Beim 4. Fachgespräch der Friedrich-Ebert-Stiftung am 13.6.07 in Berlin zum Thema: Ungleichheit der Markteinkommen? Einkommens und Vermögensverteilung in Deutschland, hat Hilde Mattheis, die Stellv. Sprecherin der AG-Verteilungsgerechtigkeit und soziale Integration der SPD- Bundestagsfraktion nachfolgenden Vortrag gehalten: Die Armuts- und Reichtumsentwicklung in Deutschland und politische Handlungsinstrumentarien Sehr geehrte Damen und Herren, anknüpfend an die Ergebnisse des 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (2005) hat sich eine Konferenz der SPD-Bundestagfraktion im letzten Herbst intensiv mit Reichtum in Deutschland befasst. Die Dokumentation der Veranstaltung (siehe: http://www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_rubrik/0,,3214,00.html) liegt Ihnen vor - ebenso die Folgerungen, die unsere Arbeitsgruppe Verteilungsgerechtigkeit und soziale Integration daraus gezogen hat. Wir wissen: Die Schere der Einkommens- und Vermögensverteilung ist in den letzten Jahren deutlich weiter auseinander gegangen. Gleichzeitig hat sich die Kluft zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut vergrößert. Ich will in meiner Einführung zur Armuts- und Reichtumsentwicklung in Deutschland und politischen Handlungsinstrumentarien zunächst zehn Eckdaten bzw. Parameter nennen, die deutlich machen, wie weit mittlerweile die Spitzen der beiden Scherenteile auseinanderklaffen, um dann mögliche Handlungsinstrumentarien vorzustellen. 1. Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht hat die wachsende Armut Vieler bei wachsendem Reichtum weniger Reicher dokumentiert. Wurde im 1. Armuts- und Reichtumsbericht (Bestandsaufnahme bis 1998) festgestellt, dass der Anteil von Menschen in relativer Armut in Deutschland bei 12,1% liegt, musste im 2. Armuts- und Reichtumsbericht erschienen im Jahr 2005 mit der Bestandsaufnahme von 1998 bis 2004 - der Anstieg auf 13,5% verzeichnet werden. Die Armut von Familien mit Kindern ist gestiegen, bei allein erziehenden Müttern konnte sie nicht reduziert werden. Während sie bei älteren Menschen leicht zurückgegangen ist, hat die Armutsquote bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ohne Ausbildung und Arbeitsplatz sichtbar zugenommen. 2. Ebenso deutlich wurde die ungleichmäßige Verteilung von Privatvermögen in Deutschland. Die unteren 50 % der Haushalte verfügten nur über etwas weniger als 4% des gesamten Nettovermögens (ohne Betriebsvermögen). Die reichsten 10% der Haushalte besaßen dagegen rund 47 % des gesamten Privatmögens. Dieses ungleiche Verhältnis hat sich von 1998 bis 2003 (!) um gut 2 % weiter zugunsten der Reichsten verändert. 1
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Schere zwischen arm und reich auch im Jahr 2006 weiter auseinander ging und die Verteilung des gestiegenen Volkseinkommens sich weiter zugunsten der Reichen und Superreichen verschob. 3. Im Jahr 2006 waren in Deutschland im Jahresdurchschnitt 1,887 Millionen Kinder unter 15 Jahren, die in einer Hartz-IV Bedarfsgemeinschaft lebten, von Armut betroffen. 173.000 mehr als im Jahr davor. Dabei gibt es große regionale Unterschiede: In Bremen und in den neuen Bundesländern lebt fast jeder 5. Jugendliche und fast jedes 3. Kind von staatlichen Fürsorgemitteln nach SGB II, aber auch in meinem reichen Bundesland Baden-Württemberg erhielt Mitte 2006 jedes 11. Kind unter 15 Jahren und jeder 17. Jugendliche Leistungen nach SGB II/Hartz IV. 4. Die Lohnquote (Anteil des Arbeitnehmerentgeltes am Volkseinkommen) lag im Jahr 2006 mit 66,2% nochmals deutlich unter der des Vorjahres (67,4%) und ist damit bereits seit dem Jahr 2000 (72,2%) rückläufig. 5. Mehr 2 500 000 Erwerbstätige in Deutschland arbeiten für Armutslöhne und können von ihrem Lohn noch nicht einmal sich und ihre Familie ernähren. 6. Der durchschnittliche Nettoverdienst je Arbeitnehmer war im erfolgreichen Wirtschaftsjahr um 0,3% geringer als im Vorjahr. 