Berücksichtigung biometrischer Trends in den Rechnungsgrundlagen der privaten Pflegeversicherung
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- Florian Weber
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1 Berücksichtigung biometrischer Trends in den Rechnungsgrundlagen der privaten Pflegeversicherung Daniel Bauer, Stefanie Eckel, Stefan Kassberger, Alexander Kling, Ralf Leidenberger, Thomas Liebmann und Shaohui Wang Preprint Series: Fakultät für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften UNIVERSITÄT ULM
2 Berücksichtigung biometrischer Trends in den Rechnungsgrundlagen der privaten Pflegeversicherung DFG Graduiertenkolleg 1100, Universität Ulm Case Study Gruppe Allianz Daniel Bauer, Stefanie Eckel, Stefan Kassberger, Alexander Kling, Ralf Leidenberger, Thomas Liebmann, Shaohui Wang April Einleitung Die demographische Entwicklung stellt die Sozialsysteme Deutschlands vor erhebliche Probleme. Laut der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft e.v. (2004) beläuft sich die so genannte Nachhaltigkeitslücke, also die Schulden der öffentlichen Hand sowie die Verpflichtungen aus bereits bestehenden Sozialversicherungszusagen für alle lebenden Generationen, auf etwa Milliarden Euro das entspricht circa dem dreieinhalbfachen des aktuellen Bruttoinlandsproduktes. Eine der wesentlichen Ursachen für diese erheblichen Probleme ist das Umlageverfahren, nach dem die gesetzlichen Sozialversicherungen finanziert werden. Hierbei werden die eingezahlten Beiträge unmittelbar für die Finanzierung der erbrachten Leistungen herangezogen, wobei nur in geringem Umfang Rücklagen gebildet werden. Aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung bei gleichzeitig einbrechenden Einnahmen wegen der demographischen Verschiebungen (Überalterung der Gesellschaft) wird die Finanzierung der Sozialversicherung durch Umlageverfahren zunehmend in Frage gestellt. 1 Kurzum: Der so genannte Generationenvertrag funktioniert in der aktuellen Lage nicht mehr. Nachdem die gesetzliche Rentenversicherung schon seit längerer Zeit in der öffentlichen Diskussion steht und über die letzten Jahre vom Gesetzgeber versucht wurde, die kapitalgedeckte, private Vorsorge zu intensivieren (z. B. durch die so genannte Riester-Rente), um zu geringe gesetzliche Renten zu kompensieren, rückt nun auch die gesetzliche Pflegeversicherung mehr und mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Das erst Anfang 1995 eingeführte Pflegeversicherungssystem hat schon jetzt erhebliche Probleme die Entwicklung der Defizite ist in Abbildung 1 dargestellt. So urteilte auch der Sachverständigenrat der Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die so genannten Fünf Weisen, in 2003: Die Einführung einer umlagefinanzierten Pflegeversicherung [...] war ein Fehler. Besser wäre es gewesen, eine kapitalgedeckte Pflegeversicherung mit Versicherungspflicht zu etablieren. Dieser Vorschlag entspricht im Prinzip dem von Häcker und Raffelhüschen (2004), die ebenfalls den Umstieg auf eine private, kapitalgedeckte Pflegeversicherung fordern. Die Notwendigkeit einer Pflichtversicherung ergibt sich aus dem möglichen Trittbrettfahrerverhalten: Im Fall der Fälle wird man durch die Allgemeinheit aufgefan- 1 Vergleiche
