Probeklausur - Lösungsskizze Fall 1 (12 P) A. Anspruch B A auf Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 800 gemäß 433 II BGB i. V. m. Kaufvertrag I. Anspruch entstanden 1. Anspruchsvoraussetzung: wirksamer Kaufvertrag Untervoraussetzungen des Kaufvertrags: zwei inhaltlich übereinstimmende, mit Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen, Angebot und Annahme ( 145, 147 BGB) a. Angebot des B Wortlaut: Angebot auf Verkauf eines Holz-Schlägersatzes objektiv-normative Auslegung der Kaufofferte des B als empfangsbedürftige WE aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ( 133, 157 BGB): Angebot auf Verkauf eines Holz-Schlägersatzes wirklicher Wille: Verkauf eines Eisenschlägersatzes b. Annahme des A Wortlaut: Annahme der Kaufofferte über einen Holz-Schlägersatzes objektiv-normative Auslegung der Annahme des B als empfangsbedürftige WE aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ( 133, 157 BGB): Annahme der Kaufofferte über einen Holz-Schlägersatzes wirklicher Wille: Kauf eines Eisenschlägersatzes c. Deckungsgleichheit von Angebot und Annahme (Konsens) subjektiver Konsens: Übereinstimmung der inneren Willen der Parteien ( Verkauf eines Eisen-Schlägersatzes) objektiver Konsens: Übereinstimmung der durch objektiv-normative Auslegung ermittelten äußeren Erklärungen der Parteien ( Verkauf eines Holz- Schlägersatzes) Folge: Abweichung der inneren Willen der Parteien vom normativ Erklärten aber: Geltung des übereinstimmend Gewollten, auch wenn der wirkliche Wille in der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat, d.h. also Vorrang des wirklich Gewollten vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung (Geltung des Grundsatzes der falsa demonstratio non nocet / Die Falschbezeichnung schadet nicht ) d. Zwischenergebnis: Zustandekommen des Kaufvertrags über einen Eisen-Schlägersatz zu einem Kaufpreis von 800 Hinweis: Möglich ist auch, die Kaufofferte des B aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers unter Berücksichtigung der Einzelfallsumstände ( 133, 157 BGB), insbesondere des Umstands, dass B seinen Holzschlägersatz verkaufen will, so auszulegen, dass sich das Angebot unabhängig von der gewählten Bezeichnung auf den Schlägersatz des B bezieht und der A dieses Angebot angenommen hat. Auch dann muss jedoch darauf eingegangen, dass die Falschbezeichnung der Parteien nicht schadet und stattdessen das wirklich Gewollte (Kaufvertrag über den [einen] Schlägersatz des B) gilt! In diesem Fall sind ebenfalls die vollen 5 Punkte zu vergeben! 1
2. Nichtvorliegen rechtshindernder Einwendungen: (Irrtums-)Anfechtung Hinweis: Richtig ist auch, die Anfechtung als rechtsvernichtende Einwendung unter dem Punkt II. Anspruch erloschen zu prüfen. Rückwirkende Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen (Irrtums-)Anfechtung der Annahmeerklärung des A nach 142 I BGB? a. Anfechtungserklärung des A ( 143 I BGB) (+) b. Anfechtungsgrund ( 119 I Var. 1 BGB) P: Vorliegen eines Inhaltsirrtums (= Erklärende erklärt, was er erklären will, aber irrt über die rechtliche Bedeutung des Erklärten, d.h. er gibt eine Erklärung ab, die objektiv etwas anderes bedeutet, als innerlich gemeint war)? A irrt über die Bezeichnung des gekauften Schlägersatzes, d.h. er erklärt die Annahme des Kauf eines Holz-Schlägersatzes, aber meint einen Eisenschlägersatz aber: Die Erklärung bedeutet zwar formal etwas anderes, als innerlich gemeint war. Es gilt jedoch nicht das objektiv Erklärte, sondern unter Zugrundelegung des Grundsatzes der falsa demonstratio non nocet das übereinstimmend