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Transkript:

Kopftuchverbot in der Privatwirtschaft? Verfasser Prof. Dr. Tim Jesgarzewski FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Bremen KCW KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht, Hamburg Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte Lange Str. 3, 27711 Osterholz-Scharmbeck Tel. 04791 96590-10 Fax 04791 96590-11 tim.jesgarzewski@drjesgarzewski.de Klassifizierung Rechtsprechung; Arbeitsrecht Stichworte Arbeitsvertrag, Weisungsrecht, Religionsfreiheit, Europarecht Abstrakt Dem Europäischen Gerichtshof werden die folgenden Fragen vorgelegt: Ist eine allgemeine Anordnung in der Privatwirtschaft, die auch das Tragen auffälliger religiöser Zeichen verbietet, aufgrund der von Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) geschützten unternehmerischen Freiheit diskriminierungsrechtlich stets gerechtfertigt oder kann die Religionsfreiheit der Arbeitnehmerin berücksichtigt werden, die von der GRC, der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und dem Grundgesetz geschützt wird? Seite 1

I. Einleitung Religion ist eine ganz persönliche Angelegenheit. Zugleich wird sie von vielen Menschen als etwas sehr Emotionales und als ein persönlichkeitsbildendes Merkmal angesehen. Vor dem Hintergrund schlimmer historischer Erfahrungen haben deshalb der deutsche und der europäische Gesetzgeber die Freiheit der Religion als hohes rechtliches Gut statuiert. Insbesondere als Abwehrrecht gegen den Staat kommt dieser Religionsfreiheit eine große Bedeutung zu. Gleichfalls schwierig ist indes die Abwägung der Religionsfreiheit zwischen unterschiedlichen privatrechtlichen Akteuren. Namentlich im Arbeitsrecht prallen möglicherweise unterschiedliche Vorstellungen zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Dritten, wie z. B. Kunden, aufeinander. Solche Interessenkollisionen sind arbeitsrechtlich zu lösen. Vorliegend steht die Frage im Raum, ob private Arbeitgeber von ihren Arbeitnehmern verlangen können, dass diese am Arbeitsplatz auf religiöse Symbole verzichten. Hierzu bedienen Arbeitgeber sich ihres Weisungsrechtes. Fraglich ist, wie weit dem das hohe Gut der Religionsfreiheit des Arbeitnehmers entgegengehalten werden kann. II. Sachstand Das Weisungsrecht des Arbeitgebers ist in der Gewerbeordnung geregelt. Danach kann der Arbeitgeber nur solche Weisungen wirksam erteilen, die mit höherrangigeren Regelungen vereinbar sind. 106 GewO lautet: 106 Weisungsrecht des Arbeitgebers Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Selbstredend ist das Grundgesetz genauso wie das Europarecht höherrangiges Recht. Art 4 I GG lautet: Art. 4 I GG Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Seite 2

Ergänzend zum deutschen Grundgesetz ist europarechtlich das Diskriminierungsverbot wegen der Religion zu sehen, welches ausnahmsweise wegen beruflicher Anforderungen eingeschränkt werden kann. Dies folgt aus der Richtlinie 2000/78 EG. Der Artikel 4 I dieser Richtlinie lautet: Berufliche Anforderungen (1) Ungeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. III. Entscheidung des Gerichts Das Bundesarbeitsgericht (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 30. Januar 2019-10 AZR 299/18 (A)) hatte vor diesem Hintergrund über den folgenden Sachverhalt zu entscheiden. Die Beklagte ist ein Unternehmen des Einzelhandels. Die klagende Arbeitnehmerin ist bei der Beklagten als Verkaufsberaterin und Kassiererin beschäftigt. Nach der Geburt eines Kindes ist sie in Elternzeit gegangen. Die Arbeitnehmerin ist muslimischen Glaubens. Vor der Elternzeit hat sie kein Kopftuch getragen oder ihre Religion in einer anderen Weise nach außen sichtbar kenntlich gemacht. Nach der Rückkehr aus der Elternzeit trug die Klägerin sodann ein Kopftuch am Arbeitsplatz. Sie erfülle damit ein für sie zwingendes islamisches Bedeckungsgebot. Die Beklagte hat die Klägerin daraufhin aufgefordert, das Kopftuch am Arbeitsplatz abzulegen. Dieser Aufforderung kam die Klägerin nicht nach. Bei der Beklagten gilt für alle ihre Verkaufsfilialen eine Kleiderordnung. Diese verbietet das Tragen auffälliger bzw. großflächiger religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Zeichen am Arbeitsplatz. Auf diese Kleiderordnung nimmt die Beklagte mit ihrer Weisung Bezug. Die Klägerin begehrt mit der Klage die Feststellung, dass die Weisung der Beklagten unwirksam ist. Sie ist der Auffassung, dass sie durch die Weisung wegen ihrer Religion diskriminiert werde. Die Beklagte beruft sich dagegen auf ihre unternehmerische Freiheit und den Schutz der negativen Religionsfreiheit ihrer Kunden und sonstigen Arbeitnehmer. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben, (Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 27. März 2018-7 Sa 304/17) da die Weisung der Arbeitgeberin gegen die Religionsfreiheit der Mitarbeiterin verstoße. Seite 3

