Lücken in der Primärprävention. Stefan Behr, Deutscher Kinderschutzbund Landesverband Saarland (DKSB)

Ähnliche Dokumente
DEUTSCHER PRÄVENTIONSTAG

Herzlich Willkommen an der DKSS Reinheim Thema: SOZIALES LERNEN

1 Österreichisches Jugendrotkreuz 1

Gesundheitsförderung macht Schule 27. Mai 2010, Wien.

Bärenstark zu stark für Sucht! Primäre Suchtprävention vom Kindergarten bis in die Ausbildung

Stark und gesund in der Grundschule. Schirmherrschaft

im LP 21 Schulen sind ein wichtiger Ort, um einen gesundheitsförderlichen Lebensstil zu erlernen.»

Das Programm Erwachsen werden von Lions-Quest

Stark und gesund in der Grundschule. Schirmherrschaft

Konzept für Gesundheit und Gewaltprävention

9. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle. 20 Jahre Klasse2000. Univ.-Doz. Dr. Pál Bölcskei Thomas Duprée (M.A.) Verein Programm Klasse 2000 e.v.

Der Sprung ins kalte Wasser Schwimmtraining mit Life-Skills-Programmen

Übergänge gesundheitsförderlich gestalten

Erworbene Fähigkeiten: Grundverständnis für die Prävention

Gesund aufwachsen Umsetzung von Gesundheitszielen in Kitas

Die Rolle der Kita im Kinderschutz Erfahrungen und Perspektiven

Handlungsfelder schulischer Prävention: die Leitperspektive Prävention und Gesundheitsförderung

PeP ein Programm der Bertelsmann Stiftung und des Nordverbundes suchtpräventiver Fachstellen in Kooperation mit dem IFT Nord

bildungsangebot VOLKSSCHULE

Stark und gesund. Teilnehmende Schulen in Düsseldorf. Anzahl der Schulen in den jeweiligen Schuljahren. Stand:

Sucht und Gewalt: Präventive Angebote

5x5. gute Gründe. für Klasse2000

Tagung PaC 2.0 Gemeinsam anpacken

Leibeslust Lebenslust an der Katharinenschule

Meine Bewertung des Kurses

ERHEBUNG DER BEDÜRFNISSE DER SCHULEN IM BODENSEEKREIS FÜR PRÄVENTION UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG

Eltern stärken ist der beste Kinderschutz

Bildungsgerechtigkeit: Kommunale Gestaltungsmöglichkeiten

Der Brandenburger Leitfaden zur Früherkennung von Gewalt bei Kindern und Jugendlichen

Vertreter: Dipl.- Psych. Siegrun Hainke Psychologische Psychotherapeutin

Workshop «Tina und Toni» und «Amidou»

Handlungsfelder schulischer Prävention: die Leitperspektive Prävention und Gesundheitsförderung

Beratungs- und Therapiezentrum Parchim. Prävention im Landkreis Ludwigslust - Parchim

Faustlos. Programm zur Förderung. sozialer und emotionaler Kompetenzen. und zur Gewaltprävention

Wettbewerb Gesunde Einrichtung. Dienstag, den 24. April 2018 Julia Zahren

Frühe Prävention am Setting als Strategie für gesundes Aufwachsen

Einordnung in das Thema Lebenskompetenzen

Einführung Quantitative Sozialforschung. WS IV Good Practice Strategie kommunaler Suchtprävention am Beispiel der Stadt Delmenhorst

Prävention und Pflegebedürftigkeit. Johann Große Dresden, 20. Juni 2018

01 WAS IST LIONS-QUEST?

Nur für Jungs. Eine Anregung zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechterrolle

Die Leitperspektive Prävention und Gesundheitsförderung Perspektiven und Zugänge zu Prävention und Gesundheitsförderung

Eine Gesunde Stadt ist nicht unbedingt eine Stadt, die ein bestimmtes gesundheitliches Niveau erreicht hat. Sie ist vielmehr eine Stadt, die