wirklich Gewollte. Ein Auseinanderfallen des objektiv Erklärten und des subjektiv Gewollten als Grundvoraussetzung für einen Irrtum liegt also gerade nicht vor, da ausnahmsweise das übereinstimmend wirklich Gewollte gilt. Folge: Ein Inhaltsirrtum liegt nicht vor. A muss sich am wirklich Gewollten festhalten lassen. Die Anfechtung ist kein Reurecht! Hinweis 1: Möglich ist auch die Anfechtung von vornherein mit dem Argument abzulehnen, dass die Auslegung der Anfechtung vorgeht, aufgrund der Anwendung des Grundsatzes der falsa demonstratio non nocet das übereinstimmend wirklich Gewollte gilt, der A sich am wirklich Gewollten festhalten lassen muss und somit eine Anfechtung wegen der Falschbezeichnung von vornherein nicht in Betracht kommt (Anfechtung kein Reurecht). Hinweis 2: Akzeptiert wird auch, dass ein Inhaltsirrtum formal bejaht wird, aber ein Anfechtungsrecht des A nach Treu und Glauben ( 242 BGB) aufgrund unzulässiger Rechtsausübung ausgeschlossen ist, da sich A am übereinstimmend wirklich Gewollten festhalten lassen muss und die Anfechtung kein Reurecht darstellt. II. Ergebnis: B hat gegen A einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 800 nach 433 II BGB i. V. m. Kaufvertrag. Fall 2 Zustandekommen eines wirksamen Kaufvertrags zwischen B und M? Voraussetzungen: zwei inhaltlich übereinstimmende, mit Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen, Angebot und Annahme ( 145, 147 BGB) I. Angebot des B ausdrückliche Abgabe einer Offerte über den Kauf eines Drumset zum Preis von 8.000 P: wirksamer Zugang des Angebots des B als empfangsbedürftige WE aufgrund Minderjährigkeit und damit beschränkter Geschäftsfähigkeit des Erklärungsempfängers M ( 106, 2 BGB) 2
131 II, 2 BGB: wirksamer Zugang nur bei lediglich rechtlicher Vorteilhaftigkeit der Kaufofferte für M oder Einwilligung des gesetzlichen VR hier: lediglich rechtliche Vorteilhaftigkeit des Angebots, da es M in die günstige Position versetzt, es annehmen oder ablehnen zu können ( keine Entstehen von Rechtspflichten bereits durch das Angebot [erst durch die Annahmeerklärung seitens des M], insb. keine Annahmepflicht) II. Annahme des M P: Wirksamkeit der abgegebenen Annahmeerklärung des M aufgrund von dessen Minderjährigkeit ( 106, 2 BGB) Folge: Erfordernis der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zur Abgabe einer WE, durch welche er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt ( 107 BGB) 1. lediglich rechtliche Vorteilhaftigkeit des Rechtsgeschäfts ( 107 Alt. 1 BGB) Kaufvertrag rechtlich nachteilhaft aufgrund Begründung der Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung ( 433 II BGB) 2. Einwilligung der Eltern des M als gemäß 1626 I, 1629 I, 1 BGB gesetzliche Vertreter ( 107 Alt. 2 BGB) Einwilligung = vorherige Zustimmung (vgl. 183, Satz 1 BGB) als empfangsbedürftige WE, welche formlos gegenüber dem Minderjährigen als auch gegenüber dem Vertragspartner erklärt werden kann ( 182 Abs. 1 BGB) a. ausdrückliche Einwilligung der gesetzlichen Vertreter (-) b. konkludente Einwilligung der gesetzlichen Vertreter durch Überlassung von Mitteln ( Taschengeldparagraph, 110 BGB) aa. Bewirken der vertragsgemäßen Leistung (+) Erfordernis, dass der Minderjährige die vertragsgemäße Leistung tatsächlich voll erbracht hat ( Gesetzeswortlaut "mit Mitteln bewirkt" ist als "mit Mitteln bewirkt hat" zu verstehen) bb. Überlassung von Mitteln Die Mittel müssen dem Minderjährigen vom gesetzlichen Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten zum Zweck der Bewirkung der vertragsgemäßen Leistung oder zur freien