WIR WERDEN TTIP VERHINDERN

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Transkript:

WIR WERDEN TTIP VERHINDERN

K A P I TA L Gespräch Der Europaparlamentarier Elmar Brok und die Anti-TTIPAktivistin Alessa Hartmann streiten über das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den USA Fragen ALE X ANDER MARGUIER Herr Brok, Sie sind ein Befürworter von TTIP. Gehören Sie denn auch zu den ausgewählten Europaabgeordneten, die im Lesesaal Einblick in den bisherigen Verhandlungsstand nehmen dürfen? Oder anders gefragt: Kann man als Parlamentarier diese Geheimniskrämerei um das Freihandelsabkommen überhaupt akzeptieren? Elmar Brok: Ja, ich gehöre zu denen, die die Unterlagen zu sehen bekommen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass solcherlei Verhandlungen während der gesamten Menschheitsgeschichte im Detail nicht öffentlich geführt wurden. Denn dadurch würden ja den Verhandlungspartnern die Verhandlungsstrategien verraten. In den derzeitigen TTIPVerhandlungen herrscht jedenfalls mehr Transparenz als jemals zuvor bei Hunderten von Handelsverträgen. 89

K A P I TA L Gespräch Frau Hartmann, wann sind Sie zum ersten Mal auf TTIP aufmerksam geworden und was hat Sie dazu gebracht, dagegen zu opponieren? Hartmann: Im April 2013 haben wir auf den Schirm bekommen, dass dieses Abkommen bevorsteht. Und dann haben wir festgestellt, dass es bereits im Vorfeld Konsultationen mit Interessengruppen gab, die allerdings zu 93 Prozent aus Vertretern der Industrie bestanden. Bis Februar 2013 war kein einziges Gespräch Alessa Hartmann 34, ist Expertin für Handelspolitik bei Powershift, einer Nichtregierungsorganisation in Berlin, die sich für eine ökologisch-solidarische Energie- und Weltwirtschaft einsetzt. Sie hat das Bündnis T TIPunfairHandelbar mit aufgebaut, in dem sich mehr als 90 Mitgliederorganisationen gegen das geplante Freihandelsabkommen zusammengetan haben. mit Vertretern von Umwelt- oder Sozialverbänden geführt worden. Brok: Aber Sie sind doch inzwischen eingebunden! Hartmann: Ja, mit vier Personen! Das ist nicht besonders viel, um die europäische Zivilgesellschaft zu repräsentieren. Brok: Ach so, was die europäische Zivilgesellschaft angeht, erheben Sie einen Alleinvertretungsanspruch. Wirtschaftsvertreter sind aus Ihrer Sicht also nicht Teil der Zivilgesellschaft? Gewählte Parlamente vertreten die Bürger. Verbände wie auch der Ihre haben keine demokratische Legitimation. Herr Brok, eines der meistgenannten Argumente für TTIP lautet, dass durch das Abkommen allein in Deutschland 180 000 neue Arbeitsplätze entstehen könnten. Inzwischen weiß man, dass in entsprechenden Studien ein überaus optimistisches Szenario zugrunde gelegt wurde. Manche Kritiker behaupten, durch TTIP könnten unter dem Strich sogar Arbeitsplätze verloren gehen. Brok: Die Erfahrung zeigt doch, dass bisher noch jede Handelsliberalisierung seit dem deutschen Zollverein einen Zuwachs an Arbeitsplätzen gebracht hat. Hartmann: Die Erfahrungen von Nafta, also dem Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko, zeigen ganz klar, dass es nicht nur zu einem Verlust an Arbeitsplätzen geführt hat, sondern auch zu sinkenden Reallöhnen. Brok: Ich bin selbst vor kurzem in Mexiko gewesen. Da sieht man das aber ganz anders. Elmar Brok 68, ist seit 1980 Mitglied des Europäischen Parlaments und sitzt dort dem Auswärtigen Ausschuss vor. Er vertritt den Wahlkreis Ostwestfalen-Lippe. Als CDU-Mitglied ist Brok zudem außenpolitischer Koordinator der Europäischen Volkspartei und gehört zu den Befürwortern von TTIP. Er engagiert sich insbesondere auf dem Gebiet der transatlantischen Beziehungen. 90 Ein anderes Argument für TTIP lautet, durch das Abkommen würden die EU und die USA weltweit die Standards vorgeben. Was ist dagegen einzuwenden, Frau Hartmann? Hartmann: Wir finden, dass alle Betroffenen mit am Tisch sitzen sollten, wenn über weltweite Standards verhandelt wird. Entwicklungsländer zum Beispiel bleiben da völlig außen vor. Brok: Dann sollen wir es also den Chinesen überlassen, industrielle Standards festzusetzen? Wenn Sie damit einer Politik den Vorrang geben wollen, die gegen Menschenrechte und Fotos: Sander de Wilde für Cicero Alessa Hartmann: Das sehe ich ein bisschen anders. An die interessierte Öffentlichkeit werden aus den Verhandlungen nur äußerst rudimentäre Informationen weitergegeben. Und wie gesagt, sogar von den Europaabgeordneten hat nur ein kleiner Kreis überhaupt Zugang zu den Unterlagen. Bei Verhandlungen der Welthandelsorganisation zum Beispiel herrscht deutlich mehr Transparenz. Brok: Die Positionen der EU im Hinblick auf TTIP sind allesamt der Öffentlichkeit bekannt. Nur bei der Verhandlungstaktik ist das aus naheliegenden Gründen nicht der Fall. Entscheidend ist doch: Dieser Vertrag kann nur in Kraft treten, wenn das Europäische Parlament beziehungsweise sogar alle Parlamente der EU-Mitgliedstaaten diesem auch zugestimmt haben. Das heißt, dieser Vertrag wird unter Beteiligung aller Stakeholder in öffentlichen Debatten bis ins kleinste Detail analysiert und diskutiert werden. Hartmann: Aber eben nur der gesamte Vertrag. Nachträgliche Änderungen sind dann nicht mehr möglich. Anstatt während der Verhandlungen eine Möglichkeit zur Mitgestaltung zu geben, heißt es am Schluss: Friss oder stirb! Brok: Das stimmt doch nicht! Ich selbst wie auch andere haben erst vor kurzem mit dem amerikanischen Verhandlungsführer gesprochen, und Handelskommissarin Cecilia Malmström steht uns regelmäßig Rede und Antwort. Natürlich bringen wir da als Parlamentarier auch unsere Vorstellungen mit ein. Bei internationalen Verträgen kann am Ende nur ein Ja oder ein Nein stehen. Das Europäische Parlament hat mit Swift schon einmal einen Vertrag zwischen der EU und den USA abgelehnt. Er musste neu verhandelt werden.

