Objektivität, Allparteilichkeit oder Gemeinwohl: Neutralität im Lichte verschiedener Beratungsrollen Anja Bauer (ITA/ÖAW & Alpen-Adria-Universität Klagenfurt) Karen Kastenhofer (ITA/ÖAW)
Einführung Politikberatung und Technikfolgenabschätzung im Wandel Diversifizierung und Pluralisierung des Rollenrepertoires von ExpertInnen Welche verschiedenen Rollen nehmen ITA- WissenschaftlerInnen in der Politikberatung ein? Verschiebung und Neuinterpretation klassischer Qualitätsprinzipien Wie wird in den verschiedenen Rollen Neutralität interpretiert und wie wird mit individuellen und kollektiven Werten umgegangen?
Konzeptioneller Hintergrund Variable Rollen von ExpertInnen in der Politik: Weimar & Vining (1999), Pielke Jr. (2008), Hoppe (2005), Irving (1999), etc. Zentrale Dimensionen: professionelle Werte (analytische Integrität, Loyalität zu Klienten, gute Gesellschaft) Sichtweisen auf Demokratie und Wissenschaft Primat von Wissenschaft oder Politik Interaktion mit Politik, Grad des politischen Engagements und Commitments
Methode Internes Projekt Pol[ITA], Juni 2016-März 2018 20 halb-strukturierte Interviews: Erfahrungen und Einschätzungen von TA PraktikerInnen am ITA Rekonstruktion von Modi der Politikberatung und paradigmatischen Einstellungen Workshop: Validierung der Ergebnisse
Rollenrepertoire am ITA Unterschiede: Fokus von TA Aktivitäten, Interaktionen und Adressaten Konzeptionen Prinzipien (Wissenschaftlichkeit, Neutralität, Relevanz) Rollen: Decisionist Advisor Deliberative Practitioner Governance Facilitator Engaged Academic Agenda-Setter Grenzarbeitsstrategien
Decisionist Advisor Folgen von Technologien ExpertInnenanalyse und Wissenssynthese Administration und Legislative Bericht mit Politikoptionen Starke Trennung von Wissensproduktion und - nutzung Neutralität zentral: Objektivität -> Allparteilichkeit im Idealfall sind wir objektiv Es ist ein Wesen von TA zu dieser Art von Politik grundlagenbasiert, wissenschaftsbasiert, neutral [ ] beizutragen. Wir sind für alle da, weil wir schauen uns das erst einmal neutral an.
Deliberative Practitioner Perspektiven in Technologiediskursen Deliberative Prozesse -> enge Interaktionen PolitikerInnen, Stakeholder und BürgerInnen Bericht und Lernprozesse Neutralität: Multiperspektivität, Balance verschiedener Interessen und Perspektiven; advokatorisch für fehlende Perspektiven wobei wir von einer neutralen Institution facilitaten und schauen, dass der Ablauf passt, dass jeder zu Wort kommt, dass es wellbalanced ist und, dass nicht die Interessen einer Fraktion oder eine Gruppe stärker hervorgehoben werden als andere. dass man den Rahmen erweitert und sagt okay, es gibt aber noch die, die und die Perspektive, eben oft dann halt die zivile Perspektive oder die unorganisierte zivile Perspektive der BürgerInnen, weil die eben oft fehlt.
Governance Facilitator Strukturen und Kapazitäten für Good Governance Wissensvermittlung und Netzwerkbildung Fokus auf Prozesse (nicht Berichte) Technologienetzwerke (politischadministrative) -> enge Interaktionen Neutralität: Unabhängigkeit Und ganz wesentlich ist unser Teil deswegen akzeptiert worden, weil wir als unabhängig wahrgenommen worden sind. Und dadurch als nicht manipulierbar. Ich habe mich auch immer so verhalten und mich darauf verlassen.
Engaged Academic Politische Dimension in Techno- Wissenschaften Neue Konzepte und Gesellschaftskritik Sozialwissenschaftliche Forschung (Engagierte) Wissenschaftsgemeinschaft, NGOs, Medien Neutralität als Illusion -> Transparenz und Offenheit in Bezug auf Werte und Kontexte Es ist aus meiner theoretischen Sichtweise heraus natürlich so, dass es keine wissenschaftliche Erkenntnis gibt, die jetzt neutral wäre [ ] Also weil die Rahmenbedingungen ja immer einwirken auf die Forschung, die man dann macht. Und ich glaube, es ist wichtig, die Werte, die man vertreten will, auch engagiert zu vertreten und das bis zu einem gewissen Grad explizit zu machen. Also Wertorientiertheit und Wertoffenheit wäre dann das Schlagwort.
Agenda-Setter Bewusstsein für kommende Technologien, Fragen und Probleme Screening und Monitoring Technologiepolitische Akteure, Stakeholder, Medien aktives Zugehen Bezug zu kollektiven Werten -> Parteilichkeit für das Allgemeinwohl Dann sollte TA natürlich auch möglichst auf alle Aspekte schauen, die einen einigermaßen noch festen Wert haben, der in der Moderne vertreten werden kann, wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Emanzipation, [ ] Gesundheit, Nachhaltigkeit, Naturschutz
Neutralität in der Politikberatung der TA Neutralität als wissenschaftliches Kriterium: Objektivität, Wertneutralität als politisches Kriterium: Allparteilichkeit, Balance, Unabhängigkeit als strategisches Mittel: Glaubwürdigkeit als Mythos: Transparenz, Reflektion, Bescheidenheit Herstellung von Neutralitätsansprüchen: Institutionelle Anbindung ÖAW Wissenschaftliches, interdisziplinäres Arbeiten Wahl der Auftraggeber Balancierte Verfahren Zurückhaltung bei konkreten Handlungsempfehlungen
Werte und Normen in der TA Formen und Grade advokatorischer und normativer TA: Grundrechte, gesellschaftliche Werte, Normen & Ziele: Sozialstaatsnormen, Schutz der Privatsphäre, Nachhaltigkeit, Emanzipation Konzepte, Prinzipien & Verfahren: RRI, Vorsorgeprinzip, unabhängige Risikoforschung, Partizipation Perspektiven: BürgerInnen (tw. Stakeholder), KonsumentInnen, ArbeitnehmerInnen Kritik: Machtverhältnisse, soziale Ungleichheiten X Partikularinteressen politischer oder industrieller Natur
Schlussfolgerungen Neutralität als zentral und ambivalent Unterschiedliche Relevanz und Interpretation in verschiedenen Beratungsrollen Verstärkte Interaktionen bedürfen der Festigung von Neutralitätsansprüchen Bestimmte advokatorische Standpunkte grundlegend für Mission und Praxis von TA Herausforderung: Abgrenzung von Partikularinteressen
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!