(Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis für die Versorgungsforschung und Pharmakoepidemiologie. Dissertation



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(Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis für die Versorgungsforschung und Pharmakoepidemiologie Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor Public Health (Dr. P.H.) Universität Bremen Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) Abteilung Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung vorgelegt von Falk Hoffmann Bremen, im Mai 2008

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 2 Danksagung Diese Dissertation sowie die darin integrierten Publikationen wären ohne die Anregungen vieler Kollegen und Freunde nicht möglich gewesen. Ihnen möchte ich an dieser Stelle danken. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske, der diese Arbeit in vielerlei Hinsicht erst ermöglichte. Für das Korrekturlesen der kompletten Arbeit und wertvolle Hinweise danke ich Dr. med. Elke Scharnetzky und Frank Meyer (ich hoffe, ich bekomme auch bald etwas zum Korrekturlesen). Einzelne Abschnitte haben auch Dr. rer. nat. Walter Schill und Matthias S. Pfannkuche (der 24 Stunden am Tag für Rückfragen erreichbar war) gelesen und kommentiert. Danken möchte ich auch Claudia Kretschmer, die unermüdlich Tausende von Rezepten gesichtet hat. Mein Dank gilt auch meinen Eltern, die mal wieder die unangenehme Aufgabe hatten, grammatikalische und orthografische Unzulänglichkeiten im Text aufzuspüren. Schließlich danke ich meiner Freundin Yvonne, die mir beim Schreiben die benötigten Freiräume ließ. Dies gilt einerseits für die investierte Zeit und andererseits für unseren Esstisch und den Rest der Wohnung, wo sich Stapel von Papier und Büchern ansammelten (ich sehe klare Parallelen zu Leon Gordis, der dies in seinem Buch Epidemiologie ebenfalls feststellte). Gutachter 1. Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske 2. Prof. Dr. med. Jörg Hasford Datum der Disputation: 25. Juli 2008

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 3 Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis... 5 1 Einführung... 6 2 Datenbanken als Forschungsgrundlage... 11 2.1 Beispiele aus anderen Ländern...12 2.1.1 Health Services Databases in Saskatchewan... 12 2.1.2 General Practice Research Database (GPRD)...13 2.2 Eignung ausländischer bzw. arztbasierter Datenbanken für Deutschland...14 2.3 Beispiele aus Deutschland...17 2.3.1 Verordnungen niedersächsischer Ärzte 1974 und 1976... 17 2.3.2 Arzneiverordnungs-Report...18 2.3.3 Versichertenstichprobe AOK Hessen/ KV Hessen... 25 2.4 Review von aktuellen Publikationen mit deutschen Arzneimittelroutinedaten...27 2.4.1 Methodik...28 2.4.2 Ergebnisse...30 2.4.3 Diskussion...37 3 Beispiele eigener Studien mit GKV-Routinedaten... 41 3.1 Hochverbrauch von Zolpidem und Zopiclon...41 3.1.1 Einführung: Wirksamkeit und Missbrauch von Zolpidem und Zopiclon...41 3.1.2 Methodik...49 3.1.3 Ergebnisse...51 3.1.4 Diskussion...55 3.2 Gebrauch intravenöser Bisphosphonate...59 3.2.1 Einführung: Kiefernekrose unter Bishosphonaten... 59 3.2.2 Methodik...65

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 4 3.2.3 Ergebnisse...69 3.2.4 Diskussion...74 4 Methodische Überlegungen... 79 4.1 Der Weg vom Verordner zur Variable...80 4.2 Validität von Arzneimittelroutinedaten...89 4.2.1 Wie häufig sind Abgabe- und Verordnungsdatum im Jahr 2005 korrekt erfasst?...89 4.2.1.1 Methodik... 90 4.2.1.2 Ergebnisse... 91 4.2.1.3 Diskussion... 97 4.2.2 Validität von Rezeptangaben über die Jahre 2000-2006... 100 4.2.2.1 Methodik... 100 4.2.2.2 Ergebnisse... 103 4.2.2.3 Diskussion... 110 4.2.3 Erfassungsqualität bei Betäubungsmittelrezepten und Muster 16 im Jahr 2006... 114 4.2.3.1 Methodik... 115 4.2.3.2 Ergebnisse... 118 4.2.3.3 Diskussion... 124 4.3 Über Sonder-PZN abgerechnete Rezepturen...130 4.3.1 Vorgehensweise bei intravenösen Bisphosphonaten... 131 4.3.2 Ergebnisse... 133 4.3.3 Generelle Problematik der Abrechnung von Sonder-PZN. 136 4.4 Nichtberücksichtigung von Privatrezepten...142 4.4.1 Methodik... 142 4.4.2 Ergebnisse... 144 4.4.3 Diskussion... 148 5 Schlussfolgerungen... 156 6 Literatur... 171

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 5 Abkürzungsverzeichnis AOK ATC AVP AVR BDT BEK BfArM BtM COPD d.f. DAPI DDD DKV DRG GEK GKV GPRD GPS HKK HR ICD IF IK IKK IMS k.a. KHK Allgemeine Ortskrankenkasse Anatomisch-therapeutisch-chemisch Apotheken Abrechnungstreuhand von Platen Arzneiverordnungs-Report BehandlungsDatenTräger Barmer Ersatzkasse Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte Betäubungsmittel Chronisch obstruktive Lungenerkrankung Degree of freedom Deutsches Arzneimittelprüfinstitut Defined Daily Dose Deutsche Krankenversicherung AG Diagnosis Related Groups Gmünder ErsatzKasse Gesetzliche Krankenversicherung General Practice Research Database Gute Praxis Sekundärdatenanalyse Handelskrankenkasse Hazard Ratio International Classification of Disease Impact Factor Institutskennzeichen Innungskrankenkasse Institut für Medizinische Statistik keine Angabe Koronare Herzkrankheit KI KV KZV MDK Konfidenzintervall Kassenärztliche Vereinigung Kassenzahnärztliche Vereinigung Medizinischer Dienst der Krankenversicherung MedViP Medizinische Versorgung in der Praxis mg NARZ NICE NNH NNT ONJ OPS OR OTC PKV PZN RCT SAS SD SEER SGB TA TK VSA WHO WIdO Milligramm Norddeutsches Apothekenrechenzentrum National Institute for Health and Clinical Excellence Number needed to harm Number needed to treat Osteonecrosis of the jaw Operationen- und Prozedurenschlüssel Odds Ratio Over the counter Private Krankenversicherung Pharmazentralnummer Randomised Clinical Trial Statistical Analysis System Standard Deviation Surveillance, Epidemiology and End Results Sozialgesetzbuch Technische Anlage Techniker Krankenkasse Verrechungsstelle der Süddeutschen Apotheken World Health Organisation Wissenschaftlichen Institut der AOK

