Chancen und Grenzen des bürgerschaftlichen Engagements zur Unterstützung von pflegenden Angehörigen

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1 Chancen und Grenzen des bürgerschaftlichen Engagements zur Unterstützung von pflegenden Angehörigen Vortrag gehalten im Rahmen der Veranstaltung Pflegende Angehörige durch bürgerschaftliches Engagement und Selbsthilfe unterstützen! Gelsenkirchen, Prof. Dr. Monika Reichert 1

2 Was erwartet Sie im Rahmen des Vortrages? Definition von Ehrenamt und bürgerschaftlichem Engagement Daten und Fakten zum Engagement in der Pflege Chancen des Engagements in der Pflege Grenzen des Engagements in der Pflege Wichtige Rahmenbedingungen zur Förderung des Engagements in der Pflege 2

3 Definition: Ehrenamt die Idee der organisierten, unentgeltlichen Mitarbeit in den eigenen Reihen aufgrund der Identifikation mit den Werten und Zielen der entsprechenden Organisation. (Rauschenbach, 1999) Das Ehrenamt ist freiwillige Fremdhilfe für Dritte, mit denen der ehrenamtlich tätige Mensch nicht die Merkmale teilt oder teilen muss, um deren Bedarfsdeckung es in der Hilfebeziehung geht (Schulz-Nieswandt & Köstler, 2011). 3

4 Kennzeichen von Ehrenamt nach Bierhoff (2002): 1. Intention, anderen Personen eine Wohltat zu erweisen, 2. Freiwilligkeit der Entscheidung für die Aufrechterhaltung der Tätigkeit, 3. Fehlen einer beruflichen Verpflichtung oder einer direkten Bezahlung der Tätigkeit, 4. längerfristigen Perspektive, die persönliches Engagement über mehrere Monate oder Jahre einschließt, 5. die Bindung an eine Organisation, die sich mit der Lösung sozialer und individueller Probleme befasst. 4

5 Definition bürgerschaftliches Engagement (BMFSFJ, 2001, S. 254) Bürgerschaftliches Engagement umfasst mehr als das vertraute Ehrenamt, gemeint sind hier auch Aktivitäten der Selbsthilfe, der Nachbarschaftshilfe und in Projekten aller Art, die das Zusammenleben und Funktionieren in Politik, Wirtschaft und im Bereich des Sozialen tangieren und dem Leitbild der Bürgergesellschaft entsprechen. Es handelt sich somit um freiwillige und auf das Gemeinwesen bezogene Aktivitäten, denen kein Erwerbszweck zugrunde liegt und die zu einem großen Teil gemeinschaftlich in der Öffentlichkeit stattfinden damit sind diese Tätigkeiten deutlich getrennt von der bezahlten sozialen Arbeit. 5

6 Kennzeichen von bürgerschaftlichem Engagement (Tews, 2002; BMFSFJ, 2006) 1. räumliche Orientierung der Aktivitäten in der Kommune, dem Ort, dem Stadtteil, 2. Vielfalt der Einsatzbereiche - von traditionellen bis hin zu neuen Formen (z.b. Bürgerinitiativen), 3. auch kurzfristiges Engagement möglich ( Projektcharakter ), 4. statt Verpflichtungsethik Wunsch nach Mitbestimmung (z.b. bei der Gestaltung der Arbeitsbereiche), 5. Wunsch nach Qualifizierung, 6. möglich auch ohne institutionelle Anbindung. 6

7 Definition bürgerschaftliches Engagement (BMFSFJ, 2001, S. 254) Spricht man von Engagement in der Pflege, steht zumeist die unmittelbare ehrenamtliche und oder freiwillige Tätigkeit für den auf die Pflege angewiesenen Menschen im Vordergrund. Dabei sind die vielfältigen bürgerschaftlichen Engagementformen und Rollen in Pfegekontexten wesentlich breiter angelegt. Ehrenamtlich ist nicht gleich ehrenamtlich. (Klie, 2013 in ZQP, 2013) 7

