Faktenpapier atypische Netznutzung. Chancen Beispiele Rechtsrahmen



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Transkript:

Faktenpapier atypische Netznutzung Chancen Beispiele Rechtsrahmen

Herausgeber und Copyright DIHK - Deutscher Industrie- und Handelskammertag Berlin Brüssel und VEA - Bundesverband der Energie-Abnehmer e. V. Hannover DIHK Berlin DIHK Brüssel VEA Postanschrift: 11052 Berlin Besucheranschrift: Breite Straße 29 Berlin-Mitte Telefon (030) 20 308-0 Telefax (030) 20 308-1000 Hausanschrift: 19 A-D, Avenue des Arts B-1000 Bruxelles Telefon +32-2-286 1611 Telefax +32-2-286 1605 Internet: www.dihk.de Zeißstraße 72, 30519 Hannover Telefon: (0511) 9848-0 Telefax (0511) 9848-288 Internet: www.vea.de Autoren Dr. Sebastian Bolay, bolay.sebastian@dihk.de, (030) 20 30 8 2202 Stand April 2015 Bildnachweis für Titel Christian Otto, cotto@vea.de, (0511) 9848 157 Titelbilder: thinkstock by Getty Alle Rechte liegen bei den Herausgebern. Ein Nachdruck auch auszugsweise ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung der Herausgeber gestattet. Alle Angaben wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet und zusammengestellt. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Inhalts sowie für zwischenzeitliche Änderungen übernehmen DIHK und VEA keine Gewähr. 2

INHALTSVERZEICHNIS 1 WARUM EIN FAKTENPAPIER ZUR ATYPISCHEN NETZNUTZUNG? 2 2 ANFORDERUNGEN DER ENERGIEWENDE 3 3 RECHTLICHER RAHMEN FÜR DIE ATYPISCHE NETZNUTZUNG 4 4 PRAXISBEISPIELE 6 4.1 SIELVERBÄNDE NEUENBROOK UND KOLLMAR 6 4.2 SANDE STAHLGUSS GMBH 7 4.3 ZIEGELWERK BLOMESCHE WILDNIS KG 8 4.4 OSTRAUER KALKWERKE GMBH 9 5 ATYPISCHE NETZNUTZUNG: EIN BEITRAG ZUR ENERGIEWENDE 10 1

1 Warum ein Faktenpapier zur atypischen Netznutzung? Die atypische Netznutzung ist zu Unrecht in Misskredit geraten, hilft sie Unternehmen doch bei einem wesentlichen Beitrag für eine erfolgreiche Energiewende: Der Flexibilisierung. Sie wird zudem häufig mit der zwischen 2011 und 2013 bestehenden vollständigen Netzentgeltbefreiung für Großverbraucher in einen Topf geworfen, die wiederum vielfach als Geschenk an die Großindustrie diskreditiert worden ist. Diese Regelung wurde 2013 ebenfalls in eine Netzentgeltreduzierung umgewandelt und belohnt eine gleichmäßige und hohe Stromentnahme aus dem öffentlichen Netz. Die den Netzbetreibern entgangenen Einnahmen aus beiden Regelungen werden durch die sog. 19-Umlage auf die übrigen Stromkunden gewälzt und betrugen nach Angaben der Bundesnetzagentur 2014 rund 130 Mio. Euro. 1 Klar ist: Die Regelung zur atypischen Netznutzung ist wie die Regelung zum gleichmäßigen Strombezug kein Geschenk an Unternehmen, auch wenn sie ihre Netzentgelte um bis zu 80 Prozent senken können. Vielmehr müssen sie eine Gegenleistung in Form einer Flexibilisierung ihres Strombezugs aus dem öffentlichen Netz erbringen. Sie müssen sicherstellen, dass ihre spezifische Jahreshöchstlast nicht mit der Höchstlast des Netzbetreibers zusammenfällt. Dafür müssen sie den Energieeinsatz im Unternehmen steuern können. Klar ist auch: Es gibt Unternehmen, die ohne großes eigenes Zutun von dieser Regelung profitieren. Dies spricht aber nicht gegen Anreize für die atypische Netznutzung: Schließlich werden die Höchstlastfenster regelmäßig neu festgelegt, da sich die Abnahmeprofile eines Netzgebiets ändern können. Das Unternehmen muss dann gegebenenfalls darauf reagieren, um weiterhin die Netzentgeltreduktion in Anspruch nehmen zu können. Gleiches gilt für die Änderung von Produktionsprozessen in Unternehmen, die Nachfragespitzen verschieben und damit die Reduzierung gefährden können. Die Netzentgeltreduktion hat damit in jedem Fall die Wirkung, dass die Unternehmen ihren Lastgang immer im Blick behalten. Das Faktenpapier zur atypischen Netznutzung hat zwei wesentliche Ziele: Zum einen die Vorteile der bestehenden Regelung für die Energiewende darzustellen und zum anderen anhand von Praxisbeispielen zu erläutern, wie genau die Regelungen des 19 Absatz 2 der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) wirkt. Es richtet sich also einerseits an die (Fach- )Öffentlichkeit und andererseits an Unternehmen, die überlegen, die atypische Netznutzung zu nutzen. 1 Zur Umlage und zur Regelung der Netzentgeltreduzierung für Großverbraucher vgl. DIHK- Faktenpapier Strompreise. 2

