1. Zweck der Wegzugsbesteuerung
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- Norbert Klein
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1 1. Zweck der Wegzugsbesteuerung Vor der Erörterung der österreichischen Regeln zur Wegzugsbesteuerung, soll zur Veranschaulichung jene Problematik erörtert werden, der die Wegzugsbesteuerung Herr werden möchte. Im Folgenden wird daher jener Fall erörtert, der zur Einführung der Muttervorschrift aller Wegzugsbesteuerungsregeln, dem 6 dastg, geführt hat: 1 Der deutsche Industrielle Horten führte ein Einzelunternehmen in Deutschland, welches 1954 als Sacheinlage in eine GmbH eingebracht wurde. Die GmbH wurde im Jahr 1968 formwechselnd in eine AG, an der Horten zu 100 % beteiligt war, umgewandelt. Aufgrund der hohen stillen Reserven hätte eine Veräußerung der AG-Anteile zu einer beträchtlichen Steuerbelastung in Deutschland geführt. Da in der benachbarten Schweiz eine steuerfreie Veräußerung von Kapitalanteilen möglich war, verlagerte Horten seinen Wohnsitz im Jahr 1968 kurzfristig in die Schweiz, veräußerte seine Aktien dort steuerfrei und kehrte anschließend wieder nach Deutschland zurück. Durch eine simple Wohnsitzverlegung, einem Wegzug in die Schweiz, wollte Horten somit seine Kapitalanteile steuerfrei veräußern. Der BFH entschied jedoch zu dem gegebenen Sachverhalt, dass im Falle des Unterlassens der Besteuerung der stillen Reserven aufgrund einer Einbringung eines Einzelunternehmens gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten in eine Kapitalgesellschaft, eine Besteuerung in jenem Zeitpunkt nachzuholen ist, in dem der Steuerpflichtige von der unbeschränkten in die beschränkte Steuerpflicht wechselt, sprich seinen Wohnsitz in das Ausland verlegt. 2 Die Wegzugsbesteuerung will somit sicherstellen, dass stille Reserven, die in einem Staat gewachsen sind auch in diesem Staat besteuert werden und nicht, wie am obigen Fall erkennbar, durch Wohnsitz- bzw Sitzverlegung in das Ausland überführt und dadurch sogar entsteuert werden. 3 1 Vgl Fraberger, ÖStZ 2004, 410 (FN 2). 2 Vgl BFH , VIII R 109/75. 3 Vgl Wild, taxlex 2016, 4 (4). 1
2 Zweck der Wegzugsbesteuerung Korrespondierend hierzu wird für gewöhnlich vorgesehen, dass bei Überführung von Wirtschaftsgütern in die unbeschränkte Steuerpflicht eines Staates, einem so genannten Zuzug, der Verkehrswert der überführten Vermögenswerte als steuerliche Anschaffungskosten angesetzt wird. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass im Zuzugsstaat ausschließlich die stillen Reserven nach dem Zuzug besteuert werden. 2
3 2. Historische und zukünftige Entwicklung Zunächst soll in diesem Kapital die Entwicklung der nationalen Wegzugsbesteuerungsregeln bis zum Beitritt Österreichs in die EU dargestellt werden. Anschließend wird ein Überblick über die Entwicklung der Vorgaben des Unionsrechts und der EuGH-Rechtsprechung in Bezug auf die Wegzugsbesteuerung gegeben und auf deren Auswirkungen auf die österreichische Rechtslage eingegangen Entwicklung der Wegzugsbesteuerung in Österreich Der österreichische Gesetzgeber sah eine Wegzugsbesteuerung hinsichtlich betrieblich genutztem Vermögen bereits in 6 Z 6 EStG 1972 idf BGBl 440/1972 vor. Demnach waren bei Überführung von Wirtschaftsgütern eines im Inland gelegenen Betriebes (bzw Betriebsstätte) in einen anderen Betrieb (bzw Betriebsstätte) desselben Steuerpflichtigen oder einen andern Betrieb, an dem der Steuerpflichtige als Mitunternehmer beteiligt war, die überführten [ ] Wirtschaftsgüter mit den Werten anzusetzen [ ], die im Falle einer Lieferung oder sonstigen Leistung an einen vom Steuerpflichtigen völlig unabhängigen Betrieb [Fremdvergleichswert] angesetzt worden wären. Dieselbe Rechtsfolge wurde für den Fall, dass der Steuerpflichtige in beiden Betrieben in der Geschäftsleitung tätig war bzw Kontrolle oder Einfluss darauf nehmen konnte, vorgesehen. Weiters war der Ansatz des Fremdvergleichswerts auch bei Überführung von Wirtschaftsgütern in das Inland einem Zuzug geboten. Diese Bestimmung wurde im Wesentlichen in 6 Z 6 EStG 1988 idf BGBl 400/1988 überführt. Es wurden jedoch zwei weitere Anwendungsfälle hinzugefügt, sodass es auch zur Wegzugsbesteuerung kam, wenn ein gesamter Betrieb (bzw) Betriebsstätte ins Ausland verlegt wurde oder Steuerpflichtige zu mehr als 25 % an einer die Wirtschaftsgüter übernehmenden ausländischen 3
