DAS ENDE DER BEHAGLICHKEIT? SOZIALE ARBEIT IM ZEICHEN DER AKTIVGESELLSCHAFT

Ähnliche Dokumente
Wirtschaft, Arbeit, Sozialpolitik. Brennpunkte der Wirtschaftsethik. Institut für Christliche Sozialwissenschaften Universität Münster

Programm Bundestreffen der Arbeitskreise Kritischer Sozialer Arbeit (AKS) 2016 in München

Wettbewerb und soziale Ordnungspolitik kein Widerspruch!

Helmut Martens. Am Ende der industriekapitalistischen Wachstumsdynamik - Refeudalisierung oder Überwindung des Kapitalismus?

Autonomie ein neues Leitbild für eine moderne Arbeitsmarktpolitik

Altsein ist später. Dimensionen subjektiver Alter(n)serfahrung

Sperrfrist: 21. Dezember 2014, Uhr Es gilt das gesprochene Wort.

Abstiegsgesellschaft? Anforderungen an die Gewerkschaften

Helmut Martens Refeudalisierung oder Überwindung des Kapitalismus? Am Ende der industriekapitalistischen Wachstumsdynamik

Inklusion und Engagement

Arbeitsbeziehungen im Rheinischen Kapitalismus. Zwischen Modernisierung und Globalisierung

Kritische Theorie (u.a. Horkheimer, Marcuse, Adorno..., Habermas)

Was lernen wir als Lehrende, was sollen wir lernen, wenn wir die Regeln des Zusammenlebens, Traditionen und Werte vermitteln?

Gliederung. Transformation

Migration: Staatliche Ausschlussrechte und individuelle Menschenrechte. Was kann, wird und muss Deutschland zugemutet werden?

AndersOrte Ulrich Brand, St. Virgil Salzburg,

Marliese Weißmann. Dazugehören. Handlungsstrategien von Arbeitslosen HERBERT VON HALEM VERLAG

Realangst oder Hysterie? Subjektive und objektive Statusgefährdungen

Das Fremde im Eigenen

Inhalt. Einleitung 11

Solidarität schafft Generationengerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung

Gesellschaftlicher Wandel und soziale Sicherheit

DIE EXTERNALISIERUNGSGESELLSCHAFT: VOM LEBEN AUF KOSTEN ANDERER

Die enthemmte Mitte autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland

Tag des Armutsberichts, , Stuttgart Beitrag von Frau Doris Kölz, Lak-BW Mitglied des Beirats zum Armutsbericht BaWü

Benjamin Benz/Jürgen Boeckh Ernst-Ulrich Huster. Sozialraum Europa. Ökonomische und politische Transformation in Ost und West

Selbstüberprüfung: Europa und die Welt im 19. Jahrhundert. 184

Mobilitätskosten und Soziale Exklusion

Inhalt. 1 Demokratie Sozialismus Nationalsozialismus. So findet ihr euch im Buch zurecht... 10

Potenzial: Integration

Das»Arrangement mit den Herrschenden«Kritik einer analytischen Figur

Prof. Klaus Dörre, Institut für Soziologie Ort: Potsdam Tagung: Ausgrenzung durch die Mittelschicht

Was zeichnet eine Demokratie aus?

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

Vielfalt als Normalität

Gesellschaft im Reformprozess

V O N : P R O F. D R. D I E R K B O R S T E L F A C H H O C H S C H U L E D O R T M U N D D I E R K. B O R S T E F H - D O R T M U N D.

Aktivierende Arbeitsmarktpolitik: Was sind die Optionen? Prof. Dr. Ronnie Schöb Freie Universität Berlin, CESifo WPZ Fellow

Gemeinschaftsschule im Kontext gesellschaftlicher Exklusion

Jürgen Aring. Erosion sozialer / regionaler Milieus: Auswirkungen auf Lebenslagen und Partizipation in Ost & West und Stadt & Land

Günter Dux Demokratie als Lebensform Die Welt nach der Krise des Kapitalismus

Sachunterricht - Ziele und Inhalte

Die Verwaltungselite in Deutschland und Frankreich

Soziologie im Nebenfach

Dil Ulenspiegel - Moral eines Rebellen

Nur ein Bruchteil davon schafft es nach Europa und nur ein noch kleinerer Teil gelangt am Ende nach Deutschland.

Traumatische Erfahrungen und soziale Kompetenz: Herausforderungen und Chancen

Wertorientierungen und die Wahl der Grünen. VL Wahl- und Einstellungsforschung

Kerstin Jürgens Arbeitszeit im gesellschaftlichen Wandel Bilanz und Herausforderungen

Sozialphilosophie für helfende Berufe

Gliederung. 1. Lebenslauf Max Webers. 2. Hauptwerke. 3. Die Begriffe Klasse Stand Partei 3.1. Klasse 3.2. Stand 3.3. Partei. 4.

