Sozialraumorientierung
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- Harry Friedrich
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1 Sondernummer 1/12 Sozialarbeit in Oesterreich Zeitschrift für Soziale Arbeit, Bildung und Politik Sozialraumorientierung Zwischen fachlicher Innovation und institutionellen Bedingungen 1
2 OBDS-Aktuell Editorial Die Publikation einer Sondernummer des SIO ist aus mehrfacher Sicht etwas Erfreuliches! Die BezieherInnen des Fachmagazins, gleichgültig ob als Abonnenten oder im Preis der Mitgliedschaft enthalten, bekommen kostenlos eine 25 %-ige Steigerung einer Serviceleistung. Ein spezielles Thema der Sozialarbeit erzeugt ausreichend Interesse für eine große Zahl zusätzlicher Fachbeiträge (und diese Ausgabe ist die seitenstärkste SIO, die der obds je veröffentlichte!). Unser Fachmagazin wird von den SystempartnerInnen Fachhochschulen und Anbieter der Dienstleistungen als das geeignete Medium gesehen, ihre Standpunkte, Erfahrungen und Zukunftsperspektiven einer breiten Leserschaft zu präsentieren. Unser Redaktionsteam beweist einmal mehr, dass es mit Engagement und hohem fachlichen Knowhow eine Kooperation zustande bringen konnte, die durch die Beiträge aller Beteiligten auch finanziert werden konnte ein herzlicher Dank dafür! Und nicht zuletzt bestätigt sich mit einer Sondernummer des SIO unser Grundsatz, dass eine berufliche Interessensvertretung auch in Zeiten von e-book, facebook und Internetforen auf das Medium eines gedruckten Fachmagazins nicht verzichten kann, ohne die Identität der Profession zu gefährden. Darüber freuen wir uns als obds und hoffen, dass Sie als LeserIn ebenso Freude bei der Lektüre haben! Herbert Paulischin, DSA, Geschäftsführer obds Ein Merkmal für Projekte ist ja, dass das Ziel klar definiert ist, der Ausgang allerdings offen und unklar bleibt. Umso erfreulicher ist es, dass wir mit der gegenständlichen Sondernummer der SIÖ zum Thema Sozialraumorientierung zwischen fachlichen und institutionellen Bedingungen einen wie ich meine wirklich gelungenen Beitrag zur weiteren fachlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema vorlegen können. Der nahezu reibungslose Ablauf zwischen den Projektpartnern hat letztlich die SIÖ erst möglich gemacht. So möchte ich mich an dieser Stelle bei den AutorInnen dieses Heftes, aber auch bei den Institutionen recht herzlich für die tolle Zusammenarbeit bedanken: Sucht- und Drogenkoordination Wien, Stadt Graz Amt für Jugend und Familie*, dem Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung (ISSAB) und der Fachhochschule Campus Wien Masterstudium Sozialraumorientierte und Klinische Sozialarbeit. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und möglichst viele anregende Diskurse. Dr. Mag. FH Roland Fürst, DSA SIÖ Chefredakteur * Koordination Texte Graz: Frau Dipl. Päd. Susanne Gensinger Offenlegung gem. Mediengesetz Medieninhaber, Herausgeber und Verleger: Oesterreichischer Berufsverband Diplomierter SozialarbeiterInnen (OBDS), A-1060 Wien, Mariahilferstr. 81/1/3/14, Tel. 01/ , Vorstand: DSA Georg Dimitz, DSA Maria Moritz, DSA Mag. Dr. Christian Stark, DSA Mag. Andrea Trenkwalder-Egger, Mag. FH Jochen Prusa Geschäftsführer: DSA Herbert Paulischin Blattlinie: SOZIALARBEIT in Oesterreich (SIO) ist die Fachzeitschrift des Oesterreichischen Berufsverbandes Diplomierter SozialarbeiterInnen. Sie wendet sich an Leserinnen und Leser, die Interesse an Sozialer Arbeit, Bildung und Politik haben. Sie berichtet über Grundlagen, Methoden, Modelle und Trends in der Sozialen Arbeit unter österreichischer und internationaler Perspektive. SIÖ beleuchtet die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. SIÖ tritt für die Berufsinteressen österreichischer SozialarbeiterInnen ein. Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr, jeweils im März, Juni, September und Dezember. Impressum Sozialarbeit in Oesterreich (SIO): Zeitschrift für Soziale Arbeit, Bildung & Politik, seit 1966; Erscheinungsort 1060 Wien, Verlagspostamt 7210 Mattersburg, Auflage: Stück, Druck u. Versand: Druckerei Wograndl GmbH., Druckweg 1, 7210 Mattersburg Herausgeber, Medieninhaber und Verleger: Oesterreichischer Berufsverband der SozialarbeiterInnen - obds, A-1060 Wien, Mariahilferstraße 81/1/3/14, ZVR: Redaktion: Mag.FH. DSA Roland Fürst, DSA Gabriele Hardwiger-Bartz, DSA Mag.Rudi Rögner; Lektorat: Dipl.Päd. Susanne Fürst; redaktion@sozialarbeit.at Gestaltung: Werbeagentur Thomas Pirker-Reiner, Bad Sauerbrunn, thomas.reiner@aon.at Fotos: OBDS, zfg., Titelseite: allison - Fotolia.com Sekretariat, Anzeigen, Abonennten-Service: Sozialarbeit in Oesterreich, 1060 Wien, Mariahilferstraße 81/1/3/14, Claudia Mehwald, Tel. 01/ ; Fax: 01/ ; Mo-Do 9-14 Uhr, sekretariat@sozialarbeit.at. Anzeigen können auch auf unserer Homepage veröffentlicht werden. Wir senden gerne die aktuelle Anzeigenpreisliste zu. Erscheinung, Preise, Abonnements: SIO erscheint vierteljährlich. Einzelpreis: 7,50; Jahresabonnement 25,- (zzgl. Versand). Das Abonnement gilt für ein Kalenderjahr und verlängert sich automatisch jeweils um ein weiteres Jahr. Abbestellungen bestehender Abos sind bis drei Monate vor Jahresende mitzuteilen. Das Abo ist für Mitglieder einer Landesgruppe des OBDS kostenlos. Information: Über zugesandte Manuskripte freut sich die Redaktion, behält sich aber vor, diese zu redigieren oder abzulehnen. Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht der Auffassung der Redaktion entsprechen. Beilage: Eigenbeilage - OBDS 2
3 Inhalt Neue Herausforderungen - Neue Instrumente Stadtrat Detlev Eisel-Eiselsberg Seite 10 Sozialraumorientierung - ein Fachkonzept für ein ganzes Amt Mag. a Ingrid Krammer Seite Sozialraumorientierte Jugendwohlfahrt MA Helmut Sixt Seite Das Fachkonzept Sozialraumorientierung Prof. Dr. Wolfgang Hinte Seite 4-9 Zur Debatte um SRO in Wissenschaft und Forschung Prof. Dr. Oliver Fehren und Dipl. Päd. Birgit Kalter Seite SRO in der Schweiz DSA Daniel Krucher, MA Seite Der Raum als Bildung und Berufsfeld FH-Prof. Dr. Heinz Wilfing, DSA Seite Mit anderen in der Welt sein. FH-Prof. Dr. Johannes Vorlaufer Seite Broken Windows FH-Prof. Dipl.-Soz. Wiss. Marc Diebäcker Seite Sozialmonitoring Mag. Andreas Bengesser, DSA Seite Innovativer Umgang mit Spannungsfeldern Interview mit Michael Dressel, MA Seite Strategien von Good Governance Mag. a DSA Doris Pumberger Seite Demokratische Rechte, Pflichten und Ressourcen von unterschiedlichen NutzerInnengruppen im ÖR Mag. Hannes Schindler Seite Hilfeplanung im Rahmen sozialräumlicher Arbeit Edith Sandner-Koller Seite Der finanzielle Aspekt in der Sozialraumorientierung Soziale Arbeit im öffentlichen Raum Dr. Mag. Richard Krisch und DSA Christoph Stoik, MA Seite Chancen und Grenzen von SRO in der niederschwelligen Drogenarbeit DSA Günter Tomschitz Seite Sonja Punkenhofer Seite 20 Sozialräumliche Pflegeelternarbeit DSA in Gedtrude Lercher Seite SRO in den erzieherischen Hilfen Mag. Gloria Avar und Edith Sandner-Koller Seite Der Wille und die richtige Maßnahme Dr. in Sabine Wirnsperger Seite Wirklich auf Augenhöhe Mag. Manfred Wonisch Seite 27
