Kulturgerechte Gestaltung von betrieblichen Veränderungsprojekten mit einem unternehmenskybernetischen Ansatz



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Transkript:

Kulturgerechte Gestaltung von betrieblichen Veränderungsprojekten mit einem unternehmenskybernetischen Ansatz Von der Fakultät für Maschinenwesen der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Naturwissenschaften genehmigte Dissertation vorgelegt von Thilo Münstermann Berichter: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Klaus Henning Univ.-Prof. Dr.rer.nat. Sabina Jeschke Tag der mündlichen Prüfung: 10.06.2011

Thilo Münstermann Kulturgerechte Gestaltung von betrieblichen Veränderungsprojekten mit einem unternehmenskybernetischen Ansatz Stichwörter: Change-Management, Unternehmenskultur, Unternehmenskybernetik Ausgangspunkt dieser Arbeit ist das häufige Scheitern von betrieblichen Veränderungsprojekten, welches zum Teil auf die mangelnde Berücksichtigung unternehmenskultureller Einflüsse zurückzuführen ist. Gegenstand der Arbeit ist die Entwicklung eines Ansatzes zur Abschätzung der Auswirkungen von Unternehmenskulturmerkmalen auf das Gelingen und zur kulturgerechten Gestaltung von Veränderungsprojekten. Copyright Thilo Münstermann, 2011 1. Auflage, BOD Verlag 2011 Herstellung und Verlag Books on Demand GmbH, Norderstedt www.bod.de D 82 (Diss. RWTH Aachen University, 2011) ISBN 978-3-8423-6441-7 Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Unternehmenskybernetik (IfU) an der RWTH Aachen. Dabei habe ich vom gedanklichen Austausch und vielen Diskussionen profitiert und möchte mich bei all denen bedanken, die zum Entstehen dieser Arbeit beigetragen haben. Mein Dank gilt zunächst meinem Doktorvater Klaus Henning, der als Verfechter von interdisziplinärem Arbeiten meine Promotion in dieser Form ermöglicht hat und mit den Instituten IMA, ZLW und IfU in Aachen ein einzigartiges Lern- und Arbeitsumfeld geschaffen hat. Frau Prof. Dr. rer. nat. Sabine Jeschke danke ich herzlich für die Übernahme des Koreferats sowie Herrn Prof. Dr.-Ing. Lutz Eckstein für den Vorsitz der Promotionskommission und Herrn Prof. Dr.-Ing. Robert Schmitt für den Beisitz. Herzlichen Dank an meine Mentorin Christiane für die vielen fruchtbaren Gespräche im Exil und an Paul für die große Unterstützung und tolle Zusammenarbeit. Großer Dank gebührt den Freunden, Zuhörern, Mitdenkern, Korrekturlesern und Denkanstoßgebern Alexander, Eckart, Frank, Philipp, Sabine, Sebastian und Sven sowie Alexandra und Sarah für die tolle Zusammenarbeit in unserem Projekt. Und schließlich den größten Dank an meine wunderbare Frau Denise, die mit mir fünf Jahre Fernbeziehung durchgestanden hat und der besten Familie, die ich mir wünschen konnte. Aachen, im Juni 2011 Thilo Münstermann i

Konventionen Einfache Anführungszeichen kennzeichnen umgangssprachliche Ausdrücke. Doppelte Anführungszeichen kennzeichnen Zitate. Zur Hervorhebung von Begriffen oder zusammenhängender Wortgruppen werden diese kursiv dargestellt. Werden innerhalb eines Absatzes zentrale Begriffe ohne eigenes Unterkapitel erläutert, sind diese fett markiert. >> Zentrale Punkte und kurze Zusammenfassungen innerhalb eines Kapitels werden auf diese Weise hervorgehoben. In Grafiken zum Vorgehen oder zum Ansatz dieser Arbeit gilt folgende Farbcodierung: Förderverweis / Forschungsprojekt Teile der Ergebnisse dieser Arbeit entstanden im Rahmen des Forschungsprojektes Culture Based Change (CuBa Change) Qualitätsorientierte Absicherung und Durchführung von Change Prozessen unter Berücksichtigung kritischer Unternehmenskulturmerkmale. Das IGF-Vorhaben (15593 N/1) der Forschungsvereinigung Forschungsgemeinschaft Qualität e.v. (FQS) wurde über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Die durchführenden Forschungsstellen waren das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen und das Institut für Unternehmenskybernetik an der RWTH Aachen (IfU). ii

