Erste Erfahrungen mit dem neuen Vergütungsrecht: Vergütungsverhandlungen und Schiedsverfahren in der ambulanten Pflege
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- Reiner Dieter Gehrig
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2 Erste Erfahrungen mit dem neuen Vergütungsrecht: Vergütungsverhandlungen und Schiedsverfahren in der ambulanten Pflege Dr. Johannes Groß Fachanwalt für Sozialrecht Danziger Straße 56, Berlin
3 Gliederung Refinanzierung von Personalaufwendungen - Anhebung auf Tarifniveau - Beitragssatzstabilität / Kappungsgrenze aus 71 SGB V? - Begründung übertarifliche Entgelte Angemessene Vergütung des Unternehmerrisikos - Allgemeines Unternehmerrisiko - Konkrete betriebliche Einzelwagnisse
4 Refinanzierung von Personalaufwendungen Urteile des Bundessozialgerichts vom B 3 P 7/08 R u.a. Plausibilisierung von Gestehungskosten = die voraussichtlich im prospektiven Betrachtungszeitraum anfallenden Kosten Kodifizierung PSG I / 84 Abs. 2 und 89 SGB XI (zum ) Refinanzierung der Personalkosten: Die Bezahlung tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen kann nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Dann PSG III: Erweiterung (zum ) Die Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen kann nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Gehälter auch von nicht tarifgebundene Einrichtungen müssen bis zum Tarifniveau refinanziert werden.
5 Gesetzgeberische Ziele 1. Es soll eine angemessene und leistungsgerechte tarifliche Vergütung der Beschäftigten der Pflegebranche gewährleistet werden. 2. Den Leistungserbringern soll ermöglicht werden, ausreichend geeignetes qualifiziertes Personal zu rekrutieren. 3. Wettbewerbsverzerrungen zulasten tarifgebundener Leistungserbringer sollen abgebaut werden.
6 Darlegung Personalaufwendungen Wenn künftig eine Entlohnung entlang eines Tarifvertrages erfolgen soll, sind die Entgelte und Zuschläge der jeweiligen Gehaltsgruppen des Tarifvertrags darzulegen und die künftige Entlohnung zu begründen. Tarifvertrag für die Pflege: TVöD Pflege mit Entgelttabelle P für 2017 und 2018 Entgeltgruppen für Pflegehelfer ohne Ausbildung / mit 1-jähriger Ausbildung, Pfleger mit 3-jähriger Ausbildung, mit besonderer Schwierigkeit, mit Hochschulqualifikation etc. Andere TV
7 Problem: Wird durch die Vergütungsanhebung der Grundsatz der Beitragssatzstabilität aus 71 SGB V verletzt? Ist die Kappungsgrenze des 71 Abs. 3 SGB V anwendbar? 71 Abs. 1 S. 1 SGB V: Die Vertragspartner auf Seiten der Krankenkassen und der Leistungserbringer haben die Vereinbarungen über die Vergütungen so zu gestalten, dass Beitragserhöhungen ausgeschlossen werden, es sei denn, die notwendige medizinische Versorgung ist auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu gewährleisten (Grundsatz der Beitragssatzstabilität). 71 Abs. 2 S. 1 SGB V: Um den Vorgaben nach Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 zu entsprechen, darf die vereinbarte Veränderung der jeweiligen Vergütung die sich bei Anwendung der Veränderungsrate für das gesamte Bundesgebiet nach Absatz 3 ergebende Veränderung der Vergütung nicht überschreiten. (Kappungsgrenze)
8 BSG, Urt. V B 3 KR 26/15 R: 71 SGB V enthält verbindliche Grenze für Vergütungsvereinbarungen. Grundsätzlich ist Kappungsgrenze zu beachten, d.h. maximaler Anstieg um Veränderungsrate. Dies gilt für jeden einzelnen Leistungsbereich, auch bei geringem Anteil an Ausgabenvolumen. Ausnahme: 71 Abs. 1 S. 1, 2.Hs SGB V. es sei denn, die notwendige medizinische Versorgung ist auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu gewährleisten
9 BSG, Urt. V B 3 KR 26/15 R: Eine die Veränderungsrate nach 71 Abs 3 SGB V übersteigende Erhöhung der Vergütung ist nicht ausgeschlossen, wenn die Betriebs- und Kostenstruktur eine solche höhere Vergütung erfordert. Wird festgestellt, dass nur mit einem bestimmten Vergütungsniveau die Leistungsfähigkeit des ambulanten Pflegedienstes bei wirtschaftlicher Betriebsführung zu gewährleisten ist, liegt ein Fall des Ausnahmetatbestandes von 71 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V vor. (Rn. 41) Die Zahlung von Entgelten, die sich an Tarif anlehnen, entspricht stets wirtschaftlicher Betriebsführung.