Sozialbereich durch TTIP nicht unterlaufen werden können. Wer das Gegenteil behauptet, betreibt Angstmacherei. Das gilt bei TTIP wie bei allen anderen Verträgen der Europäischen Union jetzt und zukünftig. Hartmann: Stimmt nicht. An einer Stelle des Vertragsentwurfs heißt es eindeutig: Es wird über alle bestehenden regulatorischen Maßnahmen gesprochen und verhandelt. Brok: Ja, es wird darüber gesprochen. Aber alle Punkte, über die in der EU keine Einigkeit herrscht, werden systematisch ausgegliedert. Dazu gehört leider auch das amerikanische Chlorhuhn, obwohl es weniger gesundheitsschädlich ist als das europäische Antibiotika-Huhn. VERTRAG Herr Brok, einer der Hauptkritikpunkte an TTIP sind die Schiedsgerichte, deren Urteile unangreifbar sind und außerhalb jeder Öffentlichkeit gefällt werden. Wie verträgt sich so etwas mit unserem Rechtsstaat? Brok: Solche Schiedsgerichte sind einst von Deutschland erfunden worden. Es existieren inzwischen 1300 Verträge, die Deutschland und die EU betreffen und die solche Schiedsgerichte vorsehen. Und es ist nichts Negatives darüber bekannt. Außerdem würde gemäß TTIP bei den Schiedsgerichten sogar eine zweite Instanz eingeführt werden, und die dort tätigen Richter würden nicht von Anwaltskanzleien gestellt, sondern aus einem Pool von Berufsrichtern berufen werden. Hartmann: Das sind Vorschläge, bei denen wir momentan nicht sehen, dass sie tatsächlich umgesetzt werden. Ich glaube auch nicht, dass Deutschland kein Problem mit Verträgen hätte, die Schiedsgerichte vorsehen. Immerhin wird Deutschland derzeit wegen des Atomausstiegs vom Energiekonzern Vattenfall auf Entschädigung in Höhe von 4,7 Milliarden Euro verklagt. Brok: Der Kernpunkt solcher Schiedsgerichte besteht doch darin, dass eine Diskriminierung des Klägers durch nationale Gerichte ausgeschlossen werden soll. Wenn zum Beispiel in den Vereinigten Staaten ein Gesetz erlassen würde, das amerikanische Unternehmen gegenüber europäischen Unternehmen bevorteilt, dann brauchen wir doch Regeln, um Rechtsstaatlichkeit ausgerichtet ist, dann kann ich Ihnen nur viel Glück wünschen. Unser Interesse muss es doch sein, dass in einer globalen Wirtschaft unsere sozialen Standards gesichert werden. Hartmann: Das Problem mit solchen Handelsverträgen wie TTIP besteht doch gerade darin, dass für die großen Konzerne nur Rechte festgelegt werden, aber keine Pflichten. Brok: Weil das in die Kompetenz der einzelnen Staaten oder der EU fällt. Es ist völlig klargestellt, dass europäische Regelungen etwa im Umwelt- oder 91

