Spracherwerb bei Migranten - was soll der Kinderarzt raten? Corina Reber Braun, Logopädin Bern

Ähnliche Dokumente
Integrative Schulung Beitrag der Logopädie

Sprachliche Voraussetzungen für einen guten Schulstart schaffen - Vorkurs Deutsch -

Tag der Logopädie 2009

Sprache beginnt ohne Worte. Vorsprachliche Entwicklung und die Bedeutung der frühen Elternarbeit

Erstsprache Zweitsprache Fremdsprache

Prestige der Sprachen

Sprach- und Spielentwicklung. Seminarbablauf. Einleitung Andrea Petrick Dipl.Vorschulerzieherin für Sprachgeschädigte Logopädin

SPRACHE und ihre Bedeutung für die Bildung. Ist eine institutionelle Förderung von Sprache zur Zeit notwendig, bzw. möglich?

Inhaltsverzeichnis. Vorwort zur zweiten Auflage Einleitung Sprachunterricht... 17

Logopädiebericht mit Standortdiagramm. Angaben zur logopädischen Fachperson. Name und Vorname. Telefon, Handy und Erreichbarkeit.

Theoretische Grundlagen des Spracherwerbs

Einführung in die Didaktik der deutschen Sprache und Literatur 5. Sitzung Deutsch als Zweitsprache/Mehrsprachigkeit

Mehrsprachigkeit -Tatsachen und Meinungen

Logopädiebericht mit Standortdiagramm. Angaben zur logopädischen Fachperson. Name und Vorname. Telefon, Handy und Erreichbarkeit.

Schrifterwerb und Mehrsprachigkeit

Sozialisierung. Dr. Fox,

ZUSAMMENARBEIT MIT ELTERN IM BEREICH SPRACHE UND MEHRSPRACHIGKEIT

Störungen der Sprachentwicklung

Inhalt. Dank Verzeichnis der Abkürzungen Verzeichnis der Tabellen Verzeichnis der Diagramme Einleitung...

Deutsche Sprache richtig lernen

Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter

(Digitales) Storytelling zur Darstellung von Erfahrungswissen und Förderung von Kompetenzen in der Sekundarstufe 1. Denkmair Berta, MA

GRUNDLAGEN DER GERMANISTIK. Herausgegeben von Detlef Kremer, Ulrich Schmitz, Martina Wagner-Egelhaaf und Klaus-Peter Wegera

1 Kernthemen und Anwendungsfelder der Entwicklungspsychologie der Kindheit Gudrun Schwarzer 11

Theorien des Erstspracherwerbs

Meilensteine des Spracherwerbs Erwerb von Wort- und Satzbedeutung Lexikon, Semantik, Syntax. Ein Referat von Nicole Faller.

Behaviorismus und Nativismus im Erstspracherwerb

Sprachentwicklungsvoraussetzungen und Voraussetzungen der Sprachanwendung

!"# # # $% # & '() '* ) ) '()

Pädagogik. meike scheel. Zweisprachigkeit. Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Praxis bilingualer Erziehung. Examensarbeit

Tagung: Gehirngerechte Arbeitswelt Workshop 2B. Gehirn und Lernen. ao. Univ-Prof. Dr. Richard Fortmüller RICHARD FORTMÜLLER 1

Glossar zum Lernen in heterogenen Grundschulklassen

Emotionale Entwicklung

Elternarbeit und Mehrsprachigkeit. Dr. Kismet Seiser Dipl. Soz.-Päd. (FH), Dipl. Psychologin

Unterricht im Deutschintensivkurs

SCHRIFTSPRACHERWERB MEHRSPRACHIGKEIT UNTER DEN BEDINGUNGEN DER

Geleitwort Danksagung Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Zusammenfassung...

1 Kernthemen und Anwendungsfelder der Entwicklungspsychologie der Kindheit 11 Gudrun Schwarzer

Inhaltsverzeichnis. Grundlagen, Diagnostik und Förderung der Sprachentwicklung... 1

Seminar Kognitive Entwicklung G H R D ab 2 HSe/se 2stg. Di IV 206

Natürliche Mehrsprachigkeit

Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit: Einführende Überlegungen

Lesen und Schreiben bei mehrsprachigen Kindern

Teil A Grundlagen der Entwicklungspsychologie

Arbeitsschutz lernen

Emotionen, Kognitionen und Schulleistung

Mehrsprachigkeit und sprachliche Bildung

Behaviorismus. Spracherwerbstheorien. Demontage des Behaviorismus. Kritik am Behaviorismus

