Kalte Atome Die kälteste Materie im Universum Saturday Morning Physics 22. 11. 2014 Gerhard Birkl Institut für Angewandte Physik Technische Universität Darmstadt Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 1
Was ist kalt? Aktuell in Darmstadt 22. 11. 2014 um 9:00: Temperatur: ca 6 C Wettervorhersage nach wetter.de Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 2
Was ist kalt? Niedrigste jemals auf der Erde in natürlicher Umgebung gemessene Temperatur: - 89 C (21. Juli 1983) Vostok, Antarktis Quelle: www.antarcticconnection.com Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 3
Was ist Temperatur? - Temperaturskalen Was ist Temperatur? Ein Maß für den Energieinhalt eines Körpers Gibt es eine bevorzugte Temperaturskala? Alle Skalen in gleichberechtigt, aber abhängig von der Anwendung sind manche geeigneter als andere. Was passiert am absoluten Nullpunkt? Extrem spannende Physik!! Quelle: physik05.hs-niederrhein.de Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 4
Die niedrigsten natürlich vorkommenden Temperaturen Auf der Erde: 184 K = - 89 C Vostok, Antarktis Im Sonnensystem: 38 K Im Universum: 2,73 K Hintergrundstrahlung des interstellaren Raumes Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 5 Quelle: ESA and the Planck Collaboration Triton (größter Mond des Neptun)
Kälter als in der freien Natur wird es in einem Physik-Labor! Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 6
Temperatur Temperatur 5800 K Sonnenoberfläche 100 C = 373,15 K 0 C = 273,15 K 77 K 10 K kochendes Wasser gefrierendes Wasser Flüssiger Stickstoff Supraleitung 1 mk flüssiges Helium 10 millionstel Kelvin = 10 μk 1 millionstel Kelvin = 1 μk 100 milliardstel Kelvin = 100 nk Entmagnetisierung Laserkühlung Bose-Einstein Kondensation Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 7
Temperatur von Gasen und Teilchenbewegung 5800 K Temperatur Sonnenoberfläche Geschwindigkeit 2000 m/s 100 C = 373,15 K 0 C = 273,15 K 77 K 10 K kochendes Wasser gefrierendes Wasser Flüssiger Stickstoff Supraleitung 700 m/s 500 m/s 250 m/s 100 m/s 1 mk flüssiges Helium 1 m/s 10 millionstel Kelvin = 10 μk 1 millionstel Kelvin = 1 μk 100 milliardstel Kelvin = 100 nk Entmagnetisierung Laserkühlung Bose-Einstein Kondensation 10 cm/s 3 cm/s 1 cm/s HTML - Animationen: www.colorado.edu/physics/2000/index.pl Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 8
Anwendung von Laserlicht Lasershow Laser - Materialbearbeitung Laserpointer Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 9
Kühlen mit Laserlicht? Lasershow Laser - Materialbearbeitung Aber wie kann man mit Laserlicht kühlen? Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 10
Impulsübertrag durch Licht Ein Lichtstrahl überträgt bei Streuung einen Impuls auf Atome und Festkörper: z.b. Kometenschweif Quelle: www.nasa.gov Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 11
Abbremsen von Atomen mit Laserlicht Mit einem Lichtstrahl kann bei Absorption gezielt ein Impuls auf Atome übertragen werden, um sie abzubremsen: Lichtstrahl Atom Impuls: p Licht = h/λ p Atom = mv Impuls des Lichtteilchens (Photon) ist viel kleiner als der Impuls des Atoms! Ist dieser Prozess effizient? Quelle: www.colorado.edu/physics/2000 Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 12
Linienspektrum von chemischen Elementen Jedes chemische Element besitzt spezifische diskrete Absorptions- und Emissionswellenlängen: Wasserstoff Natrium Helium Neon Quecksilber Quelle: www.chemistry.tutorvista.com Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 13
Abbremsen von Atomen mit Laserlicht Mit resonantem Laserlicht kann das Abbremsen der Atome sehr effizient erfolgen (10 000 x Erdbeschleunigung und mehr)! Lichtstrahl Atom Impuls: p Licht = h/λ p Atom = mv Quelle: www.colorado.edu/physics/2000 Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 14
Kühlen und Fangen von Atomen mit Laserlicht Absorption und Emission Magneto-optische Falle (MOT) Einsatz von 3 Laserstrahlpaaren erlaubt Kühlung und Einfang von Atomen in allen drei räumlichen Dimensionen: Quelle: www.brynmawr.edu Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 15
Kühlen und Fangen von Atomen mit Laserlicht Simulation der Laserkühlung Magneto-optische Falle (MOT) Einsatz von 3 Laserstrahlpaaren erlaubt Kühlung und Einfang von Atomen in allen drei räumlichen Dimensionen: Quelle: www.brynmawr.edu Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 16