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 6 1 Einführung Kaum ein anderer Leistungsbereich in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist transparenter als der Bereich der Arzneimittelversorgung, dennoch werden diese Daten immer noch zu wenig für die Gesundheitsberichterstattung genutzt. (Glaeske, 2006: 23) Dieses aktuelle Zitat verdeutlicht die in den letzten Jahren lauter werdende Forderung, die umfangreich anfallenden Routinedaten der Krankenkassen und insbesonders diejenigen aus dem Arzneimittelbereich vermehrt für Forschungszwecke zu verwenden (vgl. auch Hasford et al., 2004; Pigeot et al., 2006; Pfaff & Kaiser, 2006). Auch der Sachverständigenrat konstatiert, dass es in Deutschland an aussagekräftigen Daten zur Versorgungssituation mangelt (Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, 2001: Band III.1) und fordert in seinem aktuellen Gutachten, dass pharmakoepidemiologische Datenbanken auf Basis von Routinedaten der Krankenkassen eingerichtet werden sollen (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2007: Abschnitt 5.2.4.3). Im Zusammenhang mit Routinedaten wird oft auch von Sekundärdaten gesprochen. Im Einführungskapitel des Buches Routinedaten im Gesundheitswesen. Handbuch Sekundärdatenanalyse: Grundlagen, Methoden und Perspektiven werden die Begriffe Routinedaten und Sekundärdaten nicht eindeutig voneinander abgegrenzt. Die Autoren definieren Sekundärdatenanalyse als die Nutzung von Daten im Rahmen wissenschaftlicher und bzw. oder praxisrelevanter Untersuchungen ohne direkten Bezug zum primären Erhebungsanlass (Swart & Ihle, 2005). Auch in der empirischen Sozialforschung werden solche Studien nicht selten durchgeführt, als Oberbegriff wird hier Sekundäranalyse genannt (Kromrey, 2002; Schnell et al., 2005). Die Möglichkeiten reichen von einer weiteren Auswertung eines bereits vorhandenen Datensatzes bis hin zur Nutzung von Routinedaten der Krankenkassen. Dementsprechend handelt es sich bei der Auswertung eines Surveys durch andere Forschergruppen bereits um Sekundär(daten)analyse, obwohl primär erhobene Befragungsdaten benutzt wurden. Routinedaten sind prozessproduzierte Informationssammlungen, die im Rahmen der Leistungserbringung

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 7 bzw. Kostenerstattung routinemäßig anfallen. Sie werden originär zum Zweck der Abrechnung erhoben und können nachfolgend für die wissenschaftliche Forschung genutzt werden. Routinedaten werden nach Schach (1981) neben Primärerhebungen anderer Untersucher sowie Daten aus der amtlichen Statistik unter dem Begriff Sekundärdaten subsumiert. Somit erscheint die Unterscheidung zwischen dem breiter definierten Begriff Sekundärdaten und den enger gefassten Routinedaten durchaus sinnvoll. Im Folgenden werden administrative Daten von Krankenkassen, die dem Zwecke der Abrechung dienen (z.b. für Arzneimittel oder Krankenhausaufenthalte), deshalb ausschließlich als Routinedaten bezeichnet. Die wissenschaftliche Untersuchung der Anwendung sowie der erwünschten und unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln in großen Bevölkerungsgruppen gilt als Forschungsfeld der Pharmakoepidemiologie (Strom, 2006a). Typische Aspekte, die in pharmakoepidemiologischen Studien untersucht werden, befassen sich mit Mustern und Kosten des Arzneimittelverbrauchs, der Qualität der Arzneimittelversorgung, Determinanten der Arzneimittelanwendung sowie mit den aus dem Gebrauch von Arzneimitteln resultierenden positiven und negativen Outcomes und deren Kosten (WIdO, 2004). Hier bestehen inhaltliche und methodische Überschneidungen zur Versorgungsforschung, einer Disziplin, die mittlerweile in aller Munde ist (Schmacke, 2007) und die letzte Meile 1 des Gesundheitssystems untersucht (Pfaff, 2003). Eine häufig zitierte Definition von Pfaff (2003: 13) bezeichnet Versorgungsforschung als ein fachübergreifendes Forschungsgebiet, das die Kranken- und Gesundheitsversorgung und ihre Rahmenbedingungen beschreibt und kausal erklärt, zur Entwicklung wissenschaftlich fundierter Versorgungskonzepte beiträgt, die Umsetzung neuer Versorgungskonzepte begleitend erforscht und die Wirksamkeit von Versorgungsstrukturen und -prozessen unter Alltagsbedingungen evaluiert. Versorgungsforschung schließt somit ein breites Spektrum möglicher Fragestellungen ein, die von deskriptiven (z.b. Wie häufig ist die koronare 1 Die Begrifflichkeit letzte Meile kann durchaus kritisiert werden, da sie das Ende eines Weges symbolisiert, an dem es kein Weiterkommen gibt. Nach der Ständigen Kongresskommission Versorgungsforschung ist das Verständnis von Versorgungsforschung allerdings umfassender (Schrappe et al., 2005). An die von Pfaff (2003) als letzte Meile bezeichnete Beschreibung und Analyse der Versorgungssituation sollte sich die Entwicklung von Konzepten, Implementierung und Evaluierung anschließen.

