GERHARD ROTH WARUM SO VIELE FÜR DIE ENERGIEWENDE SIND UND SO WENIGE ETWAS DAFÜR TUN. Anmerkungen aus Sicht der Hirnforschung

Ähnliche Dokumente
GERHARD ROTH. ENERGIEWENDE: Alle sind dafür, aber nur wenige tun etwas. Warum? INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN

GERHARD ROTH WARUM ES SO SCHWIERIG IST, SICH UND ANDERE ZU ÄNDERN?

GERHARD ROTH. ENERGIEWENDE ERFORDERT BEWUSSTSEINSWANDEL Anmerkungen aus Sicht der Hirnforschung Teil 1: Einführung

WIE VERÄNDERBAR IST DER MENSCH? INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN / ROTH-INSTITUT BREMEN

Persönlichkeit^ Entscheidung und

GERHARD ROTH INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN WIE BEEINFLUSSEN VERSTAND UND GEFÜHLE MEINE ENTSCHEIDUNGEN?

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

GERHARD ROTH KANN DER MENSCH SICH ÄNDERN?

GERHARD ROTH. ENERGIEWENDE ERFORDERT BEWUSSTSEINSWANDEL Anmerkungen aus Sicht der Hirnforschung Teil 2: Was ist zu tun?

GERHARD ROTH INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN HABEN WIR EINE WAHL?

Personlichkeit, Entscheidung und Verhalten

NEUROBIOLOGISCHE GRUNDLAGEN PSYCHISCHER ERKRANKUNGEN

GERHARD ROTH PSYCHE UND GEHIRN INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN

Vorwort von Gerhard Roth Einleitung: Was wollen w ir?... 15

WIE DAS GEHIRN DIE SEELE MACHT

Ich begrüsse Sie zum Impulsvortrag zum Thema: «Körpersprache geht uns alle an»

POTENTIALE UND GRENZEN DER HIRNFORSCHUNG FÜR DIE MITARBEITERFÜHRUNG INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN

GERHARD ROTH WIE DAS GEHIRN DIE SEELE MACHT

Gerhard Roth Fühlen, Denken, Handeln

Frühkindliche Gehirnentwicklung

Bonus Teil. Die Kunst der Verhaltensänderung. Die Kunst der Verhaltensänderung. Warum es so schwer ist, sich zu verändern. MK Akademie.

Sozialisierung. Dr. Fox,

GERHARD ROTH TALK IM TRAFO. 14. Januar 2009 Kulturzentrum Trafo Baden. Entwicklung des Menschen Grenzen und Chancen

Praxis trifft Sportwissenschaft Sport mit Spaß Möglichkeiten & Grenzen von Emotionen im Sport. Dr. Peter Kovar

Wie Beziehungen gelingen!

GERHARD ROTH WIE ENTSCHEIDE ICH AM BESTEN? INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN

DIE BEDEUTUNG DER MOTIVATION FÜR DEN LERNERFOLG INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Aktivierung ist nur die eine Seite der Medaille

Motivationsstrategien: So steigern Sie die Akzeptanz von PSA bei den Beschäftigten Ihres Betriebes. Volker Fahrenstueck

GPT Gesellschaft für Personalentwicklung und Training mbh. Menschen und neue Technologien: Lust statt Frust Seite 3

Die Bedeutung der Körpersprache in wichtigen Redesituationen

Limbische Hirnzentren

Neuroemotional Satisfaction. Mit anderen Worten: Vergnügen. Dr. Kai Fehse, Humanwissenschaftliches Zentrum/LMU

Inhaltsverzeichnis. Übungsverzeichnis Seite 10. Einleitung: Was ist Selbstfürsorge? Seite 12. Kapitel 1: Belastung und Stress Seite 16

Denken, Lernen, Vergessen? Was Pädagogik von Hirnforschung lernen kann. Dipl.-Päd. Kajsa Johansson Systemische Therapeutin

Neurowissenschaftliche Erkenntnisse der Glücksforschung und wie wir unser Gehirn steuern können

Neurobiologische Erkenntnisse und ihre Bedeutung für die pflegerisch-pädagogische Arbeit im Rahmen der Soziomilieugestaltung

Einführung in die moderne Psychologie

Gerhard Roth Bildung braucht Persönlichkeit

Das Ansehen der Bundeswehr in der Bevölkerung Podiumsdiskussion

Wie wir die Erkenntnisse der Gehirnforschung für mehr Kreativität und innovative Ideen nutzen können.