Verfügung überlassen worden sein. Zu den überlassenen Mitteln gehört grundsätzlich auch Taschengeld. Das Drumset ist jedoch nicht mit dem Taschengeld, sondern mit dem Lotteriegewinn, den der M durch den Kauf eines Loses von seinem Taschengeld erhalten hat, gekauft worden (sog. Surrogatgeschäft). Bei Surrogaten, die der Minderjährige mit den ihm überlassenen Mittel erwirbt, ist im Wege der Auslegung der (konkludenten) Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zu bestimmen, ob auch die Surrogate als überlassene Mittel im Sinne des 110 BGB angesehen werden können mit der Folge, dass der Minderjährige auch über diese wirksam verfügen kann. Übersteigt der Wert der Surrogate den Wert der überlassenen Mittel erheblich oder dienen die Surrogate einem völlig anderen Zweck, unterfallen sie regelmäßig nicht dem 110 BGB, so dass das mit dem betreffenden Surrogat getätigte Rechtsgeschäft der gesonderten Zustimmung des gesetzlichen Vertreters bedarf. Dies ist hier der Fall: Der Lottogewinn (Surrogat) übersteigt den Wert der überlassenen Mittel (Taschengeld) um ein Vielfaches, so dass von einer konkludenten 3
Einwilligung des gesetzlichen Vertreters nicht ausgegangen werden kann. 3. Rechtsfolge: schwebende Unwirksamkeit des ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters abgeschlossenen Vertrags bis zur Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung ( 108 I BGB) 4. Verweigerung der Genehmigung der gesetzlichen Vertreter Genehmigung = nachträgliche Zustimmung (vgl. 184 I BGB) als empfangsbedürftige WE, welche formlos gegenüber dem Minderjährigen als auch gegenüber dem Vertragspartner erklärt werden kann ( 182 Abs. 1 BGB) hier: (konkludente) Verweigerung der Genehmigung seitens der Eltern gegenüber dem Minderjährigen durch die Erklärung, dass das Krachzeug aus dem Haus verschwinden soll 5. Rechtsfolge: bis dato schwebend unwirksamer Kaufvertrag wird mit der Verweigerung der Genehmigung der gesetzlichen Vertreter endgültig unwirksam 6. Unwirksamkeit der gegenüber M erklärten Verweigerung der Genehmigung der gesetzlichen Vertreter durch die (schriftliche) Aufforderung des Geschäftspartners B gegenüber den gesetzlichen Vertretern zur Erklärung über die Genehmigung ( 108 II,1 BGB) 7. Rechtsfolge: Wiederaufleben des alten Schwebezustands betreffend den Kaufvertrag, wobei die Erklärung der Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung nur noch gegenüber dem Vertragspartner B erfolgen kann 8. P: wirksamer Widerruf der Kaufofferte durch B nach 109 BGB? Erklärung des Widerrufs durch B vor Genehmigung des gesetzlichen Vertreters nach 109 I, 1 BGB (+) richtiger Widerrufsgegner: gesetzlicher Vertreter oder Minderjähriger nach 109 I, 1 und 2 BGB hier M (+) keine positive Kenntnis der Minderjährigkeit seitens des Geschäftspartners B nach 109 II HS 1 BGB (-) aber: wahrheitswidrige Behauptung der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters seitens des Minderjährigen M nach 109 II HS 1 BGB (+) aber: positive Kenntnis des Fehlens der Einwilligung (= vorherige Zustimmung) des gesetzlichen Vertreters seitens des Geschäftspartners B nach 109 II HS 2 BGB (+) Zwischenergebnis: kein wirksamer Widerruf der Kaufofferte durch B 9. Genehmigung des schwebend unwirksamen Vertrags durch den Minderjährigen M nach 108 III BGB (innerhalb der Frist des 108 II,2 BGB) hier: (konkludente) Genehmigung des Vertrags seitens des zwischenzeitlich volljährig gewordenen M durch die Erklärung, dass das Geschäft gelte III. Ergebnis: Der Kaufvertrag zwischen B und M ist wirksam zustandegekommen. Beachtung Gutachtenstil (1 Punkt) Systematik/ Gliederung (insb. Anspruchsaufbau) (1 Punkt) Teil 2: Fragen (12 P) allgemeiner Korrekturhinweis: Die Punkte sind bereits zu vergeben, wenn die fett geschriebenen Schlüsselworte (oder vergleichbare Begriffe) in nachvollziehbarem Kontext fallen! Bei zusätzlichen richtigen Ausführungen sind angemessen Zusatzpunkte zu vergeben. 4
