Ländliche Baukultur an der Universität Greifswald

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1 Ländliche Baukultur an der Universität Greifswald von Mario Schmelter, IGB Studierende der Kunstgeschichte entdecken den ländlichen Raum 1 Dass der ländliche Raum Mecklenburg-Vorpommerns von Gutsanlagen geprägt wird, welche mehr oder minder gut erhalten die Zeiten überdauert haben, ist hinlänglich bekannt. Über die Vielzahl der Schlösser und Herrenhäuser, weniger über die Hofanlagen und Parks, ist den letzten 20 Jahren einige Literatur erschienen. Weniger augenscheinlich ist die bäuerliche Bautradition, insbesondere im vorpommerschen Landesteil. Während in Mecklenburg viele, z. T. jahrhundertealte Hofstellen noch baulich fassbar sind, muss man in Vorpommern schon genauer hinsehen, um einen Bauernhof zu entdecken, der vor den Bestrebungen der Binnenkolonisation im 19. und 20. Jahrhundert entstanden ist. Um den Studierenden des Faches Kunstgeschichte diese Seite ländlichen Bauwesens auch aus der Sicht der Hausforschung nahe zu bringen, führte der Verfasser im diesjährigen Sommersemester ein Seminar mit dem Titel Die ländliche Architektur der frühen Neuzeit und der Neuzeit in Mitteleuropa durch. Diese Lehrveranstaltung bot einen Überblick über die bäuerlichen Haus- und Hofformen von Ostfriesland bis in das Baltikum. Einen Schwerpunkt bildete das Hallenhaus, zu dessen Gebiet zumindest der nördliche Teil Vorpommerns gehörte. Ergänzt wurde das Seminar durch mehrere Tagesexkursionen, von denen ich kurz berichten möchte. Nach einer Einführung in die Haus- und Bauforschung und in ihre Fachterminologie ging es zu einem ersten kleinen Ausflug in die Altstadt Greifswalds, um dort an historischen Gebäuden verschiedene Holzverbindungen und Fachwerkkonstruktionen zu erläutern. Der Holznagel 5 / Einige der Exkursionsteilnehmer lauschen den Ausführungen von Herrn Stellwag zum Schloss Ludwigsburg. So besichtigten wir den nicht ausgebauten Dachboden eines Hauses aus der Mitte des 16. Jahrhunderts in der Domstraße. Dieses Haus besitzt ein sehr steiles Kehlbalkendach mit einem mittig stehenden Stuhl, bei dem sämtliche Verbindungen eine Schwalbenschwanz-Blattung aufweisen. Die Kehlbalken sind mit einem einfachen und zusätzlich mit einem Fugenquernagel an den Sparren befestigt. An einem Stubeneinbau aus dem 19. Jahrhundert konnten wir eine andere Variante einer Holzverbindung in situ studieren, die Zapfung. Die meisten der Studierenden haben zum ersten Mal von diesen Dingen gehört und sie bewusst wahrgenommen. Um zu zeigen, dass Häuser nicht nur aus Holzverbindungen bestehen, sondern noch viele andere Dinge beinhalten und oft auch interessante und komplizierte Baugeschichten haben, fuhren wir anschließend nach Neuenkirchen, einem Dorf etwa 2 km nördlich von Greifswald. Unser Ziel dort war das derzeit unbewohnte Pfarrhaus. Hier finden sich ca. 350 Jahre Baugeschehen am Haus selbst, aber auch in der jeweils zeittypischen Ausstattung wieder. Die Baugeschichte sei hier nur kurz skizziert. Ein im Jahre 1635 erbautes Hallenhaus wurde im 30-jährigen Krieg zerstört, so dass der Pfarrer vorübergehend in der Kirche wohnen musste. Erst 1651 wurde ein Bauernhaus aus dem ca. 15 km entfernt gelegenen Hanshagen transloziert und hier wieder aufgebaut. Dieses Haus bekam 1781 einen fünf Achsen breiten, traufständigen 55

