Einführung in die Dynamische Analyse



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Einführung in die Dynamische Analyse Prof. Dr. Jürgen Kremer 24. Mai 2012 Zusammenfassung In [1] wird ein Verfahren, die Dynamische Analyse, vorgestellt, mit dem die zeitliche Entwicklung einer Ökonomie modelliert und simuliert werden kann. Mit Hilfe der Dynamischen Analyse können neue und weitreichende Schlussfolgerungen gezogen werden, die nur möglich sind, wenn neben der zeitlichen Dynamik auch die heterogene Ausstattung der Haushalte hinsichtlich Vermögen, Einkommen und Konsumausgaben ausdrücklich berücksichtigt wird. So lässt sich die fundamentale Erkenntnis ableiten, dass in unseren Wirtschaftssystemen effiziente Mechanismen am Werk sind, die zu einer Umverteilung der Vermögen von,,unten nach oben und schließlich zu einer Polarisierung der Gesellschaft führen. In diesem Artikel wird eine kurze Einführung in die Dynamische Analyse gegeben. 1 Kreislaufmodelle Um die Modellierung übersichtlich zu halten, wird in dieser Einführung der Staat als volkswirtschaftlicher Akteur nicht betrachtet, sondern nur die Haushalte und die Unternehmen. Gedanklich kann der Staat bei dieser Idealisierung als Unternehmen aufgefasst werden. Wird der Staat nicht einbezogen, so werden auch keine Steuern berücksichtigt, und die ökonomische Situation einer Volkswirtschaft kann ohne die,,verzerrungen, die durch Steuern und Subventionen hervorgerufen werden, studiert werden. Inhaltsverzeichnis 1 Kreislaufmodelle 1 2 Heterogene Haushalte 3 3 Die Dynamische Analyse 3 3.1 Die drei Regeln der Dynamischen Analyse................... 4 3.2 Der Algorithmus der Dynamischen Analyse................. 5 4 Die Ergebnisse der Dynamischen Analyse 7 Abbildung 1: Kreislaufmodell einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne Staat und ohne Finanzmärkte Wir betrachten zunächst ein Kreislaufmodell ohne Finanzmärkte, siehe Abb. 1. Die Unternehmen produzieren Güter und Dienstleistungen und zahlen Löhne und Gehälter an ihre Arbeiter und Angestellten. Diese bilden die Einkommen der Haushalte, die diese für den Konsum aufwenden. Die Konsumausgaben der Haushalte bilden die Verkaufserlöse der Unternehmen. Unter der Voraussetzung, dass in keinem Knoten des Kreislaufmodells Geld gespeichert wird, 1

entsprechen die Geldflüsse, die in einen Knoten hinein fließen, den Geldflüssen, die aus diesem Knoten heraus fließen. Wir erhalten die Aussage, dass die Einkommen W (Wages) mit den Konsumausgaben C (Consumption) übereinstimmen. Diese wiederum sind identisch mit den Verkaufserlösen P (Prices). Wir erhalten also die Bilanzgleichungen W = C = P. Nun erweitern wir das Kreislaufmodell um die Finanzmärkte, siehe Abb. 2. Abbildung 2: Kreislaufmodell einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne Staat Die Haushalte legen den Teil ihres Einkommens, den sie nicht für den Konsum aufwenden, an den Finanzmärkten an und erhalten Zinsen auf ihre angesparten Vermögen. Die Zuflüsse zum Knoten Haushalte bestehen aus den Einkommen W und aus den Zinserträgen R H (Rates of the households), während die Abflüsse durch die Konsumausgaben C und die Ersparnisse S (Savings) gegeben sind. Wir erhalten somit den Zusammenhang S + C = W + R H. Haushalte können auch Kredite aufnehmen. In diesem