3 Abbildung 1: Defizitentwicklung der gesetzlichen Pflegeversicherung, Quelle: Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft e.v. (2004) gen (Sozialhilfekomponente Hilfe in besonderen Lebenslagen), obwohl bei der eigentlich angemessenen Lebenseinkommensbetrachtung genug Mittel vorlägen. Das heißt, dass im Pflegefall eventuell für Nicht-Privatversicherte wiederum die Allgemeinheit aufkommen müsste. Um jedoch eine privates, kapitalgedecktes System effizient zu verwirklichen, bedarf es adäquater Produkte aus der Versicherungswirtschaft. Die Versicherer bieten zwar schon Produkte an, allerdings kommen auf die Versicherungswirtschaft mit einer erhöhten Nachfrage an Pflege- oder Pflegezusatzversicherungen ebenfalls gewisse Herausforderungen zu. Zum einen sind die Kollektive bei Lebensversicherern (noch) nicht ausreichend groß, um sie bezüglich der Eintrittswahrscheinlichkeiten, d. h. der Wahrscheinlichkeit pflegebedürftig zu werden, auszuwerten. Daher muss auf andere Daten zurückgegriffen werden, um Rechungsgrundlagen abzuleiten. Zum anderen ist es unklar welchen Einfluss biometrische Trends auf diese Rechungsgrundlagen haben werden, und wie diese wiederum die Leistungen bzw. die Prämien beeinflussen. Diese Trends spielen jedoch für die Prämienberechnungen eine zentrale Rolle. In dieser Arbeit soll nun ausgehend von einem einfachen Modell analysiert werden, wie sich biometrische Trends auf die Kalkulation einer Pflegeversicherung auswirken. Dabei soll auch diskutiert werden, welche Trends angenommen werden können. Nach der Einführung des Modells in Abschnitt 2 und der verwendeten Daten zur Herleitung der Rechungsgrundlagen im darauf folgenden Abschnitt 3, werden in Abschnitt 4 relevante Erkenntnisse aus der demographischen Forschung zusammengetragen und diskutiert. Die Einpflegung von solchen Trends und die allgemeine Implementierung wird in Abschnitt 5 vorgestellt, bevor in Abschnitt 6 die Ergebnisse präsentiert und analysiert werden. Schließlich werden im letzten Abschnitt 7 die wesentlichen Erkenntnisse nochmals zusammengefasst. 2
4 Abbildung 2: Übergangentwicklung im betrachteten Modell 2 Modell Unser aktuarielles Modell basiert auf dem von Stracke und Pasdika (2002), wobei wir im Gegensatz zu ihrer Formulierung von nur einer Pflegebedürftigkeitsstufe ausgehen. Das Übergangsmodell ist in Abbildung 2 dargestellt. Wir gehen von einer Gesamtheit von l x Versicherten des Alters x in der betrachteten Population aus, wobei wie üblich davon ausgegangen wird, dass es sich um Versicherte mit gleichem Risikoprofil handelt. Davon ist eine Anzahl lx i = l x J x pflegebedürftig, wobei J x den Anteil der Pflegebedürftigen an der Gesamtheit des Alters x darstellt und gewöhnlich als Prävalenz bezeichnet wird. Die übrigen Versicherten lx a = l x lx i sind demnach aktiv, d. h. nicht pflegebedürftig. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Versicherter des Alters x die nächsten k Jahre bis zum Alter x + k überlebt, kann damit als k p x = l x+k l x dargestellt werden; analog bezeichne k p i x die k-jährige Überlebenswahrscheinlichkeit eines Pflegebedürftigen. Im Gegensatz stellt k p a x = la x+k l keine Überlebens- sondern die k-jährige Verbleibewahrscheinlichkeit bei den Aktiven dar: Ein Aktiver kann nicht nur als Aktiver x a sterben, sondern auch in diesem Zeitraum pflegebedürftig werden. Beschreibe i x die Wahrscheinlichkeit für einen x-jährigen Aktiven, innerhalb des nächsten Jahres pflegebedürftig zu werden (i x wird auch oft Inzidenz genannt), so gilt für die einjährige Aktivensterbewahrscheinlichkeit, d. h. die Wahrscheinlichkeit für einen x-jährigen Aktiven innerhalb des kommenden Jahres als Aktiver zu sterben qx aa = qx a i x, 2 also die Wahrscheinlichkeit nicht bei den Aktiven zu verbleiben jedoch aber nicht pflegebedürftig zu werden. Lemma 2.1 Unter der Annahme gleich verteilter Todeszeitpunkte über ein Jahr ergeben sich die folgenden Zusammenhänge: 1. l x J x (1 qx) i 1 qx i + l x (1 J x )i x 1 0.5qx i = l x+1 J x+1 2. p a x = 1 q x J x q i x 1 J x i x 1 q i x 1 0.5q i x 2 Hier wurden die üblichen Konventionen p x = 1p x und kqx = 1 kp x verwendet, wobei ein Platzhaltersymbol ist, welches die Werte i,, a und aa annehmen kann. 3