Vorlesung: Pädagogische Anthropologie und pädagogische Zielfragen Pädagogische Zielfragen II

Vom fordistischen Feminismus zur Theorie der Geschlechterverhältnisse

Günter Dux Warum denn Gerechtigkeit Die Logik des Kapitals

Geschichte erinnert und gedeutet: Wie legitimieren die Bolschewiki ihre Herrschaft? S. 30. Wiederholen und Anwenden S. 32

Die Konsum-Klima-Kultur-Klemme (veröffentlichte Präsentation)

Vorlesung Einführung in die Soziologie WiSe 2016/17 Mo Uhr, Auditorium Maximum. 17. Oktober Einführung und Arbeitsplanung

Postwachstum und die soziale Frage

Paul. Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart. Verlag C.H.Beck

V orw ort Einführung... 13

Was besprechen wir heute?

Modulliste. 26 Modulverzeichnis 2017 / 2018 Bachelor of Arts in Sozialer Arbeit

Arbeitslosenversicherung, Grundsicherung oder Erwerbstätigenversicherung? Die Sicht der Arbeitsmarktforschung

Dieter Holtmann. Wohlstand und Wohlfahrt der Nationen. im Wandel

Vorwort Einleitung 14

Inklusionen und Exklusionen. Managing Diversity in der Metropolenentwicklung

Die Einwanderung im Rahmen der wirtschaftlichen Globalisierung, der sozialen Ausgrenzung und der Arbeitsbeziehungen in der Europäischen Union

MIGRATION FLUCHT FREMDHEIT. Fatos Atali-Timmer

Wie wollen wir arbeiten?

Lebenswerte Gesellschaft

R+V-Studie zu Kinderängsten: Furcht vor Krieg hat am stärksten zugenommen

Transformationen und Perspektiven des Sozialen: Solidarisierung statt Ökonomisierung

Generation Baby Boomer versus Generation Y?

Die Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der Sozialen Arbeit

Frauenpolitik, Geschlechterpolitik und Gender Mainstreaming in Deutschland: Auf dem Wege zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft?

Freiheit und Gerechtigkeit Ethische Grundlagen der Geldreform

Handbuch Armut und Soziale Ausgrenzung

Fernseher oder Wohnung ALLES EINE FRAGE DER PRIORITÄT?

Kulturelle Aspekte der Bindung in der Migrationssituation als Chance oder Hindernis für die Gesundheit des Kindes. Frederic Lwano REFUGIO München

Oliver Nachtwey: DieAbstiegsgesellschaft

meldeten, deren Eltern als Kinder aus Schlesien, Ostpreußen, Pommern, dem Sudetenland, Donau-Schwaben oder Siebenbürgen fliehen mussten.

Die Sozialstruktur Deutschlands

Politisches Denken im 20. Jahrhundert Ein Lesebuch

Auferstehung Aufstand gegen den Tod

Wirtschaftsdemokratie und gesellschaftliche Transformation. Denknetz U-35, 27. Januar 2018, Basel Pascal Zwicky, SP / Denknetz

Wie Kriege beginnen. Wolfgang Schreiber, AKUF, Universität Hamburg. Wolfgang Schreiber für Ringvorlesung Friedensbildung 1

Wir müssen an die Persönlichkeit heran Die Modifikation aktivierender Arbeitsmarktpolitik am Beispiel der Maßnahmen Sozialer Aktivierung

Zur öffentlichen und gesellschaftlichen Wahrnehmung und Bewältigung von Gewalterlebnissen Trauma und Politik

Religionsunterricht wozu?

Herzlich Willkommen. zum Workshop Sozialpolitische Handlungsfelder und Prioritäten

Professor Lutz Leisering Ph.D. Vorlesung. Einführung in die Sozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Wintersemester 2004/2005

Lehrplan Sozialwissenschaften im Überblick

WARUM GERECHTE GESELLSCHAFTEN FÜR ALLE BESSER SIND RICHARD WILKINSON UND KATE PLCKETT

Stiftung Sankt Johannes

Globale Dynamiken, europäische Integration und lokale Praktiken

Institutionenökonomik

Die großen Themen der Philosophie

Transkript:

DAS ENDE DER BEHAGLICHKEIT? SOZIALE ARBEIT IM ZEICHEN DER AKTIVGESELLSCHAFT Stephan Lessenich München 12. November 2016 4. AKS-Bundestreffen Solidarität statt Ausgrenzung Ansätze kritischer Sozialer Arbeit

Der Sozialstaat als Erziehungsagentur Max Weber (1904) über den Kapitalismus als schicksalsvollste Macht unsres modernen Lebens : Er zwingt dem einzelnen, soweit er in den Zusammenhang des Marktes verflochten ist, die Normen seines wirtschaftlichen Handelns auf. Der Fabrikant, welcher diesen Normen dauernd entgegenhandelt, wird ökonomisch ebenso unfehlbar eliminiert, wie der Arbeiter, der sich ihnen nicht anpassen kann oder will, als Arbeitsloser auf die Straße gesetzt wird. Der heutige, zur Herrschaft im Wirtschaftsleben gelangte Kapitalismus also erzieht und schafft sich im Wege der ökonomischen Auslese die Wirtschaftssubjekte Unternehmer und Arbeiter deren er bedarf. Der Sozialstaat als komplementäre Schicksalsmacht des modernen Lebens: Er trägt im Wege der politischen Auslese dazu bei, jeweils die Sozialsubjekte heranzuziehen, deren der heute: flexible Kapitalismus bedarf Politische Steuerungsmedien: Recht, Geld, Moral und Gewalt

