Daseinsvorsorge im demografischen Wandel zukunftsfähig gestalten
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- Stefan Reiner Baumhauer
- vor 6 Jahren
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1 Daseinsvorsorge im demografischen Wandel zukunftsfähig gestalten Handlungskonzept zur Sicherung der privaten und öffentlichen Infrastruktur in vom demografischen Wandel besonders betroffenen ländlichen Räumen Zusammenfassung
2 Zusammenfassung Motivation und Ziel des Handlungskonzepts In den neuen Ländern ist der demogra fische Wandel deutlich vorangeschritten. Der Rückgang der Bevölkerungszahl bei gleichzeitigem Anstieg des Durchschnittsalters hat die Bevölkerungsstruktur mit weitreichenden Folgen verändert. Durch die politischen und sozialen Umbrüche 1989/90 kam es in hohem Maße zu Abwanderungen insbesondere junger Menschen und Familien und zu einem starken Rückgang der Geburten Anfang der 1990er-Jahre. In der Folge führten beide Entwicklungen zu einer ungünstigen Altersstruktur. Zählten die neuen Länder 1990 noch zu denen mit einer durchschnittlich recht jungen Bevölkerung, gehören sie heute zu denen mit der durchschnittlich ältesten. Dieser Trend wird sich fortsetzen (demografisches Echo). Die in den 1990er-Jahren nahezu halbierte Kinderzahl bedeutet ab 2015 etwa eine Halbierung der Elternzahl, halb so viele Kinder, halb so viele Berufsanfänger. Zur gleichen Zeit gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente. Besonders betroffen sind die peripheren, dünn besiedelten und strukturschwachen Räume. Die neuen Länder weisen im bundesweiten Vergleich einen hohen Anteil von Regionen mit geringer Siedlungsund Bevölkerungsdichte auf. Die Abnahme und die Alterung der Bevölkerung nehmen Einfluss auf alle Versorgungsbereiche der Daseinsvorsorge. Zurückgehende Nutzerzahlen lassen diese vielfach an wirtschaftliche Tragfähigkeitsgrenzen stoßen. Bei der Entwicklung und Erprobung von innovativen Lösungen haben insbesondere die neuen Länder vielfältige Erfahrungen gewonnen. Diese Erfahrungen sollen gemeinsam mit den Erkenntnissen des Bundes für eine übergreifende Demografiestrategie nutzbar gemacht werden. Mit dem Handlungskonzept wird ein Vorschlag unterbreitet, wie unter den sich verändernden demografischen und finanziellen Rahmenbedingungen eine an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft orientierte und effiziente Infrastruktur nachhaltig gesichert werden kann. Das Handlungskonzept will Impulse geben, zum Umdenken anregen, nicht jedoch zur Umsetzung verpflichten. Im Rahmen einer differenzierten Debatte über den demografischen Wandel soll ein umfassender gesellschaftlicher Diskurs angestoßen werden. Die Alterung und der Rückgang der Bevölkerung haben weitaus mehr Chancen als Risiken. Leitlinien für eine demografiefeste Infrastruktur Der Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer und die neuen Länder sind bei der Arbeit am Handlungskonzept von folgendem Grundverständnis ausgegangen: Der demografische Wandel ist in seiner Gesamtentwicklung nur gering beeinflussbar. Das gilt auch für die Abwanderung. Die Poli - tik kann jedoch Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung schaffen, die den Menschen in einer Region erkennbar Perspektiven bieten. Zudem kann durch die Modernisierung der Infrastruktur, zum Beispiel von Bildungs-, Familien-, Kulturund Freizeit einrichtungen, die Lebensqualität erhalten und verbessert werden. In allen Regionen ist ein angemessenes Grundangebot mit lebenswichtigen Leistungen der Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Insbesondere die Erreichbarkeit von Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen ist zu sichern. Hierfür ist ein koordiniertes politisches Handeln auf allen föderalen Ebenen im Rahmen der jeweiligen Kompetenzen eine wesentliche Voraussetzung. Die dünn besiedelten und strukturschwachen Räume brauchen innovative, stärker regional angepasste Konzepte der Daseinsvorsorge, um eine bedarfsgerechte und bezahlbare Infrastrukturversorgung auch künftig zu gewährleisten. Die demografische Entwicklung verläuft regional unterschiedlich. Daher kann es kein Konzept geben, das für alle Herausforderungen eine Lösung bereithält. Es ist jedoch möglich, Grundsätze zu identifizieren, die handlungsleitend sein können. II