so etwas zu verhindern. Wenn solch ein Fall etwa vor einem regulären amerikanischen Gericht verhandelt würde, käme immer nur die entsprechende amerikanische Gesetzgebung, die diskriminierend ist, zum Tragen nicht aber die Interessen eines europäischen Unternehmens. Hartmann: Das heißt, Sie haben kein Vertrauen in die amerikanische und die europäische Gerichtsbarkeit? Brok: Für ein mittelständisches Unternehmen aus Deutschland wäre es allein schon aufgrund der enormen Kosten praktisch unmöglich, vor einem amerikanischen Gericht zu klagen. Brok: Nein, in keinem einzigen Fall musste jemals die Gesetzgebung zurückgefahren werden. Hartmann: Aber es gibt Fälle, bei denen wegen drohender Klagen erst gar keine schärferen Gesetze erlassen werden. Neuseeland und Malaysia zum Beispiel haben ihre Verordnungen für Warnhinweise auf Zigarettenpackungen aus genau diesem Grund zurückgezogen. Brok: Dann machen diese Länder eben einen Fehler. Das ist aber nicht die Vorgehensweise der EU. Im Gegenteil, wir haben unsere Standards stets hochgesetzt und nicht abgesenkt. Hartmann: Das ist nicht richtig. Hamburg hat vor einigen Jahren seine Regeln zum Wasserschutz abgesenkt, das war das Ergebnis eines Vergleichs mit Vattenfall. Und übrigens verklagt die EU deshalb gerade Deutschland, weil genau diese Umweltauflagen, um die es damals in dem Schiedsgerichtsfall ging, nicht eingehalten werden. dem für Gesetzgebungsvorhaben der EU künftig erst einmal die USA konsultiert werden müssen. Brok: Da kann aber nichts entschieden werden. Dieser Prozess wird von Anfang an parlamentarisch begleitet und kontrolliert. Im Gesetzgebungsverfahren wird nicht ein einziger Beamter irgendeine eigenmächtige Entscheidung treffen können. Übrigens geht es nicht nur um Blinker. Deutsche Autos würden in den USA um circa 15 Prozent billiger. Hartmann: Aber Regelungen könnten auf diese Weise schon verwässert Frau Hartmann, bei TTIP geht es ja auch um die Standardisierung etwa von Bauteilen für Autos auf beiden Seiten des Atlantiks. Dagegen ist doch nichts einzuwenden? Hartmann: Stimmt, niemand hat etwas dagegen, wenn etwa für Autoblinker ein gemeinsamer Standard gilt. Aber um das zu regeln, braucht es doch kein derart umfassendes Handelsabkommen, bei 92 Illustrationen: CORRECT!V/Nick Böse (Seiten 88 bis 92) Aber es besteht doch die Gefahr, dass ein Investor vor einem Schiedsgericht gegen ein Land klagt, weil dort beispielsweise schärfere Umweltgesetze beschlossen wurden, die im Nachhinein die Rentabilität einer Investition schmälern.