4 Das Fachkonzept Sozialraumorientierung Grundlage und Herausforderung für professionelles Handeln Text: Prof. Dr. Wolfgang Hinte Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Sozialarbeit und Beratung der Universität Duisburg-Essen Fachlichkeit ist ein in der Sozialen Arbeit arg tabuisiertes Thema, das allenfalls leerformelhaft abgehandelt wird: Fachlich gute Sozialarbeit wird geradezu inflationsartig durch wechselnde Theorien, ständig neue Methoden, wechselnde Führungskräfte, örtliche Traditionen oder schlichtweg durch die Tagesform des einen oder der anderen Professionellen definiert. Würde man 20 zufällig ausgewählte Sozialarbeiter/innen im März 2012 danach fragen, was Fachlichkeit ist, erhielte man mindestens 20 unterschiedliche Antworten. Interessanterweise existieren zu diesem Thema auch keine strittigen Diskurse: In den lokalen Ämtern definieren die jeweiligen Professionellen für sich selbst, was sie für Fachlichkeit halten oder sie richten sich an dem aus, von dem sie glauben, dass es eine ihrer Führungskräfte meint, und auf der Ebene der Schreiber/ innen gibt es immer mal wieder eine Veröffentlichung zu diesem Thema, von der man nicht weiß, ob sie überhaupt und wenn ja von wem gelesen wird, da in der Regel keine kontroversen Debatten dazu geführt werden, sondern eher auf eine weitere Publikation gewartet wird, in der dann jemand einen anderen Hut in den Ring wirft. Dies sowie einige andere Umstände führen dazu, dass die Qualität, die ein hilfesuchender Mensch bei einem Sozialarbeiter erhält, von zahlreichen Zufällen abhängig und somit nur schwerlich zu bewerten ist. Wenn eine hilfesuchende Mutter mit einem schwierigen Kind zu einem Jugendamt kommt, erhält sie, je nachdem, an wen sie gerade gelangt, eine andere Leistung: Der eine ist systemisch ausgebildet und verlangt erst mal, die ganze Familie zu sehen; die eine will netzwerken und lädt erst mal acht weitere Kollegen zur Fallbesprechung ein; wieder ein anderer ist grundsätzlich parteilich auf Seiten der Betroffenen und verschreibt jede Hilfe, die ihm in den Sinn kommt; ein anderer wiederum ist trainiert in Kurzzeitberatung und legt seinen Ehrgeiz darin, innerhalb von wenigen Sitzungen das Problem zu lösen; wer tiefenpsychologisch ausgebildet ist, malt erst mal Genogramme und fragt nach traumatischen Kindheitserfahrungen; und wer seine Bachelor-Module bestanden hat, ohne methodisch irgendetwas zu lernen, setzt seinen gesunden Menschenverstand ein und bittet erst mal um Bedenkzeit. So sind zahlreiche Strukturen und Verfahren in Jugendämtern schlichtweg blutleer: Es fehlt ihnen an fachlicher Substanz, und sie sind nicht aus einem Guss. Notwendig sind klare fachliche Vorgaben; danach müssen Strukturen, Verfahren und Finanzierungsstränge den Inhalten folgen. Leider ist es oft umgekehrt: Zuerst wird aufs Geld geschaut, dann optimiert man die Strukturen, überbürokratisiert die Verfahren (Kontrolle!) und anschließend klagen alle, dass sozialarbeiterische Fachlichkeit keine Rolle mehr spiele. Zur Wehrlosigkeit einer Konzeptvokabel Unterhalb großer theoretischer Entwürfe wurde, beginnend in den 70er Jahren, mit der Diskussion über Gemeinwesenarbeit und Stadtteil orientierte Arbeit, Sozialraumorientierung sowohl programmatisch als auch handlungsmethodisch als sozialarbeiterisches Fachkonzept entwickelt, das mittlerweile in zahlreichen Städten Deutschlands, der Schweiz und Österreich als handlungsleitende Folie sowohl für praktisches Handeln mit Hilfe suchenden Menschen im Amt als auch im Sozialraum wie auch als organisationale Folie für den integrierten Umbau von Leistungen der Jugendwohlfahrt, der Sozialhilfe und mittlerweile auch der Behindertenhilfe, der Altenhilfe und der Arbeitsförderung genutzt wird. Wahrhaft abenteuerlich ist es, für welche Fehlinterpretationen die Konzeptvokabel Sozialraumorientierung in den letzten Jahren auch in österreichischer Fachliteratur herhalten musste. Da kommt es zu aus der Luft gegriffenen Behauptungen, unbelegten Phantasien sowie wüsten Attacken wie den folgenden: - Sozialraumorientierung dient vornehmlich dazu, Leistungen zu kürzen und Geld zu sparen. - Sozialraumorientierung bedeutet, leistungsberechtigte Menschen systematisch auf die Ressourcen ihres Territoriums zu begrenzen und sie somit in ihrem eigenen Raum einzuschließen. - Sozialraumorientierung meint die regionale Zusammenlegung von einzelnen Diensten mit dem Ziel der besseren Abstimmung und damit einhergehend entsprechende Personaleinsparungen. - Sozialraumorientierung ist so etwas wie die alte Gemeinwesenarbeit, allenfalls ein wenig weichgespült und mittlerweile völlig unpolitisch. Solche Mythen werden landauf landab produziert und reproduziert, und zwar interessanterweise von solchen Akteuren, die eng orientiert sind auf die Semantik der Vokabel Sozialraumorientierung, ziemlich weit weg sind von der Praxis beruflicher Sozialarbeit und vornehmlich aus karrieristischem Kalkül ihre Publikationsliste erweitern wollen, damit sie anschließend profilkompatibel für eine Professur werden. Derlei Motivlagen tragen nicht dazu bei, dass die fachliche Konsistenz des Ansatzes tatsächlich diskutiert wird und erst recht nicht, dass die in der Praxis ablaufenden Prozesse in angemessener Weise kritisch gewürdigt werden. Sozialraumorientierung lässt sich nicht mit den alten Lassos fangen, die da heißen: Es geht nur ums Sparen, Der politische Ansatz fehlt oder: Alles schon da gewesen. Ich will deshalb hier ein weiteres Mal skizzenartig das in Rede stehende Fachkonzept Sozialraumorientierung 4 Sondernummer_ISSAB