Führungsverhaltensanalyse

WARUM ES SO SCHWER IST, SICH UND ANDERE ZU ÄNDERN

Emotion VORLESUNG ZUR EINFÜHRUNG IN DIE PSYCHOLOGIE 1. Wann sind die Emotionen entstanden? Das limbische System

Umgang mit Kunden. Selbstlernkurs. 5 Schritte zur richtigen Kundenbetreuung

Wie Beziehung Kinder und Erwachsene stark macht

GERHARD ROTH INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN WIE BRINGT MAN DAS GEHIRN DER SCHÜLER ZUM LERNEN?

wir zwar ohne Religion geboren, aber nicht ohne das Grundbedürfnis nach Mitgefühl und nicht ohne das Grundbedürfnis nach Wasser.

Wie gewinnst du mehr Freude und Harmonie

Verhalten beginnt im Gehirn. Wie entsteht unser Bewusstsein? Nehmen und Geben Wie stark ist unser Egoismus?

GERHARD ROTH INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN DER MENSCH ALS INFORMATIONSWESEN

Die Frage nach dem Warum

Konstruktive Kommunikation Nach Marshall Rosenbergs Gewaltfreier Kommunikation

WIE DAS GEHIRN DIE SEELE MACHT

Feedback als Führungsinstrument Von Anerkennung und Wertschätzung. Tagung: Entgrenzte Arbeit Psychische Belastung Bad Boll 24./25.

Referentin: Paula Ott. Spracherwerb Gisela Klann-Delius

Psychische Bedürfnisse Hirnforschung Wohlbefinden

Neurokommunikation im Eventmarketing

Erste Hilfe bei starken Emotionen

Pubertät Umbauarbeiten im Gehirn

Negative somatische Marker Solche Marker sind als Alarmsignale zu verstehen und mahnen zur Vorsicht.

Pferde stärken Führungskräfte

Herzlich willkommen zum Workshop Gehirn-gerechtes Lernen durch Bewegung

Die Ehe eine Herausforderung

Das Baby verstehen. das Handbuch zum Elternkurs für Hebammen. von Angelika Gregor und Manfred Cierpka

Moderne Führungsansätze für Stationsleitungen im Krankenhaus

Leitbild. Regionales Pflegezentrum Baden AG

Stärkenorientiertes Führen

Schizoide Persönlichkeits. nlichkeits- IV-Kriterien. Beziehungsmotive: Beziehungsmotive. Schemata I

Beurteilungsgespräche

Update. Lehrende und Lernende bewegen. Eine Definition von Motivation

27. ALZEYER SYMPOSIUM 08. November Julia Riedel und Daniela Eckhardt

Skriptum. Mimikresonanz Basistraining. sozusagen Mag. Barbara Blagusz Ungargasse Oberpullendorf

WIE DAS GEHIRN DIE SEELE MACHT WIE DIE SEELE DAS GEHIRN MACHT. Manfred Cierpka gewidmet

$ % $ &' " %& '& "( ) "% *! % + - $#../0# # & (

Individuen Interessen. Interaktion

Kernpersönlichkeiten 6 psychische Grundsysteme (im Vergleich mit dem Rudelstellungsmodell)

Gelingendes Lernen Christoph Bornhauser, SBW Haus des Lernens Leiter Pädagogik

Die Bedingungen für ein erfolgreiches Lehren und Lernen aus Sicht der Kognitions- und Neurowissenschaften

Wissen. Positiv lernen Erfrischende Erkenntnisse aus der Gehirnforschung

6. Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein

Warum sie so seltsam sind

Ein Gespräch mit Deinem Leben

Kontakt Grenze und Beziehung. die Pflege und das Familiensystem

Jule Frommer. Soziale Einstellung. Präsentiert von Jule Frommer

Was unser Baby sagen will

Individuen Interessen Interaktion

ERFOLGS-IMPULSE FÜR ACHTSAMKEIT IM BERUFSALLTAG

Kritik und Tadel. Konstruktive Kritik

lernvisionen Hansueli Weber 1. Vom Umgang mit Jugendlichen in der Pubertät

Wie unser Gehirn funktioniert! Dr. med. dent. Erich Wühr Zahnarzt, Osteopath DROM, BAO MSc Kieferorthopädie Bad Kötzting/Bayer.

