3.. BLACK-SCHOLES ANALYSE 39 3. Black-Scholes Analyse Allgemeine Vorüberlegungen Eine Aktie ist eine Anlage ähnlich einem Kredit. Der Anleger bekommt eine Verzinsung, da Kapital ein Arbeitsfaktor ist. Er könnte sonst sein Geld auch auf ein Sparbuch bringen 5. D. h. S t+dt S t = µs t dt ds dt = µs ds = µsdt, mit µ größer als auf dem Sparbuch. Nun ist aber die Verzinsung nicht immer besser als die des Sparbuchs (sonst würde es keine Sparbücher mehr geben). Der Aktienkurs schwankt, dies modelliert man wie folgt: ds = µsdt + σsdb (3.4) mit db = ǫ dt und ǫ N(0, 1), also mit B als Wiener Prozess. Der Aktienkurs folgt also einem verallgemeinerten Wiener Prozess (auch geometrische Brown sche Bewegung genannt) mit Volatilitätsparameter σ, genannt Volatilität, der als relativ zum Aktienkurs angenommen wird. Es ist dlns = (µ σ /)dt + σdb (3.5) ein verallgemeinerter Wiener Prozess. (Der Beweis hierfür folgt später.) Wenn wir uns in t befinden und bis T rechnen (dt = T t) gilt lns T lns t Φ[(µ σ /)(T t),σ (T t)], und da nun S t bekannt ist lns T Φ[lnS t + (µ σ /)(T t),σ (T t)]. 5 Wir weichen hier von der kontinuierlichen Verzinsung ab und vernachlässigen Zinseszinsen.
40 KAPITEL 3. NICHT-LINEARE FINANZPRODUKTE Ein Vorhersageintervall für S T ergibt sich also (zum Niveau α) lns t + (µ σ /)(T t) u 1 α σ T t lns T lns t + (µ σ /)(T t) + u 1 α σ T t e lnst+(µ σ /)(T t) u 1 α σ T t S T e lnst+(µ σ /)(T t)+u 1 α σ T t wobei u 1 α das obere α -Quantil einer Standard-Normalverteilung (N(0, 1)), beispielsweise u 0,975 = 1, 96, ist. Bemerkung 1: µ(t t) E(S T ) = S t e Dies begründet die Bezeichnung von µ als erwarteter Verzinsung (engl rate of return ) (Rendite). Beweis: X lnn(θ,ϑ ϑ θ+ ) EX = e mit θ := lns t + (µ σ /)(T t) und ϑ := σ (T t). Bemerkung : Bezeichne η die Verzinsung, d. h. S T = S t e η(t t), dann ist η = 1 T t lns T St σ, σ ) wegen T t lns T St = lns T lns t. Φ(µ Warum ist Eη = µ σ / nicht gleich µ? Weil µ die geometrisch durchschnittliche Verzinsung und Eη = xdp die arithmetisch durchschnittliche Verzinsung ist. Beispiel: Seien über 5 Jahre die Wertentwicklungen einer Aktie wie folgt: 15%, 0%, 30%, 0%, 5%. Dann ist der Schätzer für die erwartete Verzinsung Êη = 1 5 5 i=1 η i = 14%. Aber für eine Verzinsung µ, die über alle Jahre konstant ist und die Entwicklung wiederspiegelt gilt (1 + µ) 5 = 1, 15 1, 1, 3 0, 8 1, 5 = 1, 794 1, 4%. Annahmen der Optionspreistheorie Wir wollen die Idee der Hedgestrategie (des allgemeinen ein-periodenmodells) ohne die Geldkomponente in ein stetiges Modell entwickeln. Hätten wir also beispielsweise
3.. BLACK-SCHOLES ANALYSE 41 für ein kurzes Intervall ein δ von 0, 4 errechnet, dann würden wir uns wünschen, dass unser Portfolio aus 0, 4 Aktien und 1 Option risikofrei wäre, oder zumindest ohne zu erwartende Zusatzkosten. Der stetigen Optionspreistheorie liegt ein kontinuierlicher Hedge (δ-hedging genannt) zugrunde. Deswegen müssen wir einige Annahmen treffen: Annahme 1: Der Sicherheitenhandel ist stetig. Das ist insofern vereinfachend, als dass in den weltweiten Handelslokationen nur tagsüber gehandelt wird. Nimmt man aber alle Zeitzonen