4 Historische und zukünftige Entwicklung Kapitalgesellschaft beteiligt waren. In den Erläuterungen zu BGBl 400/1988 wurde klargestellt, dass auf derartige Vorgänge die Vorschriften zur Betriebsveräußerung analog angewendet werden sollen. Durch diese Änderung war die Aufnahme eines Wegzugstatbestandes im KStG 1988 nicht erforderlich. 4 Bemerkenswert an dieser Regelung ist jedenfalls der Umstand, dass eine Besteue rung der stillen Reserven ausschließlich von einem Wegzug und nicht von einer etwaigen Einschränkung des Besteuerungsrechts der Republik Öster reich abhängig gemacht wurde, wie dies auch noch in 6 Z 6 lit a EStG idgf der Fall ist. 5 Es kam daher unabhängig davon, ob Österreich das Besteuerungsrecht an den stillen Reserven, zb aufgrund eines mit dem Zuzugsstaat abgeschlossenen DBA, behielt, zu einer Wegzugsbesteuerung. Für im Privatvermögen gehaltene Wirtschaftsgüter sah der Gesetzgeber erst im Jahr 1991 eine Wegzugsbesteuerung vor. So bestimmte 31 Abs 2 Z 1 ivm Abs 1 EStG 1988 idgf BGBl 699/1991, dass [ ] Maßnahmen des Steuerpflichtigen, die zum Verlust des Besteuerungsrechts der Republik Österreich hinsichtlich eines Anteils[ ] an einer Kapitalgesellschaft, an welcher der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre zu mehr als 10 % beteiligt war, einer Veräußerung desselben gleichzustellen sind. Als Gründe die zum Wegfall des Besteuerungsrechts der Republik Österreich führen, nannten die Erläuterungen insbesondere: Umgründungen, den Wegzug des Steuerpflichtigen ins Ausland, die Übertragung auf Personen, bei denen das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Beteiligung nicht gegeben ist, oder die Übertragung in das ausländische Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen. 6 Zeitgleich mit der Einführung einer Wegzugsbesteuerung betreffend Privatvermögen im Jahr 1991 wurde das UmgrStG erlassen, 7 welches grundsätzlich die Steuerneutralität von bestimmten Vermögensübertragungen vorsah und vorsieht. Diese Steuerneutralität wird allerdings nur gewährt, wenn es zu keinem Verlust des Besteuerungsrechts der Republik Österreich an den im Inland gewachsenen stillen Reserven kommt. So war eine steuerneutrale Verschmelzung einer österreichischen Körperschaft auf eine vergleichbare ausländische Körperschaft nur möglich, [ ]wenn die Möglichkeit der Besteuerung der stillen Reserven beim Rechtsnachfolger nicht eingeschränkt [war]. 8 Selbiges galt für die Einbringung, wonach [ ] 4 ErläutRV 621 BlgNR 17. GP Vgl 6 Z 6 EStG 1988 idf BGBl 163/ ErläutRV 266 BlgNR 28. GP BGBl 1991/ Z 4 UmgrStG idf BGBl 1991/699. 4
5 Unionsrechtliche Rahmenbedingungen der Wegzugsbesteuerung Personen, bei denen das Besteuerungsrecht der Republik Österreich hinsichtlich der in den Kapitalanteilen enthaltenen stillen Reserven eingeschränkt ist, [deren Verkehrswerte anzusetzen sind]. 9 Es wurde jedoch in den Erläuterungen Bemerkungen darauf hingewiesen, dass sich bei einem Beitritt Österreichs zur EU weiterer Regelungsbedarf ergeben werde. 10 Den österreichischen Wegzugsbesteuerungsregen war somit vor dem EU Beitritt gemein, dass ein Wegzug steuerlich einer Veräußerung gleichgestellt wurde, sodass ein Wegzug die sofortige Besteuerung der stillen Reserven der betroffenen Wirtschaftsgüter nach sich zog Unionsrechtliche Rahmenbedingungen der Wegzugsbesteuerung Durch den Beitritt Österreichs zur EU im Jahr 1995 sind für den österreichischen Gesetzgeber bei Erlassung von nationalen Vorschriften die Vorgaben des Unionsrechts zu beachten. Da durch die Rechtsprechung des EuGH die unionsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Wegzugsbesteuerung maßgeblich beeinflusst wurden, soll deren Entwicklung und Einfluss auf die öster reichischen Regelungen anschließend erörtert werden. Mit seinem Urteil vom , C-9/02, Lasteyrie du Saillant befasste sich der EuGH mit der französischen Wegzugsbesteuerung, welche folgende Charakteristika aufwies: Vorläufige Besteuerung der stillen Reserven aufgrund eines Wegzugs, definitive Steuerpflicht, wenn die Beteiligung innerhalb von 5 Jahren nach dem Wegzug im Zuzugsstaat veräußert wird, Stundung der Steuer nur gegen Antrag und Sicherheitsleistung und Abgabe einer Steuererklärung, Benennung eines Fiskalvertreters. 