Fall werden die zugehörigen Anteile der Ersparnisse S negativ. Die Unternehmen nehmen an den Finanzmärkten Kredite auf und tragen die Finanzierungskosten. Die Zuflüsse zum Knoten Unternehmen sind durch die Verkaufserlöse P und die Kredite I (Investments) gegeben, die Abflüsse bestehen aus dem Anteil der Finanzierungskosten R F (Rates of the firms), der an die Sparer als Guthabenzinsen R H weitergereicht wird, sowie aus den Löhnen und Gehältern W. Somit gilt I + P = W + R F. Unternehmen können auch sparen, in diesem Fall sind die entsprechenden Anteile der Kredite I negativ. Den Kreislaufmodellen entnehmen wir, dass in den Knoten Gütermärkte die Konsumausgaben C hinein und die Verkaufserlöse P heraus fließen. Es gilt also stets C = P, die Konsumausgaben der Haushalte entsprechen den Verkaufserlösen der Unternehmen. Jedes Sparen in der Ökonomie, das heißt jede aggregierte Zunahme der Kontenbestände, wird in unserem Geldsystem über Kredite realisiert. Damit ist jedes aggregierte Sparen S mit einer Verschuldung I in gleicher Höhe verbunden, und wir erhalten den Zusammenhang S = I, also Ersparnisse = Investitionen 1. Weiter gilt R H = R F =: R, der Anteil der Finanzierungskosten der Unternehmen R F, der an die Sparer weitergereicht wird, entspricht den Zinseinnahmen R H der Haushalte, und wir kürzen die beiden Größen mit dem einheitlichen Symbol R ab. Die Unternehmen tragen höhere Finanzierungskosten als den Anteil R H = R F. Der Teil der Kreditkosten, der über den Betrag hinausgeht, der an die Sparer weitergereicht wird, wird zu einer Einnahme der 1 Dies entspricht nicht genau der gleichnamigen Regel, die in volkswirtschaftlichen Büchern üblicherweise angegeben wird. Dafür ist der hier definierte Zusammenhang korrekt, während der, der in den volkswirtschaftlichen Lehrbüchern aufgeführt ist, ein Bestands-Geldsystem voraussetzt und somit nicht unserer Realität eines Kredit-Geldsystems entspricht, also falsch ist. 2

Bank und damit letztlich zu gezahlten Löhnen und Gehältern W 2. Wir erhalten so die Zusammenhänge S + C = I + P = W + R =: Y, und kürzen die Summen S + C, I + P oder gleichwertig W + R mit dem Symbol Y (Yield) ab. Y wird Bruttoinlandsprodukt (BIP) genannt. Das Bruttoinlandsprodukt ist also die Summe aller Haushaltsausgaben S+C oder gleichwertig die Summe aller Unternehmenseinnahmen I +P oder schließlich die Summe aller Haushaltseinnahmen oder Unternehmensausgaben W +R. Wenn in einer Wirtschaft von Wachstum die Rede ist, dann ist stets das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts gemeint. Wir betrachten noch einmal die Gleichung Y = W + R. Zur Zeit wächst das Bruttoinlandsprodukt Y kaum noch, aber die Vermögen der Haushalte wachsen auf Grund der durch den Zinseszinseffekt wachsenden Zinserträge R an. Daraus folgt aber unmittelbar, dass die aggregierten Einkommen W der Ökonomie sinken müssen. Wir haben somit mühelos eine fundamentale Begründung für sinkende Löhne bzw. für Arbeitslosigkeit gefunden. Und wir verstehen auch, warum die Wirtschaft wachsen muss nicht etwa, damit es allen Haushalten,,besser geht, sondern damit die Lohnzahlungen gegenüber den Zinszahlungen ausreichend hoch gehalten werden können, damit also die Zinszahlungen nicht zu viel vom Bruttoinlandsprodukt beanspruchen und die unteren