Kühlen und Fangen von Atomen mit Laserlicht Simulation der Laserkühlung Magneto-optische Falle (MOT) Einsatz von 3 Laserstrahlpaaren erlaubt Kühlung und Einfang von Atomen in allen drei räumlichen Dimensionen: Quelle: www.brynmawr.edu Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 17
Kühlen und Fangen von Atomen mit Laserlicht Kris Helmerson T > 300 K Natrium-Atome T = 200 μk NIST Niedrigste Temperatur durch Laserkühlung T = 1 μk Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 18
Temperaturmessung Expansion der Atomwolke nach Abschalten der Falle liefert Geschwindigkeit und Temperatur. Nachweis der Atome: Schatten der Atomverteilung in Laserstrahl Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 19
Nobelpreis für das Kühlen und Fangen mit Laserlicht Quelle: www.nobelprize.org Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 20
Noch kälter als mit Licht: Kühlen in Magnetfallen Räumlicher Verlauf der Magnetfeldstärke in einer Magnetfalle Kalte Atome werden im Minimum des Magnetfeldes gespeichert. Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 21 Quelle: www.colorado.edu/physics/2000
Noch kälter als mit Licht: Verdampfungskühlung Verdampfung führt zu einer weiteren Kühlung der Atome. Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 22 Quelle: www.colorado.edu/physics/2000
Noch kälter als mit Licht: Verdampfungskühlung Absenken der Fallentiefe führt zu Entfernen der energiereichsten Atome Verdampfung führt zu einer weiteren Kühlung der Atome. Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 23 Quelle: www.colorado.edu/physics/2000
Temperatur nach der Verdampfungskühlung Expansion der Atomwolke nach Abschalten der Falle liefert Geschwindigkeit und Temperatur. 100 µm T<(400±30) 30)nK T (240±30)nK T (260±30)nK T (140±30) nk T (160±30)nK T (100±30)nK Nachweis der Atome: Schatten der Atomverteilung in Laserstrahl Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 24
Temperatur nach der Verdampfungskühlung Expansion der Atomwolke nach Abschalten der Falle liefert Geschwindigkeit und Temperatur. 100 µm Verhalten sich T<(400±30) 30)nK T (240±30)nK T (260±30)nK diese Atome noch wie ein normales Gas? T (140±30) nk T (160±30)nK T (100±30)nK Nachweis der Atome: Schatten der Atomverteilung in Laserstrahl Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 25
Temperatur nach der Verdampfungskühlung Expansion der Atomwolke nach Abschalten der Falle liefert Geschwindigkeit und Temperatur. 100 µm Nein!! T<(400±30) 30)nK T (240±30)nK T (260±30)nK Diese Atome bilden ein Bose-Einstein- Kondensat! T (140±30) nk T (160±30)nK T (100±30)nK Nachweis der Atome: Schatten der Atomverteilung in Laserstrahl Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 26
Was ist Bose-Einstein-Kondensation (BEC)? Quelle: W. Ketterle (MIT) Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 27
Bose-Einstein-Kondensation Bose-Einstein-Kondensation - Theorie: 1925 Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 28
Nobelpreis für die Bose-Einstein-Kondensation Quelle: www.nobelprize.org Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 29
Nachweis der Bose-Einstein-Kondensation T < T C T < T C T T C Bose-Einstein-Kondensat an der TU Darmstadt (www.iap.tu-darmstadt.de/apq) TU Darmstadt Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 30
Vergleich: Normales Licht - Laserlicht Normales Licht Laserlicht divergent inkohärent viele einzelne Wellen viele Moden Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 31 beugungsbegrenzt (gerichtet) kohärent eine große Welle eine Mode (monochromatisch) Quelle: W. Ketterle (MIT)
Vergleich: Normales Gas Bose-Einstein-Kondensat Normales Gas Bose-Einstein-Kondensat Atome sind unabhängig divergent inkohärent viele einzelne Atome viele Moden Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 32 Atome bewegen sich gleichförmig beugungsbegrenzt (gerichtet) kohärent eine große Welle eine Mode (monochromatisch) Quelle: W. Ketterle (MIT)
Eigenschaften: Kondensate verhalten sich wie Wellen Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 33 K. Bongs, S. Burger, G. Birkl, K. Sengstock, W. Ertmer, K. Rzazewski, A. Sanpera und M. Lewenstein, Phys. Rev. Lett. 83, 3577 (1999).