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung... 1 1.1 Problemstellung und Zielsetzung... 1 1.2 Forschungsfragen und Grundannahmen... 3 1.3 Eingrenzung des Forschungsvorhabens... 5 1.4 Vorgehensweise zur Beantwortung der Forschungsfragen... 10 2. Unternehmenskybernetische Grundlagen... 17 2.1 Begründung für einen unternehmenskybernetischen Ansatz... 17 2.2 Systemperspektive mit dem OSTO Systemmodell... 19 2.2.1 Einführung... 19 2.2.2 Grundsätze der Systemtheorie... 20 2.2.3 Auswahl eines Systemmodells... 22 2.2.4 Das OSTO Systemmodell... 28 2.3 Weitere unternehmenskybernetische Prinzipien... 31 2.4 Zwischenfazit... 33 3. Change-Management... 35 3.1 Überblick... 35 3.2 Definition und Eingrenzung... 36 3.3 Change im OSTO Systemmodell... 40 3.4 Phasen von Change-Projekten... 43 3.5 Erfolgskriterien... 46 3.6 Typologien von Change-Projekten... 50 3.7 Zusammenfassung... 53 4. Unternehmenskultur Modelle und Merkmale... 55 4.1 Überblick... 55 4.2 Definition und Eingrenzung... 55 4.3 Unternehmenskultur im OSTO Systemmodell... 61 4.4 Modelle für Veränderungskultur... 67 4.5 Relevante Unternehmenskulturmerkmale in Change-Projekten... 71 4.5.1 Suchkriterien zur Literaturrecherche... 71 4.5.2 Kategorie: Führung... 72 4.5.3 Kategorie: Mitarbeiter... 75 4.5.4 Kategorie: Politik und Strategie... 77 4.5.5 Kategorie: Ressourcen und Partner... 78 4.5.6 Kategorie: Prozesse... 79 4.6 Zusammenfassung... 80 iii

5. Qualitatives Modul: CuBa Change Diagnose... 83 iv 5.1 Überblick... 83 5.2 Anforderungen an ein Diagnoseverfahren... 84 5.3 Eignung bestehender Verfahren zur Unternehmenskulturanalyse... 85 5.4 Das OSTO Diagnoseverfahren... 86 5.5 Entwicklung des CuBa Change Diagnoseverfahrens... 88 5.5.1 Überblick... 88 5.5.2 Schritt 1: Systemgrenze definieren... 90 5.5.3 Schritt 2: Folgen der Veränderung / Outputs... 91 5.5.4 Schritt 3: Verhalten im Change-Projekt... 93 5.5.5 Schritt 4: Zugrundeliegende Unternehmenskulturmerkmale... 93 5.6 Exemplarische Ergebnisse der qualitativen Diagnosen... 95 5.7 Zusammenfassung... 99 6. Quantitatives Modul: Statistische Daten... 102 6.1 Überblick... 102 6.2 Ziele der Studie... 103 6.3 Design des Fragebogens... 104 6.3.1 Zielgruppe... 104 6.3.2 Anforderungen... 105 6.3.3 Grobkonzept des Fragebogens... 107 6.3.4 Präzisierung der zu untersuchenden Items... 109 6.3.5 Zentrale Fragen... 112 6.4 Durchführung der Online-Befragung... 118 6.5 Ergebnisse... 120 6.5.1 Einführung & Erläuterungen zur Auswertung... 120 6.5.2 Teilnehmeranalyse... 121 6.5.3 Einfache Statistiken... 123 6.5.4 Korrelationskoeffizienten von Unternehmenskulturmerkmalen und Projekterfolg... 128 6.5.5 Ergebnisse über die gesamte Stichprobe... 136 6.5.6 Korrelationsmatrix mit allen Change-Typen... 141 6.5.7 Change-Typ Reorganisation/Restrukturierung... 145 6.5.8 Change-Typ Produktivitätssteigerung... 147 6.5.9 Change-Typ Kostensenkungsprogramme... 149 6.5.10 Change-Typ Einführung neuer IT... 151 6.6 Bewertung und Zusammenfassung der Ergebnisse... 154 6.6.1 Einordnung der Ergebnisse... 154 6.6.2 Zusammenfassung der Studienergebnisse... 156 6.6.3 Vergleich der quantitativen und qualitativen Ergebnisse... 158 7. Vorgehen zur kulturgerechten Gestaltung von Change-Projekten... 161 7.1 Überblick... 161 7.2 Schritt 1: Entscheiden... 162 7.3 Schritt 2: Vorbereiten... 164 7.4 Schritt 3: Gestalten... 167 7.5 Schritt 4: Umsetzen... 169 7.6 Schritt 5: Absichern... 170 7.7 Zusammenfassung... 171