8 Wichtige Daten und Fakten zum Engagement in der Pflege 8

9 Engagement in der Pflege: Daten und Fakten I quantitatives Ausmaß: knapp 2% der Gesamtbevölkerung engagiert sich im Gesundheitsbereich, davon 0,7% in der Pflege; knapp 6% der aller Engagierten sind im Gesundheitsbereich tätig, davon 2% in der Pflege; wichtige Charakteristika der Engagierten: weiblich, älter, gut qualifiziert, im Ruhestand, in 1- oder 2-Personenhaushalt im ländlichen Raum bzw. im zersiedelten Umland von Ballungsgebieten lebend, vielfach auch in anderen Bereichen stark engagiert; eigene Betroffenheit (z.b. als pflegende Angehörige): 20% der Engagierten; Quelle: Sonderauswertung des Freiwilligensurveys von

10 Engagement in der Pflege: Daten und Fakten II Befürwortung eines verstärkten Einsatzes von Ehrenamtlichen der Pflege: 71% der Befragten; Attraktivität eines Engagements in der Pflege: 28% der Befragten; gewünschte Einsatzbereiche: Alltagsbegleitung (80%), Freizeitgestaltung (79%), Begleitung bei Amts- und Behördengängen (61%) Quelle: Forsa-Umfrage, 2012 im Auftrag des Zentrums für Qualität in der Pflege 10

11 Chancen und Grenzen des Engagements in der Pflege 11

12 Chancen des Engagements in der Pflege (vgl. auch Bubolz- Lutz, 2006; Steinfort, 2010; Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten, 2014) für pflegende Angehörige/Pflegebedürftige, z.b.: vielfältige Entlastung soziale Kontakte bzw. Vermeidung von Isolation und Einsamkeit damit verbunden: Erhöhung von Lebensqualität und Wohlbefinden für die Engagierten, z.b.: Einbringen vorhandener Kompetenzen sinnvolle Aufgabe und neue Erfahrungen neue Kontakte für die Gesellschaft, z.b.: Milderung des Pflegenotstandes Förderung einer Kultur des Miteinanders 12

13 Grenzen des Engagements in der Pflege I (vgl. auch Hilse, Opiekla & Strumpen, 2014; Naumann & Schachter, 2013) für pflegende Angehörige, z.b.: inadäquate bzw. mangelnde Unterstützung Konflikte mit Engagierten und damit u.u. mit Fachkräften Überforderung durch Management der Hilfe durch Dritte für die Engagierten, z.b.: physische und psychische Belastungen Überforderung Abgrenzungsprobleme in Bezug auf Aufgabenteilung mit Fachkräften Gefühl der Lückenbüßerfunktion. 13

14 Grenzen des Engagements in der Pflege II (vgl. auch Klie in ZQP, 2013a) für Pflegeorganisationen z.b.: zeitliche und personelle Ressourcen für freiwillig Engagierte nicht vorhanden (z.b. für Schulungen) Kosten überwiegen Nutzen ( Monetarisierung des freiwilligen Engagements).. gesamtgesellschaftlich, z.b.: wenn Engagierte den Status billiger Hilfskräfte bekommen und als Allheilmittel gegen den Pflegenotstand gesehen werden.. 14

15 Wichtige Rahmenbedingungen zur Überwindung der Grenzen 15

16 Wichtige Rahmenbedingungen: Die Sicht der befragten Bundesbürger (ZQP, 2013) Quelle: Forsa-Umfrage, 2012 im Auftrag des Zentrums für Qualität in der Pflege 16

17 Wichtige Rahmenbedingungen: Die Sicht kommunaler Sozial- und Pflegeplaner (N=100), Mehrfachnennungen (ZQP, 2013) Quelle: Forsa-Umfrage, 2012 im Auftrag des Zentrums für Qualität in der Pflege 17