3 Die Herausforderungen des demografischen Wandels lassen sich nur mit den Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam bewältigen. Mit ihrem Engagement, ihren Ideen und ihrem Gestaltungswillen sind sie heute in vielen Regionen die Akteure, die unkompliziert neue Wege beschreiten. Handlungsgrundsätze zur nachhaltigen Sicherung der Infrastruktur In Abhängigkeit der regionalen Ausgangsbedinungen müssen individuelle Lösungen und Ansätze entwickelt werden, die dem heutigen und künftig zu erwartenden Bedarf Rechnung tragen. Dabei können prinzipiell alle Handlungsoptionen von der Erhöhung der Erreichbarkeit, Dezentralisierung oder Zusammenlegung von Versorgungsstrukturen über temporäre und mobile Angebote bis hin zur Neuorganisation oder Substituierung zum Einsatz kommen. Auch die Schließung von Einrichtungen kann eine Option sein. Die Entwicklung und Erprobung innovativer neuer Lösungsansätze eröffnet dabei ein großes Feld für mehr Demokratie durch mehr Mitwirkung und mehr eigenverantwortliches Handeln. Daher ist es wichtig, dass regionale Akteure über geeignete Gestaltungsspielräume verfügen und dass das gegenseitige Lernen über erfolgreiche Lösungen gefördert wird. Der wesentliche Schlüssel für eine demografiefeste Infrastruktur liegt in der Mo - dernisierung. Dort, wo sich herkömmliche Angebote für die Infrastruktur nicht beliebig verkleinern oder an veränderte Nachfragestrukturen anpassen lassen, müssen flexible Angebotsformen und effizientere Organisationsstrukturen gefunden werden. Bei der Entwicklung neuer Formen der Leistungserbringung kommt der Nutzung moderner Technologien eine wichtige Rolle zu. Im Rahmen der Weiterentwicklung sind auch gegebenenfalls entgegenstehende rechtliche Rahmenbedingungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Modernisierung kostet Geld, muss aber auch die Effizienz erhöhen. Mittel- und langfristig müssen für Investitionen in eine demografie - feste Infrastruktur die zur Verfügung ste hen - den Mittel zu kostengünstigeren Lösungen als das Weiterbetreiben von ineffizienten An - lagen und Einrichtungen führen. Eine demografiesensible Ausrichtung der vorhandenen Förderprogramme und Maßnahmen kann diesen Prozess wirksam unterstützen. Für den Modernisierungsprozess der Infrastruktur sind drei Ansatzpunkte wichtig: Sektorübergreifende und integrierte Lösungen Ziel ist eine integrierte regionale Versorgung, die eine ganzheitliche und sozialraumorientierte Verknüpfung der Infrastruktur sowie eine Verzahnung von Angebotsstrukturen im Blick hat, die das Zusammenleben der Generationen unterstützt und fördert. Wichtige Optionen können hierfür eine interkommunale und intersektorale Zusammenarbeit sowie eine stärkere Bündelung der Ressourcen und Kompetenzen über Sach- und Fachgrenzen hinweg sein. Zentrale Zielvorgaben und dezentrale Ausführung Anzustreben ist eine Optimierung der Aufgabenteilung zwischen zentraler und dezentraler Ebene. Wo dies sinnvoll ist, sollte sich die zentrale Ebene auf die Definition von Aufgaben und Zielen und die dezentrale Ebene auf die eigenverantwortliche Umsetzung im Rahmen ausreichender Entscheidungsspielräume konzentrieren. Mehr Eigenverantwortung, mehr Mitwirkung Die Gestaltung der demografischen Herausforderung erfordert eine größere Eigen - verantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Die Akzeptanz und Bereitschaft, sich im Rahmen der staatlichen Angebote der Daseinsvorsorge zu engagieren, setzt jedoch Partizipation und Einbeziehung in regionale Entscheidungsprozesse voraus. Die Lebensqualität vor Ort wird vom Ideen - reichtum und der Kreativität der Bürgerinnen und Bürger mitbestimmt. III