Interferenz von zwei optischen Wellen Young scher Doppelspaltversuch Quelle: www.pysics.sunybs.edu Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 34
Interferenz von zwei optischen Wellen Laserstrahl durch linken Spalt Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 35
Interferenz von zwei optischen Wellen Laserstrahl durch rechten Spalt Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 36
Interferenz von zwei optischen Wellen Zwei überlagerte Laserstrahlen zeigen Interferenz Interferenzstreifen Lichtstrahlen verhalten sich wie Wellen Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 37
Eigenschaften: Interferenz von BECs Zwei Bose-Einstein-Kondensate zeigen Interferenz Bose-Einstein-Kondensate verhalten sich wie Wellen Interferenz von Bose-Einstein-Kondensaten an der TUD Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 38
Rotation von Medien: Strudel und Vortices Wasserstrudel in einem Glas Wirbelsturm Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 39
Eigenschaften (BEC): Vortices und Superfluidität Bose-Einstein- Kondensate zeigen quantisierte Rotation. - 2D Vortexlinienmuster - Rotation wird nicht gedämpft! Quelle: W. Ketterle (MIT) Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 40
Eigenschaften (BEC): Rotierende Kondensate Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 41
Anwendungen: Atomlaser Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 42
Anwendungen: Zeitmessung und Atomuhren Kalte Atome ermöglichen genauere Uhren. Denn: langsame Atome können länger gemessen werden. Cäsium-Atomuhr PTB Braunschweig Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 43
Anwendungen: Positionsbestimmung GPS/GALILEO Kalte Atome ermöglichen genauere Uhren. Genauere Uhren verbessern die Navigation. GPS / GALILEO beruhen auf genauen Uhren auf Satelliten und in Bodenstationen. Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 44
Anwendungen: Quantencomputer Vielfachrealisierung von individuell kontrollierbaren Quantensystemen als Speichermedium für Quantenbits Quantencomputer Beispiel: Quantenspeicher Speicher besteht aus zweidimensionaler Anordnung von fokussierten Laserstrahlen. Jeder Speicherplatz enthält ein einzelnes lasergekühlten Atom, das die Information trägt und zwar mehr Information als nur 0 oder 1. Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 45
Vergleich mit Klassischem Computer Vielfachrealisierung von individuell kontrollierbaren klassischen Systemen als Speichermedium für Bits Klassischer Computer Beispiel: Speicherchip Jeder Speicherplatz trägt die Information 0 oder 1. Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 46
Anwendungen: Quantencomputer Vielfachrealisierung von individuell kontrollierbaren Quantensystemen als Speichermedium für Quantenbits Quantencomputer Beispiel: Quantenspeicher Adressierung jedes Speicherplatzes ist möglich. 0 1 0 + 1 0 + 1 Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 47 www.iap.tu-darmstadt.de/apq
Die kälteste Materie im Universum? Frage: Ist ein Bose-Einstein-Kondensat wirklich die kälteste Materie im Universum? Antwort: Guinness-Buch der Rekorde Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 48
Die kälteste Materie im Universum! T = 450 pk T = 450 billionstel Kelvin T = 0,000 000 000 450 K Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 49
Zusammensfassung Die kälteste Materie im Universum existiert in Physik-Laboren. Bose-Einstein-Kondensate sind Quantenobjekte mit Temperaturen bis hinunter zu weniger als 1 milliardstel Kelvin (1 nk) über dem absoluten Nullpunkt (derzeit!). Bose-Einstein-Kondensate sind wichtige Objekte für Grundlagenforschung in der Quantenphysik und deren Anwendung. Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Gerhard Birkl SMP 2014 50