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6 beschreiben und auf die daraus zu ziehenden strukturellen, finanzierungstechnischen und methodischen Konsequenzen hinweisen. Ein kurzer Blick zurück Theorie und Praxis der Gemeinwesenarbeit (GWA) haben in den 70er Jahren oft eher implizit, seltener explizit formuliert grundlegende Anfragen an institutionelle soziale Arbeit gestellt. Zwei Aspekte waren und sind dabei bis heute von besonderer Bedeutung: - Die konsequente, in der Praxis gelegentlich dilemmatische Orientierung auf die Interessen der durch professionelle soziale Arbeit angesprochenen Wohnbevölkerung. Die Zugänge zu den Bewohner/innen des Quartiers waren durchweg geprägt von dem durch zahlreiche methodische Verfahren unterstützten Bemühen, herauszufinden, wie sich die jeweiligen subjektiv definierten Interessenlagen in den Wohngebieten darstellten und welche von den Bewohnern selbst realisierbaren Aktivitäten sich daraus jenseits professionell vorgenommener Interpretationen oder empirisch gestützter Bedarfsanalysen ergeben konnten. - Die sozialökologische Sichtweise (Bronfenbrenner 1976; Wendt 1990), die sich zunächst vornehmlich in der territorialen Ausrichtung aktivierender und organisierender Tätigkeiten ausdrückte. Die These von der Raumbezogenheit Sozialer Probleme (Vaskovics 1982) sowie die Bezugnahme auf die Ressourcen des Wohngebiets und insbesondere die in sämtlichen gemeinwesenorientierten Konzepten vorfindbare Absicht, räumliche Bedingungen durch die Aktivität betroffener Menschen im Sinne dieser Menschen zu ändern, kennzeichnen die GWA als einen auf die Veränderung von Lebensverhältnissen gerichteten Ansatz (vgl. Hinte/ Lüttringhaus/Oelschlägel 2011), der sich in abgeschwächten Varianten in dem später entwickelten Entwurf der lebensweltorientierten sozialen Arbeit (Thiersch 1992) sowie dem aus unterschiedlichen Quellen abgeleiteten Ansatz des Empowerment (vgl. Herriger 1997) abbildete. Diese Aspekte sind wesentliche Grundlagen für das Fachkonzept Sozialraumorientierung (Hinte/Treeß 2011; Haller u.a. 2007), das sich vornehmlich aus der Tradition der GWA, aber auch aus erziehungskritischer (Klemm 1992) und humanistischer (Quitmann 1985) Theorie speist. Auf diesem Hintergrund wurde in den 70er Jahren in verschiedenen Sparten pädagogischer/sozialer Arbeit das am medizinischen Modell orientierte Handeln der Fachkräfte ( Wir sind die Experten, wir wissen Bescheid, wir stellen die Diagnose. ) kritisiert bzw. abgelöst durch Theorien und Konzepte, die mit hoher Radikalität die Sichtweisen, den Willen, die Interessen und die Ressourcen der Adressat/innen in den Vordergrund rückten (etwa Rogers 1972; Keupp/Rerrich 1982) und diesen Personenbezug mit dem elementaren Ziel sozialer Arbeit verknüpften, dazu beizutragen, Lebensbedingungen und Arrangements so zu gestalten, dass Menschen entsprechend ihren Bedürfnissen zufrieden(er) leben können. Wille statt Wunsch Grundlage für die dem sozialräumlichen Konzept inhärente Vorgehensweise, auf die Sichtweisen und Entwürfe der betroffenen Menschen zu fokussieren, ist eine entsprechend getragene und reflektierte Haltung der professionellen Fachkräfte, die gekennzeichnet ist durch das Bemühen, herauszufinden, was der jeweilige leistungsberechtigte Mensch will. Die Suche nach dem Willen (manche sagen: Interessen) führt zu dem aktiven Subjekt, das eine eigene Weltsicht, einen eigenen Willen hat, der ihm zwar nicht immer im klassisch bürgerlichen Sinne reflexiv bewusst ist, den es aber im Kontakt zu Partnern, die es als wollendes Subjekt mit spezifischen Interessen akzeptieren, entdecken und formulieren kann (vgl. Petzold/ Sieper 2008). Ein Wille ist potenziell subversiv, er ist nicht berechenbar, gelegentlich lästig und störrisch, nicht domestizierbar und folgt keinem pädagogischen Plan. Er ist Ausdruck eigensinniger Individualität und führt oft zu den psychischen Kraftquellen des Menschen, aus denen er Energie und Würde schöpft. Dazu braucht es eine kommunikative Situation, in der die Beteiligten ihre Sichtweisen wechselseitig respektieren, sich über ihre Interessen klar werden, sie mitteilen und darüber verhandeln und dann versuchen, die Situation so zu gestalten, dass man möglichst vielen Interessen gerecht wird, auch denen einer evtl. beteiligten Institution (etwa des Jugendamts) aber bei Bedarf auch (institutionell gesehen) subversiv agiert oder konfliktreich miteinander verhandelt (s. dazu Lüttringhaus/Streich 2007). Die Funktion von (professionellen oder Laien-) Pädagog/innen besteht darin, Bedingungen für solche Dialoge zu schaffen und sie zu organisieren. Prononciert gesagt steht Sozialraumorientierung als Chiffre für die im Sinne der GWA fortentwickelte Soziale Arbeit weg von der auf den Klienten bezogenen Haltung des Ich weiß, was für dich gut ist, und das tun wir jetzt. über das Eigentlich weiß ich schon, was für dich gut ist, aber ich höre dir erst mal zu. hin zum konsequenten Dein Wille wird ernst genommen - er ist mir nicht Befehl, aber ich will mich ihm mit meinen fachlichen Kompetenzen und den leistungsgesetzlichen Möglichkeiten stellen. und dies immer bei hoher Aufmerksamkeit bzgl. des sozialräumlichen Kontextes. Von Bedeutung ist dabei die Unterscheidung zwischen Wunsch ( Ich hätte gern etwas, wozu andere etwas für mich tun müssen. ) und Wille ( Ich bin entschlossen, mit eigener Aktivität zum Erreichen meines Ziels beizutragen. ). Diese Unterscheidung findet sich in der Form, wie sie im sozialraumorientierten Konzept vertreten wird, weder in der rechtswissenschaftlichen noch in der erziehungswissenschaftlichen Literatur. Mit dem Begriff Willen (und dann noch bezogen auf Kinder!) hat die pädagogisch inspirierte soziale Arbeit ohnehin gewisse Probleme anders etwa als die juristische Fachdiskussion, in der die Bezeichnung Kindeswille erheblich häufiger und auch unbefangener gebraucht wird als in der erziehungswissenschaftlichen (vgl. etwa die Diskussion über den Unterschied zwischen Kindeswohl und Kindeswille, die nach Meinung gerichtlicher Instanzen ja durchaus miteinander in Konflikt geraten können Zitelmann 2001). In der (Sozial-)Pädagogik haben Interessen von Kindern zumindest vorübergehend Aufmerksamkeit erst im Rahmen der Kinderrechtsbewegung im Umfeld der Antipädagogik in den 80er Jahren erhalten (vgl. Farson 1975). Doch trotz einer verstärkten Hinwendung auf Autonomie und Subjektivität taucht etwa in der aktuellen Literaturflut zur Betroffenenbeteiligung in der sozialen Arbeit die Kategorie Wille der Betroffenen nicht auf man behilft sich undifferenziert mit Begriffen wie Wünsche, Bedürfnisse oder Vorstellungen (etwa Sozialpädagogisches Institut 2005). Ernüchternd ist in diesem Zusammenhang auch das Resümee einer Studie zur Hilfeplanung im Bereich der erzieherischen Hilfen. Hinsichtlich der Einflussmöglichkeiten kommt dem Willen der Kinder eine sehr geringe bis gar 6 Sondernummer_ISSAB