Warum ist Menschenkenntnis so wichtig? Seite 9. Was kann ein Händedruck aussagen? Seite 11

Liste der Übungen. Achtsamkeit zum Fördern von Selbsterkenntnis und flexiblen Reaktionen nutzen

Theorien der Persönlichkeit. Wintersemester 2008/2009 Gabriele Helga Franke

Transkript:

GERHARD ROTH WARUM SO VIELE FÜR DIE ENERGIEWENDE SIND UND SO WENIGE ETWAS DAFÜR TUN Anmerkungen aus Sicht der Hirnforschung INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN G. Roth, 2014 AUSGANGSPROBLEM Die meisten Bundesbürger befürworten ganz generell einen sorgfältigeren Umgang mit den Energieressourcen, die Ziele des Klimaschutzes und auch die Energiewende. Viel weniger Menschen ziehen daraus Folgerungen für ihr eigenes Verhalten. Noch weniger Menschen verändern entsprechend ihr Verhalten nachhaltig und langfristig. Je mehr die Leute über die Energiewende sprechen, desto weniger tun sie etwas (de Haan, 2013) Warum ist dies so? 1

PROBLEME DES VERSTÄNDNISSES VON INFORMATIONEN BZW. APPELLEN ZUR ENERGIEWENDE Die täglichen Informationen zur Begründung der EW, zur Darstellung des Ist-Zustandes und zu den Prognosen, die von unterschiedlichen Stellen (Regierung, Regierungsmitgliedern, Parteien, Wirtschaftsverbänden, Verbraucherverbänden, aber auch Experten) vermittelt werden, sind oft widersprüchlich. Es werden jeweils bloße Meinungen als Gewissheiten ausgegeben. Dies macht ein Verständnis der Problemlage und der eventuellen Problembehebung schwierig bis unmöglich. Die Bevölkerung nimmt vor allem wahr, dass die Energiepreise deutlich steigen und noch stärker steigen werden, aber auch hierfür führen Regierung und Stromwirtschaft eine lange Liste an Gründen an, die selbst Experten nicht genau durchblicken. Appelle werden befolgt, PROBLEME DER AKZEPTANZ VON APPELLEN ZUR ENERGIEWENDE wenn die Inhalte der Botschaft klar und widerspruchsfrei und die Informanten bzw. Appellanten glaubwürdig sind. Unglaubwürdig sind diese dann, wenn sie schnelle Kehrtwendungen in ihren Botschaften machen bzw. sich nicht an die eigenen Appelle halten. wenn die verlangten Veränderungen des Verhaltens mit den bisherigen bewussten und intuitiven Lebenserfahrungen übereinstimmen, also einleuchtend sind (z.b. Erhaltung der Umwelt und sorgfältiger Umgang mit Ressourcen sind wichtig, aber auch Sparen lohnt sich für mich ). Wenn den Angesprochenen Zeit gegeben wird, die komplexen Motive sich gegenseitig abarbeiten und Überzeugungen reifen zu lassen. 2

GEHIRN, BEWUSSTSEINSWANDEL UND VERHALTENSÄNDERUNG Der Blick ins Gehirn zeigt uns, warum Informationen nicht automatisch zu Einsicht führen und Einsicht nicht automatisch zum Handeln. Kognitive Informationsverarbeitung findet auf Ebenen des Gehirns statt, die nicht direkt etwas mit Gefühlen und Absichten zu tun haben. Gefühle und Absichten werden nur in Handeln umgesetzt, wenn zwischen bewussten Motiven auch unbewusste Motive und insbesondere tiefgreifende Persönlichkeitseigenschaften angesprochen werden. Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen des limbischen Systems. Seitenansicht des menschlichen Gehirns Großhirnrinde Kleinhirn 3

