Objektivität, Allparteilichkeit oder Gemeinwohl: Neutralität im Lichte verschiedener Beratungsrollen

Ähnliche Dokumente
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing? TA und ihre Auftraggeber

TA als sozialer Lernprozess: Soziotechnische Szenarien für ein nachhaltiges Energiesystem

CORPORATE RESPONSIBILITY PRO CARTON

Inhaltsverzeichnis. Vorwort 11 Vorwort zur zweiten Auflage 12

Das Gute, das Böse und die Wissenschaft

Open Smart City. Astrid Habenstein , Opendata.ch/2017. Transdisziplinäre Forschungsstelle für die Hauptstadtregion Schweiz Universität Bern

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 11 Abkürzungsverzeichnis Einleitung 15

Governance - Regieren in komplexen Regelsystemen

Die Zukunft der Mitbestimmung beginnt wieder neu

Impuls Das IÖW als ein Knoten im Netzwerk nachhaltigkeitsorientierter Wirtschaftswissenschaften: Potenziale und Herausforderungen

Das EnRRICH-Projekt: Lernen in verantwortungsvoller Forschung an der Universität Vechta

(1) TA: Instrument wofür? (2) Wege & Ziele: Das Problem der Kontexte (3) Einsichten & Möglichkeiten

Politik der Nachhaltigkeit

Armin Grunwald. Technikfolgenabschätzung - eine Einführung. edition sigma

Leonhard Hennen Thomas Petermann Constanze Scherz

City Dialog Forum Stadt der Zukunft in Villach am Sozialen und ökologischen Herausforderungen begegnen.

Kritische Theorie (u.a. Horkheimer, Marcuse, Adorno..., Habermas)

#ODD16 #OGMNRW 1/5

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Technikfolgenabschätzung und Innovationsmanagement

Gesellschaftliche Naturverhältnisse zwischen Krise und Vision. Eine Fallstudie im Biosphärenreservat Mittelelbe. Dr. Tanja Mölders

Science, Technology & Society Studies

20 Jahre Technikfolgenabschätzung in Österreich

Vom Input zur Wirkungsorientierung

Good Governance - Erfolgsfaktoren und Stolpersteine - Roland Scherer Wien, den 26. September 2005

Führen im politischen Kontext


Merkmale hochschulischer Nachhaltigkeitsstrategien: Erkenntnisse aus der Forschung

Inter- und transdisziplinäre Integration was bedeutet das für IWRM?

Laien als ExpertInnen: Lokale Agenda 21 Prozesse in Österreich - Beispiele erfolgreicher Perspektivenübernahme?

Diversity Management an Hochschulen eine Antwort auf viele Fragen?

Mein Verständnis von PE

Unangeforderte Stellungnahme

Willkommen zum DKK-Klima-Frühstück. DKK zu den Perspektiven für die Klimaforschung 2015 bis 2025

Das Ich der Zukunft. IZT LunchTalk, Berlin 25. August 2014 Prof. Dr. Michael Opielka. Zum Forschungsprogramm des IZT

Altern und Teilhabe Aufgabe und Herausforderung Fachtag Bürgerengagement im Vor- und Umfeld von Pflege Stuttgart-Vaihingen 15.

Projekt: Religion und Dialog in modernen Gesellschaften (ReDi)

Gesellschaftliche Transformation im Klimawandel: Herausforderungen für die Anpassungsforschung

Nachhaltigkeit und Betriebswirtschaftslehre

Governance für Nachhaltige Entwicklung Prinzipien und praktische Relevanz

Innovationen im Klimaschutz Ideen und Wirkung

Projektpräsentation Trans Wind Akzeptanz braucht Gerechtigkeit Universität für Bodenkultur, Wien

Politische Öffentlichkeit durch Presse und neue Medien Chancen + Risiken für die Ernährungswirtschaft

Ralf Antes. Nachhaltigkeit und. Eine wissenschafts- und. institutionentheoretische Perspektive

Qualitätskriterien für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit

Theorie-Praxis-Verzahnung - Abstraktes Metathema oder praktische Handlungsanleitung?