zusammen, kann man von einer stetigen Handelaktivität ausgehen. Die Darstellung von 1 Aktie impliziert die Annahme : Leerverkäufe sind erlaubt. (Das ist z. B. in Deutschland nicht der Fall.) D. h. wir können eine Aktie verkaufen, ohne sie zu besitzen. Praktisch heisst das, wir leihen uns das Papier (ohne Kosten), verkaufen es, beschaffen es später wieder und geben es zurück. Annahme 3: Der Aktienkurs folgt einer geometrischen Brown schen Bewegung. D. h. Wir nehmen an, dass die Residuen - nach Trend - symmetrisch verteilt sind und nur von den ersten beiden Momenten bestimmt werden. Wir wollen eine stetige Hedgestrategie. Annahme 4: Es existieren keine Transaktionskosten (oder Steuern). Ansonsten wäre das stetige Anpassen eines Portfolios durch Zu- und Verkäufe von Aktien ruinös. Wir wollen ein stetiges Modell für den Aktienkauf. Annahme 5: Alle Effekten (engl securities ) sind beliebig teilbar. Wir nehmen weiter vereinfachend an: Annahme 6: Die Sicherheiten zahlen keine Dividende. Die Dividende soll als Wertsteigerung angesehen werden. Für die Zinskurve wollen wir auch hier der Einfachheit halber behaupten: Annahme 7: Der risikofreie Zins ist konstant und somit für alle Laufzeiten gleich.
4 KAPITEL 3. NICHT-LINEARE FINANZPRODUKTE Außerdem soll die hier wiederholt werden: Grundannahme: Es gibt keine risikolose Arbitrage. Stetige Optionsbewertung Wir wollen hier den Wert einer (Kauf-)Option im Zeitpunkt t mit f t bezeichnen. Frage: Was ist der Wiederverkaufswert - f t - in t 0 < t < T, also zwischen Ausgabe und Ausübung? Und was ist der Wiederverkaufswert in t 0? Das ist nämlich die Prämie, die der Käufer dem Verkäufer zu zahlen hat. Anders gefragt: Der Verkäufer lebt die ganze Zeit [t 0, T] in der Angst, etwas zahlen zu müssen. Wie kann er eine Strategie entwickeln, die ihm die Angst nimmt, ihm also Sicherheit verschafft? δ-hedging: Der Optionsverkäufer habe eine Option verkauft (er ist engl. short one call ). Angenommen er möchte die Wertsteigerung der Option, die ihm Magenschmerzen bereitet, in einem Portfolio kompensiert wissen. D. h. er möchte einen Kauf tätigen, der im selben Maße an Wert verliert, wie die Option an Wert gewinnt. Oder aus seiner Sicht: Das Produkt soll so viel an Wert gewinnen, wie die Option für ihn (symmetrisch) an Wert verliert. Anmerkung: Der Verkäufer könnte ja die verkaufte Option weiterverkaufen, d. h. einer anderen Partei Geld geben, damit sie für ihn einspringt. (Deshalb hat diese für ihn immer einen negativen Wert.) Geeignet scheint die Aktie selbst als Anlage, da sie an Wert gewinnt, wenn die Option aus Käufersicht an Wert gewinnt (und aus Verkäufersicht verliert). Betrachte t und den Sprung auf t + dt. Die Skizze der Funktion f(s) in t kurz vor T ist in Abbildung 3.4 dargestellt. Den Graphen der Funktion ds( S) in t kurz vor T bildet 3.5 ab. Wenn der Verkäufer nun eine Aktie kauft, dann ändert sich der Wert in Abhängigkeit vom Aktienkurs linear mit Steigung 1. Seine verkaufte Option hat aber nur eine Wertveränderung von δ df (0 < δ < 1). An dieser Stelle sei angemerkt, dass ds die Darstellung dieses Paragraphen nicht mathematisch exakt ist!