2 2 2 Die vier nördlichen Achsen des Pfarrhauses in Neuenkirchen 3 Blick in die Lucht des Haupthauses des Hofes Peters im Freilichtmuseum Klockenhagen 4 Die ehemalige Durchfahrtsdiele der Gutsscheune in Ludwigsburg Anbau. So standen das Hallenhaus und das angebaute Querhaus knapp 50 Jahre, was gerade im Bereich des Zusammentreffens der beiden Rohrdächer immer wieder zu Problemen führte. Im Jahre 1829 war das alte Hallenhaus so desolat, dass es abgebrochen wurde und durch einen traufständigen Neubau ersetzt wurde. In dieser Form, als neunachsiges Querhaus, präsentiert sich uns das Haus noch heute. Im Inneren sind diese Baumaßnahmen auch an der noch fast komplett erhaltenen historischen Ausstattung mit Türen, Innenfenstern und Treppen ablesbar. Die nächste Tagesexkursion führte uns am 25. Mai in das Freilichtmuseum Klockenhagen bei Ribnitz- Damgarten. In diesem, aus dem Hof des Bauern Heinrich Peters hervorgegangenen Museum wurden Der Holznagel 5 / 2011

3 5 einige der Exkursionsreferate gehalten. So hörten wir im ehemaligen Wohnhaus (um 1700 mit Anbau um 1800) von Bauer Peters vom niederdeutschen Hallenhaus, seinen Konstruktionsmerkmalen und der Entwicklung der Raumaufteilung. Danach beschäftigten uns die bäuerlichen Nebengebäude, wie Scheunen (z. B. aus Groß Bengerstorf um 1595 (d), Ställe und Backöfen. Für die Studierenden war auch dies der erste Besuch eines Museums mit dieser Ausrichtung. Aufgrund des dort vorhandenen Bau- und Ausstellungsbestandes und der vielfältigen Veranstaltungen ist ein Besuch in Klockenhagen auch allen Holznagel-Lesern zu empfehlen. Für die dritte Tagesexkursion am 22. Juni hatten wir uns eine Tour in das Greifswalder Umland vorgenommen. Wir starteten im ehemaligen Fischerdorf Wieck, in dem sich noch einige Zweiständerbauten des 17. und 18. Jahrhunderts erhalten haben. Die zweite Station war das Schloss Ludwigsburg. Dieser eindrucksvolle Bau aus dem Jahre 1577 wurde als Witwensitz für Sophia Hedwig von Braunschweig-Lüneburg, der Der Holznagel 5 / Das Schloss Ludwigsburg: Das Verwalter-Wohnhaus rechts im Bild ist vor einigen Jahren denkmalgerecht und mit natürlichen Baustoffen saniert worden. Ehefrau Herzog Ernst Ludwigs von Pommern-Wolgast erbaut. Er stellt den letzten, noch relativ original erhaltenen, herzoglichen Schlossbau in Vorpommern dar. Im Schloss führte uns Herr Stellwag, ein Mitglied des örtlichen Schlossvereins. Er erklärte uns die Baugeschichte, wies uns auf interessante Details hin, verheimlichte aber auch nicht die Probleme die der Verein hat, die mehrere Millionen Euro kostende Sanierung weiter zu führen. Zum Schloss gehört auch ein großer Wirtschaftshof, bestehend aus einem großen Speicher mit Tordurchfahrt, einer Dreiständer-Hallenscheune mit Durchfahrtsdiele und ohne Dach sowie mehreren abgängigen Stallgebäuden. Auch um diese zu erhalten, oder wenigstens zu sichern, bedarf es einer Menge großzügiger Spender. So lernten wir auch die Probleme kennen, welche Eigentümer und Besitzer heute mit der Erhaltung ländlicher Bauten haben, für die noch keine adäquate Nutzung gefunden wurde. 57

