Zeitarbeit im Gesundheitswesen Erfahrungen, Chancen und Herausforderungen. Diplomarbeit



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Transkript:

Ruhr-Universität Bochum Fakultät für Sozialwissenschaft Zeitarbeit im Gesundheitswesen Erfahrungen, Chancen und Herausforderungen Diplomarbeit vorgelegt von: Andreas Linnemann betreut durch: Prof. Dr. Rolf G. Heinze Bochum, März 2009

Inhaltsverzeichnis 2 Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis...5 Tabellenverzeichnis...7 Abkürzungsverzeichnis...9 1 Einleitung...10 1.1 Thematische Einführung...10 1.2 Aufbau der Arbeit und methodisches Vorgehen...12 2 Grundlagen und Begriffsbestimmung...15 2.1 Wandel der Arbeitswelt...15 2.1.1 Von der Normalarbeit zur atypischen Beschäftigung...16 2.1.2 Gründe und Folgen des Wandels der Erwerbsformen...18 2.2 Begriff der Zeitarbeit...21 2.3 Funktionsweise der Zeitarbeit...21 2.4 Geschichtliche Entwicklung und rechtliche Grundlagen der Zeitarbeit...23 2.5 Flexibilitätsformen und -instrumente...27 2.5.1 Interne Flexibilität...28 2.5.2 Externe Flexibilität...29 3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland...31 3.1 Entwicklung der Zeitarbeit...32 3.2 Einsatzfelder von Zeitarbeit...36 3.3 Struktur der Zeitarbeitnehmer...40 3.3.1 Geschlechtsstruktur...40 3.3.2 Altersstruktur...42 3.3.3 Qualifikation der Zeitarbeitnehmer und vorheriger Erwerbsstatus...43 3.3.4 Dauer der Beschäftigung...46 3.4 Zusammenfassung im Hinblick auf die Fragestellung...48 4 Die Gesundheitswirtschaft in Deutschland...49 4.1 Struktur der Gesundheitswirtschaft...49 4.2 Die Gesundheitswirtschaft Kostenfaktor oder Zukunftsmarkt?...50 4.3 Personalsituation im Gesundheitssektor allgemein...53 4.3.1 Personalentwicklung und -struktur in der ambulanten Pflege...56 4.3.2 Personalentwicklung und -struktur in der stationären Pflege...59

Inhaltsverzeichnis 3 4.3.3 Personalentwicklung und -struktur im Krankenhaus...62 4.4 Zusammenfassung im Hinblick auf die Fragestellung...63 5 Zeitarbeit im Gesundheitssektor...65 5.1 Aktuelle Bestandsaufnahme...65 5.2 Flexibilisierung des Personals im Gesundheitswesen...67 5.3 Möglichkeiten der Personalbeschaffung...69 5.4 Bedarf an Zeitarbeit in verschiedenen Einrichtungen des Gesundheitswesens...72 6 Vorteile und Risiken der Zeitarbeit im Gesundheitswesen...78 6.1 Vorteile für Kundenunternehmen...79 6.1.1 Befriedigung des Flexibilisierungsbedarfs der Unternehmen...79 6.1.2 Reduzierung der Arbeitsbelastung der Stammbelegschaft...81 6.1.3 Reduktion von Personalkosten...84 6.1.4 Rekrutierungs- und Selektionsinstrument...85 6.1.5 Qualitätssicherung/-verbesserung...86 6.2 Motivlagen von Zeitarbeitnehmern...87 6.2.1 (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt...88 6.2.2 Aneignung von Wissen und Schlüsselqualifikationen...90 6.2.3 Individuelle Flexibilität und Förderung der Work-Life- Balance...92 6.3 Nachteile/Risiken für Kundenunternehmen und Arbeitnehmer...92 6.3.1 Entlohnung...93 6.3.2 Verdrängung von regulären Arbeitsplätzen...94 6.3.3 Auswirkungen auf das Betriebsklima...95 6.4 Zusammenfassung...96 7 Praxisbeispiel: Gesellschaft für Arbeit und soziale Dienstleistungen mbh (GAD)...99 7.1 Methodische Vorgehensweise...100 7.1.1 Das leitfadengestützte Experteninterview...100 7.1.2 Konstruktion des Interviewleitfadens und Durchführung des Interviews...101 7.1.3 Auswertungsmethode...103 7.2 Auswertung des Praxisbeispiels: Gesellschaft für Arbeit und soziale Dienstleistungen mbh (GAD), Niederlassung Dortmund...103 7.2.1 Vorstellung des Unternehmens...103 7.2.2 Vorteile für Kundenunternehmen...104 7.2.3 Einsatzbereiche und Struktur der Zeitarbeitnehmer...106 7.2.4 Qualität der Leistung...108 7.2.5 Weiterbildung und Qualifizierung...109 7.2.6 Potenzial und Herausforderungen...110

