Ziele und Perspektiven der EU- Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik Petra Schott Europäische Kommission Email: Petra.Schott@ec.europa.eu 1
EU Politiken für Gleichberechtigung Die Aktionen und Massnahmen der Kommission: Rechtssetzung, Kontrolle von Umsetzungsmassnahmen in den Mitgliedsstaaten, Kontrolle von Zielsetzungen wie zb der Barcelona Ziel zu Kindergartenplätzen, gezielte Programme, finanzielle Unterstützung, gezielte Massnahmen (zb das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen in Vilnius), insbesondere: Der Roadmap (dem Fahrplan) 2006-2012 Den Beschäftigungsstrategien Dem Strukturfond Gender Mainstreaming, unterstützt zb durch Statisken und Indikatoren, gute Praktiken, Forschung und Wissenschaft wird umgesetzt in: Link: http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catid=418&langid=de 2
Wichtige Massnahmen 1. Rechtsetzung in Form von Richtlinien 2. Programme zur Finanzierung verschiedenster Aktionen (PROGRESS, 2006-2013): Stop-Discrimination -Kampagnen Gleichberechtigungskampagnen, kürzlich zb die für gleiche Bezahlung und die Unterschiede in den Gehältern von Frauen und Männern viele transnationale Projekte Fortbildung für etwa 500 Richter, Universitätslehrer, Staatsanwälte und Rechtsanwälte in der Europäischen Akademie in Trier Finanzielle Unterstützung für Netzwerke Zahlreiche Studien und Berichte Fortbildung für Fortbilder in den 12 neuen MS und der Türkei Konferenzen Broschüren Wettbewerbe 3
PROGRESS Programm Fortsetzung eines früheren Programms durch PROGRESS (2007-2013), 743 Millionen Unterstützung für Antidiskriminierungsmassnahmen, Geschlechtergleichberechtigung, soziale Eingliederung, Beschäftigung und Arbeitsbedingungen Ziele: Implementierung von EU-Recht unterstützen, Netzwerke und gute Praktiken unterstützen, Kenntnisse vergrößern, statistische Werkzeuge entwickeln, Aufmerksamkeit wecken, zentrale EU-Netzwerke verbessern 4
Entstehungsgeschichte Gleichbehandlung zwischen Mann und Frau: Seit 1957 im Vertrag (Römische Veträge) Sekundärrecht (Richtlinien) seit 1975 Wechselnde politische Strategien; Roadmap 2006-2010 wird durch die Gender Strategy abgelöst werden wird und auf den 5 Prioritäten der im März 10 bekannt gemachten Charta für die Rechte der Frau beruhen, nämlich: (1) gleiche ökonomische Unabhängigkeit, (2) gleiche Bezahlung, (3) Gleichheit in Entscheidungspositionen, (4) der geschlechtsbezogenen Gewalt ein Ende setzen (5) gender equality ausserhalb der Union (6) Horizontale Fragen. 5
Enstehungsgeschichte Antidiskriminierung Nichtdiskriminierung in sonstiger Hinsicht (Antidiskriminierungsrecht): Konsens seit den 90ger Jahren, dass die EU auch auf diesem Gebiet tätig werden sollte Seit 1997 ist Nichtdiskriminierung als Prinzip im Vertrag festgelegt (jetzt Art 19 AEUV, ex-art 13 EG, eingeführt durch Vertrag von Amsterdam), seit 1999 in Kraft, und zwar für folgende Gründe: Rasse oder ethnische Herkunft, Religion, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung. Sekundärrecht (Richtlinien) seit 2000 (die Europäische Kommission wollte die in ex- Artikel 13 festgelegten Befugnisse rasch nutzen und hatte Ende 1999 ein Paket von Vorschlägen ausgearbeitet) 6
Primärrecht Gleichbehandlung Mann/Frau: Artikel 8 AEUV (ex-artikel 3 Absatz 2 EG): gender mainstreaming Artikel 19 (ex-13 EG): Bekämpfung der geschlechtsbezogenen Diskriminierung auch ausserhalb des Arbeitsbereiches Artikel 157 (ex-141 EG Vertrag): gleiche Bezahlung, spezifische Vergünstigungen Nichtdiskriminierung aus sonstigen Gründen: Artikel 19 (ex-13 EG): : Bekämpfung der Diskriminierung auch ausserhalb des Arbeitsbereiches 7