5 Beweis: 1. ist klar nach Formel (1) in Stracke und Pasdika (2002), für 2. betrachte: p a x = la x+1 l a x = l x+1 l i x+1 l x l i x = l x(1 q x ) l i x(1 q i x) l x l i x = l x(1 q x ) J x l x (1 q i x) l x J x l x i x 1 q i x 1 0.5q i x = 1 q x J x qx i 1 qx i i x 1 J x 1 0.5qx i. la xi x (1 q i x) l a x(1 0.5q i x) Aufgrund dieser Zusammenhänge können nicht alle Größen unabhängig voneinander definiert werden; es genügt eine gewisse Teilmenge zu definieren, und dann folgen die übrigen Größen über die oben dargestellten modellendogenen Zusammenhänge. Wir wählen l x, J x und qx, i 0 x ω also exogen vorgegebene Größen, wobei ω das rechnerische Höchstalter sei. Für unsere Untersuchungen betrachten wir eine lebenslange Pflegenbedürftigenrente der Höhe L mit jährlichen Prämien, die nur im Aktivenstatus gezahlt werden. Bei solch einem Produkt für einen x-jährigen Aktiven hat dieser bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit den Anspruch auf eine lebenslange Leibrente der Höhe K, wobei er im Gegenzug eine Prämie P zu leisten hat, so lange er aktiv, d. h. nicht entweder verstorben oder pflegebedürftig ist. Bezeichne g den Garantiezins (derzeit 2.25%). Dann ergibt sich für den Barwert der Leistungen ( LBW = L µ 1p a 1 q i ) x+µ 1 x i x+µ qx+µ 1 i (1 + g) µ νp i x+µ(1 + g) ν. µ=1 Diese Gleichung weicht leicht von der in Stracke und Pasdika (2002), Abschnitt 4, ab. Zum einen werden bei uns keine unterjährigen Zahlungen betrachtet, was zu einer leichten Vereinfachung führt. Gravierender ist jedoch die Verwendung anderer Überlebenswahrscheinlichkeiten im Leistungsbarwert: Wärend die Autoren die Größen µ 1 p aa x = µ 2 k=0 (1 qaa x+k ) verwenden, wird hier die Verbleibewahrscheinlichkeit bei den Aktiven µ 1 p a x verwendet. Das Argument für unsere Wahl ist, dass es nur im Aktivenzustand möglich ist, pflegebedürftig zu werden dafür genügt es jedoch nicht wenn der Versicherte nicht als Aktiver gestorben ist, sondern sie/er sollte auch nicht schon vorher pflegebedürftig geworden sein. Wegen p a x = p aa x i x überschätzt unseres Erachtens nach die Definition in Stracke und Pasdika (2002) den Leistungsbarwert. Allerdings stimmt aus dem gleichen Grund die Definition der Prämienbarwerte ebenfalls nicht überein da diese nur im Aktivenstatus gezahlt werden ergibt sich in unserem Fall für den Prämienbarwert: P BW = P und da nach dem Äquivalenzprinzip µp a x (1 + g) µ, µ=0 LBW = P BW gelten muss, ergibt sich für die jährliche Prämie: L P = µ=1 µ 1p a 1 q x i i x+µ 1 x+µ qx+µ 1 i ν=0 (1 + g) ( µ ν=0 νp i x+µ(1 + g) ν). µ=0 µp a x (1 + g) µ Da wie erwähnt bei Stracke und Pasdika (2002) auch bei den Prämienbarwerten andere, höhere Überlebenswahrscheinlichkeiten verwendet werden, wird auch der Prämienbarwert im Vergleich zu unserer Definition überschätzt; daher ist der Einfluss auf die Prämie der alternativen Definition nicht klar ersichtlich. 4
6 3 Daten/Rechnungsgrundlagen Um nun Prämien berechnen zu können, ist es notwendig die benötigten Inputgrößen l x, J x und q i x, 0 x 100 zu bestimmen. Dafür wurden Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen verwendet. Für die Bestimmung der Gesamtanzahl an Versicherten l x wurde die Sterbetafel der Männer des Jahres 2003/2005 des Statistischen Bundesamts Deutschland verwendet (Statistisches Bundesamt Deutschland (2005)). Die Prävalenzen J x wurden aus einer Pflegestatistik des Bundesministeriums für Gesundheit (Bundesministerium für Gesundheit (2005)) von 