8. Validierung des unternehmenskybernetischen Ansatzes... 173 8.1 Einleitung des Praxisbeispiels... 173 8.2 Anwendung... 174 8.2.1 Schritt 1 Entscheiden... 174 8.2.2 Schritt 2 Vorbereiten... 174 8.2.3 Schritt 3 Gestalten... 181 8.2.4 Schritt 4 und 5 Umsetzen und Absichern... 183 8.3 Bewertung... 183 9. Weiterer Forschungsbedarf... 185 10. Zusammenfassung... 188 11. Verzeichnisse... 190 11.1 Literaturverzeichnis... 190 11.2 Abbildungsverzeichnis... 203 11.3 Tabellenverzeichnis... 206 11.4 Formelverzeichnis... 206 11.5 Abkürzungsverzeichnis... 207 12. Anhang... 208 12.1 Online Fragebogen... 208 12.1.1 Zuordnung der untersuchten Unternehmenskulturmerkmale... 208 12.1.2 Zeitlicher Ablauf der Studie... 209 12.1.3 Vollständiger Online-Fragebogen der Studie... 211 12.1.4 Liste der zusätzlich genannten Change-Typen... 221 12.1.5 Liste der zusätzlich genannten Kulturmerkmale... 223 12.1.6 Ergebnisse Frage E und F Betroffene Unternehmensteile und Auslöser 227 12.1.7 Varianzaufklärung der Studienergebnisse... 228 12.2 Software-Tool... 233 12.2.1 Ziel und Ergebnisse der Anforderungserhebung... 233 12.2.2 Schritte des Softwaretools... 235 12.2.3 Detailkonzeption für Umsetzung mit Microsoft Excel 2003/VBA... 243 12.3 Validierung des Vorgehensmodells... 245 12.3.1 Visualisierung der Workshop Ergebnisse (Fallbeispiel 1)... 245 12.3.2 Visualisierung der Workshop Ergebnisse (Fallbeispiel 2)... 246 12.3.3 Visualisierung der Workshop Ergebnisse (Fallbeispiel 3)... 247 v

vi

1. Einleitung 1. Einleitung 1.1 Problemstellung und Zielsetzung Organisationen insbesondere in internationalen Wirtschaftsräumen agierende Unternehmen müssen immer schneller auf sich verändernde Anforderungen reagieren. Damit sind Veränderungen der internen Arbeitsabläufe zu einem der zentralen Managementthemen avanciert. Das erfolgreiche Durchführen von Change-Projekten 1 entscheidet über das Bestehen am Markt und mehr und mehr wird erkannt, dass Change-Phasen nicht als Ausnahmezustand begriffen werden dürfen, sondern zum ständigen Begleiter von Arbeitsprozessen geworden sind 2. Folgerichtig wird dem Management von Change sowohl von Seiten der Wissenschaft als auch von Seiten der Praxis eine hohe Aufmerksamkeit geschenkt und entsprechende Lehrangebote sind fest in den Curricula vieler Studiengänge verankert. Phasenmodelle, zahlreiche Methoden und Best-Practice-Beispiele bieten das Handwerkszeug, um Change-Projekte erfolgreich durchzuführen. Dennoch zeigen verschiedene Untersuchungen, dass zwischen 50% und 75% aller Veränderungsprojekte die gesteckten Ziele nicht erreichen 3. Erhöhte Kosten, Verzögerungen und unbefriedigende Umsetzung bis hin zu vollständigem Abbruch bilden die Normalität vieler Change-Projekte. Ein Grund dafür kann die mangelnde Berücksichtigung der Unternehmenskultur kurz gesagt der impliziten Regeln, nach denen ein Unternehmen tickt sein. Und tatsächlich existieren wenig praxisgerechte Methoden und Herangehensweisen, um den Faktor Unternehmenskultur zielgerichtet in das Management von Change-Projekten einzubeziehen. So steht die Kulturanalyse in einer aktuellen Change-Management Studie an erster Stelle der Tools, die sich Führungskräfte für ein erfolgreiches Change-Management wünschen (Abbildung 1). 1 Die Begriffe Change und Veränderung werden synonym verwendet, um weder das eingängige deutsche Wort Veränderung auszulassen, noch dem gängigen Sprachgebrauch der Forschungsrichtung Change- Management entgegen zu treten. 2 Vgl. Schreyögg/Conrad 2000. 3 Vgl. Jost 2003, Schreyögg 2000. 1

1. Einleitung Abbildung 1: Wünschenswerte Tools für das Change-Management (Ausschnitt, Quelle: Capgemini Consulting 2008) Veränderungsprojekte zeichnen sich im Gegensatz zu vielen anderen Projektarten (wie Produktinnovations- oder Entwicklungsprojekte) dadurch aus, dass es Betroffene gibt, von denen erwartet oder verlangt wird, Teile ihrer täglichen Arbeitsroutine dauerhaft zu verändern 4. Dies alleine löst in aller Regel Widerstände aus, da Menschen sich generell nach Routinen und Stabilität sehnen 5. Dem versucht modernes Change-Management mit gezielter offener Kommunikation und starker Partizipation aller Beteiligten zu begegnen 6. Neben den offensichtlichen Arbeitsabläufen gibt es aber in jeder Organisation auch implizite Handlungsmuster, die den Menschen Orientierung bei der Frage bieten, wie die Dinge hier gemacht werden. Ob man Kollegen eher duzt oder siezt, ob bei Entscheidungen immer streng die Hierarchie eingehalten werden muss oder welches Verhalten die Führungskräfte vorleben sind beispielsweise Merkmale, die längst nicht in jedem Unternehmen gleich sind. Eine Unternehmenskultur besteht aus vielen solchen Merkmalen und kann entscheidend dafür sein, ob eine geplante Veränderung zum Unternehmen passt, ob die Projektstruktur und die Methoden wirksam sind und wie sich Widerstände der Mitarbeiter äußern. Dabei können einzelne Merkmale hemmend oder auch fördernd sein, sie können sich also zum Hindernis oder zum Treiber der gesamten Veränderung entwickeln. Daher wurde Unternehmenskultur zu einem der Schlagwörter bei der Einbeziehung der so genannten weichen Faktoren in das Management von Organisationen 7. Doch die wenig präzise Natur des Phänomenbereichs Unternehmenskultur macht es schwierig, die Kultur eines Unternehmens zu beurteilen oder konkrete, praxisrelevante Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. 4 Vgl. Definition in Kapitel 3.2. 5 Vgl. Cacaci 2006: S. 44. 6 Vgl. Sanders 2005 und Reiche 2007. 7 Vgl. Deal/Kennedy 2000, Kotter et al. 1993 und Peters/Waterman 2003. 2