Das Konzept der Kopernikus-Projekte

SOZIALWISSENSCHAFTEN

Abbildungsverzeichnis...9. Tabellenverzeichnis Danksagung Zusammenfassung Summary Resume Riassunto...

WISSENSCHAFTLICHE POLITIKBERATUNG HOFNARREN AM SCHREIBTISCH?

SOLIDARISCHE ARBEITSVERHÄLTNISSE. Stephan Lessenich, Frank Engster und Ute Kalbitzer

Soziologie der Internationalen Beziehungen

Leitlinien guter wissenschaftlicher Politikberatung für das IAB

Auftakt-Workshop. Forschungsforums Öffentliche Sicherheit

Entwicklung, Erprobung und Verbreitung von Konzepten zum nachhaltigen Produzieren und Konsumieren in der Außer-Haus-Verpflegung

Svenja Schulze Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein- Westfalen

Europas Werte von innen und außen : Die EU als normative power?

Für Menschenrechte und Säkularisierung stehen

INNOVATIVE VERNETZUNG STRATEGISCHE TRANSFERAKTIVITÄTEN

Es gibt mehr als eine Energiewende in NRW. Wahrnehmung der Energiewende auf lokaler Ebene

Rezeption der Umweltproblematik in der Betriebswirtschaftslehre

Verlag für System Ische Forschung im Carl-Auer Verlag A

Der Sport in Schleswig-Holstein: Gut für die Menschen ein Gewinn für das Land. Außerordentlicher Landessportverbandstag am

P r o f. D r. K n u t K o s c h a t z k y. Fraunhofer ISI

Bürgermitwirkung bei Stadtentwicklungsprozessen

Inhaltsverzeichnis. 1. Einleitung: Wozu eine Typologie defekter Mediensysteme? Forschungsstand, -ziel und -weg 27

Bildungsforschung und Bildungspolitik im Dialog. Lernprozesse und Irritationen. Heinz-Elmar Tenorth

Demokratische Depression eine Bestandsaufnahme nebst Ausblick

Virtuelle Bürgerwissenschaft. Digitale Ansätze in Citizen Science Projekten. Dr. Katrin Vohland & Dr. Sascha Dickel

3. Herbstakademie Wirtschafts- und Unternehmensethik

Arbeitsaufwand (workload) Moduldauer (laut Studienverlaufsplan) (laut Studienverlaufsplan)

Zivilgesellschaftliche Bedeutung von Vereinen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (VJM)

Stiftungen als Förderer der Zivilgesellschaft

Nomos. Gemeinwohl. Forschungsstand Politikwissenschaft. Peter Schmitt-Egner

Schulinterner LEHRPLAN PÄDAGOGIK für die Jahrgangsstufe Q2

Das Fach»Soziologie«THEMEN SCHWERPUNKTE - PROFESSUREN D. BISCHUR INTEGRIERTE EINFÜHRUNG WS 2016/17: EINFÜHRUNGSWOCHE - FACH SOZIOLOGIE 1

Qualität und Qualitätskultur an Hochschulen in sich diversifizierenden Hochschulsystemen

Universität & Gesellschaft: Third Mission der Universität Wien. 15. Dezember 2016

Einleitung: Die Öffentlichkeiten der Erziehung Zum Begriff der Öffentlichkeit... 23

Vulnerabilität im sozial-ökologischen und politischen Titulo Kontext erklären!

Strategie science cité

Im Dialog mit den Entscheidern

Was besprechen wir heute?