2005 entnommen. Die (männlichen) Leistungsempfänger waren nach Altersgruppen aufgetrennt: unter 15, 15 20, 20 25,..., 90 und älter. Um die Prävalenzen J x, 0 x 100, zu erhalten, wurden die Werte für 0 bis 12 konstant auf den Wert der Altersgruppe unter 15 gesetzt und ab 12 Jahren linear interpoliert. Die Spezifikation der Sterbewahrscheinlichkeit eines Pflegebedürftigen q i x beruht auf Daten der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft e.v. (Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft e.v. (2004)) von 2004, die ihrerseits auf Daten der Bayrischen AOK zurückgreift. Da in unserem Modell (vgl. Abschnitt 2) nicht in drei Pflegestufen unterschieden wird, wurden die q i x als gewichtetes Mittel der Pflegestufen mit den jeweiligen Pflegewahrscheinlichkeiten bestimmt. Hierbei lagen die Daten ebenfalls in Altersgruppen aufgetrennt vor und analog zu den Prävalenzen wurde linear interpoliert. Problematisch bei der Bestimmung der weiteren Größen des Modells ist somit, dass die Daten aus verschiedenen Quellen stammen und nur bedingt zueinander passen. Bei der Gesamtanzahl an Versicherten l x liegt eine Aufschlüsselung für jedes Alter x, 0 x 100, vor, in den beiden anderen Fällen musste interpoliert werden. Des Weiteren lagen die Statistiken zur Berechnung der Sterbewahrscheinlichkeit eines Pflegebedürftigen q i x nicht geschlechterspezifisch vor. Eine weitere Diskrepanz in den Daten ist, dass die Sterbewahrscheinlichkeit eines Pflegebedürftigen q i x aus einer bayrischen Statistik berechnet wurde, die nicht repräsentativ für Deutschland sein muss. 4 Biometrische Trends Eines der zentralen Probleme der vorliegenden Studie besteht in der Identifikation biometrischer Trends und deren Auswirkungen auf die betrachteten Rechnungsgrundlagen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach dem Einfluss biometrischer Trends auf die Prämienberechnung. Der Sterblichkeitsrückgang in der Gesamtbevölkerung war in der vergangenen Dekade so ausgeprägt, dass auch das Statistische Bundesamt dieser Beobachtung in der 10. koordinierten Bevölkerungsprognose Rechnung trug, siehe Dinkel und Kohls (2006). Dieser Rückgang, der bei beiden Geschlechtern deutlich erkennbar war, fand besonders in den oberen Altersgruppen statt. Unstrittig ist auch, dass der Sterblichkeitsrückgang sowohl die pflegebedürftigen als auch die nicht-pflegebedürftigen Mitglieder eines Jahrgangs betrifft. Diese Beobachtung führt natürlich zur Frage, zu welchem Teil die durch die steigende Lebenserwartung im Mittel hinzugewonenen Lebensjahre gesunde Jahre sind. Dazu gibt es in der Literatur verschiedene Szenarien, die in der internationalen Studie von Robine und Jagger (2005) gegenübergestellt werden. Im expansion of morbidity -Szenario wird eine Pandemie chronischer Krankheiten prognostiziert. Als Auslöser dieser Pandemie wird einerseits die steigende Lebenserwartung angenommen, die die Anzahl von Menschen mit hohem Lebensalter, in dem chronische Krankheiten wahrscheinlicher sind, erhöht. Andererseits wird vermutet, dass der medizinische Fortschritt das Leben chronisch Kranker verlängert. Eine optimistischere Sicht der Zukunft bietet das compressi- 5
