 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage Drs. 17/1688 in Drs. 17/1948 vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA), Pro Alter 2010, S. 26 ff. 4
5 barrierefrei bzw. zumindest barrierearm gestaltet werden. Um aber wenigstens für die Seniorenhaushalte, in denen Mobilitätseingeschränkte leben, ein bedarfsgerechtes Wohnangebot zur Verfügung zu stellen, müssten in den nächsten Jahren mindestens 2,5 Millionen Wohnungen in Bezug auf ihre barrierefreie Gestaltung saniert werden. Die Sachverständigenkommission Wohnen im Alter vermittelt in diesem Zusammenhang bis 2013 für die 2,5 Millionen anzupassenden Wohnungen für mobilitätseingeschränkte Senioren einen Investitionsbedarf von 39 Milliarden Euro, wobei der spezifische Mehraufwand für einen altersgerechten Wohnungsstandard mit knapp 18 Milliarden Euro beziffert wird. Dem gegenüber räumt die Bundesregierung ein, dass die im Rahmen des KfW- Programms Altersgerecht Umbauen für die alters- und behindertengerechte Anpassung des Wohnungsbestandes in den Jahren 2009 bis 2011 mit jährlich rund 80 Millionen Euro für die Zinsverbilligung von Darlehen bereitgestellten Mittel im Rahmen des Haushaltsgesetzes 2010 auf 72 Millionen Euro abgesenkt wurden. Für das zum 1. Mai 2010 neu gestartete Zuschussprogramm steht eine ebenfalls um 10 Prozent auf 18 Millionen Euro gesenkte Summe im Bundeshaushalt 2010 bereit 10. Gerade die Ausreichung von Zuschüssen ist aber im Rahmen der Verbesserung der Wohnsituation von Älteren sinnvoll, wenn diese im eigenen Wohnraum leben. Viele Eigenheimbesitzer sind häufig im Alter nicht mehr bereit, sich zu verschulden oder werden vielfach leider seitens der Banken als nicht mehr kreditwürdig angesehen 11. In Bayern hat die Bayerische Landesbodenkreditanstalt im Jahr 2009 nach dem Bayerischen Wohnungsbauprogramm und dem Bayerischen Modernisierungsprogramm den Neubau oder die Modernisierung von Mietwohnungen und Eigentumsmaßnahmen gefördert 12. Die Pflegeversicherung fördert nach 40 Abs. 4 SGB XI subsidiär Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes von Pflegebedürftigen. Zuschüsse dürfen einen Betrag in Höhe von Euro je Maßnahme nicht übersteigen. Dieser Betrag wurde auch im Rahmen der Pflegeversicherungsreform 2008 nicht wie andere 10 Drs. 17/1948, S KDA PA 2010, 26 (30). 12 Bayer. Labo, Förderbericht über das Geschäftsjahr
6 Leistungen angehoben und auch nicht dynamisiert. Die Bundesregierung erklärt, ihr lägen zur Zahl der diesbezüglich gestellten Anträge auf Zuschüsse zur Wohnumfeldverbesserung sowie deren Bewilligung seitens der Pflegekassen keine Angaben vor. Die Ausgaben der Pflegeversicherung für derartige Maßnahmen hätten im Jahr Millionen Euro betragen 13. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die im Rahmen der bestehenden Förderinstrumente zur Verfügung gestellten Mittel auch nicht ansatzweise ausreichen, um den insbesondere durch die Sachverständigenkommission Wohnen im Alter im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ermittelten Bedarf zu decken. Deutlich verbesserungsbedürftig erachtet das KDA auch die Informationspolitik den betroffenen Akteuren gegenüber. Das bestehende Netz an Wohnberatungsstellen reiche danach nicht aus, um die Informationsdefizite zu beseitigen. Die Länder förderten oft nur punktuell oder gar nicht. Die Zahl der (bekannten) Wohnberatungsangebote bemisst sich nach der Erhebung des KDA 14 im Jahr 2009 auf insgesamt 357. Für Bayern nennt der Sozialbericht Bayern 2010 eine Zahl von 11 Wohnberatungsstellen, die zu alters- und behindertengerechter Gestaltung des Wohnumfeldes informieren im Jahr III. Wenn nichts passiert wird nicht nur unverändert, sondern vermehrt der Bedarf nach altersgerechten, insbesondere barrierearmen Wohnung nicht gedeckt sein. Während die demographische Entwicklung und das weitere Zerfallen sozialer Netzwerke eine zunehmende Vereinsamung auch der Älteren zur Folge haben wird besteht die Gefahr, dass gerade das Fehlen eines altersgerechten Wohnumfeldes die andererseits sich deutlich weiterentwickelnde Selbständigkeit und Aktivität älterer Menschen nicht ausreichend unterstützt. 13 Drs. 17/1948, S KDA PA 2010, 26 (32). 15 S
7 Die eintretende Hilfebedürftigkeit hinsichtlich hauswirtschaftlicher und pflegerischer Dienste muss kein Grund sein, die vertraute Wohnumgebung zu verlassen. Wenn aber fehlende Barrierefreiheit, ungeeignete Wohngrundrisse oder ungeeignete sanitäre Anlagen auch das unterstützte Wohnen zuhause unmöglich machen ist die Übersiedelung in die stationäre Betreuung oftmals nicht mehr zu verhindern. Altersgerechten und barrierefreien Wohnraum zu entwickeln heißt demnach nicht nur, einen Beitrag zur Vermeidung vermehrter und vorzeitiger Betreuung im Heim zu leisten und damit Kosten für Angehörige, Pflegekassen und gegebenenfalls Sozialhilfeträger zu vermindern. Es bedeutet vielmehr in erster Linie, älteren Menschen so lange und so weit wie möglich Selbständigkeit und Unabhängigkeit im vertrauten Wohnumfeld zu bewahren. Altersgerechten und barrierefreien Wohnraum nicht zu schaffen heißt, den Menschen früher als nötig ihr Zuhause zu nehmen. 7
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