Haushaltsgruppen ihren Konsum noch finanzieren können. Dieser Wachstumszwang ist ein schwerwiegendes Problem unserer Geldordnung. Unser jetziger Wohlstand basiert zum Teil auf der immer noch vergleichsweise guten Verfügbarkeit von Erdöl, das einen außerordentlich hohen Energiegehalt besitzt. Wenn die Erdölreserven zur Neige gehen, dann wird vieles von dem, was jetzt leicht, preiswert und in großen Mengen mit Öl hergestellt werden kann, teurer und 2 Die Gleichung R H = R F ist insbesondere nicht dahingehend misszuverstehen, dass Kreditzins und Guthabenzins gleich sind, was selbstverständlich in der Regel nicht der Fall ist. knapper. Dies aber dürfte nicht nur kein Wachstum mehr verursachen, sondern im Gegenteil eine massive Schrumpfung. Unser derzeitiges Finanzsystem verkraftet aber nicht einmal nur geringes Wachstum, geschweige denn eine Schrumpfung. Ohne eine Änderung unserer Geld- und Wirtschaftsordnung wird spätestens das Ende des Ölzeitalters zum Kollaps unserer Wirtschaftssysteme führen. 2 Heterogene Haushalte Es gibt in einer Ökonomie große Unterschiede hinsichtlich des Einkommens, des Konsums und des Vermögens der Haushalte. Um dies zu berücksichtigen, teilen wir die Haushalte in gleich starke in sich homogene Gruppen ein. Jedem Haushalt jeder Gruppe werden einheitliche Werte für Einkommen, Konsum und Vermögen zugewiesen. Zur Erläuterung und Demonstration der Effekte, die unser Finanzsystem hervorbringt, betrachten wir in diesem Artikel nur drei Haushaltsgruppen, denen folgende Anfangsdaten zugeordnet werden: Gruppe Einkommen Konsum Vermögen 1 10 10 0 2 50 30 100 3 100 50 500 Tabelle 1: Anfangsdaten Wesentliche realistische Merkmale der drei Gruppen sind, dass die erste Gruppe wenig Vermögen und ein vergleichsweise geringes Einkommen besitzt, das annähernd zu 100% konsumiert wird. Die dritte Gruppe dagegen verfügt über ein hohes Einkommen und erhebliche Vermögen. Der Konsum ist bei dieser Gruppe absolut am höchsten, aber er beträgt deutlich weniger als das Einkommen dieser Gruppe. 3 Die Dynamische Analyse Unser Ziel ist, die zeitliche Entwicklung einer Modellökonomie zu simulieren, um den Einfluss wichtiger makroökonomischer Parameter, wie etwa Zinsen 3

und Wirtschaftswachstum zu studieren und zu veranschaulichen. Dabei betrachten wir die Entwicklung der Ökonomie von einem zum nächsten Jahr über einen vorgegebenen Zeitraum von Jahren. Auf die folgenden drei Fragen müssen für die Simulation Antworten mit Hilfe von Regeln spezifiziert werden: 1. Wie wächst der Gesamtkonsum von Jahr zu Jahr? 2. Wie wird der Gesamtkonsum auf die einzelnen Haushaltsgruppen aufgeteilt? 3. Wie wird das Gesamteinkommen auf die einzelnen Haushaltsgruppen aufgeteilt? Diese Regeln lassen sich nicht aus den Kreislaufdiagrammen ableiten, sondern sie sollten entweder auf empirischen Daten oder auf realistische Annahmen beruhen. Alle weiteren Simulationsschritte folgen dann jedoch zwingend, wie später erläutert werden wird. 3.1 Die drei Regeln der Dynamischen Analyse 1. Regel: Wachstum des Gesamtkonsums. Der Gesamtkonsum wächst mit dem Wirtschaftswachstum. In der Tabelle oben beträgt der Anfangskonsum der ersten Gruppe 10, der zweiten 30 und der dritten 50, zusammen also. Würde das Wirtschaftswachstum für das nachfolgende Jahr beispielsweise 10%, betragen, dann lautete der Gesamtkonsum in diesem Jahr nach dieser Regel also 99. 