Inhaltsverzeichnis 4 8 Perspektiven und Herausforderungen für die Zeitarbeit im Gesundheitssektor...111 9 Fazit...113 Anhang...116 A. Interviewleitfaden...116 B. Interviewprotokoll...119 10 Literaturverzeichnis...126 Erklärung...149

Abbildungsverzeichnis 5 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Zeitarbeit als Dreiecksverhältnis...22 Abbildung 2: Erfassung von Leiharbeitern in der Arbeitnehmerüberlassungs- und Beschäftigungsstatistik...32 Abbildung 3: Verleihbetriebe in Deutschland (1995-2007)...33 Abbildung 4: Größenstruktur der Zeitarbeitsunternehmen (Anzahl der Arbeitnehmer in den Verleihbetrieben (Stand: 31.12.2007)...33 Abbildung 5: Bestand an Leiharbeitnehmern (in Tausend) (1996-2007)...34 Abbildung 6: Entwicklung der Einsatzfelder der Zeitarbeitnehmer (1997-2007) (in %)...37 Abbildung 7: Geschlechtsstruktur der Leiharbeitnehmer (in Tausend)...40 Abbildung 8: Erwerbsstatus vor Beschäftigung in der Leiharbeit (2007)...44 Abbildung 9: Schulabschluss von Erwerbstätigen insgesamt und Zeitarbeitnehmer im Vergleich (2006) (in %)...45 Abbildung 10: Berufsabschluss von Erwerbstätigen insgesamt und Zeitarbeitnehmer im Vergleich (2006) (in %)...46 Abbildung 11: Dauer der Beschäftigungsverhältnisse in der Zeitarbeit (1997 und 2007) (in %)...47 Abbildung 12: Gesundheitswirtschaft als Zwiebel-Modell...49 Abbildung 13: Gesundheitsausgaben in Deutschland (1995-2006) (in Milliarden Euro)...51 Abbildung 14: Anzahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen (2002-2006) (in Millionen)...54

Abbildungsverzeichnis 6 Abbildung 15: Entwicklung der Zeitarbeit in Gesundheitsdienstberufen (2000-2008)...66 Abbildung 16: Personalkosten im Krankenhaus (2007)...75 Abbildung 17: Sachkosten im Krankenhaus (2007)...75 Abbildung 18: Zufriedenheit der Kundenunternehmen mit den Dienstleistungen des Zeitarbeitsunternehmens GAD Dortmund...105

Tabellenverzeichnis 7 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Abhängig Beschäftigte in der Haupterwerbstätigkeit (1997-2007)...17 Tabelle 2: Überblick über die Reformen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes...25 Tabelle 3: Interne Flexibilisierungsmaßnahmen...29 Tabelle 4: Externe Flexibilisierungsmaßnahmen...29 Tabelle 5: Die stärksten Berufsgruppen in der Zeitarbeit in Deutschland (2003-2007)...39 Tabelle 6: Wachstum der Anzahl der Leiharbeitnehmer gegenüber dem Vorjahr nach Geschlecht (2000-2007) (in %)...42 Tabelle 7: Altersstruktur der Zeitarbeitnehmer nach Geschlecht...42 Tabelle 8: Gesundheitsausgaben im internationalen Vergleich (2000-2006) (Anteil am Bruttoinlandsprodukt in %)...52 Tabelle 9: Entwicklung der Anzahl der Pflegeeinrichtungen und deren Trägerschaft (1999-2007)...57 Tabelle 10: Personal in der ambulanten Pflege nach Beschäftigungsverhältnis (1999-2007)...58 Tabelle 11: Entwicklung der Anzahl der Pflegeheime und deren Trägerschaft (1999-2007)...60 Tabelle 12: Personal in Pflegeheimen nach Beschäftigungsverhältnis (1999-2007)...61 Tabelle 13: Stationäre Versorgung in Deutschland (2003-2007)...62

