Substanzkonsum und suchtbezogene Problemlagen von Kindern und Jugendlichen in stationärer Jugendhilfe Doris Sarrazin 54. DHS-Fachkonferenz, 14. Oktober 2014, Potsdam Dank an Martina Schu, FOGS, Köln, für die Überlassung ihrer Folien!
Hintergrund Im Rahmen der Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz spielt die Vermeidung eines riskanten Konsums psychoaktiver Substanzen eine wichtige Rolle. In der Gesamtbevölkerung nimmt der Konsum psychoaktiver Substanzen ab, eine kleinere Gruppe konsumiert nach wie vor exzessiv. Die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben ist für Jugendliche in der öffentlichen Jugendhilfe erschwert. Es ist davon auszugehen, dass riskanter Konsum psychoaktiver Substanzen dort höher ist als in der Vergleichsgruppe in der Allgemeinbevölkerung. Daten aus Deutschland lagen hierzu bislang nicht vor. 2
3 Fachlicher Rahmen Leitlinie 5 des Dezernates mit dem LJHA 2010-2014 Gesundes Aufwachsen fördern und Suchtmittelmissbrauch reduzieren Entwicklung eines Masterplans mit > Durchführung von regionalen Modellfachtagungen an der Schnittstelle Jugendhilfe / Suchthilfe > Erarbeitung und Veröffentlichung der Materialie Jugend Sucht Hilfe Kooperation zwischen den Hilfesystemen > Fortbildungsangebote für Fachkräfte Interventionsangebote für gefährdete junge Menschen und ihre Familien (wie FreD, SEM, Eltern.aktiv, TAKE CARE, Hilfe, mein Kind pubertiert! u.a.) Studie zur Suchtmittelbelastung bei jungen Menschen in der stationären Jugendhilfe als Grundlage zur Entwicklung von bedarfsorientierten Unterstützungsmaßnahmen.
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Befragungen 9/2013 11/2013 Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren: Vollerhebung in drei stationären Jugendhilfeeinrichtungen des LWL sofern Zustimmung der Eltern bzw. der Erziehungsberechtigten vorlag N = 91 (39 %); 67 % 12 15 und 33 % 16 17 Jahre; 51,6 % männlich fragebogengestützte Interviews (65 Fragen) vor Ort plus ergänzende schriftliche Befragung (1 Seite mit 32 Fragen; Vergleichbarkeit zu anderen Studien!) anonyme schriftliche Befragung aller Fachkräfte in den Einrichtungen N = 65 Fachkräfte (40 %); 61,5 % weiblich und 38,5 % männlich, 38,5 % bis 29 Jahre und 41,5 % 30 bis 45 Jahre, 25 % leitend tätig 16 Fragen zu Einschätzungen, Einstellungen, Interventionen 5
Tägliches/starkes Rauchen 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 29,7 40,9* 19,1 4,8 5,2 4,5 19,8 22,7 17,0 stat. JH BZgA stat. JH BZgA Tägliches Rauchen Einstieg mit Ø 11,4 Jahren (3 Jahre früher als BZgA) 2,0 2,2 1,9 Starkes Rauchen (täglich 10 Zig. oder mehr) insgesamt weiblich männlich * = statitisch signifikanter Geschlechtsunterschied mit p<0,05 6
Regelmäßiger Alkoholkonsum* 20 18 16 18,2 14 12 13,6 14,2 10 8 11,0 8,5 9,9* 6 4 2 0 stat. JH BZgA insgesamt weiblich männlich * = mindestens wöchentlicher Alkoholkonsum in den letzten 12 Monaten * = statistisch signifikanter Geschlechtsunterschied mit p<0,05 7
Drogenkonsum 35 30 31,8 Jugendliche in stat. JH haben in den letzten 12 Monaten 4x öfter Drogen probiert. Mädchen sind wieder stärker belastet. 25 27,5 20 23,4 20,9 20,5 21,3 15 10 5 0 7,2 5,1* 9,1 4,9 stat. JH BZgA stat. JH BZgA Lebenszeitprävalenz 12-Monats-Prävalenz insgesamt weiblich männlich 3,1* 6,6 * = statitisch signifikanter Geschlechtsunterschied mit p<0,05 8
Cannabis 30-Tages-Prävalenz 12 10 10,6 8 8,8 6 6,8 4 2 0 stat. JH 1,9 1,2 BZgA 2,5 insgesamt weiblich männlich 9