11 Der EuGH prüfte in seiner Entscheidung die französische Wegzugsbesteuerungsregelung unter dem Gesichtspunkt der Niederlassungsfreiheit 12, die gebietet, dass ein Staatsbürger eines Mitgliedstaates in anderen Mitgliedstaaten einer selbstständigen Tätigkeit nach dem Recht des Niederlassungsstaates nachgehen kann, bzw dort ein Unternehmen leiten oder gründen kann. Demnach sind sowohl Vorschriften des Herkunftsstaates als auch des Aufnahmestaates, 9 6 Abs 2 UmgrStG idf BGBl 1991/ ErläutRV 266 BlgNR 28. GP Vgl Fraberger, ÖStZ 2004, 410 (411). 12 Vgl Art 49 AEUV. 5
6 Historische und zukünftige Entwicklung die eine Niederlassung eines Unionsbürgers in einem anderen Mitgliedstaat behindern, unionsrechtswidrig. 13 Der EuGH hielt zwar fest, dass die französische Regelung einem Steuerpflichtigen zwar nicht explizit verbot von seinem Niederlassungsrecht Gebrauch zu machen, entschied aber, dass die Vorschrift geeignet ist einen französischen Steuerpflichtigen von der Nutzung des Rechts auf Niederlassungsfreiheit abzu schrecken. Dies begründete der EuGH damit, dass im Wegzugsfall eine Besteuerung von stillen Reserven ohne Realisationsvorgang vorgesehen war. In einem (französischen) Inlandssachverhalt würden etwaige stille Reserven hingegen nur bei tatsächlicher Realisierung besteuert. Der Steuerpflichtige wird allein wegen der Verlegung seines Wohnsitzes ins Ausland für ein Einkommen steuerpflichtig, das noch nicht realisiert ist und über das er somit nicht verfügt, während die Wertsteigerungen, wenn er in Frankreich bliebe, nur steuerpflichtig würden, wenn und soweit sie tatsächlich realisiert worden sind. Diese unterschiedliche Behandlung bei der Besteuerung der Wertsteigerungen, die erhebliche Auswirkungen auf das Vermögen des Steuerpflichtigen, der seinen Wohnsitz ins Ausland verlegen möchte, haben kann, ist geeignet, einen Steuerpflichtigen von einer solchen Wohnsitzverlegung abzuhalten. 14 Weiters bemängelte der EuGH in seiner Entscheidung die strengen Voraussetzungen für eine Stundung der durch den Wegzug festgesetzten Steuer. 15 Aufgrund der im Vergleich zur französischen Regelung strengeren österreichischen Normen zur Wegzugsbesteuerung, sah der österreichische Gesetzgeber Handlungsbedarf und änderte mit dem AbgÄG 2004 die österreichische Wegzugsbesteuerung bezüglich Vermögenstransfers in EU/EWR-Staaten mit umfassender Amts- und Vollstreckungshilfe. Bei einem Wegzug in ebensolche Staaten, wurde die durch den Transfer entstandene Steuer mittels in der Steuererklärung des Wegzugsjahres gestellten Antrages zwar festgestellt aber nicht festgesetzt ( Nichtfestsetzungskonzept ). Zur Besteuerung kam es erst bei einem tatsächlichen Realisierungsvorgang, sprich der Veräußerung, bzw einem weiteren Vermögenstransfer in ein Drittland, weil in diesem Fall der Zugriff der Republik Österreich auf die stillen Reserven nicht mehr gewährleistet war. Ein solcher Vorgang stellte ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des 295a BAO dar, sodass eine Besteuerung durch Abänderung des Steuerbescheids des Wegzugsjahres erfolgte. Es erfolgte keine Verzinsung Vgl EuGH , C-9/02, Lasteyrie du Saillant, Rz 40 ff; Kofler, ÖStZ 2004, 195 (196). 14 EuGH , C-9/02, Lasteyrie du Saillant, Rz Vgl EuGH , C-9/02, Lasteyrie du Saillant, Rz Vgl ErläuRV 686 BlgNR 22. GP 11 ff; 6 Z 6 EStG 1988 idf BGBl 180/2004; 31 Abs 2 Z 2 EStG 1988 idf BGBl 180/2004; 1 Abs 2 UmgrStG idf BGBl 180/2004; 6
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