7 keine Bedeutung zu. (Urban 2004, 213). Es geht also um den Willen und die Handlungsbereitschaft der Menschen und um den Versuch, zwischen verschiedenen Interessen zu vermitteln bzw. diejenigen Personengruppen zu organisieren, die nicht machtvoll genug sind, sich Bürokratie kompatibel zu organisieren. Großer Wert wird darauf gelegt, dass der Wille von Menschen sowohl bei der Quartiergestaltung Beachtung findet als auch als Grundlage dient bei der Gewährung sozialstaatlicher Leistungen. Derzeit strotzen Hilfepläne etwa in der Jugendhilfe wie auch in der Behindertenhilfe und insbesondere der Arbeitsförderung nur so von Zielen, die von den Kostenträgern für die Betroffenen formuliert wurden. Bis heute fehlt eine Kultur der systematischen Erarbeitung des Willens leistungsberechtigter Menschen, weil vielerorts gilt: Um eine Leistungsberechtigung zu erhalten, muss ein Defizit konstatiert werden, und wer dann die Musik bezahlt, bestimmt auch, wie der Mensch sich zu entwickeln hat. Prinzipien des Fachkonzepts Sozialraumorientierung In der Sozialraumorientierung geht es also nicht darum, mit pädagogischer Absicht Menschen zu verändern, sondern darum, unter tätiger Mitwirkung der betroffenen Menschen Lebenswelten zu gestalten und Arrangements zu kreieren, die dazu beitragen, dass Menschen auch in prekären Lebenssituationen zurechtkommen. Dabei sind folgende Prinzipien von Bedeutung (ausführlich in: Hinte/Treeß 2011): 1. Ausgangspunkt jeglicher Arbeit sind der Wille / die Interessen der leistungsberechtigten Menschen (in Abgrenzung zu Wünschen oder naiv definierten Bedarfen). 2. Aktivierende Arbeit hat grundsätzlich Vorrang vor betreuender Tätigkeit. 3. Bei der Gestaltung einer Hilfe spielen personale und sozialräumliche Ressourcen eine wesentliche Rolle: also konsequente Orientierung an den von den betroffenen Menschen formulierten, durch eigene Kraft erreichbaren Ziele (unter möglichst weitgehendem Verzicht auf expertokratische Diagnostik). 4. Aktivitäten sind immer zielgruppenund bereichsübergreifend angelegt. 5. Vernetzung und Integration der verschiedenen sozialen Dienste sind Grundlage für funktionierende Einzelhilfen Konsequenz: strukturell verankerte Kooperation über leistungsgesetzliche Felder hinweg. Sozialraumorientierung als fachliches Konzept besteht im Kern aus diesen fünf Prinzipien darum herum lassen sich die Akteure von allen möglichen herkömmlichen und aktuellen methodischen Ansätzen beeinflussen. Sozialraumorientierung ist somit kein mit anderen Schulen konkurrierender Ansatz, sondern eine unter Nutzung und Weiterentwicklung verschiedener theoretischer und methodischer Blickrichtungen entwickelte Perspektive, die als konzeptioneller Hintergrund (Fachkonzept) für das Handeln in zahlreichen Feldern sozialer Arbeit dient (als Modell zwischen Lebenswelt und Steuerung beschrieben von Budde/ Früchtel 2005). Der konsequente Bezug auf die Interessen und den Willen der Menschen bildet den Kern des Fachkonzepts Sozialraumorientierung, um den herum der territoriale Bezug, die Ressourcenorientierung, die Suche nach Selbsthilfekräften und der über den Fall hinausreichende Feldblick angesiedelt sind. Somit umfasst die leicht gängige Stabreim-Formel vom Fall zum Feld (Hinte u.a. 1999) nur einen geringen Ausschnitt aus dem Spektrum der im sozialraumorientierten Konzept verfolgten Aspekte. Im sozialräumlichen Konzept gibt scheinbar im Widerspruch zu seiner Bezeichnung das Individuum mit seinen Interessen und Ressourcen den Ton an. Wir haben es also hier einerseits mit einem hochgradig personenbezogenen Ansatz und andererseits mit einem sozialökologischen und auf die Veränderung von Verhältnissen zielenden Ansatz zu tun gleichsam mit einer integrierenden Zusammensicht dieser beiden in der Geschichte der Sozialen Arbeit immer wieder auftauchenden Stränge. Betroffene werden als aktive Subjekte begriffen, die zu ihrer (mehr oder weniger) zufriedenstellenden persönlichen Lebensführung eigene Fähigkeiten wie auch jeweils zur Verfügung stehende Personen und andere externe Ressourcen nutzen, die in den jeweiligen Lebensräumen vorhanden sind. Soziale Arbeit trägt dazu bei, dass derlei (bauliche, strukturelle, soziale usw.) Ressourcen in einem sozialen Raum gemeinsam mit der Wohnbevölkerung aufgebaut, unterstützt und erweitert werden, und zwar unter kreativer Nutzung leistungsgesetzlicher Rahmenbedingungen. Gelegentlich wird behauptet, Sozialraumorientierung sei so etwas wie die Fortführung der GWA mit anderen Mitteln auch das ist unzutreffend. GWA ist nach Europa transportiert worden als dritte Methode der Sozialarbeit (neben Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit), wurde anschließend ausgerufen als Arbeitsprinzip (Boulet u.a. 1980), und heute ist GWA ein Arbeitsfeld, in dem das Fachkonzept Sozialraumorientierung ebenso Bedeutung hat wie etwa in der Fallarbeit in der Jugendhilfe (Hinte/Litges/ Springer 1999), der offenen Jugendarbeit (Krisch 2009), dem Quartiermanagement (Grimm u.a. 2004), der interkulturellen Arbeit (Straßburger/Bestmann 2008), der Altenarbeit (Dörner 2007) und insbesondere der Behindertenhilfe (Stein u.a. 2010; Hinte 2011) s. auch die arbeitsfeldübergreifende Fundierung aus zivilgesellschaftlicher Perspektive von Fehren (2008). Sozialraumorientierung ist also nicht - ein großer theoretischer, disziplinärer Entwurf (wie etwa die Lebensweltorientierung; Thiersch 1992) - eine disziplinenübergreifende Theorie Buchtipp Wolfgang Budde, Frank Früchtel, Wolfgang Hinte (Hrsg.): Sozialraumorientierung. Wege zu einer veränderten Praxis. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) Seiten. ISBN ,90 EUR. Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Sozialarbeit und Beratung der Universität Duisburg-Essen 7