Sekundärrecht Gleichstellung Mann/Frau: Richtlinie 75/117/EWG: Gleichbehandlung im Arbeitsleben Richtlinie 76/207/EWG: Gleichbehandlung im Zugang zur Beschäftigung, bei beruflicher Bildung und Aufstieg Richtlinie 79/7/EWG: Gleichbehandlung in den staatlichen Systemen der sozialen Sicherheit (Ausnahmeregelungen!!) Richtlinie 86/378/EWG: Gleichbehandlung in den beruflichen Systemen der sozialen Sicherheit (Änderung durch Richtlinie 96/97/EG) Richtlinie 86/613/EWG: Gleichbehandlung bei Selbständigen, inzwischen uafgehoben durch Richtlinie vom Juni 2010, Nummer noch nicht bekannt Richtlinie 92/85/EG: Schwangerschafts- und Mutterschaftsschutz (Entwurf zur Verbesserung der Richtlinie wird derzeit in den Institutionen verhandelt 8
Sekundärrecht Richtlinie 96/34/EG: Rahmenvereinbarung über Elternurlaub, inzwischen aufgehoben durch neue Richtline 2010/18/EU über Elternurlaub Richtlinie 97/80/EG: Verschiebung der Beweislast Richtlinie 2002/73/EG (Veränderung der Richtlinie 76/207/EWG: direkte und indirekte Diskriminierung, Anstiftung zur Diskriminierung, keine Viktimisierung, Equality bodies, Sanktionssystem (zahlreiche Vertragsverletzungsverfahren) Richtlinie 2004/113/EG: Gleichbehandlung im Bereich Güter und Dienstleistungen, Gleichbehandlung bei allen Transaktionen, die ausserhalb des Privat- und Familienlebens stattfinden, Beschränkung bei Nutzung geschlechtsbezogener, versicherungsmathematischer Faktoren durch Versicherungen Richtlinie 2006/54/EG: Neufassung verschiedener Richtlinien und Zusammenfassung in einem Text. Umsetzung: bis August 2008 soweit es kleinere Veränderungen gegeben hat,u.a. Ausdehnung des Sanktionssystems auf berufliche Systeme der sozialen Sicherheit, Ausdehnung Kompetenzen der Equality Bodies 9
Sekundärrecht Nichtdiskriminierungsrichtlinien (wegen Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Ausrichtung, Rasse oder ethnischer Herkunft): Richtlinie 2000/43/EG vom 29. Juni 2000 Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (Vertragsverletzungsverfahren) Richtlinie 2000/78/EG: Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf in Hinblick auf Religion oder Weltschauung, Behinderung, Alter und der sexuellen Ausrichtung (Vertragsverletzungsverfahren) 10
Was ist Diskriminierung? Die Definition von Diskriminierung in den Richtlinien umfasst: direkte Diskriminierung (weniger günstige Behandlung in einer vergleichbaren Situation) indirekte Diskrminierung (neutrale Vorschriften benachteiligen bestimmte Personen besonders, ohne dass Rechtfertigung vorläge) Belästigung (unerwünschte Verhaltensweise, die einschüchternd etc wirkt) Anweisung zur Diskriminierung 11
Exkurs Antidiskriminierung: Schutzbereich der beiden Antidiskriminierungsrichtlinien 1. - Alle Personen in der EU unabhängig von Nationalität - private sowie öffentliche Arbeitgeber Diskriminierungsopfer können sich an die Antidiskriminierungsstellen ihres Landes wenden 2. Beide Richtlinien decken ab: Beschäftigung, berufliche Weiterbildung, Bezahlung, Mitgliedschaft in Organisationen Die Rasse -Richtlinie deckt zusätzlich: Erziehung, sozialer Schutz, Güter und Dienstleistungen einschl. Vermietungen 12