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 8 Herzkrankheit (KHK) in Deutschland?) über defizitorientierten (z.b. Wie viele Patienten 2 mit KHK erhalten die in den Leitlinien empfohlene Medikation?) oder analytischen Fragestellungen (z.b. Warum erhalten Frauen nach Herzinfarkt andere Medikamente als Männer?) bis hin zu Interventionsstudien (z.b. Verordnen Ärzte, die an einem Kurs in evidenzbasierter Medizin teilgenommen haben, häufiger Beta-Blocker nach Herzinfarkt?) reichen (Donner-Banzhoff et al., 2007). Welche heterogenen Themen deutschsprachige Artikel zur Versorgungsforschung tatsächlich abdecken, zeigt der Review von Schneider et al. (2007), dem eine MEDLINE-Suche nach health services research, health system research sowie health research zugrunde lag. Die Suche identifizierte unter anderem Artikel wie Apparative Diagnostik im Schockraum oder Motivierende Gesprächsführung mit Arbeitslosen. 3 Die möglichen Forschungsfragen, die sich unter dem Begriff Versorgungsforschung subsumieren lassen, erfordern wiederum ein breites Spektrum an Studiendesigns, das von qualitativen Untersuchungen bis hin zu randomisierten kontrollierten Studien reichen kann. Verschiedentlich wird kritisiert, dass diese weite Auffassung von Versorgungsforschung Abgrenzungsprobleme schafft (Porzsolt & Kilian, 2006). In der Tat lassen sich Studien, wie beispielsweise zu der oben angeführten Frage Wie viele Patienten mit KHK erhalten die in den Leitlinien empfohlene Medikation?, sowohl der Versorgungsforschung als auch der Pharmakoepidemiologie zuordnen. Dieses Problem sollte allerdings im Forscheralltag keine Schwierigkeiten bereiten. Zielführender und bedeutsamer als definitorische Fragen ist in diesem Zusammenhang vielmehr, und so kann Donner-Banzhoff et al. (2007) und Porzsolt & Kilian (2006) nur zugestimmt werden, dass konkrete und qualitativ hochwertige Studien durchgeführt werden. Routinedaten der Krankenkassen werden unter Alltagsbedingungen generiert und bilden damit die letzten Meile des Gesundheitssystems, also die aktuelle 2 Nicht nur aus Gründen der Schrägstrichvermeidung, sondern auch der besseren Lesbarkeit halber, wird im folgenden Text durchgängig die männliche Form beibehalten (so z.b. Patient, Versicherter usw.). Frauen sind in dieser Formulierung selbstverständlich ebenso gemeint und angesprochen. 3 Die eigentliche Forschungsfrage des Reviews von Schneider et al. (2007) war, wie in deutschsprachigen Publikationen zur Versorgungsforschung mit potentiellen Interessenskonflikten umgegangen wird. Kritisch ist dazu anzumerken, dass keinerlei Ein- und Ausschlusskriterien definiert wurden und dass die Suche nach deutschen Studien zur Versorgungsforschung eigentlich eine umfangreichere Literaturrecherche erfordert hätte (Wilczynski et al., 2004).

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 9 Versorgungssituation, ab. Sie lassen Analysen mit geringem zeitlichen und finanziellen Aufwand über verschiedene Bevölkerungsgruppen wie Kinder, Multimorbide oder Bewohner von Altenheimen zu, über die sonst wenig bekannt ist. Zeitnahe Informationen sind zu einer Vielzahl von abrechnungsrelevanten Leistungsbereichen vorhanden, die idealerweise personenbezogen miteinander verknüpft werden können. Die Daten liegen meist im Längsschnitt über eine größere Beobachtungsdauer vor und die Anzahl Personen unter Risiko ist bekannt, wodurch Prävalenz- und Inzidenzschätzungen möglich sind. Routinedaten sind non-reaktiv, d.h. im Gegensatz zu primär erhobenen Daten sind Verzerrungen durch Recall-Bias oder Non-Response nicht zu erwarten. Den zahlreichen Vorzügen stehen natürlich auch entscheidende Nachteile gegenüber. Im Vergleich zu Primärdaten, bei denen der Forscher die zu erhebenden Variablen und die dazu verwendeten Methoden bestimmt, sind die Informationen in Routinedaten durch ihren administrativen Charakter bestimmt. Nur abrechnungsfähige Kontakte mit dem Gesundheitssystem werden in Routinedaten registriert und nicht alle forschungsrelevanten Variablen (z.b. Größe, Gewicht, Blutdruck oder Laborparameter) sind vorhanden. Ein weiterer zu beachtender Punkt betrifft die Validität dieser Daten (Crystal et al., 2007; Garbe & Suissa, 2004; Motheral & Fairman, 1997; Schneeweiss & Avorn, 2005; Schneeweiss, 2007a). Routinedaten sind deshalb einerseits attraktive Datenquellen für Forschungszwecke, die andererseits spezifische methodische Probleme mit sich bringen. Die vorliegende Dissertation beschäftigt sich mit der Nutzung, dem Nutzen, aber auch mit möglichen Fallstricken in der Arbeit mit Routinedaten für wissenschaftliche Zwecke unter besonderer Berücksichtigung von Arzneimittelroutinedaten der GKV in Deutschland. Der Fokus liegt damit auf methodischen Aspekten. Im Kapitel 2 werden Datenbanken als Forschungsgrundlage zunächst aus dem Ausland vorgestellt und deren Übertragbarkeit auf hiesige Forschungsfragen diskutiert. Anschließend werden beispielhaft deutsche Datenquellen von Krankenkassen besprochen und es wird die Nutzung solcher Arzneimittelroutinedaten über die letzten 10 Jahre systematisch analysiert. Im Abschnitt Beispiele eigener Studien mit GKV-Routinedaten (Kapitel 3) finden sich exemplarisch zwei Untersuchungen zum Hochverbrauch der Hypnotika Zolpidem und Zopiclon sowie zum Gebrauch intravenöser Bisphosphonate.