Frage 1 (9 P) Der subjektive Tatbestand einer WE besteht aus drei Bestandteilen: dem Handlungswillen, dem Erklärungsbewusstsein und dem Geschäftswillen. 1. Handlungswille Das Vorhandensein eines Handlungswillens ist Grundvoraussetzung für ein zurechenbares Verhalten. Es ist der Wille überhaupt etwas zu tun oder zu unterlassen. Er fehlt beispielsweise bei unbewussten Bewegungen, Reflexbewegungen, Schlaf oder willensausschließender Gewalt (vis absoluta). Ohne Handlungswillen existiert also von vornherein keine Erklärung, die nach den 119 ff BGB angefochten werden müsste, d.h. deren Wirkungen beseitigt werden müssten. 2. Erklärungsbewusstein Der Handelnde muss darüber hinaus Erklärungsbewusstsein haben. Darunter versteht man das Bewusstsein, überhaupt eine rechtlich erhebliche Erklärung abzugeben. Nach heute herrschender Meinung ist es nicht erforderlich, dass der Handelnde über ein aktuelles Erklärungsbewusstsein verfügt. Ausreichend ist, dass dessen Verhalten von Außenstehenden (konkret aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers) als rechtlich erhebliche Äußerung aufgefasst werden kann. Soweit der Handelnde bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können und müssen, dass sein Verhalten als rechtliche Äußerung aufgefasst werden könnte und der Erklärungsempfänger das tatsächliche Fehlen eines Erklärungsbewusstseins nicht positiv kannte, wird aus Gründen des Verkehrsund Vertrauensschutzes dem Handelnden sein Verhalten als WE zugerechnet auch wenn er tatsächlich nicht wusste, dass er eine rechtserhebliche Erklärung abgibt. Dem Handelnden bleibt insofern nur die Möglichkeit, seine Erklärung nach 119 Abs. 1, Var. 2 BGB in entsprechender Anwendung anzufechten. Korrekturhinweis: Soweit der gesamte Theorienstreit über das Erfordernis eines Erklärungsbewusstseins für die Wirksamkeit einer WE dargestellt wird, sind bis zu 3 Zusatzpunkte zu vergeben! 3. Geschäftswille Der Geschäftswille ist der Wille, mit der Erklärung eine ganz bestimmte Rechtsfolge herbeiführen zu wollen. Beim Geschäftswillen geht es also anders als beim Erklärungsbewusstsein nicht darum, irgendeine, sondern eine ganz konkrete Rechtsfolge herbeizuführen. Der Geschäftswille ist für die Willenserklärung nicht konstitutiv. Das heißt, weicht der Geschäftswille von dem tatsächlich Erklärten ab, d.h. fallen subjektiv Gewolltes und objektiv Erklärtes unbewusst auseinander (= Irrtum), so ist die Willenserklärung trotzdem wirksam und bindet den Erklärenden. Der Erklärende kann jedoch seine Willenserklärung (wegen Irrtums) gemäß den 119 ff BGB anfechten. Frage 2 ( 3 P) partielle Geschäftsfähigkeit (sog. Teilgeschäftsfähigkeit) = volle Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen bezogen auf einen bestimmten Lebensbereich Bsp.: 112 und 113 BGB Zusatzfrage 1 (4 P) gemäß 164 I, 1 BGB: Zulässigkeit der Stellvertretung eigene WE Handeln in fremden Namen (sog. Offenkundigkeit) Handeln mit und im Rahmen von Vertretungsmacht 5
Zusatzfrage 2 (1 P) Eigengeschäft des Vertreters ( 164 II BGB) Bewertungsmaßstab 1,0 = 49 50 P 1,3 = 46,5 48,5 P 1,7 = 44 46 P 2,0 = 41,5 43,5 P 2,3 = 38 40 P 2,7 = 35,5 37,5 P 3,0 = 31 35 P 3,3 = 26,5 30,5 P 3,7 = 23 26 P 4,0 = 19,5 22,5 P 5,0 = 0 19 P 6