Ausnahmeregelungen (Antidiskriminierung) Nicht jede Ungleichbehandlung ist rechtswidrig. Ausnahmen : Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen objektive Rechtfertigung einer indirekten Diskriminierung Kirchen Nationalität Alter Anforderungen an Vorkehrungen für Behinderte positive Massnahmen (Fördermassnahmen) 13
Rechtsprechung des EUGH im Bereich Geschlechtergleichberechtigung Problem: Gleiche Bezahlung Macarthys (1980) :gleiche Bezahlung für Nachfolger Jenkins (1981): gleiche anteilige Bezahlung für Teilzeit Lawrence (2002): Vergleichsmasstab ist derselbe Arbeitgeber Cadman (2006):Anciennität als Kriterium fur unterschiedliche Bezahlung ist ok Sonderproblem Pensionseintrittsalter u. Bonifikationen im öff. Dienst Sonderregelungen für Frauen im öffentlichen Dienst sind nicht zulâssig soweit sie frühres Renteneintrittsalter betrifft oder Spezialbonfikationen, die Männern unter den dengleichen Bedingungen nicht zustehen. Zuletzt beruhend auf Vertragsverletzungsverfahren - Urteile gegen Italien (C- 46/07, Urt. v. 13 November 2008) und Griechenland (C-559/07, Urt. v. 26. März 2009). In beiden Fällen drängt die Kommission die Staaten zur schnellen Umsetzung durch Weiterführung der Vertragsverletzungsverfahren. 14
Rechtsprechung des EUGH im Bereich Geschlechtergleichberechtigung Problem: Schwangerschaft und Mutterschaft Webb (1994): keine Kündigung der Ersatzkraft wegen Schwangerschaft Brown (1998):keine Kündigung wegen Krankheit Mahlburg (2000): keine Bewerbungsablehnung wegen Arbeitsbeschränkung für Schwangere auf dem freien Posten 15
Rechtsprechung des EUGH im Bereich Antidiskriminierung Wichtige abgeschlossene Verfahren: Urteil vom 11.7.2006, C-13/05, Chacón Navas/Eurest, über den Begriff Behinderung (= mehr als lange Krankheit) in der Richtlinie 2000/78/EG und einer krankheitsbedingten Entlassung von Arbeitnehmern Urteil vom 22.11.2005, C-144/04, Mangold, zur Richtlinie 2000/78/EG und deutschen Regelungen über den Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen für Arbeitnehmer über 52 Jahre (Altersdiskriminierung); Grundstaz der Nichtdiskriminierung wegen Alters ist grundlegendes Prinzip des EU REchts, auch vor seiner Umsetzung in Form der Richtlinie 200/78 geltend (bestätigt durch Urteil Kücükdevici, C-555/07, Urt. vom 19. 1. 2010) Urteil vom 1. April 2008, Tadao Maruko, C-267/06, Hinterbliebenenleistungen in einem berufsständigen Pflichtversorgungssystem müssen auch einen eingetragenen Lebenspartner umfassen, wenn der Mitgliedstaat ansonsten Lebenspartner und Ehepartner gleichgestellt hat. 16
Wichtige abgeschlossene Verfahren: Rechtsprechung des EUGH im Bereich Antidiskriminierung Urteil vom 16. Oktober 2007,Pallacios de la Villa, C-411/05, und Pascual Garcia, C-87/06, spanische Kollektivarbeitsverträge zur Zwangsversetzung in den Ruhestand im Alter von 65 sind keine Diskriminierung aufgrund des Alters. Age Concern (C-388/07), Urteil vom 5. März 2009: Eintrittsalter für Ruhestand; zu den Zielen die obligatorisches Eintrittsalter rechtfertigen können Urteil vom 17. Juli 2008 Coleman,C-303/06: Schutz nicht nur behinderter Personen selbst, sondern auch der Beschäftigten, die - ohne selbst behindert zu sein - diskriminiert wurde, weil sie Fehlzeiten aufgrund der Pfelge eines behinderten Kindes hatte und deshalb entlasssen wurde Urteil vom 10.Juli 2008, Feryn, C-54/07, Streit über die Weigerung einer belgischen Garagentor-Firma, Marokkaner einzustellen, weil die Auftraggeber dies nicht wollten, stellt Dikriminierung dar. Ausblick auf schwebende Verfahren: viele Fragen zur Altersdiskriminierung 17