8 (wie etwa die Systemtheorie; s. dazu Kleve 2010) - eine sozialarbeiterische Methode (wie etwa die aktivierende Befragung; s. dazu Hinte/Karas 1989). Sozialraumorientierung als Fachkonzept nimmt eine Brückenfunktion ein zwischen großen Entwürfen und kleinteiligen, in völlig unterschiedlichen Kontexten entwickelten Methoden. Das Fachkonzept konkretisiert theoretische, notwendigerweise abstrakte Aussagen in einer Art und Weise, dass sie für professionelles Handeln nutzbar sind es erdet gleichsam Theorie, ohne dabei handlungsmethodisch zu sehr ins Detail zu gehen. Sozialraumorientierung als Fachkonzept hat nichts zu tun mit der um den Begriff Sozialraum kreisenden, doch recht akademischen Diskussion, durch die manche Autoren signalisieren, dass sie zumindest dem territorialen Anteil des Fachkonzepts Aufmerksamkeit schenken. Unter ähnlich lautenden Begrifflichkeiten sind derzeit Konzeptskizzen im Umlauf, die sich semantisch bewegen zwischen den Bezeichnungen sozialräumliche soziale Arbeit (Biesel 2007), nicht-territorialisierende raumbezogene Sozialraumarbeit (Kessl/ Reutlinger 2007, 127) oder sozialraumsensible Soziale Arbeit (Kessl 2005). Dass der Entwurf und insbesondere die langfristig angelegte und systematische sowie gut dokumentierte Realisierung eines Fachkonzepts auf eine solch krude Mischung aus Begeisterung, Vereinnahmung, Abkupferung, Kritik und Ignoranz stößt, verwundert nicht: Eine so konsequente Verbindung von Konzeptentwicklung und -umsetzung unter Nutzung sowohl akademischer wie auch Berufsfeld bezogener und lokaler institutioneller Ressourcen hat es in der Sozialen Arbeit bislang noch nicht gegeben. Fachliches Handeln in institutionellen Kontexten Die Konsequenzen für institutionelle Strukturen und Finanzierungsformen sind je nach örtlichen Gegebenheiten unterschiedlich. Immer wieder anzutreffen sind u.a. folgende: - Die Finanzierung gesetzlicher Leistungen geschieht immer auf der Grundlage des individuellen Leistungsanspruchs über Sozialraumbudgets (s. dazu Hinte/ Litges/Groppe 2003), Pauschalfinanzierungen oder eine Kombination aus Pflegesätzen und Personenfinanzierung. - Die klassischen Fachabteilungen (insbesondere in den Ämtern) werden abgelöst durch den Aufbau integrierter Teams mit territorialem Bezug in der Zuständigkeit von Regionalleitungen. - Die Steuerung von Personal und Geld geschieht nicht mehr über Immobilien oder Fachabteilungen sondern über lebensweltliche Bezugsgrößen wie Bezirke oder andere regionale Einheiten. - Erzieherische Hilfen werden verstärkt mit sozialräumlichem Bezug erbracht sowie passgenau auf die von den Betroffenen formulierten Ziele zugeschnitten (und dies jenseits der traditionellen Trennung von ambulant und stationär in kooperativ arbeitenden Trägerstrukturen). - Der rote Faden einer erzieherischen Hilfe ist nicht der Auftrag seitens des Kostenträgers sondern die von den leistungsberechtigten Menschen formulierten Ziele, und dies in einer abgestimmten Kombination von professionellen Hilfen und lebensweltlichen Unterstützungsmöglichkeiten. Sozialarbeiterisches Handeln wird durch ein Fachkonzept nicht in ein Korsett gezwängt oder stromlinienförmig standardisiert. Es schafft indes einen handlungsmethodischen Rahmen, in dem sich Professionelle bewegen müssen, um gewissen Mindestanforderungen zu entsprechen. Somit kann ein hilfesuchender Mensch (auch wenn er nicht so recht weiß, was Soziale Arbeit ist), auf jeden Fall davon ausgehen, dass er danach gefragt wird, was er will (nicht: was er sich wünscht), was er bereit ist, selber zu tun, welche Ressourcen er selbst mitbringt bzw. in seinem Umfeld vorhanden sind, er wird darüber informiert, welche lebensweltlichen oder institutionellen Netze existieren, von denen er profitieren kann, und er wird falls die Leistungsberechtigung korrekt überprüft wird ein für seine Situation passendes Unterstützungsangebot erhalten, das sich flexibel auf die kontraktierten Ziele bezieht und jederzeit bei einer veränderten Lebenssituation neu gestrickt wird. Diese Leistungen erhält er auf jeden Fall, egal, ob er bei Sozialarbeiterin A oder bei Sozialarbeiter B landet. Selbstverständlich hat jeder dieser Professionellen eine eigene Art, natürlich ist die eine lauter, der andere leiser, der eine offensiver, die andere zurückhaltender, der eine langsamer, die andere schneller (also wie bei anderen Professionen, etwa einem Taxifahrer, einem Klempner oder einer Friseuse). Identisch sind jedoch die fachlichen Blickrichtungen, die erkundeten Lebensbereiche und die konzeptionell-methodischen Schienen, auf denen man sich begegnet. Ausgeschlossen sind etwa Fragen nach Wünschen ( Was hätten Sie denn gerne von uns? ), vorschnelle Angebote von institutioneller Unterstützung, expertokratische Ratschläge und tiefenpsychologische Diagnostik. (Letztere kann durchaus da oder dort hilfreich sein, aber sie bleibt entsprechend geschulten Expertinnen überlassen, die sich im Bereich von Diagnostik und Therapie bewegen.) Das Fachkonzept Sozialraumorientierung ist ein Konzept für Soziale Arbeit, nicht für Therapie und Pflege. Man mag das ein oder andere Element auch in diesen Berufsfeldern gebrauchen können, aber es ist zunächst originär auf Soziale Arbeit bezogen. Somit ist klar, dass ich auch an dieser Stelle für eine klare Trennung von Sozialer Arbeit einerseits und Therapie andererseits plädiere, und zwar in dem Sinne, dass Soziale Arbeit eine eigenständige, klar definierbare Profession darstellt und sich nicht dadurch schwä- 8 Sondernummer_ISSAB
9 chen sollte, dass sie durch das Streben nach therapeutischer Zusatzqualifikation zu etwas Besserem würde. Wer gute Sozialarbeit beherrscht, muss keine Therapie machen genauso, wie diejenige, die gute Therapie macht, sich nicht in der Sozialen Arbeit auskennen muss. Wer aber Therapie für in irgendeiner Weise besser hält und Soziale Arbeit mit Therapie in einer Art und Weise vermischt, dass man letztlich weder das eine noch das andere beherrscht, trägt zur Schwächung des Berufsstandes zumindest der Sozialen Arbeit bei. Dieser Berufstand wird nur dann stolz und selbstbewusst auftreten können, wenn er auf ein breit geteiltes fachliches Konzept zurückgreifen kann, das ihn unverwechselbar, eigenständig und in guter Weise kantig und überprüfbar sein lässt. Wenn ein solches Konzept nicht existiert, ist es nicht verwunderlich, dass für zahlreiche Professionelle in der Sozialen Arbeit erst die Zusatzqualifikation den beruflichen Frieden schafft. Doch was ist für eine Profession, deren