Prof. Dr. Henning Radtke Übung im Strafrecht für Fortgeschrittene Sommersemester 2008 3. Besprechungsfall Lösungsskizze Tatkomplex 1: Vor Fahrtantritt Strafbarkeit von F nach 268 I Nr 1 1. Alt, III, IV, 22, 23 I StGB durch Einkleben des Gummistücks in i den Fahrtenschreiber 1. Nichtvollendung: Scheibe letztlich ordnungsgemäß beschrieben, (+) 2. Versuchsstrafbarkeit: nach 268 IV (+) 3. Tatentschluss / subjektiver Tatbestand a) bezüglich einer technischen Aufzeichnung: siehe 268 II, hier in Scheibe des Fahrtenschreibers (+) b) bezüglich der Tathandlung: Beeinflussung der Ergebnisses durch störende Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang gemäß 268 III - durch Gummiteil sollte Nadel des Fahrtenschreibers beeinflusst werden, sodass nach Vorstellung des F der Vorgang der Aufzeichnung gestört und eine unechte (=nicht aus dem Gerät oder nicht aus dem Aufzeichnungsvorgang eines in seiner Selbstständigkeit ungestörten Geräts stammende, Fischer, StGB, 268 Rn 11 u. 13) technische Aufzeichnung hergestellt werden sollte, damit Tatentschluss diesbezüglich (+) c) Täuschungsabsicht: F wollte auch einen Irrtum des Arbeitgebers erregen (=er habe sich an die Ruhezeiten gehalten) und dieser wäre auch rechtserheblich (=der Arbeitgeber hat ein gesteigertes Interesse an Einhaltung der Vorschriften zur Ruhezeit, weil er für Verstöße haftet). 2. objektiver Tatbestand - unmittelbares Ansetzen: F hat die störende Einwirkung bereits vorgenommen, damit jedenfalls (+) 5. Rücktritt, 24 I 1 1. Alt StGB: F kann aus seiner Sicht den Erfolg nichtmehr herbeiführen, ohne ganz neue Kausalketten in Gang zu setzen, damit ist der Versuch fehlgeschlagen und ein Rücktritt ausgeschlossen. 1
Tatkomplex 2: Auf der Fahrt Strafbarkeit von F nach 268 I Nr 1 1. Alt durch Unkenntlichmachen seines Gesichtes in der Radarkontrolle 1. obj. Tatbestand a) Tatobjekt: technische Aufzeichnung im Sinne des 268: Photos grds. keine technischen Aufzeichnungen, lediglich Reproduktion vorhandener Informationen (Fischer, StGB, 268 Rn 7), anders bei automatischen Geräten, die zusätzlich andere Informationen als das Bild aufzeichnen, hier damit (+) b) Tathandlung, Herstellen einer unechten Aufzeichnung oder Beeinflussung des Ergebnisses durch störende Einwirkung: hier aber stammt das Bild aus dem Gerät und der Aufnahmevorgang als solcher wurde nicht in seiner Selbsttätigkeit gestört, damit (-) Tatkomplex 3: Nach Ende der Fahrt Strafbarkeit von F gemäß 274 I Nr 1 1. Var StGB durch Zerstückeln und Verzehren der Scheibe b) gehört nicht oder nicht ausschließlich dem F: gehören meint hier Beweisführungsrecht mit der Urkunde oder Aufzeichnung (Fischer: StGB, 274 Rn 2), dies hat auch der Arbeitgeber, der damit seine Fahrer überprüft, damit nicht nur der F, (+) c) Tathandlung: Zerstören (=Aufheben der Gebrauchsfähigkeit), hier (+) a) Vorsatz (+) b) Nachteilzufügungsabsicht: Bewusstsein, dass notwendige Folge der Tat ist, dass das Benutzen als Beweismittel durch einen Anderen vereitelt wird, hier: F wollte grade, dass sein Arbeitgeber die Scheibe nicht als Beweis verwenden kann, damit (+) Strafbarkeit von F gemäß 242 I, 243 I 2 Nr 1 StGB durch Mitnahme der Scheibe des A a) fremde bewegliche Sache: Scheibe des A jedenfalls nicht Eigentum des F, (+) 2
b) Wegnahme: Scheibe auch im Auto nach Verkehrsanschauung im Gewahrsam des A, dieses brach F gegen den Willen des A und begründete neuen eigenen Gewahrsam, indem er die Scheibe mitnahm und sich entfernte, (+) a) Vorsatz bezüglich 1. (+) b) Zueignungsabsicht aa) endgültiger Enteignungsvorsatz (+) bb) Zumindest vorübergehende Aneignungsabsicht (+) cc) Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit der Zueignung (+) 5. Besonders schwerer Fall: a) 243 I 2 Nr 1 - umschlossener Raum (=LKW ist Raumgebilde, das dazu bestimmt ist, durch Menschen betreten zu werden) (+), Einbrechen mangels Überwindung von Schutzmaßnahmen (- ), Einsteigen mangels dazu nicht bestimmter Öffnung (-), Eindringen unter Verwendung von falschen Schlüssel oder Werkzeug mangels Schlüssel oder Werkzeug ebenfalls (-), damit 243 I 2 Nr 1 i.g. (-) b) 243 I 2 Nr 2 - Behältnis bereits (-), da LKW wie festgestellt nicht Behältnis sondern Raum, Fahrtenschreiber selbst ebenfalls (-), da nicht besonders gegen Wegnahmen des Inhalts gesichert c) Also: besonders schwerer Fall insgesamt (-) Strafbarkeit von F gemäß 274 I Nr 1 3. Var StGB durch Mitnahme der Scheibe des A b) gehört nicht oder nicht ausschließlich dem F (+) c) Tathandlung: Unterdrücken (=der Benutzung des Berechtigten als Beweis entziehen), hier (+) a) Vorsatz (+) b) Nachteilzufügungsabsicht: Bewusstsein, dass als notwendige Folge der Tat das Benutzen der Scheibe als Beweismittel durch einen Anderen vereitelt wird, hier: F kam es zwar nicht darauf an, den A zu schädigen, er musste sich aber klar darüber sein, dass A die Scheibe als notwendige Folge seiner Handlungen nichtmehr als Beweis nutzen könnte, damit (+) 3
Strafbarkeit von F gemäß 268 I Nr 1 2. Var StGB durch Eintragen seines Namens und seiner Daten auf der Scheibe des A b) Tathandlung: Verfälschen der Aufzeichnung - Verfälschen muss sich auf den Inhalt der Aufzeichnung selbst beziehen, nicht lediglich auf Beweisbezug (Wessels/Hettinger, BT 1, Rn 873; Fischer, StGB, 268 Rn 12); hier: die Aufzeichnung des Fahrtenschreibers des A verändert F grade nicht, damit Verfälschen (-) 2. Also: nicht strafbar aus 268 I Nr 1 2. Var StGB Strafbarkeit von F gemäß 267 I 1., 2. Var StGB durch Eintragen seines Namens und seiner Daten auf der Scheibe des A a) Verfälschen einer echten Urkunde: wenn Fahrtenblatt ohne Eintragungen Urkunde ist, wohl aber (-), da keine menschliche Gedankenerklärung (siehe auch Fischer, StGB, 267 Rn 5) b) Herstellen einer unechten Urkunde: Fahrtenblatt mit Eintragungen verkörpert die Erklärung auf meiner Fahrt wurden die aufgezeichneten Daten aufgezeichnet, lässt durch Namensangabe den Aussteller erkennen, ist auch zum Beweis bestimmt und geeignet, damit Urkunde (+) c) unecht: wenn über die Identität des Ausstellers getäuscht, hier: F geht aus Urkunde hervor, F will sich auch zu dem Inhalt als Aussteller bekennen, damit keine Identitätstäuschung, (-) 2. Also: Strafbarkeit aus 267 I (-) Strafbarkeit von F gemäß 267 I 3. Var StGB durch Vorlegen der Scheibe des A bei seinem Arbeitgeber Es gilt das oben gesagte: Die Urkunde (das Fahrtenschreiberblatt des A mit den Eintragungen des F) ist nicht unecht, damit auch hier (-) Konkurrenzen: F hat sich also gemäß 268 I, III, IV, 22, 23 I (Versuch der Manipulation des Fahrtenschreibers); 274 I Nr 1 1. Var(Zerstören der ersten Scheibe); 242 I (Wegnahme der Scheibe des A); 274 I Nr 1 3. Var (ebenfalls Wegnahme der Scheibe des A) StGB strafbar gemacht. 4
Der Versuch der Manipulation des Fahrtenschreibers und die anschließende Zerstörung der Scheibe richten sich gegen das gleiche Rechtsgut, sind in ihrer Begehungsweise gleichartig und von dem gemeinsamen Vorsatz getragen, keinesfalls die tatsächliche Scheibe vorlegen zu müssen, damit könnten sie eine fortgesetzte Tat bilden und in Tateinheit stehen, dies ist aber seit BGHSt (GrS) 40, 138 wohl nichtmehr vertretbar, da nach dem BGH sich das Strafrecht nicht an einem lediglich von Täter geschaffenen Sinnzusammenhang orientieren solle (Wessels/Beulke, AT, Rn 769 ff.). Damit stehen sie in Tatmehrheit gem. 53 StGB. Bezüglich der Scheibe des A steht 242 mit 274 in Tateinheit gem. 52 StGB (Fischer, StGB, 274 Rn 8), da mit Eigentum und der Sicherheit des Rechtsverkehrs wohl unterschiedliche Rechtsgüter geschützt sind und damit keine Verdrängung durch Gesetzeskonkurrenz vorliegt (so aber Wessels/Hettinger, BT1, Rn 898). Zu dem Versuch der Manipulation des Schreibers und der Zerstörung der ersten Scheibe stehen sie in Tatmehrheit gem. 53 StGB. 5