1. Einleitung Unfortunately, the definitions of culture that are the most inclusive are also the most esoteric and unwieldy to the manager. They cause many managers to shrug at the prospect of ever understanding or managing culture. (Hanna 1988: S. 42) Für eine kulturgerechte Gestaltung 8 von Veränderungen wäre es für Führungskräfte und Change-Manager daher hilfreich, wenn sie die Relevanz von unternehmenskulturellen Merkmalen besser einschätzen könnten. Welche Merkmale der eigenen Unternehmenskultur können fördernd oder hemmend für eine geplante Veränderung sein? Eine derartige Frage wird meist eher aus dem Bauch heraus entschieden als durch eine gezielte Analyse oder auf Basis bestehender empirischer Erkenntnisse beantwortet. In dieser Arbeit wird ein unternehmenskybernetischer Ansatz entwickelt, um den Faktor Unternehmenskultur in operationalisierter Form in das Management von Change-Projekten integrieren zu können. Dazu wird zum einen aufgezeigt, wie Erkenntnisse über den Zusammenhang von Unternehmenskultur und dem Erfolg von Change-Projekten gewonnen werden können. Zum anderen wird untersucht, ob sich eine wiederkehrende fördernde oder hemmende Wirkung einzelner Kulturmerkmale über verschiedene Projekte hinweg beobachten lässt. Systemtheorie und Unternehmenskybernetik bilden dazu den wissenschaftlichen Bezugsrahmen, um Erkenntnisse verschiedener Forschungsdisziplinen zu integrieren und wiederkehrende Muster und Prinzipien zu beschreiben. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Der Grund für die Existenz dieser Dissertation ist das Bedürfnis von Führungskräften und Beratern nach einem Ansatz, die Relevanz von Unternehmenskulturmerkmalen einschätzen und für den Erfolg von betrieblichen Veränderungsprojekten nutzbar zu machen. 1.2 Forschungsfragen und Grundannahmen Aus dem oben formulierten Existenzgrund lassen sich für diese Arbeit folgende zentrale Forschungsfragen (FF) ableiten: FF1: Wie kann der Zusammenhang von Unternehmenskulturmerkmalen und dem Erfolg von Change-Projekten praxisgerecht ermittelt werden? 8 Eine Arbeitsdefinition für kulturgerechtes Change-Management erfolgt in Kapitel 1.3. 3

1. Einleitung FF2: Was sind relevante Unternehmenskulturmerkmale, die fördernde oder hemmende Wirkung 9 auf Change-Projekte entfalten und variiert diese Wirkung bei unterschiedlichen Typen von Change-Projekten? FF3: Wie muss ein Ansatz gestaltet sein, der Führungskräften und Beratern die Ermittlung der relevanten Unternehmenskulturmerkmale in einem Projekt ermöglichen soll? Diese Forschungsfragen und die gesamte vorliegende Arbeit basieren auf folgenden Grundannahmen (GA): GA1: Unternehmenskulturmerkmale können in einem Change-Projekt fördernde oder hemmende Wirkung für die erfolgreiche Durchführung haben (vgl. Schulz 2009: S. 10, Cacaci 2006: S. 112). GA2: Nicht alle Merkmale einer Unternehmenskultur sind in gleichem Maße relevant für den Erfolg von Change-Projekten. Es gibt vielmehr wenige Merkmale, die den Erfolg entscheidend mit beeinflussen (vgl. Stadler 2004: S. 124, Schwanke 2009: S. 56). GA3: Es gibt nicht die eine Veränderungskultur, sondern unterschiedliche Veränderungen funktionieren in unterschiedlichen Unternehmenskulturen besser oder schlechter (vgl. Lauer 2010: S. 30, Kilian et al. 2008: S 75) 10. GA4: Kulturveränderung ist ein schwieriger und langwieriger Prozess (vgl. Schreyögg 1999: S. 466 ff., Hafen et al. 2000: S. 90). Andere Arten von Veränderung (wie Reorganisation, Produktivitätssteigerung oder Einführung neuer IT) sind jedoch häufig zeitnah notwendig und müssen daher im Rahmen der vorherrschenden Unternehmenskultur möglichst erfolgreich umgesetzt werden. Eine aktive kulturgerechte Gestaltung dieser Projekte erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit (vgl. Goltsche 2006: S. 159, Lauer 2010: S. 51, Schulz 2009: S. 10). 9 Der Begriff Wirkung ist in diesem Zusammenhang schwierig. Nur bei einer qualitativen Einzelfallanalyse kann wirklich die Wirkung validiert werden. Tatsächlich handelt es sich meist um positive oder negative Korrelationen mit dem Projekterfolg (vgl. Kapitel 6.5.4 6.5.10). Zur Gewährleistung einer eingängigen Sprache wird hier und im Folgenden der Arbeit jedoch von fördernder und hemmender Wirkung gesprochen. 10 Diese Grundannahme ist gleichzeitig eine Hypothese, die durch die quantitative Studie (vgl. Kapitel 6) in dieser Arbeit bestätigt wurde. 4