Verhaltenssteuerung im aktivierenden Sozialstaat Hintergrund: Historisches Arrangement von Arbeitnehmergesellschaft und Versorgungsstaat und dessen Krise (bzw. herrschenden Krisendeutungen) seit den 1970er Jahren Funktionsprobleme (Langzeitarbeitslosigkeit, Frühverrentungsregime, Transferlastigkeit - kurz welfare without work ), die als Gerechtigkeitsprobleme gerahmt wurden: Diagnose sozialpolitisch produzierter Exklusion Sozialpolitische Gegenbewegung: aktivierende Reform des Sozialstaats als Programmatik der Inklusion (und Sozialinvestition) Übergang zu aktivierender Verhaltenssteuerung mit allen sozialpolitisch zur Verfügung stehenden Steuerungsmedien Erziehung der Sozialstaatsbürger*innen zu marktkonformem (i.s. der Beschäftigungsfähigkeit ) und sozialverträglichem Verhalten (i.s. der Schadensminderungspflicht ) Doppelziel der Subjektivierung und Resozialisierung: Eigenverantwortung in Sozialverantwortung

Geflüchtete als unerwünschte Aktivsubjekte Flexibler Kapitalismus und aktivierender Sozialstaat schaffen ein soziales Klima der permanenten, verallgemeinerten gesellschaftlichen Mobilmachung: Stillstand ist Rückschritt, Passivität der Tod Aktivität hingegen das Leben, Bewegung das Zeichen der Zeit Die Flüchtlingskrise als Parabel auf die Widersprüche der Aktivgesellschaft Eigentlich könnte der*die Geflüchtete als sozialer Prototyp des modernen Aktivsubjekts gelten, als Mensch gewordenes unternehmerisches Selbst Faktisch aber werden Geflüchtete systematisch sozial(politisch) abgewertet - als Belastung, als Bedrohung, ja geradezu als Heimsuchung Psychosozialanalytische These: Mit der ins Extreme gesteigerten Gestalt ihres Selbstverständnisses als Aktivgesellschaft konfrontiert, zeigt diese auf unverhohlene Weise ihre Selbstzweifel (bis hin zum Selbsthass) und projizieren die erwünschten Aktivbürger*innen ihre inneren Widerstände und Abwehrreaktionen statt auf die Apologet*innen der gesellschaftlichen Mobilmachung - auf die Protagonist*innen der erzwungenen Mobilität

Die Abgründe der Leistungsgesellschaft Die Aktivgesellschaft als historisch gewandelte, radikalisierte Form der bürgerlichen Leistungsgesellschaft In der Selbstbeschreibung der Leistungsgesellschaft werden soziale Positionen nach Leistungskriterien vergeben, spiegelt die soziale Hierarchie objektivierbare (und in diesem Sinne akzeptable) Leistungsunterschiede wider Was den*die durchschnittlichen Bürger*in der Aktivgesellschaft bewegt, ist weniger die Angst vor dem Abstieg als vielmehr die Angst vor dem unverdienten Aufstieg anderer Zum Anderen ( Fremden ) der Leistungsgesellschaft gehören daher nicht nur Geflüchtete oder Zuwandernde sondern auch Erwerbs- und Wohnungslose, Pflegebedürftige und Behinderte Psychosozialanalytische These: Auf die wahrgenommene Kränkung durch leistungslose Inanspruchnahmen des wirtschaftlichen Wertprodukts reagieren die als Leistungsträger angerufenen Etablierten mit Abschottung und Ausgrenzung, Hass und Gewalt

Das Ende der Behaglichkeit Für die Bundesrepublik Deutschland war die Wachstum-Wohlstand- Wirtschaftskraft-Erzählung Quelle gesellschaftlicher Identitätsbildung und eines kollektiven Überlegenheitsgefühls Dieses bekamen nach 1990 zunächst die armen Verwandten aus dem Osten zu spüren: westdeutsche Abwehrreaktionen aus Furcht vor der Überforderung der ökonomischen Leistungsfähigkeit, der Überbeanspruchung des Sozialstaats, des Endes der Behaglichkeit der Bonner Republik Heute wiederholt sich diese Geschichte mit einem Überlegenheitsgestus, der in Ostdeutschland, die eigenen Unterlegenheits- und Demütigungserfahrungen kompensierend, noch eine Spur ins Aggressivere gesteigert ist und sich politisch als Warnung vor der Überschreitung wirtschaftlicher Belastungsgrenzen, vor der Einwanderung in die Sozialsysteme und vor der Missachtung der deutschen Leitkultur äußert Das paradoxe Motto der Aktivgesellschaft: Alles soll so bleiben, wie es war und alle dort, wo sie hergekommen sind

Stephan Lessenich Soziale Arbeit im Zeichen der Aktivgesellschaft Das war s! Vielen Dank.