4 Zusammenfassung Ausgewählte Instrumente und Maßnahmen: Förderung der Kompetenzen für das Ma - nagement der demografischen Prozesse etwa durch ein Demografie-Coaching für Kommunen auf Landesebene sowie eine stärkere Berücksichtigung von Demografiechecks bei Infrastrukturentscheidungen Stärkung der interkommunalen Zusammen - arbeit und demografiebezogene Ausrichtung regionaler fachübergreifender Netzwer ke in den Gemeinden und Land kreisen Berücksichtigung dieses Aspekts auch bei der Weiterentwicklung des Zentrale-Orte- Konzeptes als eines wichtigen regionalund landesplanerischen Instruments zur Ge währleistung der Daseinsvorsorge Öffnungsklauseln für regionales Handeln in geeigneten Bereichen der technischen und sozialen Infrastruktur zur Stärkung der kommunalen Flexibilität und Eigenverantwortlichkeit etwa in Form von Standard-Erprobungsgesetzen Ausgestaltung von Aufgaben-, Teilhabe-, Mit - wirkungs- und Verantwortungsteilung für bürgerschaftliches Engagement bei der Sicherung der öffentlichen Daseinsvor sorge Entwicklung und Erprobung von innovativen Handlungsansätzen durch Modellvorhaben als bewährtes Instrument zur Gewinnung von Erkenntnissen und Erfahrungen auf kommunaler und regionaler Ebene in der Praxis Fazit und Ausblick Der demografische Wandel ist eine der bedeutendsten Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer und die neuen Länder wollen mit dem Handlungskonzept einen Anstoß für eine Neuausrichtung der Demografiepolitik in Deutschland geben. 1. Die Gestaltung des demografischen Wandels ist eine nationale Aufgabe. Sie kann gemeistert werden, wenn es jetzt gelingt, die Chancen und Potenziale im Wandel zu erkennen und zu heben. Das erfordert auf allen föderalen Ebenen die Bereitschaft, vorhandene Strukturen auf den Prüfstein zu legen, sich für neues Verwaltungshandeln offen zu zeigen und innovative Wege zu beschreiten. 2. Das Handlungskonzept als Pilotprojekt für eine übergreifende Demografiestrategie kann beispielgebend für eine über Politikund Fachbereiche hinausgehende Zusammenarbeit sein. Die gemeinsame Arbeit am Handlungskonzept hat die Notwendigkeit der Verzahnung von Demografiepolitik auf Bundes- und Landesebene sowie den Mehrwert eines gemeinsamen Vorgehens deutlich gemacht. 3. Die Förderpolitik kann einen wesentlichen Beitrag zur Abfederung des demografischen Wandels leisten. Hierzu muss sie noch stärker auf dieses Ziel ausgerichtet werden. Förderangebote müssen besser verzahnt werden und sollten mehr Gestaltungsspielraum für die Entwicklung und Umsetzung innovativer Lösungsansätze zulassen. Bund und Länder werden darauf hinwirken, dass durch die EU-Strukturpolitik integrierte, sektorübergreifende Gesamtstrategien unterstützt und innovative Konzepte der Daseinsvorsorge ermöglicht werden. IV
5 4. Der demografische Wandel braucht einen breiten Dialog, der alle Akteure in Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft mit ihren verschiedenen Blickwinkeln und Erfahrungen einbezieht und die Bürgerinnen und Bürger dabei beteiligt. Eine gezielte Informations- und Öffentlichkeitsarbeit auf allen Ebenen kann diesen Dialogprozess konstruktiv unterstützen und voranbringen. 5. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesänder und die neuen Län - der werden sich auch künftig mit demo - grafischen Fragestellungen befassen. Sie wollen mit ihren Erfahrungen den Prozess der Erarbeitung einer Demogra fie strategie für ganz Deutschland konstruktiv begleiten. 1
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