1. Einleitung Alle nachfolgenden Untersuchungen basieren auf diesen Annahmen. Sie werden in dieser Arbeit nicht vollständig verifiziert oder falsifiziert, sondern bilden die Grundannahmen für alle weiteren Überlegungen. 1.3 Eingrenzung des Forschungsvorhabens Zur Eingrenzung der vorliegenden Arbeit wird im Folgenden zunächst erläutert, was mit kulturgerechtem Change-Management gemeint ist und anschließend eine Abgrenzung zur Forschung an Veränderungskultur und expliziter Kulturveränderung vorgenommen. Kulturgerechtes Change-Management Kulturgerechtes Change-Management kann prinzipiell auf zwei Möglichkeiten abzielen: Entweder wird das Vorgehen innerhalb eines Veränderungsprojektes an eine bestehende Unternehmenskultur angepasst, so dass fördernde Merkmale der Kultur aktiv genutzt werden und hemmenden Merkmalen der Kultur mit entsprechenden Maßnahmen begegnet wird. Oder es wird darauf geachtet, ob das angestrebte Ziel der Veränderung also der neue Zustand eines Unternehmens nach einem Veränderungsprojekt kompatibel zur bestehenden Unternehmenskultur ist. Diese beiden Möglichkeiten werden im Folgenden als kulturgerechtes Vorgehen und kulturkompatibles Veränderungsziel bezeichnet. Die kulturgerechte Gestaltung bezieht sich auf den Veränderungsprozess (Transformation) und das kulturkompatible Ziel auf den angestrebten Soll-Zustand (Abbildung 2). Abbildung 2: Change-Projekte als Transformationsprozess zur Einordnung von kulturgerechtem Vorgehen vs. kulturkompatiblen Veränderungsziel 5

1. Einleitung >> Kulturgerechtes Change-Management beinhaltet zwei Gesichtspunkte. Ein kulturgerechtes Vorgehen bezieht sich auf die Maßnahmen und das Vorgehen während des Projektes. Ein kulturkompatibles Veränderungsziel bezieht sich darauf, wie gut der angestrebte Soll-Zustand der Veränderung zur bestehenden Unternehmenskultur passt. Als kulturgerechtes Vorgehen werden also alle Maßnahmen während des Veränderungsprojektes bezeichnet, die gezielt die bestehende Unternehmenskultur berücksichtigen und nutzen. Ein kulturgerechtes Vorgehen in Change-Projekten sieht der Autor dieser Arbeit als erfolgsförderlich und grundsätzlich in jedem Veränderungsprojekt erstrebenswert an. Die vorliegende Arbeit bezieht sich hauptsächlich auf diese Form des kulturgerechten Change-Managements. Ein kulturkompatibles Veränderungsziel hingegen ist nicht für jedes Projekt möglich. Viele Change-Projekte zielen darauf ab, bestehende Verhaltensmuster aufzubrechen und neue Prozesse zu etablieren. Dies kann durch vielfältige Gründe (wie beispielsweise Kostensenkung oder Erhöhung der Servicequalität) notwendig bzw. von der Unternehmensleitung gewollt sein. Es ist also ggf. das Ziel eines Veränderungsprojektes, die bestehende Unternehmenskultur aufzubrechen und zu verändern, so dass es per se nicht mehr kulturkompatibel (in Bezug auf die bestehende Kultur) sein kann. In diesem Fall sollten die Entscheider sich zum einen bewusst sein, dass Menschen von ihren gewohnten Verhaltensmustern abweichen müssen und zum anderen, wie stark diese Muster verankert sind. Diese zweite Form des kulturgerechten Change-Managements ist somit optional, denn es kann notwendig sein, bestehende Verhaltensmuster aufzubrechen. In diesem Fall spricht man von einer gezielten Kulturveränderung. Dennoch kann es sinnvoll sein zu überprüfen, wie gut ein angestrebtes Veränderungsziel (Soll-Zustand) mit der bestehenden Unternehmenskultur kompatibel ist. So gibt es beispielsweise bei der Einführung neuer IT häufig mehrere alternative Lösungen, um eine gewünschte Funktionalität zu erhalten. Neben den für eine solche Entscheidung häufig berücksichtigten Faktoren wie Anschaffungskosten, Funktionsumfang, Systemintegration, Wartungskosten etc. kann die Kulturkompatibilität ein entscheidender Faktor sein, der selten gezielt berücksichtigt wird. Wenn beispielsweise Funktionen einer neuen Software nicht genutzt werden, weil sie einfach nicht den Verhaltensweisen und Denkmustern der 6