Sprachentwicklung beim Kind

Zum Zusammenhang von sprachlicher und mathematischnaturwissenschaftlicher

Differenzierung im Sportunterricht

A THEORY OF NEUROLINGUISTIC DEVELOPMENT. John L. Locke Teil I Referentin: Katharina Greff

EMOTIONALITAT, LERNEN UND VERHALTEN. Ein heilpadagogisches Lehrbuch

Natural Approach und Konstruktivismus

Bildungssprache. Seminar: DaZ in der Sekundarstufe I und II Leitung: Dr. Derk Frerichs Referentinnen: Judith Wieprecht, Tugba Önder

Mehrsprachigkeit: Herausforderung an den Standort Deutschland

Sprachen lernen. Grundlagen der Sprachvermittlung Yvonne Niebsch 29. Januar 2015

Folie 1. Sprachen lernen. Grundlagen der Sprachvermittlung Yvonne Niebsch 29. Januar 2015

Kinder erzählen ihre Geschichten Medienbildung und Sprachförderung am Schulanfang

Grenzen der (Hoch-)Schulbildung für berufliche Bildung

Das neue Fachzentrum in Aesch

Die pädagogische Wirksamkeit vorschulischer Förderung des Schriftspracherwerbs

Konzepte zur Sprachförderung in Deutschland ein kritische Bestandsaufnahme

Deutsch als Fremdund Zweitsprache

Störungen der Semantik

Wie erwerben Kinder Werte: 10 Thesen

Zweisprachigkeit in der Kita Chance und Herausforderung. Agnieszka Meise

SPRACH-TANDEM. Workshop zum Sprachenlernen in gesteuerten Sprachbegegnungen Renate Freudenberg-Findeisen Universität Trier

Ergänzungsfach Sport Pete Moor Gymnasium Biel-Seeland Wahrnehmen-Entscheiden-Handeln 1. Lernen im Sport

Deutsch und andere Sprachen Deutsch als Zweitsprache

Staatsexamensaufgaben DiDaZ: Didaktikfach

Staatsexamensthemen DiDaZ - Didaktikfach (Herbst 2013 bis Fru hjahr 2017)

BaSiK Begleitende alltagsintegrierte Sprachentwicklungsbeobachtung in Kindertageseinrichtungen

1.1 Gründe für Migrationsbewegungen

Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung GHS Offenburg

Wie habe ich UK gelernt?

GER_C2.0606S. Bilinguale Erziehung. Education and children Speaking & Discussion Level C2 GER_C2.0606S.

Inhalt. 3 Soziale und individuelle Vorstellungen von Krankheit und

- Theoretischer Bezugsrahmen -

Sprachliche Bildung Mehrsprachigkeit in der Kita Berlin, DJI-Jahrestagung 2016 Ganz ähnlich ganz anders.

Transkript:

Spracherwerb bei Migranten - was soll der Kinderarzt raten? Corina Reber Braun, Logopädin Bern

Beratungskriterien Aus den Spracherwerbstheorien Aus der Zweitspracherwerbsforschung Aus der Praxis

SE-Theorien und ihr Nutzen Sprachaneignung ist ein impliziter, nicht bewusster Lernprozess, bei dem zwischen inneren Voraussetzungen und Mechanismen auf Seiten des Kindes und äusseren Lernbedingungen eine lernbegünstigende Passung besteht. (GRIMM und WEINERT, 2002)

WENN DANN Sprache gelernt wird soll Sprache mit Belohnung und Verstärkern geübt werden Behaviorismus

WENN DANN die Fähigkeit zur Sprache angeboren ist Nativismus als gutes Sprachmodell handeln, damit die Muster evoziert werden können

WENN DANN Sprachaneignung und Denkentwicklung eng zusammen hängen soll Sprache das Denken (innere Bilder und Abstraktionen) ausdrücken können Kognitivismus

WENN DANN Sprache über soziale Interaktion erworben wird Interaktionismus soll Sprache aus Ritualen und gemeinsamen Sprachhandeln abgeleitet und angewendet werden können.