Mitglieder erst durch eine Zusatzqualifikation selbstbewusst und tariffähig werden? In diesem Sinne schlage ich vor, sich auf einen Grundstock an konzeptioneller Programmatik und methodischen Kernkompetenzen zu verständigen und diese weiter theoretisch zu begründen und handlungspraktisch auszudifferenzieren. Ein Entwurf dazu liegt mit der Sozialraumorientierung vor, die organisationellen und handlungspraktischen Folgen sind mittlerweile dokumentiert und vereinzelt erforscht, und insbesondere die Erfahrungen aus langfristig ausgerichteten Projekten stimmen mehr als zuversichtlich. Literatur: Biesel, Kay (2007): Sozialräumliche Soziale Arbeit. Historische, theoretische und programmatische Fundierungen, Wiesbaden Boulet, Jaak/Krauss, Jürgen/Oelschlägel, Dieter (1980): Gemeinwesenarbeit. Eine Grundlegung, Bielefeld Bronfenbrenner, Urie (1976): Ökologische Sozialisationsforschung, Stuttgart Budde, Wolfgang/Früchtel, Frank (2005): Sozialraumorientierte Soziale Arbeit ein Modell zwischen Lebenswelt und Steuerung, in: NDV, S und S Dörner, Klaus (2007): Leben und sterben, wo ich hingehöre. Dritter Sozialraum und neues Hilfesystem, Neumünster Farson, Richard (1975): Menschenrechte für Kinder. Die letzte Minderheit, München Fehren, Oliver (2008): Wer organisiert das Gemeinwesen? Zivilgesellschaftliche Perspektiven Sozialer Arbeit als intermediärer Instanz, Berlin Grimm, Gaby/Hinte, Wolfgang/Litges, Gerhard (2004): Quartiermanagement. Eine kommunale Strategie für benachteiligte Wohngebiete, Berlin Haller, Dieter/Hinte, Wolfgang/Kummer, Bernhard (2007) (Hrsg.): Jenseits von Tradition und Postmoderne. Sozialraumorientierung in der Schweiz, Österreich und Deutschland, Weinheim u. München Herriger, Norbert (1997): Empowerment in der Sozialen Arbeit - eine Einführung, Stuttgart Hinte, Wolfgang (2011): Sozialräume gestalten statt Sondersysteme befördern, in: Teilhabe 3/2011, S Hinte, Wolfgang/Karas, Fritz (1989): Studienbuch Gruppen- und Gemeinwesenarbeit, Neuwied u. Frankfurt/M. Hinte, Wolfgang/Litges, Gerhard/Groppe, Johannes (2003): Sozialräumliche Finanzierungsmodelle. Qualifizierte Jugendhilfe auch in Zeiten knapper Kassen, Berlin Hinte, Wolfgang/Litges, Gerhard/Springer, Werner (1999): Soziale Dienste: Vom Fall zum Feld, Berlin Hinte, Wolfgang/Lüttringhaus, Maria/Oelschlägel, Dieter (2011): Grundlagen und Standards der Gemeinwesenarbeit, Münster, 3. Auflage Hinte, Wolfgang/Treeß, Helga (2011): Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe, Theoretische Grundlagen, Handlungsprinzipien und Praxisbeispiele einer kooperativintegrativen Pädagogik, Weinheim, 2. Auflage Kessl, Fabian (2005): Der Gebrauch der eigenen Kräfte, Bielefeld Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (2007): Sozialraum. Eine Einführung, Wiesbaden Keupp, Heiner/Rerrich, Dodó (1982) (Hrsg.): Psychosoziale Praxis Gemeindepsychologische Perspektiven, München Klemm, Ulrich (1992): Quellen und Dokumente der Antipädagogik, Frankfurt a.m. Kleve, Heiko (2010): Konstruktivismus und Soziale Arbeit. Einführung in Grundlagen der systemisch-konstruktivistischen Theorie und Praxis, Wiesbaden, 4. Auflage Krisch, Richard (2009): Sozialräumliche Methodik der Jugendarbeit. 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10 Neue Herausforderungen - Neue Instrumente Text: Stadtrat Detlev Eisel-Eiselsberg Politischen Entscheidungen wird oftmals unterstellt, (ausschließlich) unter finanziellem Druck Stichwort Sparpakete zu entstehen und dabei fachliche Überlegungen weitgehend unberücksichtigt zu lassen. Jüngste Entwicklungen auf Bundes- sowie Landesebene mögen derartigen Behauptungen auch durchaus Nährboden geben. Dass es durchaus auch anders geht, beweist aus meiner Sicht das Konzept der Sozialraumorientierung: Seit vielen Jahren von zahlreichen praxisnahen Expertinnen und Experten sehr engagiert vorbereitet, stehen nach wie vor nicht allfällige Sparvorgaben, sondern ausschließlich die Fachlichkeit im Zentrum aller Überlegungen. Fachkonzept, und kein Einsparungsprojekt Geradezu gebetsmühlenartig meinen Kritiker dennoch, dass diese Neuausrichtung der Sozialen Arbeit ausschließlich von Spargedanken getragen sei, was ein aufmerksamer Blick in die Budgets sehr rasch entkräften würde. Richtig ist nämlich vielmehr, dass heute natürlich kein einziger Euro weniger für diesen Bereich eingesetzt wird, das Gegenteil ist der Fall. Die Dynamik der Budgetentwicklung bis zu 20 Prozent und mehr Steigerung pro Jahr konnte jedoch deutlich abgeflacht werden. Und das sollte uns in Zeiten massiver und zum Teil undifferenzierter Sparpakete nach Rasenmäherlogik wohl allen nur Recht sein. Im Mittelpunkt steht der Mensch Die Erkenntnis, dass ein uneingeschränkt selbstbestimmtes und von gesellschaftlichen Zwängen losgelöstes Leben de facto undenkbar ist, erscheint zu Recht nicht neu. Intensität und Dynamik überraschen aber und erfordern im Interesse jener, denen unsere besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge gilt, auch entsprechende politische Reaktionen. Nehmen wir aber ernst, dass also bei allen Handlungen und Tätigkeiten (nach wie vor) der Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen und Problemstellungen im Mittelpunkt steht, so kann wohl auch in der Sozialen Arbeit das nähere und weitere Umfeld, in dem er lebt, nicht außer Acht gelassen werden. Im Gegenteil, genau auf diese individuelle und nicht austauschbare Situation sind auch Hilfestellungen und Unterstützungen noch deutlicher abzustimmen. Und das bedeutet nicht mehr, aber auch nicht weniger eine völlig neue und österreichweit einzigartige Umstrukturierung der Sozialen Arbeit im Bereich der Jugendwohlfahrt, bis hin zur fachlichen Notwendigkeit, die Stadt in vier Teile Sozialräume zu teilen. Maßgeschneidert, und nicht von der Stange Musste man bisher aus einer vorgegebenen Palette von Hilfen jene herausfiltern, der man am meisten zutraute, der konkreten Problemstellung am ehesten zu entsprechen, werden Hilfestellungen nunmehr entwickelt. Allerdings maßgeschneidert, also passgenau und eben nicht mehr von der Stange, wobei ein interdisziplinäres Team dabei die fallführende Fachkraft im Rahmen der sogenannten Sozialraumteamsitzungen unterstützt und berät. Die Orientierung am Willen der Betroffenen, die Aktivierung persönlicher Motivationskräfte, die gemeinsame Formulierung von (idealerweise selbst) erreichbaren Zielen, die Berücksichtigung und Einbeziehung der Ressourcen des Lebensumfeldes - Verwandte, Freunde, Nachbarn, Vereine und sonstiger Institutionen - ergänzen dabei professionelle Hilfen oder machen diese erst gar nicht erforderlich. Hilfe zur Selbsthilfe und kein Überstülpen einer oder gar mehrerer (selbstverständlich gut gemeinter) Maßnahmen steht dabei also grundsätzlich im Vordergrund. Viele, aber noch nicht alle sind von diesem Fachkonzept überzeugt. Persönlich gehe ich allerdings davon aus, dass motivierende Ergebnisse und zählbare Erfolge schon mittelfristig einen objektiveren Befund zulassen werden. Im Rahmen meiner Möglichkeiten werde ich das jedenfalls bestmöglich unterstützen. Die Stadt Graz ist in vier Sozialräume eingeteilt. Detlev Eisel-Eiselsberg, Stadtrat für Kinder, Jugend und Familie, Sport und Bürger- Innenamt 10 Sondernummer_GRAZ