1. Einleitung Mitarbeiter entsprechen, kann eine Kosten-Nutzen-Analyse basierend auf Preis und Funktionsumfang schnell zu falschen Schlüssen verleiten. Nach dieser Unterteilung in kulturkompatibles Veränderungsziel und kulturgerechtes Vorgehen lassen sich vier Ausprägungen von kulturgerechtem Change-Management unterscheiden (Abbildung 3). Abbildung 3: Ausprägungen von kulturgerechtem Change-Management >> Ein kulturgerechtes Vorgehen in Change-Projekten ist generell erstrebenswert, worauf auch der in dieser Arbeit entwickelte Ansatz hauptsächlich abzielt. Ein kulturkompatibles Veränderungsziel ist nicht immer möglich, aber es sollte bei der Entscheidung zu einer Veränderung zumindest bedacht werden, wie gut der angestrebte Soll-Zustand mit der Unternehmenskultur vereinbar ist. Abgrenzung zur Erforschung von Veränderungskultur und Kulturveränderung Es wird in dieser Arbeit nicht erforscht, wie eine optimale Veränderungskultur aussehen müsste, also eine Kultur, die sämtliche Arten von Veränderung optimal unterstützt. Hinweise aus der Literatur auf die Merkmale einer solchen Kultur werden in Kapitel 4.4 jedoch diskutiert. Die in Kapitel 6.5 dargestellten Ergebnisse zu fördernden und hemmenden Merkmalen von Unternehmenskulturen geben ebenfalls Hinweise auf wichtige Merkmale einer solchen Veränderungskultur. Es ist jedoch zu beachten, dass zur vollständigen 7

1. Einleitung Beantwortung dieser Frage ein Modell notwendig wäre, das alle Dimensionen von Unternehmenskultur abdeckt. Unter einer systemtheoretischen Perspektive 11 kann jedoch generell angezweifelt werden, ob eine Veränderungskultur für Unternehmen erstrebenswert ist. Es wird davon ausgegangen, dass ein bestehendes Unternehmen mit seinen Produkten oder Dienstleistungen am Markt erfolgreich ist und die Veränderung lediglich eine Optimierung oder Weiterentwicklung darstellt 12. Normalerweise begünstigt die bestehende Unternehmenskultur eben genau die Fähigkeit, diese Produkte und/oder Dienstleistungen erfolgreich bereit zu stellen. Both companies are successful, yet in certain respects their cultures are almost totally different. (Schein 1985: S. 13) Jede Veränderung der Kultur beeinflusst auch diese Fähigkeit und kann somit gewollte aber auch ungewollte Auswirkungen haben. Systemtheoretisch lässt sich dies mit dem wichtigen Leitsatz All organizations are perfectly designed to get the results they get (Hanna 1988: S.36) begründen. Hanna will damit sagen, dass alle (gewollten wie ungewollten) Outputs eines Unternehmens genau so zustande kommen, wie sie zustande kommen, weil das Unternehmen mit exakt diesen Mitarbeitern, Maschinen, Strukturen, Führungsprinzipien, usw. und der damit verbundenen Kultur aufgestellt ist. So entstehen sämtliche Produkte und Dienstleistungen aus dem komplexen Zusammenspiel dieser Faktoren und jede Änderung von Rahmenbedingungen für den Arbeitsprozess kann vielfältige Folgen haben. Turner und Crawford (1998) fanden in einer Untersuchung ebenfalls heraus, dass die Eigenschaften, die eine Organisation zu schneller Veränderung befähigen, grundsätzlich andere sind, als diejenigen, die das produktive Alltagsgeschäft begünstigen. Weiterhin wird an dieser Stelle noch einmal explizit darauf hingewiesen, dass sich die vorliegende Arbeit nicht mit gezielter Kulturveränderung auseinandersetzt, was durch die Ähnlichkeit des Projekttitels Culture Based Change (CuBa Change) mit dem Begriff Culture Change 13 häufig angenommen wird. Es wird davon ausgegangen, dass es viele 11 Das hier zugrunde gelegte Systemmodell wird in Kapitel 2.2 eingeführt. 12 Der Fall, dass ein Unternehmen am Markt nicht bestehen kann und (z. B. mit Hilfe eines neuen Eigentümers oder Investors) komplett restrukturiert wird und völlig neue Produkte oder Strategien entwickelt werden, stellt hingegen eine so radikale Veränderung dar, dass die hier entwickelten Methoden und Erkenntnisse nicht unbedingt anwendbar sind. 13 Vgl. Bate 1996. 8