Buchners Kompendium Politik neu

Chancen und Grenzen von Wirkungsorientierun; in den Hilfen zur Erziehung

Vorschläge für eine nationale IKZM- Strategie aus Sicht der Raumordnung

Wissen kommt von Machen! Makerspaces als Baustein Smarter Bibliotheken

Hilde Weiss / Christoph Reinprecht

WS1.4: Potentiale und Grenzen von Praxis-Hochschul-Kooperationen in Forschung und Lehre

Call for Papers Übergänge in der Sozialen Arbeit

Perspektiven zur Natur in der EU

Schweizerische Aussenpolitik

Europas Werte von innen und außen : Die EU als normative power?

Wissenschaftliche Politikberatung in den Themenfeldern Integration und Migration

Sozio-technische Szenarien und Kernhandlungsfelder für ein nachhaltiges Energiesystem in Österreich

Leitbild für die DDF. Workshop-Ergebnis vom 28. Oktober 2017

Schullehrplan Sozialwissenschaften BM 1

Nachhaltigkeit im Wandel 300 Jahre nachhaltige Ressourcenbewirtschaftung? Anspruch und Wirklichkeit U. E. Schmidt (Hrsg.)

Transkript:

Objektivität, Allparteilichkeit oder Gemeinwohl: Neutralität im Lichte verschiedener Beratungsrollen Anja Bauer (ITA/ÖAW & Alpen-Adria-Universität Klagenfurt) Karen Kastenhofer (ITA/ÖAW)

Einführung Politikberatung und Technikfolgenabschätzung im Wandel Diversifizierung und Pluralisierung des Rollenrepertoires von ExpertInnen Welche verschiedenen Rollen nehmen ITA- WissenschaftlerInnen in der Politikberatung ein? Verschiebung und Neuinterpretation klassischer Qualitätsprinzipien Wie wird in den verschiedenen Rollen Neutralität interpretiert und wie wird mit individuellen und kollektiven Werten umgegangen?

Konzeptioneller Hintergrund Variable Rollen von ExpertInnen in der Politik: Weimar & Vining (1999), Pielke Jr. (2008), Hoppe (2005), Irving (1999), etc. Zentrale Dimensionen: professionelle Werte (analytische Integrität, Loyalität zu Klienten, gute Gesellschaft) Sichtweisen auf Demokratie und Wissenschaft Primat von Wissenschaft oder Politik Interaktion mit Politik, Grad des politischen Engagements und Commitments

Methode Internes Projekt Pol[ITA], Juni 2016-März 2018 20 halb-strukturierte Interviews: Erfahrungen und Einschätzungen von TA PraktikerInnen am ITA Rekonstruktion von Modi der Politikberatung und paradigmatischen Einstellungen Workshop: Validierung der Ergebnisse

Rollenrepertoire am ITA Unterschiede: Fokus von TA Aktivitäten, Interaktionen und Adressaten Konzeptionen Prinzipien (Wissenschaftlichkeit, Neutralität, Relevanz) Rollen: Decisionist Advisor Deliberative Practitioner Governance Facilitator Engaged Academic Agenda-Setter Grenzarbeitsstrategien

Decisionist Advisor Folgen von Technologien ExpertInnenanalyse und Wissenssynthese Administration und Legislative Bericht mit Politikoptionen Starke Trennung von Wissensproduktion und - nutzung Neutralität zentral: Objektivität -> Allparteilichkeit im Idealfall sind wir objektiv Es ist ein Wesen von TA zu dieser Art von Politik grundlagenbasiert, wissenschaftsbasiert, neutral [ ] beizutragen. Wir sind für alle da, weil wir schauen uns das erst einmal neutral an.

Deliberative Practitioner Perspektiven in Technologiediskursen Deliberative Prozesse -> enge Interaktionen PolitikerInnen, Stakeholder und BürgerInnen Bericht und Lernprozesse Neutralität: Multiperspektivität, Balance verschiedener Interessen und Perspektiven; advokatorisch für fehlende Perspektiven wobei wir von einer neutralen Institution facilitaten und schauen, dass der Ablauf passt, dass jeder zu Wort kommt, dass es wellbalanced ist und, dass nicht die Interessen einer Fraktion oder eine Gruppe stärker hervorgehoben werden als andere. dass man den Rahmen erweitert und sagt okay, es gibt aber noch die, die und die Perspektive, eben oft dann halt die zivile Perspektive oder die unorganisierte zivile Perspektive der BürgerInnen, weil die eben oft fehlt.