7. Mehr als 3 Millionen Haushalte sind überschuldet, eine weitere halbe Million steht knapp davor. Die Zahl der Privatinsolvenzen steigt immer noch rasant. So lagen die Verbraucherinsolvenzen bundesweit im ersten Quartal 2007 um 21,7% höher als im entsprechenden Vorjahreszeitraum und selbst Baden-Württemberg stieg die Zahl um 17 Prozent. 8. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Milliardäre laut manager magazin - vom Herbst 2005 bis zum Herbst 2006 von 55 auf 100 fast verdoppelt und die reichsten 300 Deutschen besitzen etwa 400 Milliarden. 9. Im Jahr 2005 standen rund 300 Mrd. Euro mehr an Sozialprodukt (Summe aller wirtschaftlichen Leistungen einer Volkswirtschaft) zur Verteilung zur Verfügung als 1992. Aber weder die öffentlichen Haushalte noch die Arbeitnehmer/innen haben von dieser realen Erhöhung des verteilbaren Produkts profitieren können. Der größere Verteilungsspielraum ist stattdessen zugunsten der Gewinne genutzt worden. 10, Und als letzten - mir aber besonders wichtigen Punkt: Bedenkliche Ergebnisse der Eliteforschung, die auf der Reichtumskonferenz vorgetragen wurden. Elitenbildung durch Exklusion qua Herkunft führt zu einer Reihe bisher zu wenig wahrgenommener negativer Folgen: Die Gesellschaft in Deutschland ist seit den 90er Jahren weniger durchlässig geworden. Eine Folge davon ist zunehmende Korruption. Sie muss nicht nur individuell strafrechtlich sanktioniert, sondern muss auch strukturell bekämpft werden. 2
Dies war ein knapper Aufriss der gesellschaftlichen Lage zu Armut und Reichtum in Deutschland, den Prof. Viktor Steiner und Dierk Hirschel in ihren Beiträgen sicher vertiefen und erweitern werden. Aber ich hoffe, es ist damit klar geworden, dass wir die Strukturen ändern müssen, die diese ungleiche Entwicklung möglich machen. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Staat mit einer hochentwickelten Wirtschaft zunehmend mehr Armut produziert. Ein erster und wichtiger Schritt dazu war die Einführung einer regelmäßigen Armuts- und Reichtumsberichterstattung, deren Fortsetzung wir auch in der großen Koalition durchsetzen konnten, was nicht selbstverständlich war. Diese Berichterstattung hat Lücken und Defizite, die auch auf unsere Reichtums- Konferenz benannt wurden und für deren Behebung unsere Arbeitsgruppe Verteilungsgerechtigkeit eintritt. Denn für die künftige Armuts- und Reichtumsberichterstattung brauchen wir: eine grundlegende Verbesserung der Erfassung von Vermögensbeständen, vor allem derer des obersten Promilles der Reichen. Die Eliteforschung und insbesondere der Aspekt der sozialen Herkunft muss in Zukunft mit einbezogen werden ebenso wie der Umgang mit öffentlichem Reichtum und die Auswirkungen seines Einsatzes für die Armuts- und Reichtumsentwicklung. Die funktionelle Verteilung zwischen Lohnarbeit und Kapital ist bisher nicht Gegenstand der Reichtums- und Armutsberichterstattung gewesen. Aber die Daten liegen vor und sie sollten in den Bericht aufgenommen werden. Mit den vorgeschlagenen Verbesserungen kann künftig eine wirklichkeitsnähere Berichterstattung gewährleistet und in Folge davon die Zielgenauigkeit politischer Antworten erhöht werden. Aber auch unabhängig davon gibt es schon jetzt eine Reihe von notwendigen und möglichen politischen Maßnahmen, die die Entwicklung zu einer zunehmend sozial ungleicheren Gesellschaft stoppen und umkehren können. Der Trend zur Stärkung der Gewinn- und Vermögenseinkommen zuungunsten der Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit muss umgekehrt werden. Die Bezieher höherer Einkommen müssen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit besteuert und alle Arten der Vermögen und Vermögenserträge müssen angemessen zur Finanzierung des Sozialstaates herangezogen werden. Oberste Priorität hat dabei das Ziel den Handlungsspielraum des Sozialstaates wieder zu erhöhen. Er hat die Aufgabe und braucht dafür die entsprechenden Mittel, dass sich Armut nicht weiter verfestigt und das Armutsrisiko sich erhöht und zur stetigen Drohung für beträchtliche Teile der Bevölkerung wird. 3