Tabellenverzeichnis 8 Tabelle 14: Personalstruktur in Krankenhäusern nach Geschlecht und Beschäftigungsverhältnis (2007)...63 Tabelle 15: Interne und externe Personalbeschaffung im Vergleich...70 Tabelle 16: Aneignung von Kompetenzen in der Zeitarbeit...90

Abkürzungsverzeichnis 9 Abkürzungsverzeichnis AÜG BZA DGB DRG GAD IAB IAT IGZ PSA OECD SGB Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Bundesverband Zeitarbeit Personal Dienstleistungen e.v. Deutscher Gewerkschaftsbund Diagnosis Related Groups Gesellschaft für Arbeit und soziale Dienstleistungen mbh Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Institut Arbeit und Technik Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmer e.v. Personal-Service-Agentur Organisation for Economic Co-operation and Development Sozialgesetzbuch

1 Einleitung 10 1 Einleitung 1.1 Thematische Einführung Die Zeitarbeit ist in den letzten Jahren aufgrund ihrer wachsenden Bedeutung auf dem Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt des öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Interesses gerückt. Ausdruck des Bedeutungsgewinns ist das starke Wachstum der Zeitarbeitsbranche in den vergangenen Jahren. Im Dezember 2007 waren in Deutschland 721.000 Zeitarbeitnehmer 1 in 21.200 Verleihbetrieben beschäftigt (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008b). Die Zahl der Zeitarbeitnehmer ist somit in den letzten 10 Jahren um 260% angestiegen. Die Gründe für den Boom der Zeitarbeit sind vielfältig. Zum einen ist der Bedarf von Unternehmen an flexiblem Personal aufgrund des zunehmenden Kosten- und Wettbewerbsdrucks gestiegen. Zeitarbeit ist zu einer alternativen Beschäftigungsform für Unternehmen geworden, um Mehrarbeit oder Personalausfall im eigenen Betrieb abzudecken (vgl. Burda/Kvasnicka 2005, S. 3). Zum anderen hat die Politik in den letzten Jahren die Vorteile der Zeitarbeit für die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts erkannt und durch die Deregulierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes dazu beigetragen, dass sich die Zeitarbeit zu einer Wachstumsbranche entwickelt hat. Die Liberalisierung der Arbeitnehmerüberlassung hat zur Verbesserung der Attraktivität der Zeitarbeit für Entleiher und Arbeitnehmer geführt (vgl. Jahn 2008, S. 22). Auch der in den vergangenen Jahren gestiegene Imageund Bekanntheitsgrad der Zeitarbeit hat zum Wachstum des Zeitarbeitsmarkts beigetragen (vgl. Sczesny et al. 2008, S. 21). Trotz des Imagegewinns der Zeitarbeit in den letzten Jahren wird diese Form der Beschäftigung in der Wissenschaft und Öffentlichkeit zunehmend kontrovers diskutiert. Während die Wirtschaft insbesondere auf die Bedeutung der Zeitarbeit als Flexibilisierungsinstrument des Arbeitsmarkts verweist, wird die Zeitarbeit 1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der Arbeit lediglich die männliche Form verwendet. Die weibliche Form ist selbstverständlich immer mit eingeschlossen.