2. Regel: Aufteilung des Gesamtkonsums auf die Haushaltsgruppen. Der Gesamtkonsum wird proportional zur Anfangsverteilung auf die Haushaltsgruppen aufgeteilt. Verfügt eine Gruppe zu Beginn etwa über 11.11% des Gesamtkonsums, so auch zu jedem späteren Zeitpunkt. So hat die erste Gruppe zu Beginn einen Anteil von 10 = 11.11% am Gesamtkonsum. Die Anteile der zweiten und dritten Gruppe lauten 30 = 33.33% und 50 = 55.55% jeweils. Lautete der Gesamtkonsum im Folgejahr beispielsweise 99, dann verteilten sich nach dieser Regel die Konsumausgaben gemäß folgender Tabelle auf die einzelnen Gruppen: Gruppe Konsum pro Gruppe 1 99 11.11% = 11 2 99 33.33% = 33 3 99 55.55% = 55 Tabelle 2: Aufteilung des Gesamtkonsums von 99 auf die drei Haushaltsgruppen 3. Regel: Aufteilung der Gesamteinkommens auf die Haushaltsgruppen. (a) Das Gesamteinkommen der Ökonomie wird proportional zur Anfangsverteilung auf die Haushaltsgruppen aufgeteilt. Diese Regel ist analog zur Aufteilung des Gesamtkonsums auf die Haushaltsgruppen. Die erste Gruppe verfügt in unserem Beispiel zu Beginn über 10 160 = 6.25% des Gesamteinkommens der Ökonomie. Nach dieser Regel verfügte sie zu jedem Zeitpunkt über 6.25% des Gesamteinkommens. (b) Die Einkommen orientieren sich an der einkommensstärksten Haushaltsgruppe. Wir haben bereits erläutert, dass die Gesamteinkommen in einer Ökonomie bei zu geringem Wachstum sinken können. In diesem Fall führt Regel 3.(a) dazu, dass die Einkommen jeder Haushaltsgruppe abnehmen. Dies lässt sich aber empirisch nicht halten. Nach dem Spiegelartikel,,Der große Graben vom Dezember 2007 steigen die Einkommen der einkommensstärksten Haushaltsgruppen seit Jahren an, während die Einkommen der unteren Haushaltsgruppen sinken. Dies lässt sich dadurch modellieren, dass wir die Einkommen der einkommensstärksten Gruppe mit dem Wirtschaftswachstum mitwachsen lassen, 4

während die Einkommen der übrigen Gruppen so abgesenkt werden, dass die verfügbare Gesamtsumme der Einkommen resultiert. 3.2 Der Algorithmus der Dynamischen Analyse Wir beschreiben nun den Algorithmus der Dynamischen Analyse. Die Simulation benötigt zunächst eine Reihe von Anfangsdaten. Dann werden einige einleitende Rechnungen, die Initialisierungen, einmalig durchgeführt. Schließlich wird die eigentliche Simulation in einer Schleife Schritt für Schritt vom Anfangsbis zum betrachteten Endjahr durchgerechnet. Anfangsdaten Der Algorithmus benötigt als Anfangsdaten die Einkommen und den Konsum jeder Haushaltsgruppe für das Anfangsjahr der Simulation. Weiter müssen die Vermögen jeder Haushaltsgruppe für das Jahr vor dem Anfangsjahr vorgegeben werden, damit daraus die Zinserträge für das Anfangsjahr berechnet werden können. Ferner müssen die Zinssätze für die Kapitalverzinsung und das Wirtschaftswachstum jeweils in Prozent für jedes in der Simulation betrachtete Jahr festgelegt werden. Mit Symbolen kann dies wie folgt kurz beschrieben werden: W0, i C0, i V 1, i r t, y t für t = 0,..., T und i = 1,..., N. Dabei bezeichnet T die Anzahl der in der Simulation betrachteten Jahre und N die Anzahl der Haushaltsgruppen. Weiter bedeutet der untere Index die Zeit und der obere die Haushaltsgruppe, so dass also W i 0 das