4 6 6 Die 1818 erbaute Scheune des Pfarrhofes in Kemnitz: Eine zweite, größere Scheune ist vor einigen Jahren abgebrochen worden. Mit dem Pfarrhaus in Kemnitz begegneten wir einem erfreulicheren Beispiel, dessen Zukunft für die nächsten Jahre gesichert ist. Dieser Bau aus den 1740er Jahren wird derzeit saniert und dient danach wieder als Wohnsitz des Pfarrers und als Gemeindezentrum. Gerade während der Bauzeit treten immer wieder Spuren älterer Nutzungen und Raumaufteilungen zu Tage. So konnten wir uns einen Eindruck von der ehemaligen Küche machen. Durch die Beseitigung störender Einbauten des 20. Jahrhunderts, wie z. B. der Öltanks für die Heizung, konnte der Standort des gemauerten Herdes mit dem großen Rauchfang festgestellt werden. Auch die Brandmauer, die das dahinter liegende Fachwerk vor dem offenen Herdfeuer schützte, ist noch vorhanden und bleibt erhalten. Vom Pfarrhof ist noch eine sehr gepflegte, quer ausgerichtete Stallscheune aus dem Jahre 1818(i) erhalten. Mit der in der Nähe von Kemnitz liegenden Wassermühle von Hanshagen ist ein weiteres positives Beispiel zu nennen. Hier wird eine der letzten in unserer Region erhaltenen Wassermühlen mit großem Aufwand saniert und neuen Nutzungen zugeführt. Die in der Mitte des 16. Jh. erstmals erwähnte Mühle gehörte einstmals der Universität Greifswald und versorgte diese als Papiermühle über Jahrhunderte mit Papier. Nachdem sich die günstigere Papierherstellung aus Zellulose durchsetzte, wurde die Mühle 1855 zu einer Mahlmühle umgebaut, welche den Betrieb erst 1952 einstellte. In Neu Ungnade stießen wir auf die baulichen Hinterlassenschaften der Bestrebungen der Binnenkolonisation des beginnenden 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit siedelte die Universität Greifswald auf der Feldmark des ihr zugehörigen Dorfes Ungnade mehrere Leinweber an. Ab der Mitte des 19. Jh. wurde die Landwirtschaft für die Weber lukrativer, so dass sie, nun mit etwas mehr Land ausgestattet, Bauern wurden. Von den ursprünglichen quer ausgerichteten Wohn-, Stall-, Scheune-Häusern hat sich nur noch ein einziges erhalten. Auf historischen Fotos kann man aber erkennen, dass die anderen Häuser ähnlich aufgebaut waren. In Groß Bisdorf, einem Sackangerdorf mit einem noch ziemlich ungestörten, authentischen Ortsbild besichtigten wir ein sehr kleines, vor einigen Jahren sehr behutsam saniertes Zweiständer-Hallenhaus, dem ehemaligen Küsterhaus. Trotz des altertümlich wirkenden inneren Gerüstes mit geblatteten Verbindungen, wurde das Fälljahr des verbauten 58 Der Holznagel 5 / 2011

5 7 7 Das vor einigen Jahren vorbildlich sanierte ehemalige Küsterhaus in Groß Bisdorf 8 Im Haus Bahls in Jarmshagen werden noch heute Schweine gehalten. 9 Blick auf die Hille des Hauses Bahls. Erkennbar ist der weite Überstand der Dielendeckenbalken. Die Last des Daches auf die Balken muss durch Kopfbänder abgefangen werden. Holzes dendrochronologisch erst für das Jahr 1792 bestimmt. Im Vergleich mit historischen Karten kann man hier die historische Struktur des Dorfes mit den Bauernhöfen, Handwerker- und Landarbeiterhäusern noch sehr gut nachvollziehen. Was man allerdings schmerzlich wahrnimmt, ist die zunehmende Beseitigung von Nebengebäuden, wie Scheunen und Ställen. Auch hier in den ehemaligen Bauerndörfern wirft das wieder die Frage nach der Erhaltung dieser heute oft nicht mehr genutzten Bauten auf und zeigt, dass das nicht nur ein Problem auf den großen ehemaligen Gutshöfen, wie oben schon erwähnt, sondern ein generelles Problem im ländlichen Raum ist. Umso wichtiger ist es, die noch verbliebenen Zeugnisse vergangener Wirtschafts- und Lebenswelten wenigstens zu dokumentieren. 8 9 Der Holznagel 5 /