Wir brauchen wir einen umfassenden Aktionsplan zur Armutsbekämpfung in Deutschland und ggf. die Revision wirtschafts- und sozialpolitischer Entscheidungen. Unabdingbar und nicht mehr weiter auf die lange Bank zu schieben, ist eine umfassenderen Förderung von Kindern, insbesondere durch wesentlich verbesserte Betreuungsangebote, aber auch durch materielle Besserstellung und gesellschaftlichen Ausgleich für die jetzt bestehende Benachteiligung. Eine individuell ausgerichtete Bildungspolitik kann verhindern, dass Armut durch Herkunftsnachteile gleichsam vererbt wird. Und: Es gilt generell, konkrete Aufstiegspfade auch für sozial benachteiligte und deklassierte Schichten zu ermöglichen. Ein wesentlicher Baustein eines Aktionsplans zur Armutsbekämpfung sollte der Ausbau der Schuldnerberatung sein. Für die über 3 Millionen überschuldete Haushalte stehen bundesweit lediglich 1.100 gemeinnützige Beratungsstellen zur Verfügung - mit der Folge, dass lange Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen. Lediglich 10 % bis 15 % der überschuldeten Haushalte können seriös beraten werden. Dabei kostet die Schuldnerberatung nur auf den ersten Blick etwas. Auf den zweiten Blick hilft sie dem Staat Sozialausgaben einzusparen und spielt damit nebenbei die erhaltenen Finanzmittel wieder ein. Die SPD- Arbeitgruppe Verteilungsgerechtigkeit und soziale Integration hat Wege aus der Schuldenfalle (siehe: http://www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_dok/0,,40539,00.html) vorgeschlagen, auf die ich hier nicht eingehen kann. Aber ich will doch zumindest auf unseren Appell an die Länder und Kommunen hinweisen, sich für eine Erhöhung der Mittel für Schuldnerberatung einzusetzen. Wir fordern mindestens eine Schuldenberatungsstelle auf 50 000 Einwohner. Und als ein Hinweis für unsere Diskussion zu Handlungsinstrumentarien: Eine angemessene Erhöhung der Erbschaftssteuer auf die ich gleich eingehen werde -, sie ja eine Ländersteuer, könnte bei der immer zu beklagenden Finanzmittelknappheit - in Teilen für eine entsprechende Anschubfinanzierung einer breiteren Schuldnerberatung genutzt werden. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle noch kurz auf den jährlichen Aktionstag der Schuldnerberatung eingehen, der morgen, am 14. Juni 2007 von der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Sozialverbände veranstaltet wird und den die SPD- Arbeitgruppe Verteilungsgerechtigkeit und soziale Integration unterstützt. Mit Aktionen wie einer Langen Nacht der Schuldnerberatung, Info-Veranstaltungen, Diskussionen etc. wird auf die Notlage überschuldeter Haushalte und die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, der sozialen Ausgrenzung betroffener Familien und vor allem ihrer Kinder wirksamer zu begegnen und ich hoffe auf ein breites Interesse an dieser Aktion auch bei den Medien. 4
Zu einem Aktionsplan zur Armutsbekämpfung gehört aber auch ganz wesentlich und man muss immer wieder darauf hinweisen die Bekämpfung der Einkommensarmut und ihrer sozialen Folgen dadurch, dass: Erstens die sozialen Sicherungssysteme eine menschenwürdige Grundsicherung garantieren. Zweitens ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird und Drittens der Abbau der sozialen Infrastruktur beendet und mit einem bedarfsgerechten Wiederaufbau begonnen wird. Zu finanzieren ist ein Aktionsplan zur Armutsbekämpfung auf der Basis einer verteilungsorientierte Steuerpolitik, die ich hier nur exemplarisch ansprechen kann: Wenn ich unter meine 10 Eckdaten auf das Vermögen der reichsten 300 Deutschen eingegangen bin, dann um auf die sozialen Dimensionen hinzuweisen, die sich hinter diesen gigantischen Zahlen verbergen. Deutschland