7 on of morbidity -Szenario, das aufgrund besserer medizinischer Vorsorge von einem späteren Eintreten von chronischer Krankheit und Pflegebedürftigkeit ausgeht. Ein drittes Szenario ( dynamic equilibrium ) prognostiziert, dass zwar die Anzahl Pflegebedürftiger steigt, die Schwere der Pflegebedürftigkeit jedoch abnimmt. Die Autoren berichten, dass die Lebenserwartung sowie die erwartete Lebensdauer ohne schwere Beeinträchtigungen ( disability-free life expectancy ) in den betrachteten Ländern deutlich zunimmt, während dies für die Lebensdauer ohne chronische Krankheiten ( life expectancy without chronic disease ) nicht zutrifft. In ihrer empirischen Studie finden Robine und Jagger (2005) also Indizien für das Szenario des dynamischen Gleichgewichts, und neue Zahlen aus Dänemark scheinen dort sogar auf einer Verlagerung von Krankheit und Pflegebedürftigkeit in höhere Lebensalter zu deuten. Zwar liegt diesen internationalen Untersuchungen nicht die in Deutschland gesetzlich festgelegte Definition der Pflegebedürftigkeit zu Grunde, die Trends sprechen jedoch klar für sinkende Prävalenzen. Im Einklang mit dem weltweit in entwickelten Ländern beobachteten Trend berichten Doblhammer und Ziegler (2006) auch aus Deutschland neben allgemein steigender Lebenserwartung von fallenden Prävalenzen: Im Vergleich der Zeiträume 1991 bis 1997 und 1998 bis 2003 nahm der Anteil der Pflegebedürftigen eines gegebenen Lebensalters für die meisten Altersstufen deutlich ab. Die Zunahme der Gesamtzahl der Pflegebedürftigen ist eine Folge der steigenden Lebenserwartung. Immer mehr Menschen erreichen ein hohes Alter, in dem der Anteil der Pflegebedürftigen hoch ist. Der Anteil der Pflegebedürftigen eines bestimmten Alters hat im beobachteten Zeitraum in Deutschland jedoch abgenommen. Wie lange sich diese Trends fortsetzen werden, ist schwer vorherzusagen. Robine und Jagger (2005) weisen darauf hin, dass der Unterschied zwischen der Lebenserwartung von Männern und Frauen in den Industrieländern stagniert oder abnimmt, was darauf hindeuten könnte, dass sich die bereits sehr hohe Lebenserwartung für Frauen einer Obergrenze nähert. Andererseits nimmt die Lebenserwartung nach wie vor beständig zu. Der große Unterschied in der Lebenserwartung von Männern und Frauen findet keine Entsprechung in der erwarteten Lebensdauer ohne chronische Krankheiten oder ohne schwere Beeinträchtigungen. Auch in Deutschland überleben laut Doblhammer und Ziegler (2006) Frauen im Zustand der Pflegebedürftigkeit wesentlich länger als Männer. Dies ist im Zusammenhang mit der in allen Altersstufen niedrigeren Sterblichkeit von Frauen zu sehen. Das Risiko, pflegebedürftig zu werden, (Inzidenz) ist dagegen ähnlich. Zusätzlich zu den oben erwähnten Trends wollen wir auch einen Trend in den Invalidensterblichkeiten berücksichtigen. Der uns vorliegenden Literatur lassen sich leider keine eindeutigen Aussagen zu Trends in den Invalidensterblichkeiten entnehmen. Man kann aber unter Zuhilfenahme der vorhandenen Informationen zumindest Vermutungen über einen möglichen Trend anstellen: In hohem Alter sind die Prävalenzen sehr hoch. Würde die Invalidensterblichkeit dort zunehmen, müsste die des gesunden Bevölkerungsteils extrem abnehmen, um die fallende Gesamtsterblichkeit zu erklären. Da wir dies für wenig plausibel halten, gehen wir im Folgenden von fallenden Invalidensterblichkeiten aus. 5 Berücksichtigung der Trends im Modell und Implementierung Ausgehend vom statischen Modell werden nun Trends in die zugrundeliegenden Größen integriert. In den folgenden Betrachtungen gehen wir von folgenden, oben bereits diskutierten, Trends aus: fallende Populationssterblichkeiten, fallende Prävalenzen und fallende Invalidensterblichkeiten. Wir betrachten die Auswirkungen si- 6