Innenansicht des menschlichen Gehirns Das limbische System ist Sitz der bewussten und unbewussten Gefühle und Motive und damit unserer Persönlichkeit (nach Spektrum der Wissenschaft, verändert) Hypothalamus Limbisches System Untere limbische Ebene Ebene unbewusst wirkender angeborener Reaktionen und Antriebe: Schlafen-Wachen, Nahrungsaufnahme, Sexualität, Aggression Verteidigung Flucht, Dominanz, Wut usw. Diese Ebene ist überwiegend genetisch oder durch vorgeburtliche Einflüsse bedingt und macht unser Temperament aus. Sie ist durch Erfahrung und Erziehung kaum zu beeinflussen. Hierzu gehören grundlegende Persönlichkeitsmerkmale wie Offenheit-Verschlossenheit, Selbstvertrauen, Kreativität, Vertrauen-Misstrauen, Umgang mit Risiken, Ordnungsliebe, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein. 4

Querschnitt durch das menschliche Gehirn auf Höhe des Hypothalamus Großhirnrinde Hypothalamus Mittlere limbische Ebene Ebene der unbewussten emotionalen Konditionierung: Anbindung elementarer Emotionen (Furcht, Freude, Glück, Verachtung, Ekel, Neugierde, Hoffnung, Enttäuschung und Erwartung) an individuelle Lebensumstände. Die Amygdala ist auch der Ort unbewusster Wahrnehmung emotionaler kommunikativer Signale (Blick, Mimik, Gestik, Körperhaltung, Pheromone). Diese Ebene macht zusammen mit der ersten Ebene (Temperament) den Kern unserer Persönlichkeit aus. Dieser Kern entwickelt sich in den ersten Lebensjahren und ist im Jugend- und Erwachsenenalter nur über starke emotionale oder lang anhaltende Einwirkungen veränderbar. 5

Amygdala: Zentrum für emotionale Konditionierung und das Erkennen emotionaler Signale Amygdala (Mandelkern) Mesolimbisches System (Substantia nigra, ventrales tegmentales Areal, Nucleus accumbens) : Reaktion auf positive, neuartige bzw. überraschende Reize Antrieb durch Versprechen von Belohnung (Dopamin) Belohnungssystem (hirneigene Opioide u.a aus Hypothalamus) Nucleus accumbens Ventrales Tegmentales Areal 6

Obere limbische Ebene Ebene des bewussten emotional-sozialen Lernens: Gewinn- und Erfolgsstreben, Anerkennung Ruhm, Freundschaft, Liebe, soziale Nähe, Hilfsbereitschaft, Moral, Ethik. Sie entwickelt sich in später Kindheit und Jugend. Sie wird wesentlich durch sozial-emotionale Erfahrungen beeinflusst. Sie ist entsprechend nur sozial-emotional veränderbar. Hier wird zusammen mit den unteren Ebenen die soziale Relevanz grundlegender sozial relevante Persönlichkeitsmerkmale festgelegt wie Machtstreben, Dominanz, Empathie, Verfolgung von Zielen und Kommunikationsbereitschaft. Funktionale Gliederung der Großhirnrinde BEWEGUNGS- VORSTELLUNGEN ANALYSE PLANUNG ENTSCHEIDUNG MOTORIK SOMATOSENSORIK KÖRPER RAUM SYMBOLE SPRACHE SEHEN BEWERTUNG AUTOBIOGRAPHIE OBJEKTE HÖREN GESICHTER SPRACHE SZENEN 7

Kognitiv-sprachliche Ebene Gehirn: Linke Großhirnrinde, bes. Sprachzentren und präfrontaler Cortex. Ebene der bewussten sprachlich-rationalen Kommunikation: Bewusste Handlungsplanung, Erklärung der Welt, Rechtfertigung des eigenen Verhaltens vor sich selbst und anderen. Sie entsteht relativ spät und verändert sich ein Leben lang. Sie verändert sich im Wesentlichen aufgrund sprachlicher Interaktion. Hier lernen wir, wie wir uns darstellen sollen, um voran zu kommen. Abweichungen zwischen dieser Ebene und den anderen Ebenen führen zur Diplomatie, zum Opportunismus, zur Ausrede oder zur Lüge. Funktionale Gliederung der Großhirnrinde BEWEGUNGS- VORSTELLUNGEN ANALYSE PLANUNG ENTSCHEIDUNG MOTORIK SOMATOSENSORIK KÖRPER RAUM SYMBOLE SPRACHE SEHEN BEWERTUNG AUTOBIOGRAPHIE OBJEKTE HÖREN GESICHTER SPRACHE SZENEN 8