Berner Gesundheit Prävention und sexuelle Gesundheit

Aufgaben der SchulärztInnen aus Public Health Perspektive. Manfred Maier

Gesundheit und Ernährung

Prävention und Pflegebedürftigkeit

Gemeinsame Pressemitteilung

Heilfasten ist ein Weg, sich Gesundheit,

Tagung: Gemeinsam Verantwortung tragen Interprofessionelle Zirkel als Instrument in den Frühen Hilfen Berlin, 26. November 2014

namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Erwartungen von Lions Quest

Frühe Hilfen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe Der Beitrag der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe

Hilfen zur Erstellung eines schulischen Gesamtkonzeptes zur Suchtprävention

Jens Kalke, Peter Raschke, Walter Kern, Christoph Lagemann, Hinnerk Frahm (Hrsg.) Handbuch der Suchtprävention

Handout: Prävention und Soziale Arbeit. 1. Prävention = im allgemeinen Sprachgebrauch ein vorbeugendes Eingreifen

Hilfen zur Erstellung eines schulischen Gesamtkonzeptes zur Suchtprävention

Frühe Hilfen im Saarland Rahmenbedingungen und Strukturen

GUT DRAUF eine Jugendaktion der BZgA

Mitarbeitenden_Flashlight_05. Seelische Gesundheit. Dr. Anne Katrin Matyssek. Seite 1

Die Kleinsten in der Kindertagesbetreuung. Frühkindliche Entwicklung & Anforderungen an die Praxis

Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stärken: Präventions- und Gesundheitsförderungsstrategien. Bundespsychotherapeutenkammer

Schulische Programme zur Förderung einer gesunden Ernährung und Bewegung

Umsetzung des Präventionsgesetzes in NRW

Machen Sie sich stark für Kinder

Leben in Bewegung. Teilprojekt 2: Bewusste Ernährung im Vorschulalter

Crystal und Prävention

1. Fachtagung Lehrkräftegesundheit; Martin Titzck / Cor Coaching GmbH

Forum Studierendengesundheit: Einblicke in die Praxis an Hochschulen. Armut und Gesundheit, Berlin 17. März 2017

Inhalt. Teil I Grundlagen. Einführung 11

Facetten einer gesunden Kita

Gesundheit & Prävention der Basler Schulen

La prévention entrave-t-elle la liberté individuelle?

Karlheinz Ladwig, Fachausschussmitglied vom Gemeinsamen Ausschuss Brandschutzerziehung / Brandschutzaufklärung von DFV und vfdb

Eine Medizin für alle?

Das Restaurant für Kids. Gutes Essen Gute Bildung Gute Chancen

Prävention von Kindesbeinen an

Resilienz - Krisen unbeschadet überstehen

Warum brauchen wir eine Kommunale Gesundheitskonferenz?

Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention. (Präventionsgesetz PrävG)

Die Arbeit der Familienhebamme. Ramona Blümel Familienbegleiterin/ Familienhebamme

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Lernwerkstatt: Sexualerziehung in der Grundschule

Schulsozialarbeit. Soziale und familiäre Problemlagen machen vor keiner Schule halt

Fachforum 3: Möglichkeiten und Grenzen des GKV-Leitfadens im Rahmen der Landesgesundheitskonferenz

HERZLICH WILLKOMMEN ELTERNINFORMATIONSVERANSTALTUNG 2 JAHRE VOR DER EINSCHULUNG ZUR

Bundesweite Befragung der Schulleitungen teilnehmender Schulen im Schuljahr 2008/09

5. Juli 2018 Regensburg Gesundheitliche Chancengleichheit in allen Lebensphasen Wo stehen wir? Wo wollen wir hin?

Förderung von psychischer Gesundheit an Schulen am Beispiel von MindMatters

Gewalt gegen Kinder Vereine sagen Stopp! Fortbildung und Beratung beim Kinderschutzbundes Ulm/Neu-Ulm e.v.

Suchtvorbeugung in der Familie

HAnd in HaND im Landkreis Friesland

Prävention auf Rezept Chancen und Möglichkeiten aus Sicht der Krankenkassen. Symposium der Sportklinik Hellersen am

Was ist Sucht/Abhängigkeit?