Das Bundesarbeitsgericht sah sich an einer Entscheidung in der Sache gehindert, da es dafür auf die unionsrechtliche Auslegung der Antidiskriminierungsrichtline 2000/78 EG als Ausprägung des europäischen Primärrechts ankomme. Das Verbot eines Unternehmens der Privatwirtschaft, auffällige großflächige Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen am Arbeitsplatz zu tragen, werfe Fragen nach der Auslegung von Unionsrecht auf. Diese Fragen müssten im Zusammenhang mit Konventions- und Verfassungsrecht durch ein Vorabentscheidungsersuchen geklärt werden, das der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union richtet. Das Bundesarbeitsgericht sieht sich im Spannungsfeld zwischen der unternehmerischen Freiheit einer privaten Arbeitgeberin und der Religionsfreiheit einer Arbeitnehmerin. Im Kern stellt das BAG mit seinen Vorlagefragen auf die Frage ab, ob ein generelles Verbot für das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen angemessen sein kann. IV. Fazit Das Stellen der Vorlagefragen durch das Bundesarbeitsgericht ist richtig. Eine grundsätzliche Klärung in verfassungs- und europarechtlicher Hinsicht ist nicht nur rechtlich angezeigt, sondern für die Unternehmenspraxis geradezu wünschenswert. Dies gilt namentlich für die hier gegenständlichen privatwirtschaftlichen Beschäftigungsverhältnisse. Vorliegend arbeitet die Arbeitnehmerin in der Privatwirtschaft und hat eine Tätigkeit mit erheblichem Kundenkontakt auszuführen. Die Arbeitgeberin legt in ihrer unternehmerischen Außendarstellung großen Wert auf eine weltanschauliche und religiöse Neutralität. Dem steht wiederum der Wunsch der Arbeitnehmerin entgegen, ihre religiöse Überzeugung durch ein Kopftuch zum Ausdruck zu bringen. Eine sachgerechte Abwägung dieser beiden Rechtspositionen ist verfassungs- wie europarechtlich schwierig. Das Bundesverfassungsgericht konnte sich bisher für den Bereich der Privatwirtschaft noch nicht umfassend äußern. In Bezug auf öffentliche Arbeitgeber verletze ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen und sonstige Pädagoginnen an öffentlichen Schulen jedoch die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit muslimischer Frauen gem. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in nicht gerechtfertigter Weise (BVerfG, Beschluss vom 27.1.2015, Az. 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10). Nach dem Bundesverfassungsgericht müsse eine konkrete Gefahr für die staatliche Neutralität und den Einrichtungsfrieden vorliegen, um dahingehende Verbote zu rechtfertigen. Dies sei durch das Tragen eines Kopftuches indes nicht der Fall. Für den öffentlichen Arbeitgeber und sonstige Dritte bestehe kein Anspruch darauf, im öffentlichen Arbeitsverhältnis vom Anblick religiöser oder weltanschaulicher Zeichen insgesamt verschont zu bleiben. Seite 4

Europarechtlich wird die Abwägungsentscheidung maßgeblich durch die Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78 EG als Ausprägung des primärrechtlichen Gleichheitssatzes und der Religionsfreiheit zu betrachten sein. Die jüngste Rechtsprechung des EuGH betont stark die unternehmerische Freiheit. Für zwei in der Privatwirtschaft tätige Muslima, namentlich eine Rezeptionistin (EuGH, Urteil vom 14.3.2017, Az. C-157/15) und eine im Kundendienst tätige IT-Expertin (EuGH, Urteil vom 14.3.2017, Az. C-188/15) hat der EuGH festgestellt, dass ein Kopftuchverbot gerechtfertigt sein könne. Das Unternehmen müsse damit einen legitimen Zweck verfolgen. Zudem müssten die Mittel zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen sein. Der Unternehmenswunsch nach einem neutralen Auftreten nach außen könne ein solch legitimer Zweck sein. Eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern sei nach Art. 4 (1) Richtlinie 2000/78/EG ausnahmsweise zulässig, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit, oder der Bedingungen ihrer Ausübung, wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen darstelle und hiermit ein legitimer Zweck in angemessener Weise verfolgt wird. Hierbei sei im Kern auf die berufliche Tätigkeit abzustellen. Ein bloßer Kundenwusch sei indes nicht hinreichend, um ein Kopftuchverbot zu rechtfertigen. Die Beantwortung der Vorlagefragen darf daher mit Spannung erwartet werden. Nach den vorgenannten Ausführungen spricht einiges dafür, dass es privatwirtschaftlichen Unternehmen erlaubt sein muss, eine grundsätzliche weltanschauliche und religiöse Neutralität auch dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass nach außen gerichtete religiöse Symbole vollständig untersagt werden. Bis zur Klärung der Fragen müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber weiter sehr einzelfallbezogen praktische Lösungen für das Spannungsfeld zwischen Religions- und Unternehmerfreiheit finden. Vielfach gelingt das durch pragmatische Modelle, bei welchen beide Parteien nicht absolut an ihren jeweiligen Positionen festhalten. Der arbeitsrechtliche Sanktionskanon von Versetzungsmöglichkeiten, Ermahnung, Abmahnung oder Kündigung sollte daher nur dann zum Tragen kommen, wenn keine Chance einer sachdienlichen Auflösung erkennbar ist. Seite 5