11 Sozialraumorientierung - ein Fachkonzept für ein ganzes Amt Text: Mag. a Ingrid Krammer Rund Beschäftigte bzw. 911 Vollzeitäquivalente, etwa 83,6 Mill. Euro Budget im Jahr 2011, davon 38,2 Mill. Euro für Personal; der Rest teilt sich im Wesentlichen auf die drei Geschäftsbereiche Kinderbildung und -betreuung (ca. 17 Mill. Euro), Jugendwohlfahrt (ca. 23,6 Mill. Euro) und Jugendförderung (ca. 1,6 Mill. Euro) auf: So stellt sich das Amt für Jugend und Familie (Jugendamt) budgetund personalmäßig dar. Damit ist es die gemessen an Personen größte Magistratsabteilung von insgesamt 31 in der Stadt Graz. Inhaltlich gearbeitet wird heute nach den Prinzipien der Sozialraumorientierung, einem integrierten Fachkonzept nach Wolfgang Hinte. Dieses wirkt fachlich, organisatorisch, strukturell und finanziell und stellt seit 2004 die Gesamtstrategie der Abteilung dar. Im Jahr 2002 habe ich die Funktion der Abteilungsvorständin des Amtes für Jugend und Familie übernommen. Damals stieß ich auf das Fachkonzept Sozialraumorientierung. In langen, kontroversen, emotionalen und meist von hohem fachlichem Anspruch geführten Diskussionen mit den Führungskräften und zum Teil auch mit den MitarbeiterInnen wurde es zu einem Grazer Modell entwickelt. Dies ist insofern von Bedeutung, als es keine durchgängige Fachlichkeit gab, die sich verlässlich in Abläufen, Prozessen und Standards kongruent abbildete und ein in sich schlüssiges und abgestimmtes Handlungskonzept darstellte. 1 Ausgehend von der Jugendwohlfahrt hat 2004, mit Vorlaufzeiten seit 2002, die fachliche, organisatorische, strukturelle und letztlich auch finanzielle Neuausrichtung innerhalb der Abteilung begonnen, wobei folgende Prinzipien handlungsleitend waren und sind: 1.) Ausgangspunkt jeglicher Arbeit sind der Wille/die Interessen der leistungsberechtigten Menschen (in Abgrenzung zu Wünschen oder von Fachkräften definierten Bedarfen). 2.) Aktivierende Arbeit hat Vorrang vor betreuender Tätigkeit. 3.) Bei der Gestaltung von Hilfen spielen personale und sozialräumliche Ressourcen eine wesentliche Rolle. 4.) Aktivitäten sind immer zielgruppenund bereichsübergreifend angelegt. 5.) Vernetzung und Integration der verschiedenen sozialen Dienste sind Grundlage für funktionierende Einzelhilfen. 2 Diese Maximen sind keinesfalls auf das Arbeitsfeld der Jugendwohlfahrt beschränkt, sondern in allen Bereichen innerhalb der Sozialen Arbeit anzuwenden. Deshalb folgen auch die zwei weiteren Geschäftsfelder in der Abteilung Kinderbildung und -betreuung und Jugendförderung ebenfalls dieser Strategie. Die Ausrichtung an EINEM Fachkonzept gibt Klarheit, Orientierung und Verlässlichkeit für MitarbeiterInnen, auch wenn diese das mitunter anders beurteilen, für Führungskräfte und vor allem für Bürgerinnen und Bürger, denen wir verpflichtet sind. Fachstandards müssen immer wieder im Dialog überprüft und weiterentwickelt werden, aber es ist wesentlich, den Rahmen abzustecken, innerhalb dessen der Fachdiskurs geführt wird. Auf den Weg gemacht Am Anfang standen die o.g. fachlichen Ziele. Diese zu erreichen, bedeutete, das gesamte Jugendamt neu zu organisieren. War die Abteilung bis zu diesem Zeitpunkt klassisch in Fachreferate gegliedert (Sozialarbeit, Psychologie etc.) und somit Prozessverantwortung und Prozessteuerung nur teilweise gegeben, so rückten durch die fachliche Neuausrichtung multiprofessionelle Teams, sogenannte Sozialraumteams, an deren Stelle. Sie verantworten von Anfang an den Hilfeprozess gemeinsam und durchgehend, mit unterschiedlichen Aufgaben der Hilfesteuerung. Parallel dazu erfolgte die Aufteilung der Stadt Graz in vier Sozialräume. Damit wurden geografisch überschaubare Einheiten begründet, die sowohl als Planungs- als auch als Steuerungsgröße und als Organisationseinheit relevant sind. Die EinwohnerInnenzahl in den vier Sozialräumen beträgt zwischen und etwa Als nächstes wurde pro Sozialraum eine Führungskraft in der Funktion einer regionalen Jugendamtsleitung eingesetzt. Mit diesen Veränderungen wurden Voraussetzungen geschaffen, um im Jahr 2010 gemeinsam mit dem Land Steiermark den Pilotversuch Sozialraumorientierung in der Stadt Graz im Bereich Jugendwohlfahrt Einführung eines Sozialraumbudgets zu starten. Die wesentlichen Elemente dabei waren: 1) In die Sozialraumteams wurden die freien Träger fix mit auf genommen. Somit arbeiten Jugendamt und freie Jugendwohlfahrts-Träger inhaltlich auf Augenhöhe miteinander statt wie bisher in einem Auftraggeber- (Jugendamt) und Auftragnehmerverhältnis (Freier Träger). 2) In einer zweijährigen Fortbildung, an der alle Mitglieder der Sozialraumteams verpflichtend teilnehmen mussten, wurde das Handwerkzeug vermittelt, um tatsächlich sozialraumorientiert arbeiten zu können: Erarbeitung des Willens, Ziel-, Ressourcen und Lösungsorientierung. 3) Finanziell wurde das Budget auf Basis des Rechnungsabschlusses von 2008 mit ,-- für drei Jahre festgeschrieben. Alle Beteiligten wussten von Anfang an, wie viel Geld zur Verfügung steht und verständigten sich darauf, gemeinsam die fachliche und finanzielle Verantwortung zu übernehmen, also mit diesem Budgetrahmen das Auslangen zu finden, sofern es fachlich vertretbar ist. Das Besondere daran ist, dass dieses Bekenntnis nicht 11