3.. BLACK-SCHOLES ANALYSE 43 f(s) 0 0 δ = 1 } δ S K t S Abbildung 3.4: Skizze der Funktion f(s) in t kurz vor T S S t S t S Abbildung 3.5: Wert einer verkauften Aktie in t kurz vor T
44 KAPITEL 3. NICHT-LINEARE FINANZPRODUKTE Kauft er aber nun df ds Moment sicher. Einheiten der Aktie (Teilbarkeitsannahme), ist er für den Der Wert des Portfolios ist: Π = f + df ds S Die Wertänderung ist: dπ = df + df ds ds = 0 kein Risiko Das Ziel ist nun, kontinuierlich das Portfolio anzupassen, da die Änderungsrate df ds nicht konstant ist, sondern abhängig von S und t. Die Kosten dafür kann der Verkäufer den Käufer in t 0 belasten. Da wir ds schon modelliert haben, müssen wir also nur noch df bestimmen.. Wir brauchen also noch df mit f(s, t). Vorbereitung: Theorem 3..1 (Itô s Lemma) Sei x ein verallgemeinerter Wiener Prozess, also dx = a(x,t)dt + b(x,t)db und G eine Funktion von x und t, so gilt: ( G dg = x a + G t + 1 ) G x b dt + G x bdb. Beweisidee: dg = G G dx + x t dt + 1 G x (dx) + 1 G x t dxdt + 1 G t (dt) + Rest Der letzte Summand (sowie der Rest) ist von O((dt) ), genauso der vorletzte im Erwartungswert wegen E(dx) = E(adt + bdb) = adt. Der dritte Summand ist - im Erwartungswert - von O(dt) weil: E((dx) ) = E((adt + bǫ dt) ) ǫ N(0, 1) = a (dt) + E((bǫ dt) ) + abdte(ǫ dt) = b dt + O((dt) ),
3.. BLACK-SCHOLES ANALYSE 45 wobei b(x,t) und a(x,t) aus der Sicht von t nicht stochastisch sind. Also gilt im Erwartungswert dg = G G dx + x t dt + 1 G x b dt. Wegen dx = adt + bdb ist dann: ( G dg = x a + G t + 1 ) G x b dt + G x bdb. Bemerkung: Hier können wir nun auch Formel (3.5) beweisen. Erinnerung: ds = µsdt + σsdb. Setze G = ln S, dann ist G = 1, G = 1 und G = 0 und wegen S S S S t Satz 3..1 ) dg = (µ σ dt + σdb. Mit f = f(s,t) als Optionspreis gilt nun df = ( f f µs + S t + 1 ) f S S σ dt + f S σsdb. Da db nun in beiden Änderungsraten df und ds vorhanden ist, können wir ein Portfolio zusammenstellen, das die zufälligen Bewegungen gegenläufig austariert. Wähle wieder eine verkaufte Option und f S Der Wert ist Π = f + f S S mit Inkrement dπ = df + f S ds. gekaufte Aktien. Also dπ = ( f t 1 ) f S dt. S σ Der Zufall db ist eliminiert, die Wertänderung ist a priori bekannt.
46 KAPITEL 3. NICHT-LINEARE FINANZPRODUKTE Da das Portfolio nun kein Risiko trägt, muss es gemäß Annahme eine Verzinsung von r haben, d. h. dπ = rπdt, wobei hier wieder nicht die stetige Verzinsung (Π t+dt = Π t e rdt ) verwendet wurde, sondern die diskrete (Π t+dt = Π t (1 + dtr)) 6. Setzt man nun Π und dπ in die Renditegleichung ein, bekommt man ( f t 1 ) f S dt = r( f + f S σ S S)dt, was die Black-Scholes Differentialgleichung liefert: f t f + rs S + 1 σ S f = rf. (3.6) S Lösbarkeit und Eindeutigkeit werden hier nicht besprochen. Bemerke nur, dass die Randbedingung für die europäische Kaufoption f T = max(s T K, 0) für t = T gelten muss und diese die Lösung eindeutig macht. Es ergibt sich der Optionswert C t = S t N(d 1 ) Ke r(t t) N(d ) (3.7) mit N als kumulativer Verteilungsfunktion der N(0, 1)-Verteilung und d 1 = ln(s t/k) + (r + σ /)(T t) σ T t d = ln(s t/k) + (r σ /)(T t) σ = d 1 σ T t. T t 6 Kurze Wiederholung: Wenn dem nicht so wäre würde Folgendes passieren. Fall 1: dπ > rπdt (mehr Gewinn): Ein Arbitrageur würde Kapital zum Zins r aufnehmen und in das Portfolio investieren, er hätte einen risikolosen Gewinn. Fall : dπ < rπdt: Ein Arbitrageur würde das Portfolio (leer) verkaufen und die Einnahme in t in ein risikoloses Produkt mit Zins r stecken. In t+dt könnte er dann den Käufer des Portfolios mit weniger entgelten, als er aus dem risikolosen Produkt bekommt.