8 multaner Änderungen in Populationssterblichkeiten, Prävalenzen und Invalidensterblichkeiten, d. h. wir variieren diese Größen gleichzeitig. Die Implementierung des Modells ist in der Programmiersprache C++ realisiert. Des weiteren wurde auf eine funktionen-basierte Implementierung geachtet, d. h. dass alle zur Berechnung relevanten Größen in eigenständigen Funktionen realisiert wurden. Das Programm bekommt als Eingabe die Prävalenzen J x, die Gesamtzahl der Versicherten l x und die Sterbewahrscheinlichkeit eines Pflegebedürftigen q i x ohne Trends in Form einer einfachen.txt Liste. Die Trends werden in der Implementierung durch folgende Funktion beschrieben: u i (x, t) = u i (x) exp( (c i + b i x) t), (1) u i steht für eine der Größen qx, i q x oder J x ohne Trend (i = 1, 2, 3), die Variablen c i und b i steuern den Einfluss des Trends für u i (x, t), wobei b i = c i = 0 genau der Fall ohne Einfluss ist. Die resultierenden l x (t) werden dann mithilfe der q (t) x = u 2 (x, t) berechnet. Die Berücksichtigung der Trends mittels der Funktion (1) wurde gewählt, da bei einer kleinen Anzahl an Parametern die Repräsentation der Trends relativ flexibel ist. Bei den Untersuchungen wurde allerdings der Parameter b i konstant auf den Wert Null gesetzt; dadurch wird der Einfluss des Alters der betrachteten Person vernachlässigt und nur ein tendenzieller Trend mit dem Parameter c i betrachtet. 6 Ergebnisse Die Auswirkungen plausibler biometrischer Trends auf die Jahresprämie einer Pflegerente über Euro jährlich werden nun in einer Beispielrechnung untersucht. Preis für Mann mit 40 G-Zins 2.25% c c2 - Abnahme SterbeWKT c3 - Abnahme Pflegebed Abbildung 3: Preis der Jahresprämie für einen Mann mit 40 Jahren Die Abbildungen 3, 4 und 5 zeigen den Preis einer Jahresprämie für einen Mann im Alter von 40 Jahren bei einem Zins von 2,25% mit unterschiedlichen Trendannahmen. Die Größe c 1 beeinflusst den Trend der Sterbewahrscheinlichkeit eines Pflegebedürftigen q i x, c 2 den Trend der Populationssterblichkeiten q x und c 3 den Trend der Prävalenzen J x. Je höher c 1, desto stärker fallen die Invalidensterblichkeiten; je höher c 2, desto stärker fallen die Populationssterblichkeiten. Die Höhe des 7
9 Preis für Mann mit 40 G-Zins 2.25% c c2 - Abnahme SterbeWKT c3 - Abnahme Pflegebed Abbildung 4: Preis der Jahresprämie für einen Mann mit 40 Jahren Preis für Mann mit 40 G-Zins 2.25% c c2 - Abnahme SterbeWKT c3 - Abnahme Pflegebed Abbildung 5: Preis der Jahresprämie für einen Mann mit 40 Jahren 8
10 Parameters c 3 steuert die Abnahme der Prävalenzen. Diese Veränderungen ergeben sich aus Formel 1. Sind alle Parameter gleich Null, so rechnet das Modell statisch mit konstanten Sterblichkeiten und Prävalenzen. Die Überlegungen zur Demografie in Abschnitt 4 legen für alle Parameter positive Werte nahe. Abbildung 3 zeigt die Höhe der Jahresprämie bei konstanter Invalidensterblichkeit und verschieden stark abnehmenden Populationssterblichkeiten und Prävalenzen. Eine stärkere Abnahme der Pflegebedürftigkeit (höheres c 3 ) führt wie erwartet zu geringeren Prämien: In jeder Altersstufe sind dann mehr Menschen aktiv und zahlen eine jährliche Prämie, weniger sind pflegebedürftig und erhalten eine Pfelgerente. Je stärker die Sterbewahrscheinlichkeit der Population abnimmt (je höher c 2 ), desto höher fällt die jährliche Prämie aus, obwohl in diesem Vergleich die Invalidensterblichkeit nicht verändert wird. Dies liegt an der steigenden Lebenserwartung: mehr Menschen erreichen ein hohes Lebensalter, in dem der Anteil der Pflegebedürftigen hoch ist. Zudem erhöht eine Abnahme der Sterbewahrscheinlichkeiten den Einfluss der Entwicklung der Prävalenzen auf die Präme. Die Ursache ist ebenfalls in der auf Grund steigender Lebenserwartung höheren Anzahl alter Menschen zu sehen, die stärker von Pflegebedürftigkeit bedroht sind. Sinkt der Anteil Pflegebedürftiger in diesen stark betroffenen Altersstufen, ist die Auswirkung auf die Prämie besonders