1. Einleitung Veränderungsvorhaben gibt, deren primäres Ziel nicht in einer Veränderung der Kultur, sondern in einer Veränderung von Arbeitsabläufen besteht 14. Auch solche Veränderungen bringen selbstverständlich häufig eine Kulturveränderung mit sich, allerdings wird diese eher als Nebeneffekt oder auch Rückwirkung der Veränderung angesehen. Dementsprechend wird nicht bestritten, dass Veränderungsprojekte aller Art eine Auswirkung auf die Unternehmenskultur haben (können). Der Fokus dieser Arbeit liegt jedoch darauf, wie solche Veränderungsvorhaben im Kontext einer bestehenden Kultur erfolgreich durchgeführt werden können (vgl. GA4). More and more management consultants are recognizing these types of problems and are noting explicitly that [ ] a company must analyze its culture and learn to manage within these boundaries [ ]. (Schein 1985: S.33) Kurz gesagt: Das Ziel besteht nicht darin, die Kultur anzupassen, damit die gewünschte Veränderung erfolgreich ist, sondern die Planung und Durchführung eines Veränderungsprojektes so anzupassen, dass es in einer gegebenen Unternehmenskultur erfolgreich ist. Diese Herangehensweise ist dadurch begründet, dass (zumindest umfangreiche) Kulturveränderungen ein langwieriger Prozess sind (vgl. Pullig 2000: S. 199 ff., Schein 1985: S. 5) und vielfach ein kurzfristiger Bedarf besteht, Arbeitsabläufe oder Strukturen zu verändern. Es steht also häufig nicht die Zeit zur Verfügung, die eine entsprechende Kulturveränderung bräuchte. Mit dem Thema der gezielten Kulturveränderung und den dazugehörigen Erfolgsstrategien und Methoden beschäftigen sich u. a. Bate (1996), Weiner/Ronch (2003), Jost (2004) und Alvesson/Sveningsson (2007). >> In dieser Arbeit wird weder nach den Merkmalen einer optimalen Veränderungskultur gesucht noch gezielte Kulturveränderung in Unternehmen behandelt. 14 Der Unterschied einer gezielten Kulturverändung zu den hier untersuchten Veränderungsvorhaben ist vor allem darin zu erkennen, wie der gewünschte Zielzustand nach der Veränderung definiert ist. Wird ein Projekt angestoßen, dessen Ziel es ist, dass die Mitarbeiter aller Ebenen mehr eigenverantwortliches Qualitätsbewusstsein entwickeln und umsetzen, so handelt es sich um eine Kulturveränderung. Besteht das Ziel darin, ein Qualitätsmanagement-Modell einzuführen und den dauerhaften Einsatz sicherzustellen, so handelt es sich um ein Change-Projekt im hier untersuchten Sinne. 9

1. Einleitung Ebenfalls wird nicht untersucht, welche Methoden des Veränderungsmanagements in Abhängigkeit von kulturellen Rahmenbedingungen besonders wirksam eingesetzt werden können. Dies war die zweite zentrale Fragestellung des Forschungsprojektes Culture Based Change 15, in dessen Rahmen die Ergebnisse dieser Arbeit entstanden sind, und wird in einer weiteren, in Entstehung befindlichen Arbeit 16 behandelt werden. Nachdem Forschungsfragen, grundlegende Annahmen und Eingrenzungen diskutiert worden sind, wird im Folgenden die Vorgehensweise und die Gliederung der Arbeit vorgestellt. 1.4 Vorgehensweise zur Beantwortung der Forschungsfragen Qualitativ-quantitativer Ansatz Das Ziel dieser Arbeit besteht in der Entwicklung eines unternehmenskybernetischen Ansatzes, der Führungskräfte und Berater dabei unterstützt, die Relevanz von Unternehmenskulturmerkmalen einschätzen und relevante Merkmale für den Erfolg von betrieblichen Veränderungsprojekten nutzbar machen zu können. Wie u. a. Flachskampf (2011) gezeigt hat, eignen sich systemorientierte Perspektiven und unternehmenskybernetische Prinzipien (vgl. Kapitel 2), um komplexe Problemstellungen in Unternehmen auf unterschiedlichen Rekursionsebenen zu bewältigen. Unterreitmeier/Schwaiger (2006: S. 962 ff.) betonen, dass quantitative wie qualitative Verfahren zur Analyse von Unternehmenskultur gleichermaßen bedeutend sind. Daher wird in dieser Arbeit ein Ansatz vorgestellt, der eine Kombination aus qualitativer und quantitativer Analyse enthält und kybernetische Prinzipien berücksichtigt, um eine umfassende Analyse der Auswirkung von Unternehmenskultur in Change-Projekten zu ermöglichen (Abbildung 4). Der qualitative Teil des Ansatzes dient dazu, die Besonderheiten eines Unternehmens individuell zu berücksichtigen und situativ einzigartige Zusammenhänge erfassen zu können. Dazu wird ein Diagnoseverfahren entwickelt, das die Auswirkungen einer Unternehmenskultur auf Veränderungen anhand vergangener Change-Projekte aufzeigt. Das Verfahren wird als CuBa Change Diagnose bezeichnet und in Kapitel 5 vorgestellt. 15 Vgl. Hinweistext im Impressum. 16 Dissertation von Alexandra Ottong am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie, Aachen (in Bearbeitung). 10