2 Anforderungen der Energiewende Die Energiewende verfolgt im Stromsektor zwei zentrale Ziele: Die Abschaltung aller Kernkraftwerke bis Ende 2022 und den Ausbau erneuerbarer Energien auf 80 Prozent der Stromversorgung bis 2050. Aktuell liegt ihr Anteil bei etwa 27 Prozent. Abzusehen ist, dass der Ausbau großteils durch Wind On- und Offshore sowie Solaranlagen erfolgen wird, deren Stromproduktion vom Wetter abhängt und die jeweils zu einem hohen Grad gleichzeitig ins öffentliche Netz einspeisen. Dadurch entstehen zwei Effekte: 1. Zeiten mit sehr hoher und sehr geringer Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wechseln sich auch kurzfristig innerhalb eines Tages ab. Einen Beitrag, um diese schwankende Einspeisung aufzufangen soll und kann die Nachfrageseite leisten, indem z. B. die Produktion in Industriebetrieben sich künftig stärker am Stromangebot ausrichtet, weil dadurch Kosten beim Strombezug gespart und die eigene Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden. 2. Die neue Erzeugungsstruktur aus Millionen kleiner Einspeiser und die stark schwankende Einspeisung dieser Anlagen machen eine andere Netzstruktur notwendig. Für die Übertragungsnetze wird jährlich der sog. Netzentwicklungsplan vorgelegt, in dem der gesamte Neu- und Ausbau für die kommenden zehn Jahre festgehalten wird. Diese Netze dienen einerseits zum Transport des norddeutschen Windstroms Richtung Süden und andererseits erleichtern sie einen großräumigen Ausgleich der schwankenden Einspeisung. Gleichzeitig werden die meisten regenerativen Anlagen im Verteilnetz und damit dezentral angeschlossen. Dies führt in einigen Verteilnetzgebieten zu starkem Ausbaubedarf. Entsprechend der Ausbaunotwendigkeiten der Netze sind die Netzentgelte seit 2012 bereits stetig angestiegen. Davor waren sie regelmäßig gesunken. 3