1 Einleitung 11 seitens der Gewerkschaften aufgrund der unsicheren und prekären Beschäftigungssituation für Arbeitnehmer und aufgrund der Gefährdung regulär sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse kritisiert (vgl. Linne/Vogel 2003; Promberger 2007). Insgesamt wird Zeitarbeit nicht mehr nur, wie dies traditionell der Fall war, seitens der Industrie (u.a. Metall- und Elektroindustrie) und der gewerblichen Betriebe zur Erledigung von Hilfstätigkeiten nachgefragt, sondern auch zunehmend in Dienstleistungsbranchen eingesetzt (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008b). Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Nutzung von Zeitarbeit im Gesundheitswesen. Die Einrichtungen und Betriebe des Gesundheitswesens sind infolge veränderter Rahmenbedingungen zunehmend auf eine flexible Personalplanung angewiesen. Aufgrund des zunehmenden Kosten- und Wettbewerbsdrucks insbesondere in Einrichtungen der stationären, teilstationären und ambulanten Pflege und der infolge des demographischen Wandels erhöhten Nachfrage nach Pflegeleistungen gewinnt die Frage eines flexiblen und kostengünstigen Einsatzes von Arbeitskräften auch in Unternehmen des Gesundheitswesen immer mehr an Bedeutung. Die Senkung von Personalkosten sowie die Flexibilisierung der Personalplanung und des Personaleinsatzes stellen Schlüsselfaktoren für eine effiziente und strategische Unternehmensführung dar. Gerade im kundenorientierten Gesundheitswesen trägt die Qualifikation und Kompetenz der eingesetzten Arbeitskräfte sowie die optimale und effiziente Gestaltung des Einsatzes der Arbeitskräfte entscheidend zur Arbeitsqualität und somit auch zum Erfolg des Unternehmens bei. Es stellt sich die Frage, welche Rolle die Zeitarbeit bei der Flexibilisierung des Personaleinsatzes für Einrichtungen und Betriebe des Gesundheitswesens spielt. Daher wird in dieser Arbeit untersucht, welche Bedeutung der Einsatz von Zeitarbeit als personalpolitisches Instrument in den Bereichen des Gesundheitswesens hat und in welcher Form Zeitarbeit bislang in Einrichtungen des Gesundheitswesens eingesetzt wird. Dabei liegt das Forschungsinteresse besonders auf den Einrichtungen der stationären Versorgung und der ambulanten und stationären Pflege, da es sich hierbei um Bereiche mit einer hohen Personalintensität handelt. Die Diplomarbeit möchte einen Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte um die Zeitarbeit in Deutschland leisten, indem sie theoretische und empirische Befunde zu dem

1 Einleitung 12 bisher noch weitgehend unerforschten Forschungsfeld der Nutzung und Bedeutung von Zeitarbeit in der Gesundheitsbranche liefert. Dabei ist von besonderem Interesse, welche Chancen die Zeitarbeit im Gesundheitswesen sowohl den Kundenunternehmen als auch den Arbeitnehmern bietet. Neben den Vorteilen der Zeitarbeit sollen mögliche Risiken der Zeitarbeit für Kundenunternehmen und Arbeitnehmer herausgearbeitet werden. Weiterhin soll analysiert werden, welche Potenziale für die Nutzung von Zeitarbeit in Einrichtungen des Gesundheitswesens bestehen und welche Herausforderungen die Personaldienstleistungsunternehmen zu bewältigen haben, um die Unternehmen im Gesundheitswesen von den Vorteilen der Zeitarbeit zu überzeugen. 1.2 Aufbau der Arbeit und methodisches Vorgehen Die Arbeit basiert größtenteils auf einer Sekundäranalyse von statistischem Datenmaterial und bisher publizierten Forschungsberichten und Studien zum Thema Zeitarbeit. Ziel der umfangreichen Literatur- und Internetrecherche war es, den bisherigen wissenschaftlichen Forschungsstand zum Thema Zeitarbeit im Gesundheitswesen darzustellen und somit einen grundlegenden Überblick über den Markt für Zeitarbeit im Gesundheitswesen zu erarbeiten. Im ersten Teil sollen einleitend die Funktionsweise und die rechtlichen Grundlagen der Zeitarbeit erläutert werden (Kapitel 2). Neben einer Bestimmung des Begriffs Zeitarbeit wird insbesondere das für die Zeitarbeit charakteristische Dreiecksverhältnis zwischen Verleihunternehmen, Entleihunternehmen und Zeitarbeitnehmern dargestellt. Ein Überblick über die Entstehung und geschichtliche Entwicklung der Zeitarbeit mit besonderer Berücksichtigung der rechtlichen Grundlagen führt weiter in den Untersuchungsgegenstand der Zeitarbeit ein. Im Anschluss daran soll eine kurze Zusammenfassung der verschiedenen Flexibilitätsformen und -instrumente aufzeigen, welche Möglichkeiten den Unternehmen generell zur Flexibilisierung ihres Personalbestands zur Verfügung stehen. Danach soll die aktuelle Struktur des Zeitarbeitsmarktes in Deutschland dargestellt werden (Kapitel 3). In diesem Kapitel soll deutlich werden, wie sich die Nutzung der Zeitarbeit in den Unternehmen in den letzten Jahren entwickelt hat, welche Veränderungen und Tendenzen es in den Einsatzfeldern der Zeitarbeit zu beobachten gibt