groß. Die Auswirkungen unterschiedlicher Trends in der Invalidensterblichkeit kann aus einem Vergleich der Abbildungen 3, 4 und 5 entnommen werden. Fallende Invalidensterblichkeiten führen bei gleicher Entwicklung von Populationssterblichkeit und Prävalenzen zu leicht fallenden Prämien. Der Grund ist in den bei diesem Vergleich unveränderten Populationssterblichkeiten und Prävalenzen zu suchen. Bleibt der Anteil der Pflegebedürftigen trotz fallender Sterblichkeit der Betroffenen konstant, so muss die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden, geringer sein. Da die Altersstruktur der Bevölkerung wegen der Annahme gleicher Populationssterblichkeiten dieselbe ist, folgt aus einer geringeren Invalidensterblichkeit eine höhere Wahrscheinlichkeit, als Aktiver zu sterben. Es ist also weniger wahrscheinlich, dass ein bei Vertragsabschluss aktiver Mensch pflegebedürftig wird; folglich sinkt auch die Prämie für eine Pflegerente. Dies bedeutet nicht, dass der Aufwand der für die pflegebedürftigen Menschen in der Gesamtbevölkerung sinkt, sondern nur, dass der zu erwartende Aufwand für die derzeit Aktiven geringer ist. Andererseits verbleiben die bereits Pflegebedürftigen länger in diesem Zustand. Die Zahl der Pflegebedürftigen insgesamt wird nur von der Altersstruktur der Bevölkerung, also den Populationssterblichkeiten, und dem Anteil der Pflegebedürftigen je Altersstufe, also den Prävalenzen, beeinflusst. Wird von insgesamt steigender Lebenserwartung und fallenden Prävalenzen ausgegangen, so überlagern sich die beschriebenen Einfüsse. Wahrscheinlich ist eine längere Lebenszeit als Aktiver wie auch als Pflegebedürftiger zu erwarten. Längere Zeiten als Beitragszahler wie auch längere Zeiten als Empfänger einer Pflegerente sind zu erwarten. Was auf lange Sicht überwiegen wird, kann nur mit langfristigen Prognosen zur Lebenserwartung und zur Gesundheit im Alter abgeschätzt werden. Dabei ist auch der gravierende Unterschied in Lebenserwartung und Pflegebedürftigkeit von Frauen und Männern zu berücksichtigen. An dieser Stelle möchten wir nochmals darauf hinweisen, dass im betrachteten Modell davon ausgegangen wurde, dass jeder noch aktive Versicherte bis ins hohe Alter Prämien bezahlt. Dadurch führt eine längere Lebenserwartung als Gesunder zu höheren Beitragseinnahmen. Deshalb sind bei zunehmender Lebenserwartung nicht unbedingt höhere Prämien nötig, wenn sich der Gesundheitszustand alter Menschen gleichzeitig ausreichend verbessert. Würden im Ruhestand ab einem festgelegten Alter von den Aktiven keine Prämien mehr bezahlt, wäre diese Entlastung durch eine längere aktive Lebensphase wesentlich geringer. 9
11 7 Zusammenfassung Aufgrund der Probleme der umlagefinanzierten gesetzlichen Pflegeversicherung wird in Zukunft die Nachfrage nach privaten, kapitalgedeckten Pflegeversicherungsprodukten stark steigen. Die Versicherungsbranche steht damit vor der großen Herausforderung, geeignete Produkte zur Absicherung des Pflegerisikos zu entwickeln und eine kapitalgedeckte Finanzierung der eingegangenen Verpflichtungen durch eine ausreichend sichere Prämienkalkulation sicherzustellen. Da es bisher nur sehr wenige Daten über die Eintrittswahrscheinlichkeiten einer Pflegebedürftigkeit gibt, ist es notwendig, diese aus anderen bekannten Größen wie beispielsweise den so genannten Prävalenzen (also dem Anteil der Pflegebedürftigen eines Alters) zu schätzen. Dabei ist allerdings insbesondere unklar, ob es biometrische Trends in der Entwicklung dieser Eintrittswahrscheinlichkeiten gibt und wie sich verschiedene Trendannahmen bezüglich der Langlebigkeit von Pflegebdürftigen und nicht Pflegebedürftigen