10 BSG, Urt. V B 3 KR 26/15 R: Überschreitung der Veränderungsrate zulässig: - Zahlung von tariflichen oder an Tarif angelehnten Entgelten (entsprechen stets wirtschaftlicher Betriebsführung) - Kostenansätze, die auf einer fehlerhaften Kalkulation in den Vorjahren beruhen, sind zu berücksichtigen - evtl. auch absichtlich zu niedrige Kalkulation, um überhaupt in den Markt zu kommen - Änderungen im Patientenklientel - Vertragsanpassungen an die Veränderungsraten in den Vorjahren unterblieben
11 BSG, Urt. V B 3 KR 26/15 R: Ausnahmetatbestände sind von den Leistungserbringern plausibel und nachvollziehbar darzulegen und zu belegen. Die Darlegungs- und Substantiierungslast für die fehlende Sicherstellung der notwendigen krankenpflegerischen häuslichen Versorgung im Fall ausgeschöpfter Wirtschaftlichkeits-reserven liegt bei den Leistungserbringern, die über die erforderlichen Daten verfügen.
12 Berücksichtigung übertariflicher Gehälter? (+) bei sachlichem Grund, der vom Leistungserbringer darzulegen und zu belegen ist. Personalbedarf kann vorübergehend nur mit übertariflichen Löhnen und Gehältern gedeckt werden, Abwerbung von Pflegefachkräften muss vermieden werden, Entlohnung für Fachkräfte mit Leitungsverantwortung oder Übernahme besonderer Aufgaben, besonders gut eingearbeitete und verdiente oder besonders qualifizierte Mitarbeiter sind nur dann zur Fortsetzung ihrer Tätigkeit bereit, wenn sich dies in einer entsprechend gesonderten Vergütung niederschlägt (Vereinbarung einer übertariflichen Zulage im Zuge von Bleibe -Verhandlungen).
13 Erste Erfahrungen zu Personalaufwendungen: - Personalaufwendungen auf dem Vergütungsniveau des einschlägigen Tarifvertrags und bei besonderer Begründung auch darüber hinaus können durchgesetzt werden, auch wenn es sich um Steigerungen weit über der Veränderungsrate handelt. - Die Kostenträger nehmen dann aber verstärkt andere Parameter in den Blick, um den Vergütungssatz zu begrenzen, insbesondere Nettojahresarbeitszeit und Dauer der Leistung (Punktzahl). - Weitergabe der Vergütung an die Mitarbeiter wird stärker reguliert.
14 Nettojahresarbeitszeit Bei Stundensatzverhandlungen, insbesondere bei der außerklinischen Intensivpflege (spezielle Kranken-beobachtung) Hier haben die Leistungserbringer darzulegen, welche Arbeitszeiten für die reine Leistungserbringung zur Verfügung steht und welche für Anleitung, Einarbeitung, Fortbildung, Fahrtzeiten, Krankheit, Urlaub etc. verwendet werden muss. Punktzahlen Sofern Leistungen der ambulanten Pflege / HKP nach Minutenwerten anhand von Punktzahlen bemessen werden, die dann mit bestimmten Punktwerten vergütet werden.
15 Weitere Forderung der Kostenträger: Nachweis der Weitergabe der Vergütungserhöhung an die Mitarbeiter Regelungen in Rahmenvereinbarungen Beachtung der unternehmerischen Freiheit (Art. 12, 14 GG) These: Es muss dem Unternehmer überlassen bleiben, wie er die Vergütungserhöhung entsprechend verteilt, sodass ein einheitliches Lohngefüge gewährleistet wird. Bisher war nur Erhöhung im Durchschnitt aller Mitarbeiter nachzuweisen. Dies führte zu Irritationen, weil Mitarbeiter sehr unterschiedlich von der Erhöhung profitiert haben.