VIER-EBENEN-MODELL DER PERSÖNLICHKEIT - Veränderbarkeit und Verhaltensrelevanz der vier Ebenen Die untere limbische Ebene (Temperament) hat den stärksten Einfluss auf unser Verhalten, ist aber am wenigsten veränderbar. Die mittlere limbische Ebene hat einen ebenfalls großen Einfluss auf unser Verhalten. Veränderungen auf dieser Ebene sind jedoch nur schwer zu erreichen, und zwar durch das Ansprechen individuell-emotionaler Motive und langes Einüben. Die obere limbische, d.h. sozial-emotionale Ebene hat einen geringeren Verhaltenseinfluss. Sie ist im wesentlichen durch soziale Interaktion und Kommunikation veränderbar. Die kognitiv-sprachlich-rationale Ebene hat von sich aus keinen Einfluss auf unser Verhalten, sondern immer nur in Verbindung mit den anderen Ebenen. 9

MASSNAHMEN ZUR VERÄNDERUNG DES VERHALTENS VON MITMENSCHEN 1. ANORDNUNG UND BEFEHL Ab Anfang kommenden Monats treten folgende Änderungen in Kraft Wir erwarten, dass sich jeder an diese Anordnung hält, sonst. Vorteil: Sofortige Wirkung, keinerlei Vorbereitungen nötig. Nachteil: Einschüchterung aufgrund einer Machtposition, die immer einschränkend wirkt, nicht kreativ. Veränderungen wirken nur so lange, wie Drohungen real sind, dann werden sie sofort wieder eingestellt. Drohungen und Macht wecken bei den meisten Menschen das Bedürfnis nach Vergeltung. 10

2. DER APPELL AN VERSTAND UND EINSICHT Die Situation erfordert die und die alternativlosen Maßnahmen. Das wird jeder einsehen, der sich unvoreingenommen mit der Lage beschäftigt. Vorteil: Tatsächliche oder vorgebliche Unausweichlichkeit der Maßnahmen. Kritiker können als uninformiert oder geistig beschränkt dargestellt werden. Nachteil: Der Appell an Verstand, Vernunft und Einsicht allein hat keinerlei Einfluss auf das Verhalten es gibt im Gehirn keine direkten Verbindungen zwischen dem Sitz von Verstand und Intelligenz und den verhaltenssteuernden Zentren. 3. DER APPELL AN DIE SOLIDARITÄT ( Druck auf die Tränendrüse ) Wir sitzen alle in einem Boot. Veränderungen sind dringend nötig, jeder muss das Seine dazu beitragen! Vorteil: Momentane Emotionalisierung, Solidarisierung, Begeisterung. Nachteil: Der Effekt ist meist nur vorübergehend und abhängig von der Solidarität der Anderen und der Glaubwürdigkeit der Appellanten. Der Addressat fragt sich bewusst oder unbewusst: Was habe ICH letztlich davon? Paradox: Solidarität hat nur dann eine lang anhaltende Wirkung, wenn sie individuelle Vorteile bietet, sonst lässt sie schnell nach. 11

4. DAS ANSPRECHEN INDIVIDUELLER EINSTELLUNGEN UND BEDÜRFNISSE Menschen ändern sich in ihren Einstellungen und ihrem Handeln nur dann, wenn sie damit bewusst oder unbewusst einen Vorteil bzw. eine Belohnung verbinden. Belohnungen könnten materieller Art (Ersparnisse, Prämien, Vergünstigungen), sozialer Art (Erfolg, Ansehen, Macht) und intrinsischer Art (Freude am Gelingen, Handeln aus Überzeugung) sein. Dabei wirkt eine materielle Belohnung am schnellsten, verliert ihre Wirkung aber auch am schnellsten. Bei der sozialen Belohnung geht dies etwas langsamer. Nur die intrinsische Belohnung erschöpft sich nicht in ihrer Wirkung. ZEITLICHE DISKONTIERUNG DER BELOHNUNGSERWARTUNG Höhere Attraktivität früherer, aber kleiner Belohnung gegenüber späterer, aber großer Belohnung. Der Verlauf der Diskontierung ist stark persönlichkeitsabhängig, d.h. bei risiko-aversiven Personen fällt sie stärker aus, bei risiko-freudigen schwächer. 12