18 Wichtige Rahmenbedingungen: Pflegeorganisationen - I (vgl. auch 5. Altenbericht der Bundesregierung, 2006; ZQP, 2013) Schaffung von Anlauf- und Vermittlungsstellen d.h., niedrigschwellig und flächendeckend Nutzung neuer Formen der Rekrutierung d.h., z.b. das Internet Definition eines Anforderungsprofils/ Einstellungsgespräch d.h., sorgfältige Auswahl von Engagierten, Talentmanagement Tätigung personeller und zeitlicher Investitionen d.h., qualifizierte Schulung und kontinuierliche Begleitung schaffen 18

19 Wichtige Rahmenbedingungen: Pflegeorganisationen II (vgl. auch 5. Altenbericht der Bundesregierung, 2006; ZQP, 2013) Schaffung einer authentischen Anerkennungskultur d.h., auch beim Ausscheiden aus dem Engagement sowie angemessene Aufwandsentschädigung Akzeptanzförderung freiwillig Engagierter durch Fachkräfte und umgekehrt d.h., sensible Personalführung.. 19

20 Wichtige Rahmenbedingungen: Die Sicht kommunaler Sozial- und Pflegeplaner (N=100) Mehrfachnennungen (ZQP, 2013) 20

21 Wichtige Rahmenbedingungen: Kommunal-, Landesund Bundespolitik I (vgl. auch ZQP, 2013a, BMFSFJ, 2009) Bereitstellung notwendiger finanzielle Mittel d.h., Engagement ist nicht kostenlos systematischer Austausch von Informationen z.b. über Vorhaben und Förderstrategien - zwischen Kommunen, Land und Bund d.h., mehr Transparenz Vermeidung einer Top-down-Strategie d.h., Engagement lässt sich nicht erzwingen 21

22 Wichtige Rahmenbedingungen: Kommunal-, Landesund Bundespolitik II (vgl. auch ZQP, 2013a, BMFSFJ, 2009) Schaffung eines realistischen Alters- und Pflegebildes d.h., Pflege ist nicht nur körperorientiert; es geht um die Lebensqualität der Betroffenen Förderung einer neuen Kultur des Helfens d.h. Unterstützung von inter- und intragenerationellen Solidarität in der Pflege 22

23 Fazit: Potenziale für freiwilliges Engagement in der Pflege ist vorhanden, aber Rahmenbedingungen müssen noch angepasst werden! (ZQP, 2013) 23

24 Verwendete Literatur: Bierhoff, H.-W. (2002). Wie entsteht soziales Engagement und wie wird es aufrechterhalten? In D. Rosenkranz & A. Weber (Hrsg.), Freiwilligenarbeit. Einführung in das Management von Ehrenamtlichen in der Sozialen Arbeit (S ). Weinheim: Juventa. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001). Dritter Bericht zur Lage der älteren Generationen in Deutschland. Altenbericht-Teil-1,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2006). Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft Der Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalten der Generationen und Stellungnahme der Bundesregierung. Fünfter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Deutscher Bundestag, Drucksache 16/2190 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2009). Bericht zur Lage und zu den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland. 24

25 Verwendete Literatur: Hilse, T., Opiekla, M. & Strumpen, S ). Koproduktion im Hilfesystem Demenz. NDV, 9, Rauschenbach, T. (1999). Referat: "Freiwillige, ehrenamtliche Tätigkeit Begriffsklärung, historische Entwicklung und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Frankfurt am Main, den Schulz-Nieswandt, F. & Köstler, U. (2011). Bürgerschaftliches Engagement im Alter. Stuttgart: Kohlhammer. Steinfort, J. (2010). Identität und Engagement im Alter. Wiesbaden: VS Verlag. Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) (2013). Faktenblatt: FORSA-Befragung zu Potenzialen des Engagements in der Pflege aus Sicht der Bevölkerung und Entscheidungsträgern in der kommunalen Pflege- und Sozialplanung. Berlin Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) (2013a). Freiwilliges Engagement im pflegerischen Wohlfahrtsmix. 25

26 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 26