16 Unternehmerrisiko Wie ist die angemessene Vergütung des Unternehmerrisikos zu bewerten? BSG, Urt. V B 3 KR 26/15 R: Ein funktionierendes Versorgungssystem setzt voraus, dass ausreichende Anreize gesetzt werden, Leistungen überhaupt zu erbringen. Ein solcher Anreiz fehlt aber, wenn eine wirtschaftliche Leistungserbringung nicht mehr möglich ist. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v L 27 P 46/08: gesetzliche Parallelwertungen / gesetzlich pauschalierte Gewinnerwartungen / gesetzliche Sätze für Verzugszinsen oder andere Zinswerte LSG NRW L 5 P 3/16 KL; Revision anhängig zum Az: B 3 P 29/17 B: Orientierung am Verzugszinssatz nach 44 SGB I sachwidrig, Sachverständigengutachten erforderlich
17 Unternehmerrisiko Bisherige Erfahrungen in Vergütungsverhandlungen: - z.t. keine pauschale Berücksichtigung, sondern nur nach konkreter Darlegung der Risiken - z.t. pauschale Berücksichtigung von 2 4 % - Im Schiedsverfahren: 4% pauschal, bei Kinderkrankenpflege 5 % - Stochern im Nebel
18 Studie der IEGUS (Institut für europäische Gesundheits- und Sozialwirtschaft GmbH) im Auftrag des bpa zur Bewertung des Unternehmerrisikos in der stationären Pflege Oberbegriff: unternehmerisches Wagnis Differenzierung zwischen dem allgemeinen Wagnis und den konkreten betrieblichen Einzelwagnissen Allgemeines Wagnis = überhaupt als Unternehmer im Pflegebereich tätig zu werden = branchenunabhängige Wagnisse (gesamtwirtschaftliche Entwicklung, Konjunktur, Nachfrage, technischer Fortschritt) mittel- und langfristige Anforderungen präventiv zu begegnen, Investitionen zu tätigen und Innovationen gestalten = branchenspezifische allg. Wagnisse (z.b. spezieller Arbeitskräftemarkt) Betrieblich-spezifische Einzelwagnisse = auf den einzelnen Leistungserbringer bezogene Wagnis (als Element der prospektiven Kosten)
19 Betrieblich-spezifische Wagnisse (aperiodisch bzw. unsicher, Evaluationszeitraum 2 Jahre) Beispiele für stationäre Einrichtungen - Auslastung/Patientenfluktuation - Steigerung der Konkurrenz durch Neuzulassungen - Forderungsausfall (z.b. durch Tod der Patienten) - Personalabwesenheit/-fluktuation - Aufwendungen für Kompensation, Aquisekosten, Personalleasing - Folgekosten arbeitsrechtlicher Vorgänge - Preisvarianz bei Sachkosten (steigende Mieten, Leasingkosten, Benzinkosten etc.) - Kostenentwicklung in Fremddienstleistungsbereichen - Sonstige Sachkosten und Eigenkapitalverzinsung (soweit nicht über Investkosten refinanziert) - Aufwand des Risikocontrollings (auch Aufwand für Darlegung und Nachweis, Anforderung aus externen Prüfungen, Kompensation des Personalrisikos) - Besondere gesellschaftsrechtliche Gegebenheiten
20 Ergebnis: Allgemeines Wagnis (= Gewinnmarge ohne Plausibilisierungslast) 4 % als Zuschlag auf das zu verhandelnde Gesamtbudget (entspricht der mittleren Umsatzrendite nach Analyse der Deutschen Bundesbank) Zzgl. Branchenfaktor, je nach Region 0,84 bis 1,62 % Konkrete betriebliche Einzelwagnisse sind Teil der prospektiven Kostenkalkulation müssen als prospektive Gestehungskosten anhand konkreter Erfahrungswerte in der Vergangenheit oder sonstiger nachvollziehbarer Anhaltspunkte plausibel dargelegt werden umfassen sowohl das Potenzial zum Ausgleichen eines Verlustrisikos wie auch die unternehmerische Gewinnchance
21 Rechtsanwalt Dr. Johannes Groß Berger Groß Höhmann & Partner Danziger Str. 56, Berlin Tel Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!!
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