- aktiv in der schulischen Gesundheitsförderung. - mit psychischer Gesundheit gute Schule machen. - das Programm MindMatters

FACHLEHR TEXTILES GESTALTEN. Textiles Gestalten 1

Landespräventionskongress: Zugänge gestalten durch kommunale Strukturen

Gesundheitsförderung in der Sozialversicherung

Transkript:

Lücken in der Primärprävention Stefan Behr, Deutscher Kinderschutzbund Landesverband Saarland (DKSB) 1

Prävention wovon? Körperliche Erkrankungen Seelische Erkrankungen Straffälligkeit 2

Geht das? Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes, Sucht, Essstörungen, u.s.w. oder auch grenzverletzendes Verhalten wie Körperverletzungen, sexuelle Gewalt, Fremdenhass u.s.w. werden entscheidend geprägt durch die Güte der Erziehung und Bildung in den jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine äußerst vielschichtige Entwicklung 3

Rahmenbedingungen unserer Zivilisation: Individualisierung Wohlstand durch Wirtschaftswachstum allgegenwärtige Werbung mit der Botschaft: Konsum = Glück allgegenwärtiger Wettbewerb und Zeitdruck Konsum und Eigennutz sind die neuen Werte Nächstenliebe kommt aus der Mode Diese Bedingungen stellen für ein gesundes Aufwachsen eine offenbar wachsende Hürde dar, gemessen an dem Indikator Anteil von Zivilisationskrankheiten und Delinquenz an der Gesamtbevölkerung. 4

Primärprävention - wie? Wir müssen lernen, mit dem beständigen Druck unserer ökonomisierten Welt umgehen zu können, ohne krank oder straffällig zu werden. Die WHO empfiehlt hierzu seit 1994 die Vermittlung von Lebenskompetenzen und definiert diese: durchdachte Entscheidungen treffen erfolgreich Probleme lösen kreativ und kritisch denken effektiv kommunizieren Beziehungen führen sich seiner selbst bewusst sein sich in andere einfühlen mit Gefühlen umgehen und Stress bewältigen 5

Primärprävention - wie? Wer diese Fähigkeiten besitzt, macht gesunde Selbstwirksamkeitserfahrungen und kann so ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln. Und genau das ist der Schlüssel zur Prävention oder Resilienz. Wer sein Selbstwertgefühl nicht an Kleider, Schmuck, Autos, Drogen, Lebensmittel, Fremdenhass,... heften muss, ist eigenständig, unabhängig und gesund. Körperliche und seelische Zivilisationskrankheiten sowie viele Devianzen haben tatsächlich eine gemeinsame Wurzel 6

Praxis 1) Universalprävention im Sinne von wirksamen Lebenskompetenzprogrammen 2) Selektive Prävention 3) Selektive Unterstützung 7

Universalprävention Strategiefeld Familie z.b.: Starke Eltern - starke Kinder 8

Universalprävention Strategiefeld Kita z.b.: Faustlos (Heidelberger Präventionszentrum) 9

Universalprävention Strategiefeld Schule Primarstufe Eigenständig werden (IFT-Nord) Fit und Stark fürs Leben (Ernst Klett Verlag) Klasse2000 (Verein Programm Klasse2000) Komm wir finden eine Lösung (Ernst Reinhardt Verlag) PIT Prävention im Team (IQSH) Sekundarstufe ALF Allgemeine Lebenskompetenzen und Fertigkeiten (Schneider Verlag) Erwachsen werden (Hilfswerk der Deutschen Lions) PIT Prävention im Team (IQSH) 10

Selektive Prävention Strategiefeld Familie Elternbildung zu speziellen Themen wie Ernährung Bewegung Drogen Sexualaufklärung sexueller Missbrauch... als Ergänzung zur Universalprävention 11

Selektive Prävention Strategiefeld Kita Programme oder Leitfäden zu speziellen Themen wie Ernährung Bewegung Sexualaufklärung etc. als Ergänzung zur Universalprävention 12