Einkommen der i-ten Gruppe zum Zeitpunkt 0 kennzeichnet. r t kennzeichnet hier die für jedes Jahr vorgegebenen Zinssätze und y t das vorgegebene jährliche prozentuale Wirtschaftswachstum. Initialisierungen Folgende Berechnungen müssen nun zu Beginn genau einmal durchgeführt werden: Berechnung der Zinsen R i 0, die jede Haushaltsgruppe im Anfangsjahr erhält, also R i 0 = r 0 V i 1. Berechnung der Beträge S i 0, die jede Haushaltsgruppe im Anfangsjahr sparen kann, also S i 0 = W i 0 + R i 0 C i 0. Berechnung der Vermögen V i 0 jeder Haushaltsgruppe im Anfangsjahr, also V i 0 = V i 1 + S i 0. Durch Summation über alle Haushaltsgruppen können nun die gesamten Zinserträge R 0, die gesamten Sparbeträge S 0, die Gesamtvermögen V 0, der Gesamtkonsum C 0 und die Gesamteinkommen W 0 der Ökonomie berechnet werden, also beispielsweise W 0 = W 1 0 + + W N 0, R 0 = R 1 0 + + R N 0. Berechnung des Bruttoinlandsprodukts Y 0, Y 0 = W 0 + R 0. Schleife über alle Jahre vom Anfangsjahr 1 bis zum betrachteten letzten Jahr T : Bestimmung des neuen Bruttoinlandsprodukts Y t aus dem alten Y t 1 mit Hilfe des Wachstumsfaktors y t, Y t = (1 + y t ) Y t 1. Bestimmung des neuen Gesamtkonsums C t aus dem alten C t 1 mit Hilfe von Regel 1, also hier mit Hilfe von y t, C t = (1 + y t ) C t 1. Bestimmung der Zinserträge Rt i jeder Haushaltsgruppe, Rt i = r t Vt 1. i Anschließend können die gesamten Zinserträge R t der Ökonomie durch Summation der Erträge R i t für jede Haushaltsgruppe berechnet werden. Berechnung des Gesamteinkommens W t der Ökonomie, W t = Y t R t. 5

Aufteilung des Gesamtkonsums C t und der Gesamteinkommen W t auf die Haushaltsgruppen nach den Regeln 2. und 3. Wir erhalten dann Ct i und Wt i für jeder Haushaltsgruppe i. Nun können für jede Haushaltsgruppe die Sparbeträge S i t berechnet werden, S i t = W i t + R i t C i t. Durch Summation über die Haushaltsgruppen erhalten wir die gesamten Sparbeträge S t der Ökonomie. Schließlich können die neuen Vermögen Vt i den alten Vt 1 i berechnet werden, V i t = V i t 1 + S i t. aus Durch Summation über alle Haushaltsgruppen erhalten wir das Gesamtvermögen V t der Ökonomie. Nun können alle Größen für den nächsten Zeitpunkt berechnet werden. Wenn der Endzeitpunkt erreicht wird, dann wird die Simulation beendet. Der Zinstransfer Die Sparzinsen werden mit Hilfe der Finanzierungskosten der Kreditnehmer gezahlt. In unserem Beispiel sparen, aggregiert betrachtet, die Haushalte, also müssen sich zwangsläufig die Unternehmen, aggregiert betrachtet, verschulden. Die Unternehmen legen aber ihre Kosten auf die Preise um, auch die Finanzierungskosten. Damit bezahlen alle Haushalte implizit über ihre Konsumausgaben die Kreditzinsen der Unternehmen. Betrachten wir dazu die Tabelle der Anfangsdaten der Dynamischen Analyse. Das aggregierte Anfangsvermögen der Ökonomie beträgt V 1 = 0 + 100 + 500 = 600. Angenommen der anfängliche Zinssatz liegt bei r 0 = 3%. Dann betragen die gesamten Zinserträge der Ökonomie zu Beginn R 0 = 600 3% = 18. Da die Geldvermögen den Schulden entsprechen, betragen die aggregierten Schulden der Ökonomie 600 und die aggregierten Zinskosten 18. Da wir den Staat als volkswirtschaftlichen Akteur hier nicht berücksichtigen, müssen die aggregierten Schulden allein von den Unternehmen getragen