6 Eine der letzten Stationen unserer Exkursion war das ziemlich vollständig erhaltene Gutsdorf Griebenow. Neben dem sehr interessanten Schlossbau, welcher in den Jahren vermutlich von dem berühmten Architekten des schwedischen Barocks, Nicodemus Tessin d.j., errichtet wurde, haben sich hier eine Vielzahl zum Gut gehöriger Bauten erhalten. Dazu gehören auch die 1653/54 errichtete Schlosskapelle, ein 15-eckiger Zentralbau, mehrere um 1910 errichtete Landarbeiterhäuser, eine Stellmacherei, Wagenremise, sowie Scheunen, Stallungen und einem Landschaftsgarten nach englischem Vorbild mit Resten barocker Gartengestaltung. Der heute noch im Nebenerwerb bewirtschaftete Hof Bahls in Jarmshagen bildete den Schlusspunkt dieses Exkursionstages. Das um 1730 errichtete Wohnhaus des Hofes birgt im Inneren ein Dreiständer- Gerüst, welches noch vollständig erhalten ist. Das Durchgangs-Hallenhaus, einem der letzten auf dem Festland Vorpommerns erhaltenen Hallenhäuser überhaupt, weist die sogenannte Werderhaus-Form auf. Das heißt, dass der Wohnteil zur Straße und der Wirtschaftsteil zum Hof hin orientiert ist. Ob dieser Zustand ursprünglich ist, wird eine genauere Untersuchung des Gebäudes noch erbringen. Zum Abschluss des Semesters führte uns die letzte Kurzexkursion dieser Lehrveranstaltung zu einem Schnittpunkt ländlicher und städtischer Wirtschaftsformen, den Ackerbürgergehöften in den Vorstädten Greifswalds. Auf Stadtplänen des 19. Jahrhunderts noch gut zu erkennen, mussten die meisten dieser Gehöfte der Siedlungsentwicklung und der damit einhergehenden Neubebauung weichen. Auf alten Fotos, Zeichnungen und Gemälden kann man das Aussehen der Wohn- und Wirtschaftsgebäude gut nachvollziehen. Auf dem 1818 entstandenen Gemälde Wiesen vor Greifswald des berühmtesten Sohnes der Stadt, Caspar David Friedrich, erkennt man einige rohrgedeckte Bauten. In diesem Bereich vor der Stadtmauer, an der Grimmer Straße, kann man noch heute am ehesten die landwirtschaftliche Geschichte Greifswalds nachempfinden. Hier haben sich mehrere traufständige Wohnhäuser aus den 1820er Jahren und dazugehörige mit Teerpappe gedeckte Stallscheunen mit Pfettendach aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhalten. Einige davon werden noch heute landwirtschaftlich genutzt. Nach der Besichtigung einer dieser Scheunen fand nicht nur unsere Exkursion, sondern auch unser Seminar seinen Abschluss. Der während dieses Semesters vermittelte Überblick über die Entwicklung des ländlichen Bauwesens, die Beschäftigung mit den Fragestellungen und Methoden von Haus- und Bauforschung, aber auch die Besichtigung eines Querschnitts noch fassbarer historischer Zeugnisse ländlicher Baukultur in unserer Region haben einen nachhaltigen Eindruck bei den Studierenden hinterlassen und sie dazu angeregt zukünftig mit offenen und nun auch sachkundigen Augen durchs Land zu fahren. Der Autor Mario Schmelter studierte Geschichtswissenschaften, Kunstgeschichte und Ur- und Frühgeschichte und ist Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunstgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Greifswald. Nebenbei arbeitet er an seiner Dissertation mit dem Titel Der ländliche Hausbau in Vorpommern vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. 60 Der Holznagel 5 / 2011