BEHARRUNGSVERMÖGEN Das größte Hemmnis gegen einen Bewusstseinswandel und eine Verhaltensänderung bei der Energiewende ist die tief in uns verwurzelte Tendenz zum Weitermachen wie bisher. Das Festhalten an Gewohnheiten wird vom Gehirn durch das Ausschütten von Belohnungsstoffen verstärkt ( liebe Gewohnheiten ). Dies dämpft Änderungs- und Zukunfts-ängste, die gerade in Deutschland stark verbreitet sind. Jeder Aufruf zur Verhaltensänderung muss eine Belohnung in Aussicht stellen, die größer ist, als die Belohnung, die wir durch das Weitermachen wie bisher erhalten. Striato-Pallidum als Zentrum von Gewohnheiten Striato-Pallidum 13

WAS BEDEUTET DAS ALLES FÜR DEN BEWUSSTSEINS- UND VERHALTENSWANDEL IM RAHMEN DER ENERGIEWENDE? BESSERE INFORMATIONSPOLITIK Die öffentlichen Informationen, Botschaften und Appelle zum Klimawandel und zur Energiewende müssen einfach, klar und widerspruchsfrei sein. Es ist für den Bürger völlig demotivierend, wenn sich die Hauptakteure, vor allem Regierung und Wirtschaft, wider-sprechen. Dies muss unter allen Umständen vermieden werden. Besonders wichtig ist dabei die Glaubwürdigkeit der Akteure, d.h. es muss der Eindruck vermieden werden, die Appelle dienten nur dem politischen Tagesgeschäft und die vorgeschlagenen Maßnahmen nur der Erhöhung des eigenen Profits. 14

BEZUG AUF DEN ALLTAG UND DIE DENKWEISEN DER BÜRGER Informationen und Appelle müssen so formuliert sein, dass ein durchschnittlicher Bundesbürger damit etwas anfangen kann, d.h. nicht zu nebulös, nicht zu moralisierend, nicht zu technizistisch, nicht zu ökonomistisch. Der Bürger muss sofort erkennen können: Es geht um mich und meine Probleme! Von mir wird Umdenken und Anders-Handeln verlangt, nicht von den Anderen! Kein man müsste mal Realismus beim Propagieren materieller Belohnungen. Wenn materielle Anreize im Vordergrund stehen, folgt unausweichlich die Enttäuschung (Solarenergie!). KONKRETE ANLEITUNG ZUM HANDELN Vorgehen in kleinen Schritten, denn dies unterläuft die in Deutschland verbreitete Veränderungsangst. Zwischen Nahzielen und Fernzielen unterscheiden. Vorbilder nennen! Was der kann, kann ich auch! Vorbilder reduzieren ebenfalls stark die Veränderungsangst. Übergang von materiellen Anreizen über soziale Anreize (öffentliche Anerkennung, Auszeichnungen usw.) zur intrinsischen Belohnung ( ich tue das, weil ich verantwortungsvoll handeln will! ). Positive und negative Rückmeldungen in glaubhafter Weise vermitteln. 15

ZUSAMMENFASSUNG Informationen, auch wenn sie scheinbar klar sind, führen nur dann zu Einsicht, wenn sie sowohl kognitiv als auch emotional zu den bisherigen individuellen und sozialen Lebenserfahrungen eines Menschen passen. Einsicht führt nur dann zu verändertem Handeln, wenn sie mit der bewussten, intuitiven und unbewussten Persön-lichkeit und den dazu gehörenden Motiven und Zielen eines Menschen passen. Dies benötigt Zeit, d.h. ein Ruhenlassen von Informationen und Argumenten. Druck, klare Argumente und der bloße Appell an die Einsicht allein haben noch niemanden langfristig geändert! VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT! 16

Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 8. Aufl. 2013 17