werden, die auch die Finanzierungskosten zu leisten haben. Die Zinskosten werden als Bestandteile der Gesamtkosten der von den Unternehmen hergestellten Güter und Dienstleistungen auf die Preise umgelegt und von den Haushalten über die Konsumausgaben finanziert. Zur Bestimmung der Zinszahlungen der einzelnen Haushaltsgruppen werden die gesamten Zinszahlungen nun proportional zum Anteil des Konsums jeder Gruppe am Gesamtkonsum C 0 = 10 + 30 + 50 = auf die Gruppen aufgeteilt. Wir erhalten damit für die Zinsanteile im Konsum für jede Gruppe: Gruppe Anteil am Konsum Zinskosten im Konsum 10 1 30 2 50 3 = 11.11% 18 11.11% = 2 = 33.33% 18 33.33% = 6 = 55.55% 18 55.55% = 10 Tabelle 3: Aufteilung der Zinskosten auf die drei Haushaltsgruppen proportional zu ihrem Anteil am Gesamtkonsum Die Zinserträge auf Ersparnisse für jede Gruppe lauten dagegen: Gruppe Vermögen Zinserträge 1 0 0 3% = 0 2 100 100 3% = 3 3 500 500 3% = 15 Tabelle 4: Zinserträge pro Haushaltsgruppe Die in den Konsumausgaben enthaltenen Zinskosten müssen gezahlt werden, während die Zinserträge eingenommen werden. Damit gilt für die Zinsbilanz: Gruppe Zinserträge - Zinskosten 1 0 2 = 2 2 3 6 = 3 3 15 10 = 5 Tabelle 5: Zinstransfer pro Haushaltsgruppe Wir sehen also, dass die vermögendste Gruppe eine positive Bilanz hat. Hier überwiegen trotz des hohen 6

Konsums die Zinserträge, während die beiden anderen Gruppen netto Zinszahler sind. Diese Situation ist charakteristisch für unser Geldsystem. Mit realistischen Zahlen gerechnet erhalten wir das Ergebnis, dass über 80% der Haushalte netto Zinszahler sind, während die vermögendsten 15%-20% der Haushalte netto Zinszahlungen empfangen. 4 Die Ergebnisse der Dynamischen Analyse Insgesamt lauten die Schlussfolgerungen aus der Dynamischen Analyse wie folgt: 1. Die aggregierten Sparguthaben einer Ökonomie entsprechen genau den aggregierten Schulden. Die Verzinsung von Sparkapital und der dadurch bedingte Anstieg der Sparguthaben erzwingt eine symmetrisch zunehmende Verschuldung und entsprechende Zinszahlungen der Unternehmen. 2. Wächst das Bruttoinlandsprodukt weniger stark als die Zinsanteile, so verringern sich die Einkommen in der Ökonomie. In diesem Fall fließt ein größerer Teil des Bruttoinlandsprodukts über Zinszahlungen an die Geldkapitaleigner, während sich der Lohnanteil entsprechend verringert. Damit erzwingen Bestrebungen, den Zinsanteil im Bruttoinlandsprodukt zu begrenzen, ein ständiges Wirtschaftswachstum. 3. Die Haushalte mit geringem Lohneinkommen können sich den Konsum bei wachsendem Zinsanteil im Bruttoinlandsprodukt zunehmend weniger leisten und verschulden sich schließlich. Dies kann als Verarmung oder als Beschäftigungslosigkeit charakterisiert werden. Die Verarmung eines zunehmend größeren Prozentsatzes der Haushaltsgruppen destabilisiert schließlich die Ökonomie. 4. Zinsen zahlt nicht nur derjenige, der einen Kredit aufgenommen hat. In die Preisen für Güter und Dienstleistungen sind alle Kosten der Unternehmen eingerechnet, auch die Finanzierungskosten. Damit sind in den Konsumausgaben auch die Zinskosten der Unternehmen enthalten. 