1. Einleitung Abbildung 4: Ansatz zur Kombination von qualitativer und quantitativer Analyse Der quantitative Teil des Ansatzes beinhaltet typische relevante Unternehmenskulturmerkmale und ihre fördernde oder hemmende Wirkung für verschiedene Projekttypen. Dazu wird eine Studie durchgeführt (Kapitel 6), um typische Auswirkungen ausgewählter Unternehmenskulturmerkmale anhand hinreichender Stichprobengrößen zu ermitteln. Führungskräften und Beratern werden damit statistische Ergebnisse geboten, welche Merkmale für einen Change-Projekttyp typischerweise relevant sind. Dies ermöglicht insbesondere eine Vergleichbarkeit mit anderen Unternehmen. Aus einer Kombination von individuell-qualitativer Analyse mittels der CuBa Change Diagnose und von quantitativen Studienergebnissen wird so eine möglichst umfangreiche Einschätzung von fördernden und hemmenden Kulturmerkmalen für ein geplantes Change- Projekt ermöglicht. Anhand dieser Einschätzung kann eine kulturgerechte Gestaltung eines Change-Projektes vorgenommen werden. Induktiv-deduktives Forschungsvorgehen zur Ermittlung statistischer Zusammenhänge Das Forschungsvorgehen dieser Arbeit orientiert sich wesentlich an dem qualitativquantitativen Ansatz, so dass nach einer Einführung in die theoretischen Grundlagen zunächst die qualitative CuBa Change Diagnose entwickelt wird und anschließend eine Studie zur Generierung der quantitativen Ergebnisse beschrieben wird. Das Ziel der Studie besteht darin, fundierte Aussagen in der Form Unternehmenskulturmerkmal X ist relevant für Change-Projekte und hat bei Projekttyp Y meist eine fördernde/hemmende Wirkung treffen zu können (vgl. FF2). In der gegenwärtigen Forschung zu Unternehmenskultur ist dem Autor kein Katalog von 11

1. Einleitung Unternehmenskulturmerkmalen bekannt (vgl. Kapitel 4.4), der Hinweise darauf liefert, welche davon für Change-Projekte relevant sind. Dementsprechend gibt es zwei Möglichkeiten, um eine Auswahl der zu untersuchenden Kulturmerkmale zu erhalten: Es können sämtliche in der Literatur zu findenden Kulturmerkmale bezüglich ihrer Wirkung auf Change-Projekte untersucht werden, was zu einer nicht praktikablen Zahl von zu untersuchenden Merkmalen führen würde. Alternativ können zunächst Hinweise auf mögliche relevante Unternehmenskulturmerkmale gesucht werden und die gefundenen Merkmale anschließend quantitativ auf ihre Relevanz überprüft werden. Brüsemeister (2008: S. 19) empfiehlt zur Entdeckung von Theorieaussagen ein qualitativinduktives Vorgehen und ein quantitativ-deduktives Vorgehen zur Überprüfung von Variablen und Hypothesen. In dieser Arbeit wird ein solches Vorgehensmodell aus qualitativinduktiven und quantitativ-deduktiven Methoden (vgl. Hartmann 1995: S. 16) zusätzlich um qualitativ-deduktive und quantitativ-induktive Schritte erweitert, um der vorliegenden Problemstellung gerecht zu werden (Abbildung 5). Abbildung 5: Qualitativ-quantitatives Vorgehensmodell mit deduktiven und induktiven Ansätzen Zunächst wird literaturbasiert nach Hinweisen für mögliche relevante Kulturmerkmale gesucht (vgl. Kapitel 4.5). Damit wird der qualitative Analyseschritt um eine deduktive Komponente ergänzt. Wie Brüsemeister (2008: S. 27) anmerkt, ist dies legitim, da auch qualitative Forschungsergebnisse niemals ausschließlich aus induktiven Schlussfolgerungen bestehen. Anschließend wird durch Anwendung der CuBa Change Diagnose (vgl. Kapitel 5) in qualitativen Einzelfallanalysen von Change-Projekten ergebnisoffen nach Auswirkungen der 12