3 Rechtlicher Rahmen für die atypische Netznutzung 2011 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, dass Unternehmen ihre Netznutzungsentgelte bei einer sogenannten atypischen Netznutzung um bis zu 80 Prozent reduzieren können. Voraussetzung ist eine Anzeige bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) oder der Landesregulierungsbehörde, die bis zum 30. September für das jeweilige Kalenderjahr erfolgen muss. Anzeigen, die danach eingehen, gelten erst für das folgende Jahr, Anzeigen für vergangene Jahre sind ausgeschlossen. Die Anzeige sollte beinhalten, dass mit dem zuständigen Verteilnetzbetreiber eine Vereinbarung zur atypischen Netznutzung auf Basis der Festlegung der BNetzA erfolgt ist 2. Die Unternehmen müssen nachweisen, dass ihre spezifische Jahreshöchstlast vorhersehbar erheblich vom Zeitpunkt der Jahreshöchstlast des Netzbetreibers abweicht ( 19 Absatz 2 Satz 1 StromNEV). Hintergrund der Regelung ist, dass durch die Abweichung der individuellen Höchstlast von der Höchstlast im Netz ein entlastender Effekt eintritt. D. h., das Netz kann dank der zu berücksichtigenden Entlastung auf eine geringere Höchstlast ausgelegt werden. Berechnet wird die Differenz zwischen der maximalen Leistung und der maximalen Leistung im Hochlastfenster des Netzbetreibers. Dieser muss sein individuelles Fenster bis zum 31. Oktober für das jeweils folgende Jahr veröffentlichen. Schwellenwerte für die relevante Leistungsdifferenz sind: bei Niederspannung: 30 % bei Mittelspannung: 20 % bei Hochspannung: 10 % Zum 1. Januar 2013 hat die Bundesnetzagentur die Regelung für Neuanträge verschärft: Seitdem gilt eine Mindestverlagerung von 100 kw Leistung in allen Netz- und Umspannebenen. Andernfalls sieht die Behörde aufgrund geringer Verbräuche keine signifikante Entlastung der Netze. Für den Abschluss einer Vereinbarung werden i.d.r. folgende Informationen benötigt: Eine ausführliche und nachvollziehbare Begründung für die Vorhersehbarkeit der Leistungsreduzierung innerhalb der Hochlastzeitfenster 2 http://www.bundesnetzagentur.de/cln_1431/de/service- Funktionen/Beschlusskammern/Beschlusskammer4/BK4_node.html 4

Eindeutige Benennung des Netzbetreibers, des Lieferanten und des Letztverbrauchers mit der entsprechenden Abnahmestelle Zählpunkt, Netz- bzw. Umspannebene und Genehmigungsjahr Verbrauchsdaten des Vorjahres und Prognosedaten für das Genehmigungsjahr 5

4 Praxisbeispiele 4.1 Sielverbände Neuenbrook und Kollmar Die Sielverbände Neuenbrook und Kollmar setzen sich aktiv für eine Entlastung des Netzes ein. An beiden Standorten handelt es sich um große Schöpfwerke, welche mit je zwei Pumpen ausgestattet sind. In den Hochlastzeitfenstern wird eine Pumpe abgeschaltet, sodass zu dieser Zeit die Leistungsspitze halbiert wird. Für 2014 wurde so die Leistung in Neuenbrook von 586 kw auf 308 kw und in Kollmar von 482 kw auf 241 kw reduziert. Beispiel Neuenbrook: Quelle: VEA. Beispielberechnung einer Netzentgeltreduzierung im Jahr 2014 In diesem Beispiel beträgt die Höchstlast des Unternehmens 586 kw und liegt außerhalb des Hochlastfensters des Netzbetreibers. Die maximale Last in diesem Hochlastzeitfenster erreicht 308 kw. Daraus resultiert eine Differenz von 278 kw. Aus dieser Differenz ergibt sich dann das reduzierte Netzentgelt. 6

Berechnung 2014: Allgemeines Netzentgelt: (wenn Wahloption ausgeübt wird, Berechnung auf Grundlage der tatsächlichen kwh/a) Leistungspreis: 586 kw * 20,27 /kwa = 11.878,22 /a Arbeitspreis: 317.059 kwh/a * 3,50 ct/kwh/a = 11.097,05 /a = 22.975,27 /a Individuelles Netzentgelt: Leistungspreis: 308 kw * 20,27 /kwa = 6.243,16 /a Arbeitspreis: 317.059 kwh/a * 3,50 ct/kwh/a = 11.097,05 /a = 17.340,21 /a 20%-Deckelung des individuellen Netzentgeltes: = 4.595,05 /a Netzentgeltreduzierung relativ: 24,5 % Netzentgeltreduzierung absolut: Tabelle: Tomasz Köhn, VEA Beratungs-GmbH, 24.04.15, Hannover. 5.635,06 /a 4.2 Sande Stahlguss GmbH Bei der Sande Stahlguss GmbH konnte eine extrem hohe Leistungsverschiebung von 89 % erreicht werden. Hier hat man die energieintensiven Schmelzprozesse auf die Hochlastzeitfenster abgestimmt, um so die atypische Netznutzung zu erreichen. Dadurch konnte der Leistungsbezug innerhalb der Hochlastzeitfenster im Kalenderjahr 2014 von 9.804 kw auf 1.068 kw reduziert werden. Quelle: VEA. 7