12 nur vom Jugendamt stammt, sondern sich alle am Prozess Beteiligten, insbesondere die vier Schwerpunktträger 3 (einer pro Sozialraum), in den Kooperationsvereinbarungen 4 mit dem Jugendamt dezidiert dafür aussprachen, sowohl für den eigenen Sozialraum als auch auf gesamtstädtischer Ebene Fach- und Finanzverantwortung zu übernehmen. Zwischenergebnisse Die wesentlichen Änderungen: 1.) Statt der bisherigen Einzelfallfinanzierung erfolgt nun eine Finanzierung mittels Globalbudget, bei der sowohl die Stadt Graz als auch die kooperierenden Träger die Höhe des verfügbaren Geldes vorab kennen und auch frühzeitig zur Verfügung gestellt bekommen anstatt wie bisher erst im Nachhinein. 2.) Die freien Träger, also die Leistungserbringer, werden mittels vertraglicher Vereinbarung in die Pflicht genommen, gemeinsam mit dem Jugendamt das vorgegebene Budget einzuhalten. 3.) Das Verhältnis von Jugendamt zu freien Trägern wandelt sich von einem Auftraggeber-Auftragnehmerprinzip hin zu einem fachlichen Arbeitsverhältnis auf Augenhöhe. 4.) Die Globalfinanzierung entbindet freie Träger davon, auf Fallsuche zu gehen, um finanziell überleben zu können. Sie bietet ihnen eine finanzielle Sicherheit, die eine fachlich erstrebenswerte Praxis erlaubt, die auf Fallbeendigung zielt, also auf Verselbständigung der KlientInnen anstelle von zum Teil jahrelangen Hilfeverhältnissen. Letztere wurden zwar fachlich begründet, beruhten aber mitunter auf anderen Motivationen. 5.) Die Ressourcenorientierung löst die Problem- und Defizitorientierung ab, wodurch bei der Hilfefinanzierung kreative Lösungen möglich werden, für die es bisher keine Finanzierung gab und die daher auch nicht in den Fokus der Fachkräfte gelangten. 6.) Der starre Leistungskatalog von 24 Hilfen wird um die Möglichkeit flexibler, individueller und passgenauer Hilfen erweitert. Dies war möglich, indem das Land Steiermark sich in einem Vertrag mit der Stadt Graz dazu bereit erklärt hat, die 60 : 40 Finanzierung auch für jene Maßnahmen zu gewährleisten, die von den ExpertInnen als passgenau erkannt werden, auch wenn sie nicht im Leistungskatalog vorgesehen sind. Insbesondere zum Punkt 6 muss ergänzt werden, dass es sich hierbei wohl um eine steirische Spezialität handelt: Das Steiermärkische Jugendwohlfahrtsgesetz und die dazu gehörige Durchführungsverordnung sehen diesen oben genannten Leistungskatalog vor. Dieser führt klassisch zu einer Versäulung der Hilfen, da SozialarbeiterInnen nur aus diesen vorgehaltenen und bis ins kleine Detail definierten Hilfen auswählen und in Folge freie Träger der Jugendwohlfahrt mit der Durchführung genau dieser einen ausgewählten Hilfe beauftragen. Flexible, passgenaue Unterstützungsangebote, wie sie in der Sozialraumorientierung als Maßanzüge für Individuen definiert werden, sind dadurch mit Ausnahme des Pilotprojektes nur schwer oder gar nicht möglich. Ebenfalls eine Spezialität dürfte die Zahl der anerkannten Leistungserbringer in der Jugendwohlfahrt sein. In der Steiermark sind es rund 90, wovon ca. 36 innerhalb des Projektes Sozialraumorientierung entweder als Schwerpunktoder Kernteamträger 5 oder als assoziierte Träger 6 eng mit uns zusammen arbeiten. Die restlichen Träger kommen mit ihrem zentralen Angebot zum Zug, sofern ihre Leistung als passgenau entsprechend der Ziele eingestuft wird. Brückenschlag innerhalb des Amtes Auch wenn die Sozialraumorientierung im Jugendamt in der Jugendwohlfahrt ihren Ausgang genommen hat, so ist es doch von Anfang an erklärtes Ziel gewesen, alle drei Geschäftsbereiche unter diesem Dach zu vereinen. Denn ich bin davon überzeugt, dass eine konsequente Konzeptlogik auch in der öffentlichen Verwaltung unabdingbar ist. Anhand von drei Beispielen will ich verdeutlichen, wozu es EINE fachliche Ausrichtung braucht. Kinderbildung und -betreuung Das Grazer Amt für Jugend und Familie hat als städtischer Träger insgesamt 87 Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen, davon sind 48 Kindergärten, 16 Kinderkrippen und 23 Horte. In diesen Einrichtungen betreuen 878 MitarbeiterInnen insgesamt Kinder. Dem gegenüber stehen auf der Seite der privaten Träger 81 Kindergärten, 4 Horte, 54 Kinderkrippen und 3 Kinderhäuser mit insgesamt Kindern. Das Kinderbildungs- und -betreuungsreferat ist derzeit noch gesamtstädtisch organisiert, das heißt, es gibt noch keine sozialräumliche Organisationsform, obwohl es zumindest seit dem Jahr 2010 bereits Sozialraumsprecherinnen gibt. In der (jüngsten) Vergangenheit sind sich die beiden Geschäftsbereiche Kinderbildungund -betreuung und Jugendwohlfahrt, obwohl zum gleichen Amt gehörend, oftmals wie zwei Fremde begegnet. Die einen wussten nicht, was die anderen taten, die Kooperation war geprägt von Missverständnissen, falschen und daher enttäuschten Erwartungen und Vorurteilen auf beiden Seiten. Die PädagogInnen warfen den SozialarbeiterInnen vor, nicht tätig zu werden bzw. keine Rückmeldungen darüber zu erhalten, und die SozialarbeiterInnen wehrten sich dagegen, von ihren KollegInnen aus dem anderen Bereich Aufträge entgegen zu nehmen und zogen sich zum Teil immer weiter zurück. Positive Ausnahmen gab und gibt es natürlich in beiden Bereichen. Die bereichsübergreifende Arbeit eines der wesentlichen fachlichen Prinzipien der Sozialraumorientierung musste also erst allmählich in der eigenen Abteilung in Angriff genommen werden. Seit es die Funktion der Sozialraumsprecherinnen gibt, gibt es auch zweimal jährlich verpflichtend auf Ebene der Sozialräume einen organisierten Austausch zwischen den MitarbeiterInnen der beiden Geschäftsbereiche. Allmählich kommen zu diesen Vernetzungstreffen vereinzelt auch schon die Freien Träger des jeweiligen Sozialraums dazu. Deshalb haben wir die Sozialraumorientierung zwar noch lange nicht umgesetzt, aber es ist zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung. Etwas weiter sind wir diesbezüglich schon, wenn es um die Kooperation zwischen uns als städtischer Träger und den anderen 67 privaten Trägern geht. In einem fast eineinhalb Jahre dauernden Prozess zum Grazer Kinderbildungs- und -betreuungsprogramm wurden u. a. folgende Qualitätsziele committet und von allen Beteiligten als handlungsleitend für ihr eigenes Tun akzeptiert: 1.) Die Stadt Graz garantiert ausreichend Plätze für Grazer Kinder auf Basis der Empfehlungen des Europäischen Rats (Barcelona-Ziel). 2.) Die Einrichtungen gewährleisten optimale Bildungs- und Entwicklungschancen für einen gelingenden Übergang aller Grazer Kinder in die Schule. 3.) Jede Einrichtung nimmt grundsätzlich jedes Kind auf. 12 Sondernummer_GRAZ
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