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 10 Diese werden im weiteren Verlauf der Arbeit unter methodischen Gesichtspunkten erneut aufgegriffen. Die Studien beginnen jeweils mit einer ausführlichen Beschreibung der aktuellen Evidenz und damit dem Ausgangspunkt für die Untersuchungen. Der Abschnitt Methodische Überlegungen (Kapitel 4) bildet das Kernstück der vorliegenden Dissertation. Zunächst wird der Weg des Rezeptes vom Patienten zur auswertbaren Variable näher beleuchtet und anschließend werden eine Reihe von Validierungsstudien zur Erfassung von Rezeptinformationen in Routinedaten vorgestellt. Weiterhin werden zwei methodisch orientierte Untersuchungen zur Untererfassung des Arzneimittelgebrauchs aus Routinedaten am Beispiel von Rezepturen und Privatrezepten beschrieben. Die Arbeit endet mit Kapitel 5, in dem Schlussfolgerungen und damit die aus dieser Dissertation gewonnenen Implikationen für die Forschung mit (Arzneimittel)Routinedaten der Krankenkassen zusammengefasst werden. Die vorliegende Dissertation hat verschiedene eigene bereits veröffentlichte bzw. eingereichte Publikationen als Grundlage. Die Artikel wurden mit nicht veröffentlichtem Material sowie umfangreichen zusätzlichen bzw. vertiefenden Auswertungen ergänzt und in die diskutierten Themen integriert. Englischsprachige Texte wurden ins Deutsche übersetzt. Jedes Kapitel, dem veröffentlichte bzw. eingereichte Publikationen zugrunde liegen, beginnt mit einer Auflistung dieser Arbeiten.

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 11 2 Datenbanken als Forschungsgrundlage Die elektronische und strukturierte Speicherung von umfangreichen gesundheitsbezogenen Informationen geschieht in Datenbanken. Im internationalen Kontext findet man häufig die Begrifflichkeiten automated databases oder computerized databases (Strom & Carson, 1990). Eine grundsätzliche Unterscheidung ist zwischen administrativen Datenbanken ( claims databases, administrative databases ) und Datenbanken auf Basis von Patientenakten bzw. arztbasierten Datenbanken ( medical records databases ) zu machen (Hennessy, 2006; Strom 2006b). Administrative Datenbanken entstehen durch den Kontakt von Personen mit dem Gesundheitssystem und spiegeln die Perspektive der Verwaltung wider. Die Daten werden primär zu Zwecken der Abrechnung generiert und die Möglichkeit, diese Informationen für Forschungszwecke zu nutzen, ist ein Nebenprodukt. Ein typisches Beispiel aus Deutschland sind Routinedaten der GKV. Arztbasierte Datenbanken werden auf Basis der elektronischen Patientendokumentation generiert und spiegeln damit die Perspektive des Arztes wider. Beispiele aus Deutschland sind der Disease Analyser-MediPlus vom Institut für Medizinische Statistik (IMS) (Dietlein & Schröder-Bernhardi, 2002) oder die über die Praxissoftware gewonnenen BehandlungsDatenTräger(BDT)-Daten (Himmel et al., 2006). Im Vergleich zu administrativen können in arztbasierten Datenbanken zusätzliche Informationen wie Laborwerte, Größe, Gewicht oder Raucherstatus enthalten sein. Da die Angaben aber meist vom Hausarzt gepflegt werden, sind Verordnungen oder Diagnosen von anderen Ärzten möglicherweise nur unvollständig erfasst. Diese Informationen liegen in administrativen Daten arztübergreifend vor. Bezüglich des Arzneimittelkonsums finden sich in den arztbasierten Dankenbanken stets die verordneten Präparate, während in administrativen Daten die von Apotheken abgerechneten Medikamente enthalten sind. Datenbanken mit gesundheitsbezogenen Informationen werden im internationalen Raum seit langem für Forschungszwecke verwendet. Exemplarisch sollen im Folgenden kurz zwei wichtige internationale Datenbanken vorgestellt werden, um dann zu diskutieren, ob diese auch für Analysen bezüglich des deutschen Marktes geeignet sind. Anschließend werden beispielhaft deutsche Datenquellen vorgestellt, wobei der Fokus auf dem seit 1985 in jährlichem Abstand erscheinenden Arzneiverordnungs-Report liegt. Das Kapitel schließt mit

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 12 einem systematischen Review zur Nutzung von deutschen Arzneimittelroutinedaten der Krankenkassen für Forschungszwecke. Eigene Vorarbeiten zum Thema Pfannkuche MS, Hoffmann F, Meyer F, Glaeske G (2007): Vergleichende Bewertung von Methoden zur Ermittlung von Effizienzreserven in der Arzneimittelversorgung. Gesundheitswesen, 69(12): 670-8. Hoffmann F (submitted): Review on use of German health insurance claims data on medications for epidemiological research. 2.1 Beispiele aus anderen Ländern 2.1.1 Health Services Databases in Saskatchewan Die Health Databases des staatlich finanzierten Gesundheitssystems in der kanadischen Provinz Saskatchewan lassen sich den administrativen Datenbanken zuordnen. In Saskatchewan sind etwa 1 Mio. Personen wohnhaft, was 3,2% der kanadischen Bevölkerung entspricht. Zu diesen Personen aller Altersgruppen können individuelle Verläufe sektorenübergreifend über eine lebenslang gleichbleibende Versicherungsnummer (Health Services Number) verfolgt werden. Die Routinedaten stehen für verschiedene Leistungsbereiche über einen sehr langen Beobachtungszeitraum zur Verfügung. Arzneimitteldaten sind beispielsweise seit September 1975 elektronisch erfasst (mit unvollständigen Daten zwischen Juli 1987 und Dezember 1988). Demografische Informationen (wie z.b. Geburt, Tod, Eheschließung), ambulante und stationäre medizinische Leistungen sowie Daten des Krebsregisters liegen seit mindestens 1979 vollständig elektronisch erfasst vor. Wissenschaftler, die mit diesen Daten arbeiten möchten, müssen einen Forschungsantrag einreichen, der von einem Review Komitee begutachtet wird. Die benötigten Daten werden kostenpflichtig aufbereitet und den Forschern anschließend zu Analysezwecken zur Verfügung gestellt (Saskatchewan Health, 2005; Stergachis et al., 2006). Die Saskatchewan Health Databases wurden bereits für zahlreiche Forschungsvorhaben verwendet. Ein Review, dem eine umfangreiche Suchstrategie zugrunde lag, fand über die Jahre 1970-2004 insgesamt 141 Studien, die auf Basis dieser Datenbanken durchgeführt wurden (Tricco et al., 2008). Der überwiegende Teil der identifizierten Artikel beschäftigte sich mit der Assoziation