Selektive Prävention Strategiefeld Schule Programme oder Leitfäden zu speziellen Themen wie Ernährung Bewegung Drogen Sexualaufklärung sexueller Missbrauch... als Ergänzung zur Universalprävention 13

Selektive Unterstützung Bedarfsgerechte Hilfen für Familien mit besonderen Risiken Frühe Hilfen 14

Wo sind die Lücken? Fehlt es an Handreichungen? Universalprävention: z.b. Strategiefeld Schule: Gesundheitsförderung KONKRET (BzgA), Band 6, Gesundheitsförderung durch Lebenskompetenzprogramme in Deutschland = 25 Programme Selektive Prävention: z.b. Strategiefeld Schule, Thema Ernährung: Gesundheitsförderung KONKRET (BzgA), Band 11, Unterrichtsmaterialien zur Ernährungserziehung in der Grundschule = 228 Materialien Selektive Unterstützung: z.b. Frühe Hilfen: 11 verschiedene Modellprojekte in den 16 Bundesländern, die laut NZFH alle noch verbesserungswürdig sind 15

Wo sind die Lücken? Fehlt es an fachkundigen Einrichtungen? SSGT, Landkreistag,... Familienministerium LPH, Jugendhilfe, Fachverbände, Arbeitsgemeinschaften,... Bildungsministerium LPM, ILF, Lehrerorganisationen,... Gesundheitsministerium Kassen, Kammern, LAGS,... 16

Wo sind die Lücken? Was fehlt ist vor allem: eine koordinierte Steuerung zwischen allen Beteiligten! Gesundheitsförderung hat immer nur dann Erfolg, wenn sie mit Sozial- und Bildungsförderung verzahnt ist. Eine ganz klare Botschaft, die wir aus den Untersuchungen der letzten Jahre ziehen können. (Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, 30.11.2011, Kalkscheune Berlin) 17

Zum Beispiel: Sexuelle Gewalt Aktueller Stand: Nele, Phönix und Beratungszentrum Kinderschutz (SOS Kinderdorf) haben den Auftrag, Beratung und Prävention für das ganze Saarland durchzuführen Selbst wenn diese Stellen ihre Beratungstätigkeit ganz einstellen würden, könnten sie im Laufe eines Jahres noch nicht einmal eine einzige Veranstaltung an allen 160 Grundschulen anbieten. Von den Kita s, weiterführenden Schulen, Förderschulen oder Behinderteneinrichtungen ganz zu Schweigen. Tatsache ist, dass Beratungsanfragen immer vorrangig behandelt müssen und so die ohnehin zu knappe Zeit für den Präventionsauftrag (50% der Kapazitäten) tatsächlich nie eingehalten werden kann es auch hier einen unüberschaubaren Wildwuchs an Anbietern und Angeboten gibt, den die einzelnen Bildungseinrichtungen selbst nicht qualifiziert bewerten können es dem puren Zufall überlassen ist, an welcher Kita oder Schule präventiv gearbeitet wird, an mehr als 3/4 aller Einrichtungen passiert nichts 18

Zum Beispiel: Sexuelle Gewalt Koordinierte Steuerung würde in diesem Fall bedeuten: Beteiligte: Beratungsstellen, Bildungsministerium, Jugendhilfe, LPH, GLEV, Schulträger,... Ziel: Es werden so viele Multiplikatoren ausgebildet wie nötig sind, um wenigstens an jeder Grundschule pro Schuljahr im 4. Schuljahr ein 3-tägiges Projekt durchzuführen die zusätzlichen Kosten werden homöopathisch aufgeteilt zwischen Eltern, Schule, Schulträger, JH-Träger, Bildungsministerium und Sponsoren Gewinn: Hilfe für betroffene Kinder wird erheblich schneller organisiert als bisher Alle Kinder erfahren wenigstens eine fundierte Einheit zu diesem Thema Zusammen mit einer gut strukturierten Universalprävention wirkt dies äußerst effizient 19

Vielen Dank für Ihre Geduld! 20