und Trends bezüglich dieser Eintrittswahrscheinlichkeiten auf die Höhe der fairen Prämien in der Pflegeversicherung auswirken. In der vorliegenden Fallstudie haben wir auf Basis eines Modell zur Berechnung der jährlichen Prämie einer Pflegerente Auswikungen biometrischer Trends in der Pflegeversicherung auf die Höhe der fairen Prämie einer Pflegeversicherung analysiert. Auf Grundlage deutscher Daten und in der demografischen Literatur als plausibel angenommener Entwicklungen von Sterblichkeit und Gesundheit im Alter wurden verschiedene Trendannahmen in einer Beispielrechnung verglichen. Dabei haben wir festgestellt, dass die Prämien in der Pflegeversicherung ceteris paribus geringer sind, je stärker der Sterblichkeitsverbesserungstrend bei den Pflegebedürftigen ausfällt. Dieses Ergebnis verwundert, da mit der steigenden Lebenserwartung der Pflegebedürftigen die erwarteten Leistungen bei Eintritt eines Pflegefalls steigen. Der Grund für dieses Ergebnis liegt in den wegen der ceteris paribus Annahme gleichbleibenden Prävalenzen und Populationssterblichkeiten. Des Weiteren führen fallende Prävalenzen zu einem deutlichen Abfall der fairen Prämie einer privaten Pflegeversicherung, da der Anteil der Pflegebedürftigen an der Grundgesamtheit abnimmt. Schließlich führt auch eine stärkere Zunahme der Lebenserwartung der Grundgesamtheit zu einer Steigerung der Prämien in der Pflegeversicherung, selbst dann, wenn kein Trend in den Sterblichkeiten der Pflegebedürftigen existiert. Dieses Ergebnis lässt sich durch einen größeren Anteil älterer Menschen und damit verbundenen höheren Anzahl an Pflegebedürftigen erklären. Für eine ausreichend sichere und vorsichtige Prämienberechnung sind zuverlässigere Daten über die zu erwartenden Trends nötig. Solange diese nicht exisitieren, müssen die Versicherer mit ausreichend hohen Sicherheitsmargen kalkulieren und während der Laufzeit Überschüsse an die Versicherungsnehmer ausschütten. Jedoch zeigen unsere Untersuchungen, dass nicht immer klar ist, in welcher Hinsicht Sicherheitszu- oder abschläge wirken. Literatur Bundesministerium für Gesundheit, Themenschwerpunkt Pflege: Daten zur Pflegeversicherung /nn /DE/ Themenschwerpunkte/Pflegeversicherung/Zahlen-und-Fakten/zahlen-undfakten-snode,param=.html nnn=true (Zugriff am ). Doblhammer, G., Westphal, C., Ziegler, U., Pflegende Angehörige brauchen mehr Unterstützung. Demografische Forschung aus Erster Hand, 3:
12 Doblhammer, G., Ziegler, U., Steigende Lebenserwartung geht mit besserer Gesundheit einher. Demografische Forschung aus Erster Hand, 1: 1 2. Dinkel, R., Kohls, M., Gibt es für die Prävalenz der Pflegebedürftigkeit in einem allgemeinen Sterblichkeitsrückgang einen Ruhezustand? Blätter der DGVFM, April 2006, S. 419ff Häcker, J., Raffelhüschen, B., Denn sie wussten was sie taten: Zur Reform der sozialen Pflegeversicherung. Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 73: Robine, J.-M., Jagger, C., The relationship between increasing life expectancy and healthy life expectancy. Ageing Horizons, 3: Statistisches Bundesamt Deutschland, Aktuelle Sterbetafeln für Deutschland. bevoelk.php (Zugriff am ). Stracke, A., Pasdika, U., Pflegeversicherung: Neue Chancen für Lebensversicherer durch eine alternative Leistungsdefinition. Der Aktuar, 8: Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft e.v., Pflegevorsorge: Vorschlag für eine finanzierbare, soziale und nachhaltige Reform der Pflegeversicherung. Ziegler, U., Doblhammer, G., Steigende Lebenserwartung geht mit besserer Gesundheit einher. Demografische Forschung aus Erster Hand, 2:
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