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 13 zwischen Expositionen und Outcomes (48,2%) sowie mit Fragen der Versorgungsforschung (26,2%). Verschiedene stationäre Diagnosen wurden bereits mittels Aktendurchsicht validiert (Garbe & Suissa, 2004). Allerdings weisen Tricco et al. (2008) darauf hin, dass mehr als zwei Drittel der in ihrem Review identifizierten Studien keinerlei Anmerkungen zur Datenvalidität machen. 2.1.2 General Practice Research Database (GPRD) Die General Practice Research Database (GPRD) ist die weltweit größte arztbasierte und für Forschungszwecke verwendete Datenbank. Etwa 1.500 Hausärzte in 500 über Großbritannien verteilten Praxen liefern aktuell Informationen zu 3,6 Mio. Patienten aller Altersgruppen, was mehr als 5% der Population des Landes entspricht. Insgesamt sind 46 Mio. Patientenjahre für mögliche Auswertungen verfügbar. 4 Die Hausärzte, die ein Qualitätstraining durchlaufen haben, nutzen ihren Praxiscomputer, um Informationen in das System einzuspeisen (Garcia Rodriguez & Perez Gutthann, 1998). Die GPRD enthält Informationen zur Demografie, zu medizinischen Diagnosen inklusive Freitexten, den verordneten Medikamenten, Krankenhauseinweisungen inklusive Entlassungsberichten sowie ergänzende Patientendaten wie Raucherstatus, Größe, Gewicht und in zunehmendem Maße auch Laborbefunde (Garbe & Suissa, 2004). Weiterhin besteht die Möglichkeit, zusätzliche Patientenakten anzufordern bzw. dem Hausarzt oder dem Patienten Fragebögen zuzusenden (Garcia Rodriguez & Perez Gutthann, 1998). Es fehlen in der Datenbank allerdings weitere sozioökonomische Informationen wie Beruf oder Arbeitslosigkeit (Stergachis et al., 2006). Die Datenbank wurde im Juni 1987 als VAMP Research Databank eingerichtet und trägt erst seit 1994 den Namen GPRD. Ebenfalls seit 1994 steht die Datenbank unter Aufsicht des britischen Gesundheitsministeriums und wird seit 1999 von der britischen Zulassungsbehörde verwaltet, die im April 2003 Teil der neu geschaffenen Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) wurde (Garbe & Suissa, 2004; Garcia Rodriguez & Perez Gutthann, 1998). Auch die Nutzung der GPRD ist gebührenpflichtig, ein vollständiger Online-Zugriff kostet für 2 Nutzer laut aktuellen Angaben jährlich 325.000 Pfund. 4 4 Die Informationen stammen von der Homepage der GPRD: http://www.gprd.com (letzter Zugriff: 12.12.2007).

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 14 Die GPRD ist in großem Maße für verschiedene epidemiologische Fragestellungen genutzt worden. Laut der zum September 2007 aktualisierten Bibliografie auf der Homepage der GPRD 4 wurden seit 1990 bis dato 564 Forschungsartikel mit diesen Daten publiziert. Auch deutsche Forscher haben die GPRD für pharmakoepidemiologische Fragestellungen genutzt (z.b. Andersohn et al., 2006). Aufgrund des relativ einfachen Zugangs zu weiteren Befunden und schriftlichen Patientenakten wurden umfangreiche Validierungsstudien zu den Daten der GPRD durchgeführt (Stergachis et al., 2006). 2.2 Eignung ausländischer bzw. arztbasierter Datenbanken für Deutschland Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2001: Band III.1) stellte in seinem Gutachten 2000/2001 heraus, dass es in Deutschland an aussagekräftigen Daten zur Versorgungssituation mangelt. Somit ist es essentiell, die letzte Meile des deutschen Gesundheitssystems auch mit hiesigen Daten zu erforschen. Es wäre schon auf den ersten Blick absurd, die Frage Wie viele Patienten mit KHK erhalten in Deutschland einen Beta-Blocker? mit niederländischen Daten beantworten zu wollen. Dass eine solche Extrapolation wenig sinnvolle Ergebnisse liefern würde, zeigt beispielsweise die international durchgeführte EUROASPIRE-Studie. Bei diesem Survey (EUROASPIRE II) wurden in verschiedenen europäischen Ländern in den Jahren 1999-2000 konsekutive Krankenhauspatienten mit ausgewählten Eingriffen bzw. Diagnosen, die auf eine koronare Herzerkrankung (KHK) hinweisen, im Alter von höchstens 70 Jahren eingeschlossen (EUROASPIRE I and II Group, 2001). Diese KHK-Patienten unterschieden sich in Abhängigkeit vom Land erheblich in der Inanspruchnahme von Leistungen und der Erreichung von Therapiezielen. In den Niederlanden erhielten 48,2% der eingeschlossenen Patienten einen Beta-Blocker, in Deutschland waren es 68,1%. Ein weiteres Beispiel für nationale Unterschiede ist eine Studie zum Verordnungsverhalten von Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen unter 20 Jahren. Während im Jahresverlauf im deutschen Kollektiv 0,11% ein Antidepressivum verordnet bekamen, war der Anteil mit 1,63% in den Vereinigten Staaten um fast das 15- fache höher. Bezüglich der bevorzugten Medikamente existierten ebenfalls Unterschiede. So wurden in Deutschland auffällig häufiger trizyklische Antidepressiva und seltener Selektive Serotinin-Rückaufnahme-Inhibitoren