4.3 Ziegelwerk Blomesche Wildnis KG Auch das Ziegelwerk Blomesche Wildnis KG setzt sich aktiv für eine Entlastung des Netzes ein. Hier wird die gesamte Produktion im Winter (Hochlastzeitfenster) vollständig stillgelegt. Die Leerlaufzeit nutzt man nun für Wartungsarbeiten, um so für den kommenden Prozess optimal vorbereitet zu sein. Dies entspricht im Zeitraum Januar 2015 bis März 2015 einer Senkung des Leistungsbezugs von 420 kw auf 103 kw. Quelle: VEA. 8

4.4 Ostrauer Kalkwerke GmbH Die Ostrauer Kalkwerke GmbH stellen wiederum die größten Verbraucher, nämlich die Mahlwerke für die Kalkaufbereitung, gezielt auf die Hochlastzeitfenster ein. Dadurch wurde der Leistungsbezug im Kalenderjahr 2014 von 792 kw auf 482 kw reduziert. 9

5 Atypische Netznutzung: Ein Beitrag zur Energiewende Die atypische Netznutzung bietet folgende für eine erfolgreiche Energiewende wichtige Vorteile: Es kann im Verteilnetz Netzausbau vermieden werden, da die unternehmerische Höchstlast nicht mit der Höchstlast des Netzbetreibers zusammenfällt und diese dadurch geringer ausfallen kann. Es kommt zu einer Entzerrung für den Netzbetreiber. Dies bleibt auch mit dem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien so. Laut Bericht zur Anreizregulierung 3 ist nur eine geringe Anzahl der rund 900 Verteilnetzgebiete vom Ausbau erneuerbarer Energien betroffen. In allen anderen Gebieten bestimmt sich der Bedarf an Netzen wie in der Vergangenheit nach der Nachfrage. Eine Abschaffung der atypischen Netznutzung würde den bereits hohen Ausbaubedarf in Deutschland weiter erhöhen. Auch in den Gebieten mit starkem Netzausbaubedarf ist die atypische Netznutzung in Zukunft gerechtfertigt. Die Hochlastfenster liegen in aller Regel in Zeiten, in denen wenig Einspeisung aus PV-Anlagen zu erwarten ist. Die geringere Nachfrage stellt daher keine zusätzliche Belastung der Netze dar. Die Unternehmen beschäftigen sich mit dem eigenen Lastgang, um sicherzustellen, dass ihre Höchstlast von der Höchstlast des Netzbetreibers abweicht. Dafür müssen sie in aller Regel Investitionen tätigen, um ihren Bedarf auch steuern zu können. Diese Flexibilisierung der Produktion kann auch für über die atypische Netznutzung hinausgehende Maßnahmen genutzt werden. Dazu gehört z. B. die Teilnahme am Regelenergiemarkt. Aus den genannten Gründen empfehlen DIHK und VEA die Beibehaltung der bestehenden Regelung des 19 Absatz 2 Satz 1 StromNEV, da sie einen wichtigen und kostengünstigen Beitrag zur Energiewende leistet. Gleichwohl verschließen sich beide Verbände nicht gegen eine Weiterentwicklung. Diese wird aber nur dann unterstützt, wenn sie das Ziel der Netzentlastung auf Verteilnetzebene besser zu höchstens gleichen Kosten bzw. gleichgut bei geringeren Kosten erreichen kann. Vorschläge, die diese Anforderung erreichen, gibt es aber derzeit nicht. 3 Bundesnetzagentur (2014): Evaluierungsbericht nach 33 Anreizregulierungsverordnung. 10

Zu beachten ist: Die atypische Netznutzung kann dazu führen, dass in Zeiten der Höchstlast des Verteilnetzbetreibers keine Erhöhung der unternehmerischen Last erfolgt, weil ansonsten die Reduzierung in Frage gestellt wird. Auf dem Strommarkt kann zur gleichen Zeit das Signal bestehen, die Last zu erhöhen, weil aufgrund von viel Sonne und/oder Wind die Preise niedrig sind. Dies wird aber sicherlich erst ab Mitte der 2020er Jahre relevant. Bis dahin sollte die Frage geklärt werden, welches Flexibilitätssignal volkswirtschaftlich wichtiger ist. Bis dahin bleibt die atypische Netznutzung für DIHK und VEA ein wichtiges Instrument für eine erfolgreiche Energiewende. 11