5. Gruppen mit vergleichsweise geringem Vermögen verfügen über geringfügige oder keine Zinseinnahmen, zahlen aber über ihren Konsum soviel Zinsen, dass sie Netto-Zinszahler sind. Bei Gruppen vergleichsweise vermögender Haushalte überwiegen dagegen die Zinseinnahmen über die Zinszahlungen. Diese Gruppe besteht aus Netto-Zinsempfängern. Damit fließt in der Ökonomie ein stetiger Zinsstrom von den Netto-Zinszahlern zu den Netto- Zinsempfängern. In Anlehnung an Adam Smith lässt sich dieser Zinstransfer als eine andere unsichtbare Hand des Marktes bezeichnen. Es ist ein auf den ersten Blick nicht sichtbarer Umverteilungsmechanismus, dessen negative Auswirkungen bei hohen Wachstumsraten der Wirtschaft kaum erkennbar sind. Zerstörerisch wird dieser Mechanismus aber dann, wenn das Wachstum nachlässt. 6. Die zeitliche Entwicklung von Einkommen, Vermögen und Konsum bleibt für jede Haushaltsgruppe stabil, wenn der Zinssatz der Ökonomie auf Null gesetzt wird. 3 Dies gilt insbesondere auch dann, wenn das Wirtschaftswachstum nachlässt oder stagniert. Dieses Analyseverfahren wurde vom Autor in der Programmiersprache Java als Applet implementiert, so dass die Simulationen am Computer leicht mit realistischen Daten durchgeführt werden können 4. Darüber hinaus lässt sich das Modell so interpretieren, dass auch Investitionen in Sachkapital berücksichtigt werden. In diesem Fall sind die 3 Das übliche Argument, dass Konsumverzicht einen Zinsanspruch rechtfertigt, ist nicht stichhaltig. Gesparte Guthaben sind Gutscheine für die Leistungen einer Volkswirtschaft. Über die Hergabe der Gutscheine hinaus müssen bei der Einlösung keine weiteren Leistungen erbracht werden. Dies ist ein substanzieller Wert an sich, der nicht auch noch eine darüber hinausgehende Zinseinnahme ökonomisch rechtfertigt. Als Finanzprodukt hat Geld Züge einer amerikanischen Option mit unendlichem Fälligkeitszeitpunkt und variablem Underlying, nämlich einem Anteil an beliebigen Produkten der Volkswirtschaft. Amerikanische Optionen sind aber werthaltig und haben einen positiven Preis. 4 Das Applet sowie alle Quelltexte finden Sie unter www.rheinahrcampus.de/kremer. 7

Zinssätze r t als mittlere jährliche Geld- und Sachkapitalrenditen zu verstehen. Schließlich lässt sich die Dynamische Analyse um den Akteur Staat erweitern, so dass auch der Einfluss von Steuern berücksichtigt werden kann, siehe [1]. Jede der obigen Aussagen wird durch die Simulationsergebnisse bestätigt, und wir ziehen das Fazit: Die Verzinsung von Kapital hat nur dann langfristig keine destabilisierende ökonomische Wirkung, wenn die Wirtschaft stetig und zeitlich unbeschränkt, d.h. exponentiell, wächst. Aufgrund der Endlichkeit der Ressourcen der Erde ist ständiges Wachstum jedoch weder wünschenswert noch möglich. Wenn eine Wirtschaftsordnung langfristig stabil bleiben soll, dann muss sie sich vom Konzept der unbegrenzten Vermögenszunahme verabschieden. Es mag in unserer Ökonomie vieles verbesserungswürdig sein, wenn aber die hier vorgestellte Modellierung wesentliche Aspekte der Realität widerspiegelt, dann kann kein volkswirtschaftliches Reformvorhaben auf lange Sicht erfolgreich sein, wenn zuvor nicht die durch die unbegrenzte Verzinsung von Geld- und gewinnbringenden Sachvermögen verursachten Probleme verstanden und gelöst worden sind. Literatur [1] Jürgen Kremer (2012). Grundlagen der Ökonomie Geldsysteme, Zinsen, Wachstum und die Polarisierung der Gesellschaft, Metropolis. 8