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 15 (SSRI) eingesetzt als in den Vereinigten Staaten (Zito et al., 2006). Diese beispielhaften Ergebnisse weisen nicht nur darauf hin, dass ein nicht abschätzbares Maß an Fehlern bei der Extrapolation ausländischer Daten entstehen kann, sondern vor allem, dass die relevanten internationalen Differenzen und die dazu führenden Gründe ohne geeignete deutsche Daten gar nicht aufgedeckt werden könnten. Hinzu kommt, dass Auswirkungen nationaler Gesetzesänderungen, wie beispielsweise die Herausnahme nichtverschreibungspflichtiger Medikamente aus dem Leistungskatalog der GKV oder die Einführung von Rabattverträgen, mit internationalen Datenbanken nicht evaluiert werden können (Hasford et al., 2004). Auch für ökonomische Analysen können sich Schwierigkeiten ergeben, da beispielsweise für Arzneimittel länderspezifische Preisbildungen existieren (Schwabe, 2008). Jenseits deskriptiver Darstellungen sind bei Fragen der Arzneimittelsicherheit weniger Schwierigkeiten in der Anwendung ausländischer Datenbanken zu sehen. Trotzdem muss die spezifische Tradition des deutschen Arzneimittelmarktes beachtet werden. Bestimmte Präparate sind in anderen Ländern gar nicht zugelassen bzw. erstattungsfähig, womit eine Nutzen-Schaden-Bewertung oder eine ökonomische Analyse mit anderen als deutschen Daten nicht durchzuführen ist (Hasford et al., 2004). So sind beispielsweise auf dem Drug Plan der kanadischen Provinz Saskatchewan, der die Erstattungsfähigkeit von Medikamenten regelt, aus der Gruppe der Beta-Blocker nur Präparate mit den Wirkstoffen Metoprolol, Bisoprolol und Atenolol gelistet. 5 Zusätzlich sind in Deutschland Tabletten mit den Wirkstoffen Nebivolol, Talinolol oder Betaxolol erstattungsfähig, nicht allerdings in Saskatchewan. Weiterhin kann die Übertragung von Ergebnissen aus strukturell anders organisierten Gesundheitssystemen Schwierigkeiten mit sich bringen. Im öffentlich finanzierten britischen Gesundheitssystem nimmt der Hausarzt die zentrale Rolle als gate keeper ein. Besuche bei Fachärzten sind nur auf Überweisung des Hausarztes möglich. In Deutschland existiert eine freie Arztwahl und das Aufsuchen verschiedener Hausärzte oder Spezialisten ist auch ohne Überweisung und Kenntnis des jeweils anderen Arztes möglich. Mit Daten der GPRD ließe sich genau diese komplexe Versorgungssituation nicht abbilden. 5 Verfügbar unter: http://formulary.drugplan.health.gov.sk.ca/ (letzter Zugriff: 12.12.2007).

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 16 Außerdem sind durch die fehlende Bindung an den Primärarzt die Möglichkeiten arztbasierter Datenbanken in Deutschland erheblich limitiert (Garbe & Müller- Oerlinghausen, 1998). Auch durch den Wechsel des Hausarztes, der in Deutschland jederzeit möglich ist, sowie durch fehlende Informationen zu Personenzeiten können sich für Längsschnittuntersuchungen Probleme ergeben. Die von der MedViP (Medizinische Versorgung in der Praxis)-Gruppe genutzten BDT-Daten (Himmel et al., 2006) werden ausschließlich von Hausärzten generiert. Auch der IMS Disease Analyser-MediPlus wurde zunächst neben Gynäkologen ausschließlich von Allgemeinmedizinern und hausärztlichen Internisten mit Informationen gespeist (Dietlein & Schröder-Bernhardi, 2002). Mittlerweile wurde das Panel um verschiedene Fachärzte erweitert, eine arztübergreifende Beobachtung der Patienten ist allerdings nicht möglich. Ein Vorteil arztbasierter Systeme könnte neben zusätzlichen Informationen (ggf. mittels weiterer Befragungen) in der Erfassung einer episodenorientierten statt der bisher üblichen chronologischen Inanspruchnahme sowie der Abbildung von Beratungsanlässen jenseits der ICD-Codierungen liegen (Körner et al., 2005). Die Struktur und der Umfang der für Forschungszwecke übertragenen Daten eines arztbasierten Systems lassen sich im Vergleich zu den Abrechnungsdaten der Krankenkassen flexibler gestalten. Jedoch gibt es gerade in Deutschland eine Vielzahl von elektronischen Patientenverwaltungssystemen, die zum 31.12.2005 auf etwa 150 beziffert wurden (Brosz et al., 2007). Daraus resultiert nicht nur eine Schnittstellenproblematik, wenn verschiedene Systeme verknüpft werden sollen, sondern vor allem die Schwierigkeit, dass der Umfang an gespeicherten Informationen variieren kann. Viele Hausärzte besitzen neben dem Praxiscomputer noch herkömmliche Patientenakten in Papierform, auf denen Konsultationsinhalte dokumentiert sind (Erler, 2007). Zudem unterliegt auch die Teilnahme eines Arztes an einem solchen Panel einem Selektionseffekt, d.h. die teilnehmenden Ärzte müssen nicht unbedingt repräsentativ für die Grundgesamtheit sein. Zu einem Datenexport für das Forschungsprojekt MedViP erklärten sich beispielsweise lediglich 23% der angefragten Praxen in Göttingen und 66% der Praxen in Freiburg bereit (Himmel et al., 2006). Die Erstellung arztbasierter Datenbanken in Deutschland bedeutet im Vergleich zu Krankenkassendaten größeren logistischen Aufwand, beispielsweise für standardisierte Software, Schulungen zur Erfassungsqualität