70,0 Einschätzungen FK vs. Angaben KiJu 65,9 60,0 Schätzung der Fachkräfte 50,0 48,6 49,5 Angabe der Jugendlichen 40,0 30,0 20,0 26,2 20,9 10,0 0,0 Konsum Konsum Konsum von Tabak von Alkohol* von Cannabis 6,5 * Rauschtrinken: 15,4 %, Krankenhauseinlieferung wegen Alkoholintoxikation: 7,8 % 10
Suchtbezogene Hilfen 39,6 % der Jugendlichen kennen Sucht- oder Drogenberatungsstellen, 19,8 % kennen (ambulante) Psychotherapie drei Mädchen (3,3 % aller Befragten und 6,8 % der Mädchen, kein Junge) hatten in Zusammenhang mit ihrem Suchtmittelkonsum ein Hilfeangebot genutzt (Alkohol, Rauchen) Wie würde man nach Hilfe suchen? Die Jugendlichen würden fragen 53,8 % Internet 17,6 % Betreuungspersonen im Wohnheim 13,2 % Familienmitglieder 11
Gewalterfahrungen 69,2 % waren schon einmal Opfer von Körperverletzung oder Misshandlung, davon 17,5 % in den letzten Monaten vor der Befragung. 39,6 % der Jugendlichen berichteten von Gewalt in der Familie 58,2 % haben bereits selbst Gewalt ausgeübt, davon 49,1 % in den letzten Monaten 29,7 % der Befragten sind schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten: 38,3 % der Jungen und 20,5 % der Mädchen (bundesweit 14 17-Jährige: 8 %, BKA 2013) 12
Psychische Situation (stat. JH)* 80 70 60 50 Norm: 84 % 56,7 70,2 40 30 20 10 0 41,9* Normbereich 8 % 26,7 37,2* 17,0 Leichte psychische Probleme 12,2 14,0 10,6 4,4 4 % 2 % Mittelschwere psychische Störung insgesamt weiblich männlich 7,0 2,1 Schwere psychische Störung * Gemessen nach SPS-J-II; Hampel & Petermann, 2012) 13
Kooperation mit Suchthilfe (potentieller) Stellenwert von Kooperationselementen für die befragten Fachkräfte tatsächlich 0% 20% 40% 60% 80% 100% umgesetzt: Vermittlung an SH (n = 65) 92,3 7,7 4 Personen (6 %) Co-Beratung (n = 65) 87,7 10,7 5 Personen (8 %) Gemeinsame Aktionen (n = 65) 84,6 13,8 4 Personen (6 %) Kollegiale Beratung (n = 64) 82,8 10,9 6,2 4 Personen (6 %) TN an AK mit SH (n = 65) 56,9 36,9 6,2 niemand Hospitation in SH-Einr. (n = 65) 41,5 58,5 1 Person (eher) wichtig in % (eher) unwichtig in % weiß nicht in % 14
Fazit Suchtbezogene Probleme - dazu weitere psychische Auffälligkeiten - sind keine Ausnahme und kein Randthema! Die Jugendlichen kamen vor der stationären Unterbringung in Kontakt mit Suchtmitteln (und mit Gewalt ), vielfach (auch) im Elternhaus, erhalten aber kaum suchtbezogen Hilfe (3 %). Suchtgefährdung und -entwicklung werden über einen längeren Zeitraum bzw. wiederholt nicht wahrgenommen bzw. keine entsprechenden Hilfen hinzugezogen. Mädchen sind sowohl von Substanzkonsum als auch von psychischen Auffälligkeiten mehr betroffen als Jungen. Problematischer Konsum ist ein Risikofaktor für die Persönlichkeitsentwicklung und häufig mit weiteren Problemen verbunden. Die Bereitstellung entsprechender Hilfen ist zur Abwendung von Gefahren und Schäden zwingend erforderlich. Die Daten waren kein Selbstzweck. Wir werden an dieser Thematik weiter arbeiten, d.h. Konzepte erarbeiten und erproben. 15
Die Studie ist als Download im Internet erhältlich: www.lwl-ks.de Menüpunkt: Publikationen Martina Schu FOGS Gesellschaft für Forschung und Beratung im Gesundheits- und Sozialbereich mbh Prälat-Otto-Müller-Platz 2 50670 Köln 0221-973101-22 schu@fogs-gmbh.de www.fogs-gmbh.de Kontakt: Doris Sarrazin Landschaftsverband Westfalen-Lippe LWL-Koordinationsstelle Sucht Warendorfer Straße 27 48133 Münster Email: doris.sarrazin@lwl.org Tel. 0251 591 5481 16
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