hat weltweit die meisten Milliardäre nach den USA. Der Betrag von 400 Milliarden Euro ist ein Viertel der Summe, die die sogenannten Hedgefonds weltweit zur Verfügung haben. Der Verzicht auf eine Vermögenssteuer allein bei diesen wenigen Superreichen von nur einem Prozent, bedeutet im Ergebnis staatliche Mindereinnahmen von vier Milliarden Euro. Damit wird auf den Betrag verzichtet, der nur um ein Beispiel zu nennen - in der politischen Diskussion der letzten Wochen für die von der großen Koalition geforderten Krippenplätze aufzubringen wäre. Wir können uns den Luxus nicht mehr leisten, die Vermögensbesitzer um das Dreiund Vierfache geringer zu belasten als in England, Frankreich, USA oder Japan, und gleichzeitig weiterhin bei den für die Zukunft unseres Landes notwendigen Ausgaben für eine bessere Bildung und Erziehung über die Maßen zu sparen. Mit dem gegenwärtigen Volumen unter 4 Mrd. Euro hat die Erbschaftssteuer nur einen Anteil von weniger als 1 % an allen Steuereinnahmen in Deutschland und ist so eine Bagatellesteuer. Die Erben großer Vermögen werden im internationalen Vergleich über die Maßen geschont. Die Einnahmen aus Substanzsteuern (Grund-, Vermögens-, Schenkungs- und Erbschaftssteuer) liegen in Deutschland stabil bei 0,9 Prozent des BIP und damit bei weniger als der Hälfte des OECD-Schnitts von 1,9 Prozent. Gleichzeitig warnt die OECD wie letzte Woche (am 8.6.2007) in der Presse zu lesen war vor Altersarmut in Deutschland. Ich zitiere die FAZ: Im Gegensatz zu den meisten OECD-Ländern sind die Leistungen aus den gesetzlichen Rentenkassen in Deutschland linear an die Einkommen gekoppelt. Damit fallen die Rentenbezüge der Geringverdiener reformbedingt genauso stark wie in anderen Einkommensklassen. 5
Wer 2004 im Alter von 20 Jahren zu arbeiten anfängt und 45 Jahre lang Beiträge einzahlt, wird nach der Pensionierung aus der gesetzlichen Rente nur 39,9 Prozent seines vorherigen Durchschnittsverdienstes beziehen, hat die OECD errechnet. Bei Geringverdienern, die nur die Hälfte des landesweiten Durchschnittseinkommens bezogen haben (in Deutschland 2004: 41046 Euro), rangiert Deutschland mit diesen 39,9 Prozent innerhalb der OECD an letzter Stelle. Alle anderen Länder gestehen ihren Geringverdienern höhere Bezüge zu. Wie will man angesichts dieser bedrohlichen Perspektive den Altersgenossen des 23- jährigen Albert von Thurn und Taxis politisch vermitteln, dass dieser junge Mann er wird als jüngster Milliardär der Welt geführt - zu seinem immensen Reichtum durch die Gnade der Geburt und ohne großes eigenes Zutun kam und dennoch auf eine entsprechende Erbschaftssteuer und Vermögensteuer - zu seinen Gunsten auch politisch gewollt - verzichtet wird. Wer angesichts solcher Dimensionen und der genannten Zahlen den Vorwurf vom Sozialneid anführt, wenn wir davon reden, dass sich Erben und Besitzer großer Vermögen stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligen müssen, der kann entweder nicht rechnen oder rechnet mit dumpfer Gewohnheit und der kritiklosen Übernahme dieses Ressentiments durch die Medien. Lassen Sie mich zum Schluss zusammenfassen: Im Sinne einer gerechten Verteilungspolitik müssen Bund und Länder in den Ausbau öffentlicher Infrastruktur sowie in den Bereich Bildung und Erziehung investieren, um Herkunftsnachteile auszugleichen und Aufstiegspfade anzubieten. Die sozialen Sicherungssysteme gestärkt werden und die Grundsicherung bedarfsgerecht weiter entwickelt werden, um Risiken solidarisch abzusichern. Ein gesetzlicher Mindestlohn garantieren, dass jeder und jeder von seiner Arbeit leben kann. Steuerpolitische Ziele ausgearbeitet werden, die die progressiven Elemente des Steuersystems stärken, große Vermögen und hohe Erbschaften stärker besteuern sowie die Besteuerung von Börsenumsätzen und Finanzmarkttransaktionen und die Erhöhung der Steuereinnahmen aus der Körperschaftsteuer im Blick haben. 6