K A P I TA L Gespräch werden, bevor sie das Parlament überhaupt erreichen. Brok: Machen Sie sich mal keine Sorgen um unsere Einflussmöglichkeiten als Parlamentarier! Das Europäische Parlament und der US-Kongress werden sich ihre Legislativrechte nicht nehmen lassen. Herr Brok, die USA haben auf die Finanzkrise mit einer härteren Regulierung des Finanzsektors reagiert als die EU. TTIP gilt als Einfallstor, um diese Regeln wieder zurückzudrehen. Brok: Sowohl die USA als auch die EU haben auf diesem Gebiet dramatische Verbesserungen durchgesetzt. Hartmann: Ja, aber die USA haben deutlich härter reagiert. Und in den Verhandlungen sehen wir jetzt, dass Interessengruppen aus Europa versuchen, da wieder Schlupflöcher zu schaffen. Brok: Und ich kann Ihnen versichern, dass der amerikanische Kongress seine Gesetzgebung trotzdem nicht verändern wird. Frau Hartmann, Sie gehen offenbar davon aus, dass sich bei einer Angleichung der Standards immer die für den Verbraucher nachteiligste Variante durchsetzt. Es könnte doch aber ebenso gut genau umgekehrt kommen dass also die Standards nach oben angeglichen werden anstatt nach unten. TTIP Die Abkürzung TTIP steht für Transatlantic Trade and Investment Partnership und bezeichnet das derzeit verhandelte Freihandels- und Investitionsschutzabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten. Darin geht es um den Abbau von Zöllen und sogenannten nichttarifären Handelshemmnissen, zu denen unter anderem gesetzliche Standards in den Bereichen Umweltschutz, Verbraucherschutz, Gesundheit, Arbeit und Soziales gezählt werden. Kritiker fürchten, dass diese im Zuge der Harmonisierung auf ein Mindestmaß reduziert werden könnten. Ebenfalls umstritten ist das Verhandlungskapitel über die nichtöffentlichen Schiedsgerichte, vor denen Staaten von Unternehmen auf Schadenersatz verklagt werden können, wenn diese sich bei ihren Investitionen durch staatliche Eingriffe benachteiligt sehen. Würde TTIP in Kraft treten, könnte dadurch die größte Freihandelszone der Welt entstehen. Befürworter sehen deshalb große Chancen darin. Hartmann: Wir sehen aber, dass durch TTIP beispielsweise der Druck auf eine nachhaltig produzierende bäuerliche Landwirtschaft noch einmal erhöht wird zulasten der Umwelt und der Verbraucher. Brok: Sie formulieren immer nur Ängste und Sorgen, bleiben aber jeden Beweis dafür schuldig. Die Standards für die Landwirtschaft werden durch TTIP nicht verändert, um auf Ihr Beispiel zu antworten. Ebenso wenig werden unsere europäischen Gesundheits- und Verbraucherstandards verwässert. Dafür gibt es ein klares Verhandlungsmandat. Hartmann: Warum wurde dann nicht der gesamte Landwirtschaftsbereich bei den Verhandlungen ausgeklammert? Brok: Weil Europas Bauern in höherem Umfang Agrarprodukte nach Amerika liefern wollen. Frau Hartmann, manche TTIP-Kritiker fürchten, durch das Abkommen würde dem höchst umstrittenen Fracking auch in Europa der Weg geebnet. Teilen Sie diese Sorge? Hartmann: Fakt ist, dass die EU ein starkes Interesse am Energiekapitel innerhalb des Abkommens hat. Wir haben vor allem die Sorge, dass durch TTIP das Fracking in den USA ausgeweitet würde, weil Europa Interesse am Import von Schiefergas aus den Vereinigten Staaten hat. Und ich glaube, dass es durch TTIP eine Hinwendung zurück zu fossilen Energiequellen geben kann anstatt zu den erneuerbaren. Brok: Frau Hartmann, Ihr Schlüsselwort in allen Darlegungen lautet kann. In Deutschland wird derzeit ein Gesetz vorbereitet, um Fracking einzugrenzen oder geradezu unmöglich zu machen. Fracking und TTIP haben schlicht nichts miteinander zu tun. Frau Hartmann, wie schätzen Sie den Rückhalt für TTIP in der europäischen Öffentlichkeit ein? Hartmann: In Deutschland, Österreich und Luxemburg gibt es großen Widerstand gegen TTIP. In 25 EU-Mitgliedstaaten haben sich Anti-TTIP-Bündnisse formiert; vor ein paar Wochen sind in Madrid mehrere Tausend Menschen gegen TTIP auf die Straße gegangen. Alle britischen Gewerkschaften haben sich gegen TTIP ausgesprochen! Brok: Warum erwähnen Sie eigentlich nicht die Länder, in denen nach Meinungsumfragen die Mehrheit für und nicht gegen TTIP ist? Dieses Abkommen braucht eine Mehrheit im Europäischen Parlament, sonst tritt es nicht in Kraft. Und wenn durch TTIP nationale Kompetenzen berührt sind, muss es noch dazu von den Parlamenten in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU ratifiziert werden. Mehr Kontrolle ist kaum vorstellbar. Frau Hartmann, Herr Brok, für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass TTIP irgendwann in Kraft tritt? Hartmann: Ich bin optimistisch, dass wir TTIP verhindern können. Brok: Der Vertrag kommt, wenn er den Bedingungen eines demokratisch gewählten Parlaments entspricht. 93