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 17 und der Rekrutierung von Ärzten. Um eine einheitliche Datenstruktur zu gewährleisten, sollten die Daten somit idealerweise prospektiv generiert werden. Die Beispiele haben gezeigt, dass die Erschließung großer Datenbanken für Forschungszwecke auch in Deutschland notwendig ist. Die Nutzung ausländischer Daten ist für hiesige Verhältnisse aus vielerlei Gründen nicht zielführend (Garbe & Müller-Oerlinghausen, 1998; Hasford et al., 2004; Pigeot et al., 2006). Auch arztbasierte Datenbanken haben in Deutschland nur eine limitierte Aussagekraft, obwohl die recht einfach zu realisierende Möglichkeit, Kopien von Befunden oder der Patientenakte zu beschaffen, durchaus Vorteile bringen würde. Routinedaten der Krankenkassen erfüllen hingegen in vielerlei Hinsicht die Anforderungen, die auch an ausländische Datenbanken gestellt werden. 2.3 Beispiele aus Deutschland 2.3.1 Verordnungen niedersächsischer Ärzte 1974 und 1976 Seit zu Beginn der 1970er Jahre die Verwaltungsdaten der Krankenkassen zunehmend elektronisch erfasst wurden, begann auch in Deutschland die Nutzung dieser Daten für Forschungszwecke. Zu Anfang lag der Schwerpunkt solcher Analysen vor allem auf dem Arbeitsunfähigkeitsgeschehen (Braun & Müller, 2006; Tritschler & Faus-Keßler, 1992). Die Methodik der ersten richtungsweisenden Analyse des Verordnungsgeschehens in Deutschland aus den Jahren 1974 und 1976 soll im Folgenden vorgestellt werden. Aufgrund der spärlichen Datenlage und der wachsenden Arzneimittelausgaben, setzte sich die Untersuchung von Greiser und Westermann (1979) zum Ziel, die ambulante medikamentöse Versorgungssituation in Niedersachsen näher zu analysieren. Genutzt wurden Rezepte, die von niedergelassenen Vertragsärzten für Versicherte niedersächsischer RVO-Kassen 6 im ersten Halbjahr 1974 bzw. im ersten Halbjahr 1976 über öffentliche Apotheken abgerechnet wurden. Die zugehörigen Rezepte lagen in der Rezeptprüfstelle für Niedersachsen vor. Aus der Grundgesamtheit der Rezepte wurde eine Stichprobe von 5 gezogen, 6 Der Begriff RVO-Kassen ist eine Sammelbezeichnung für Krankenkassen der Reichsversicherungsordnung (RVO) aus dem Jahr 1911 (Allgemeine Ortskrankenkassen, Betriebskrankenkassen und Innungskrankenkassen, Bundesknappschaft, See-Krankenkasse, Landwirtschaftliche Krankenkassen). Die RVO wurde ab 1975 schrittweise durch das Sozialgesetzbuch V abgelöst (http://www.aok-bv.de/lexikon/r/index_02394.html, letzter Zugriff: 26.02.2008).

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 18 indem eine Banknotenzählmaschine verwendet wurde, die nach jeweils 200 Rezepten stoppte. Verworfen wurden Rezepte, die von Zahnärzten ausgestellt wurden oder aus denen weder Verordnungs- noch Abgabedatum ersichtlich waren. Die manuelle Erfassung der auf den gezogenen Rezepten befindlichen Informationen und die Codierung ausgewählter Variablen erfolgten ebenfalls in der Rezeptprüfstelle für Niedersachsen durch eigens geschultes Personal. Insgesamt konnte so auf 54.352 bzw. 72.688 Rezepte zurückgegriffen werden. Die Daten wurden doppelt erfasst, was von den Autoren als aufwändiges Vorgehen beschrieben wurde. Nach Plausibilitätsprüfungen erfolgten Hochrechnungen für Niedersachsen, indem die einzelnen Verordnungen analog zur Mitgliederstruktur der Kassen gewichtet wurden. Analysiert wurde zunächst deskriptiv nach Kosten, Verordnungen und Facharztgruppen, weiterhin wurden Trendaussagen über die Beobachtungsjahre gemacht. Für drei Gruppen von Arzneimitteln wurde außerdem untersucht, inwieweit ihre Verordnung einer rationalen Arzneimitteltherapie entspricht. Abschließend schlagen Greiser & Westermann (1979) vor, dass an einer kontinuierlichen Analyse einer Stichprobe von Rezepten für den gesamtdeutschen Raum gearbeitet werden sollte. Weiterhin wird die Analyse einer Stichprobe von Ärzten vorgeschlagen, bei der ein Patientenbezug hergestellt und Verordnungen mit Diagnosedaten verknüpft werden sollten. Die Pionierarbeit von Greiser und Westermann (1979) ist gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Transparenz. Alle Schritte wurden begründet und beschrieben. Sowohl die Grundgesamtheit der Rezepte wie auch die Stichprobenziehung sind für den Leser nachvollziehbar, wodurch eine kritische Beurteilung der Untersuchung ermöglicht wird. Die Daten wurden allerdings nicht personenbezogen erhoben, somit sind Informationen, die eine einzelne Person über einen längeren Zeitraum identifizieren können, nicht verfügbar. Diesen Punkt merken die beiden Autoren abschließend auch selbst an. 2.3.2 Arzneiverordnungs-Report Die von Greiser und Westermann (1979) vorgeschlagene Methodik einer bundesweiten Rezeptstichprobe wurde ab dem Jahr 1981 durch den GKV- Arzneimittelindex umgesetzt (Greiser, 1981; Klauber & Selke, 1997). Der vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) erstellte GKV-Arzneimittelindex