WENN DANN Sprachaneignung eng mit Kontext verbunden ist und die Semantik mit Kategorien Konstruktivismus soll Sprache im alltäglichen Geschehen gebraucht und bewusst gemacht werden

A Y Download www.sprachpraevention.ch

Zweitspracherwerb aus logopädischer Sicht Feststellungen aus der Theorie Konsequenzen für die Praxis

Entwicklungsmodell (nach GROHNFELDT 1983) Umwelt Anlage Umfeld Fähigkeit zur Auseinandersetzung Kognition Sensorik Motorik Sprache Emotion

Konsequenz 1

5 Phasen der Migration (nach LANFRANCHI 1993) 1.Vorbereitung und Entscheidung zur Migration 2.Erste Schritte im fremden Land 3.Nachzug der zurückgebliebenen Partner, Kinder. 4.Krise. 5.Anschluss an die 'neue Welt' durch eine Strukturtransformation = Offenheit den neuen Einflüssen gegenüber

Konsequenz 2

Gleichzeitiger Erwerb (nach NODARI 1999) 0 Jahre 2 Jahre... L1 Interferenz = L2 positive und negative Übertragungsmöglichkeit

Konsequenz 3

Sequentieller Spracherwerb (nach NODARI 1999) L1 L2 Beispiel: Wortschatz neue Wörter übergeneralisierte Fehler

Konsequenz 4

Konzept der Lernerstufen (nach SELINKER 1972) S3 S1 L2 S2 fossilierte Lernersprache Situation ist stabil. Einsicht, dass die Lernersprache nicht vollständig ist. Motivation zum Weiterlernen..

Konsequenz 5

Schwellenhypothese (nach HORN 1992) Additiver Bilingualismus: hohes Niveau in beiden Sprachen positive Wirkung auf Kognition Obere Schwelle Niveau der Zweisprachigkeit Untere Schwelle Semilingualismus niedriges Niveau in beiden Sprachen negative Wirkung auf Kognition

Konsequenz 6

Interdependenzhypothese (nach CUMMINS 1979) Oberflächen struktur Tiefen struktur L1 L2 beobachtbare Sprachproduktion Nicht beobachtbar Spezifische Kenntnisse für L1 Basale Kommunikationsfertigkeiten BICS Kognitiv-schulische Sprachfertigkeiten CALP spezifische Kenntnisse für L2

Um einander zu verstehen, braucht es nur wenige Worte. BICS Um einander nicht zu verstehen, braucht es viele Worte. CALP (Indianisches Sprichwort)

Konsequenz 7

5 Hinweise aus der Praxis

Konstitution, innere Voraussetzungen Gehör, Visus Sprechapparat Allgemeiner Zustand Fähigkeit zur Auseinandersetzung = Gesundheit beeinflusst den SE (Ernährung, Bewegung, Anregung, )

Fähigkeit zur Auseinandersetzung äussere Voraussetzungen Umwelt Umfeld Migrationsphase Motivation zur Integration Wohnort, Kontakte, Stabilität, = Eltern beeinflussen die Entwicklung Positiv: Kontakte schaffen, Kind am Alltag teilhaben lassen, erzählen, Rituale, mit dem Kind sprechen

Entwicklungsbereiche neben der Sprache Motorik Kognition Sensorik Soziabilität Emotion Basisfunktionen = beeinflussen sich gegenseitig (+ und - )

Sprache(n) Welche? Mit wem? Seit wann? (bilingual vs. sequentiell, mutig vs. abwartend, konsequent vs. Vermischt, ) Sprachleistungen auf den 4 Ebenen, in In- und Output = Sprachbewusstheit des Kindes, der Eltern

mündlich schriftlich Kommunikation Satz Wort Laut hören, sprechen lesen, schreiben

Zusammenarbeit Fachärzte (HNO,.) Kinder- und Jugendpsychiatrie Entwicklungs-, Kinder- und Jugendpsychologie Früherziehung Sozialarbeit Logopädie

Links Allgemeine Informationen zu freiberuflichen Logopädinnen und Logopäden in Österreich: www.logopaedieaustria.at

Fazit: Fünf Hinweise für die Praxis, woraus sich ein Handlungsbedarf ableiten lässt Entwicklungsbereiche Äussere Voraussetzungen Sprache (n) Innere Voraussetzungen Zusammenarbeit

Literatur GROHNFELDT, Manfred Störungen der Sprachentwicklung Marhold, 1983 GRIMM, H. und WEINERT, S Sprachentwicklung In: OERTER/MONTADA (Hrsg.), Entwicklungspsychologie, 5. Ausgabe, BELTZ, 2002 ZOLLINGER, B. Die Entdeckung der Sprache, HAUPT, 1995 BURKHARDT MONTANARI, Elke Wie Kinder mehrsprachig aufwachsen Brandes & Apsel, 2000

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!