Ausblick auf neue Projekte: Antidiskriminierung Überwachung der Umsetzung der beiden Richtlinien in den Mitgliedstaaten und ggflls Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren (zahlreiche Verfahren sind eröffnet, einige noch immer offen) weitergehende Rechtsetzung: Verhandlungen zur Adoption eines Richtlinien-Entwurfs (Annahme durch die Kommission: 2. Juli 2008) 18
Inhalt des neuen Richtlinienvorschlags Für die Diskriminierungsgründe Religion, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung wird der Schutz, der bisher auf das Gebiet Arbeit und Beschäftigung beschränkt war, auf einen grossen Bereich der Alltagsgeschäfte erweitert. Weitere Infos: http://eurlex.europa.eu/lexuriserv/lexuriserv.do?uri=com:2008:0426:fin:en:pdf und http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catid=781&langid=en 19
Neue gesetzgeberische und andere Projekte im Bereich Gleichstellung Im Bereich Vereinbarkeit wurden in 2008 und 2009 drei Richtlinien erarbeitet und angenommen, von denen zwei inzwischen geltendes EU-Recht sind: Richtlinie zum Elternurlaub 2010/18/EU (i.w. Verlängerung von 6 (angenommen im Juni 2010) auf 8 Monate; Wegfall eines Monats, wenn der andere Partner nicht ebenfalls einen Monat Elternzeit nimmt) Richtlinie über einen Mutterschaftsurlaub für die Selbständigen und Einbeziehunhg in den Sozialschutz für die sogenannten mitarbeitenden Ehefrauen (angenommen im Juni 2010) Die Richtlinie zur Verbesserung des Mutterschutzes ist noch im Verhandlungsprozess (derzeit erste Lesung Parlament) mit Verlängerung auf 18 Wochen, freierer Gestaltung des Beginns der Schutzzeit und verstärktem Kündigungsschutz) 20
Geplante Aktionen der neuen Kommsionen (Kommissarin Viviane Reding) Fortführung des Fahrplans 2006-2010 durch die Gender Strategie (Annahme für September 2010 geplant) Aktion zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (erste Hälfte 2011; u.a.möglicherweise Gesetzgebungsvorschlag) Weitere Massnahmen zur Vereinbarkeit (eine Studie zu Kosten und Nutzen eines Vaterschaftsurlaubs sowie zu einem Urlaub zur Pflege bedürftiger Angehöriger ist auf dem Weg) Weitere Massnahmen zur Bekämpfung des pay gaps (evtl. Gesetzgebungsvorschläge im Bereich Transparenz der Löhne, ausserdem Labels, regelmässige Prüfungen etc) 21
Offene Fragen im Bereich Geschlechterpolitik Quoten Multiple Diskriminierung, also Diskriminierung aus mehreren Gründen wird voraussichtlich in der Gender Strategy erwähnt sein Transgender Probleme (wird ebenfalls erwähnt werden, evtl spezielle Studie) Insbesondere zu Quoten: die Kommission hat bisher die Auffassung vertreten, dass Artikel 157 (4) AEUV eine Gender- Quotenregelung in den Mitgliedsstaaten zulässt, die Kommision selbst jedoch nicht ermächtigt, einen gesetzlichen Vorschlag zu Quotenregelungen zu machen. 22
Abschließende Feststellungen Das Gebiet ist in Bewegung! Die Diskussion der gesetzgeberischen Entwürfe in den Institutionen nimmt in der Regel viel Zeit in Anspruch (Mutterschaftsrichtlinie) In manchen wichtigen Bereichen, wie zb Kindergartenplätze, hat die Kommssion keine gesetzgeberische Kompetenz Die Kommission als Hüter der Verträge wacht sehr aufmerksam darüber, dass die Richtlinien in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Petra.Schott@ec.europa.eu 23