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 19 bildet die Datengrundlage für den jährlich veröffentlichten Arzneiverordnungs- Report (AVR). Mit dem Titel Arzneiverordnungs-Report 1985 erschien der erste AVR, der die Daten des Verordnungsjahres 1984 analysierte. Die Reporte tragen durchgängige Jahreszahlen und werten die Verordnungsdaten des jeweiligen Vorjahres aus. Seit dem AVR 1987 wurden die 2.000, seit der Ausgabe für das Jahr 2000 die 2.500 und seit dem Report 2003 die nach verordneten Packungen führenden 3.000 Präparate ausgewertet. Ab dem AVR 1997 wurde von einer 1 auf eine Rezeptstichprobe von 4 umgestellt und ab 2003 wurde die Methodik auf die Vollerfassung aller Rezepte innerhalb der GKV geändert. Im AVR 2003 wurde nicht nur das betrachtete Verordnungsjahr 2002, sondern auch alle Rezepte des Vorjahres nachträglich vollständig erfasst. Ein Vergleich zwischen der Hochrechnung aus der 4 -Rezeptstichprobe und der Vollerhebung ist somit für das Verordnungsjahr 2001 möglich, indem beide Reporte nebeneinander betrachtet werden (Schwabe & Paffrath; 2003, 2004). Generell finden sich bei vielen häufig verordneten Stoffgruppen wie beispielsweise den ACE-Hemmern (Vollerhebung: 2.169 Mio. DDD 7 vs. hochgerechnete Stichprobe: 2.123 Mio. DDD [-2,1%]) oder Statinen (Vollerhebung: 872 Mio. DDD vs. hochgerechnete Stichprobe: 861 Mio. DDD [-1,3%]) nur geringe Unterschiede. Bei dem in den letzten Jahren zunehmend beachteten Wirkstoff Methylphenidat ist allerdings eine größere Abweichung feststellbar (Vollerhebung: 15,7 Mio. DDD vs. hochgerechnete Stichprobe: 18,3 Mio. DDD [+16,6%]). Diese ist vermutlich durch das vergleichsweise geringe Verordnungsvolumen zu erklären und damit als Zufallsfehler zu charakterisieren. Es wurde allerdings versäumt, mögliche Unter- bzw. Überschätzungen durch die Rezeptstichprobe methodisch zu untersuchen. Methodisch relevant ist auch die Frage, wie die bis zum Report 2002 analysierten Rezeptstichproben gezogen wurden und ob es dabei über die Jahre bzw. nach Einschluss der neuen Bundesländer Veränderungen gegeben hat. In den Reporten finden sich dazu keine ausreichenden Antworten. Diese Frage ist 7 Mit dem System der Defined Daily Doses (DDD, definierte Tagesdosen) wird für jeden Wirkstoff eine Arzneistoffmenge festgelegt, die als Erhaltungsdosis für einen Erwachsenen in der Hauptindikation des Präparates konsentiert wurde (Fricke & Günther, 2001). Die DDD-Angaben stellen keine Dosierungsempfehlungen dar. Sie sind eine rein rechnerische Größe, mit deren Hilfe vergleichende statistische Auswertungen des Arzneimittelmarktes und konsums auf nationaler und internationaler Ebene möglich werden.

F. Hoffmann - (Arzneimittel)Routinedaten als Datenbasis 20 nicht nur von historischer Relevanz, sondern stellt sich auch in aktuellen Reporten, wenn Zeitreihen analysiert werden. In den Reporten der Jahre 1986 bis 1992 sind nicht einmal Angaben zum Stichprobenumfang gemacht worden (Maes, 1999). 8 In einem Buchbeitrag finden sich weitere Angaben zur Methodik des AVR (Klauber & Selke, 1997). In diesem Text ist zu lesen, dass es sich um eine nach Region und Versichertenstatus geschichtete Stichprobe gehandelt hätte und dass die Stichproben von den Apothekenrechenzentren 9 erzeugt wurden. Unklar ist, ob alle Apothekenrechenzentren einbezogen wurden, laut der im Buchkapitel gezeigten zweiten Abbildung waren lediglich 7 Rechenzentren beteiligt (Klauber & Selke, 1997). Somit scheint es sich nicht, wie behauptet, um eine repräsentative Stichprobe aller Rezepte zu handeln. Auch wenn ausschließlich große Rechenzentren einbezogen wurden und es sich nicht um eine Zufallsstichprobenziehung gehandelt hätte (z.b. Rezepte würden nur an ungeraden Tagen oder in ausgewählten Rechenzentren eingeschlossen), würde dies nicht zwingend zu einer Abwertung des AVR führen. Die Offenlegung der verwendeten Methodik ist allerdings aus wissenschaftlicher Sicht zwingend erforderlich, um mögliche Schwächen (oder auch Stärken) der Ergebnisse einschätzen zu können. Der Arzneiverordnungs-Report liefert jährlich Informationen zu Effizienzreserven im Arzneimittelmarkt. Im Verordnungsjahr 2005 lag die durch rationale Verordnungsweise zu erzielende Einsparsumme bei 3,5 Mrd. Euro, was bei 25,4 Mrd. Euro Gesamtausgaben einem Anteil von fast 14% entspricht (Schwabe & Paffrath, 2007). Dabei wären 1,6 Mrd. Euro durch Substitution von Analogpräparaten (sog. Scheininnovationen) und 1,3 Mrd. Euro durch Substitution günstiger Generika einzusparen. Die vom AVR generierten Effizienzreserven werden unmittelbar als Grundlage für politische Empfehlungen genutzt (z.b. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitsweisen, 2005: Abschnitt 7.2.4). Die für diese Berechnungen verwendete Methode ist allerdings nur unzureichend beschrieben. Ziel der eigenen hier dargestellten Untersuchung war es, verschiedene Methoden zur 8 Dem sonst an vielen Stellen diskreditierenden Buch von Maes (1999) ist allerdings an dem Punkt zuzustimmen, dass die Methodik des AVR unzureichend beschrieben ist. 9 Eine ausführliche Beschreibung des Weges eines Rezeptes vom Arzt zu elektronisch erfassten Daten und die Rolle der Apothekenrechenzentren ist in Abschnitt 4.1 zu finden.