Governance Facilitator Strukturen und Kapazitäten für Good Governance Wissensvermittlung und Netzwerkbildung Fokus auf Prozesse (nicht Berichte) Technologienetzwerke (politischadministrative) -> enge Interaktionen Neutralität: Unabhängigkeit Und ganz wesentlich ist unser Teil deswegen akzeptiert worden, weil wir als unabhängig wahrgenommen worden sind. Und dadurch als nicht manipulierbar. Ich habe mich auch immer so verhalten und mich darauf verlassen.

Engaged Academic Politische Dimension in Techno- Wissenschaften Neue Konzepte und Gesellschaftskritik Sozialwissenschaftliche Forschung (Engagierte) Wissenschaftsgemeinschaft, NGOs, Medien Neutralität als Illusion -> Transparenz und Offenheit in Bezug auf Werte und Kontexte Es ist aus meiner theoretischen Sichtweise heraus natürlich so, dass es keine wissenschaftliche Erkenntnis gibt, die jetzt neutral wäre [ ] Also weil die Rahmenbedingungen ja immer einwirken auf die Forschung, die man dann macht. Und ich glaube, es ist wichtig, die Werte, die man vertreten will, auch engagiert zu vertreten und das bis zu einem gewissen Grad explizit zu machen. Also Wertorientiertheit und Wertoffenheit wäre dann das Schlagwort.

Agenda-Setter Bewusstsein für kommende Technologien, Fragen und Probleme Screening und Monitoring Technologiepolitische Akteure, Stakeholder, Medien aktives Zugehen Bezug zu kollektiven Werten -> Parteilichkeit für das Allgemeinwohl Dann sollte TA natürlich auch möglichst auf alle Aspekte schauen, die einen einigermaßen noch festen Wert haben, der in der Moderne vertreten werden kann, wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Emanzipation, [ ] Gesundheit, Nachhaltigkeit, Naturschutz

Neutralität in der Politikberatung der TA Neutralität als wissenschaftliches Kriterium: Objektivität, Wertneutralität als politisches Kriterium: Allparteilichkeit, Balance, Unabhängigkeit als strategisches Mittel: Glaubwürdigkeit als Mythos: Transparenz, Reflektion, Bescheidenheit Herstellung von Neutralitätsansprüchen: Institutionelle Anbindung ÖAW Wissenschaftliches, interdisziplinäres Arbeiten Wahl der Auftraggeber Balancierte Verfahren Zurückhaltung bei konkreten Handlungsempfehlungen

Werte und Normen in der TA Formen und Grade advokatorischer und normativer TA: Grundrechte, gesellschaftliche Werte, Normen & Ziele: Sozialstaatsnormen, Schutz der Privatsphäre, Nachhaltigkeit, Emanzipation Konzepte, Prinzipien & Verfahren: RRI, Vorsorgeprinzip, unabhängige Risikoforschung, Partizipation Perspektiven: BürgerInnen (tw. Stakeholder), KonsumentInnen, ArbeitnehmerInnen Kritik: Machtverhältnisse, soziale Ungleichheiten X Partikularinteressen politischer oder industrieller Natur

Schlussfolgerungen Neutralität als zentral und ambivalent Unterschiedliche Relevanz und Interpretation in verschiedenen Beratungsrollen Verstärkte Interaktionen bedürfen der Festigung von Neutralitätsansprüchen Bestimmte advokatorische Standpunkte grundlegend für Mission und Praxis von TA Herausforderung: Abgrenzung von Partikularinteressen

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!