1 Einleitung 13 und welche Merkmale der typische Zeitarbeitnehmer aufweist. Anschließend wird eine Analyse der Struktur und Situation der Gesundheitswirtschaft in Deutschland vorgenommen (Kapitel 4). Zunächst erfolgt eine allgemeine Bestandsaufnahme der Arbeitsmarkt- und Personalsituation im Gesundheitswesen, im Anschluss daran wird auch auf die spezielle Personalentwicklung und -struktur im ambulanten Pflegedienst, in den teil-/vollstationären Pflegeheimen und im Krankenhaus eingegangen. Im Mittelpunkt des nächsten Kapitels steht die Zeitarbeit im Gesundheitswesen (Kapitel 5). Nach einer Bestandsaufnahme der Nutzung von Zeitarbeit in Bereichen des Gesundheitswesens wird die Bedeutung des Faktors Personal im Gesundheitswesen dargestellt. Dabei werden neben Gründen für die Notwendigkeit einer Flexibilisierung des Personaleinsatzes auch verschiedene Formen der Personalbeschaffung vorgestellt. Anschließend wird die Nutzung von Zeitarbeit in verschiedenen Einrichtungen des Gesundheitswesens untersucht. Der Fokus liegt dabei auf den ambulanten Pflegediensten, den teil-/vollstationären Pflegeheimen und dem Krankenhaussektor. Ausgehend von personellen und strukturellen Entwicklungen in den genannten Einrichtungen wird analysiert, welche Vorteile und Chancen der Einsatz von Zeitarbeitskräften in diesen Einrichtungen haben kann. Im nächsten Kapitel sollen die Vorteile und Nachteile, die Zeitarbeit den Unternehmen im Gesundheitswesen und den Arbeitnehmern bieten kann, unter Berücksichtigung der speziellen Anforderungen und Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens noch einmal zusammengefasst und um weitere Aspekte ergänzt werden (Kapitel 6). Dabei sollen sowohl die Motivationen der Unternehmen, Zeitarbeitskräfte einzusetzen, als auch die Motivlagen der Arbeitnehmer, eine Zeitarbeitstätigkeit aufzunehmen, differenziert herausgearbeitet werden. Anschließend werden die in der wissenschaftlichen Diskussion immer wieder angesprochenen möglichen Risiken und Unsicherheitsfaktoren, die die Ausübung einer Zeitarbeitstätigkeit für den Zeitarbeitnehmer und für das Kundenunternehmen mit sich bringen kann, dargestellt. In einem Zwischenfazit werden die gewonnenen Erkenntnisse aus dem theoretischen Teil zusammengefasst. Zusätzlich zur Auswertung der Sekundäranalyse wurde im empirischen Teil der Arbeit ein leitfadengestütztes Experteninterview mit der Teamleiterin und Personalberaterin eines Personaldienstleistungsunternehmens, welches sich

1 Einleitung 14 auf den Verleih von Hilfskräften und Fachpersonal an Einrichtungen und Betriebe des Gesundheitswesens spezialisiert hat, geführt und ausgewertet (Kapitel 7). Das Interview soll ausgehend von der Sicht der Interviewpartnerin Einblicke in die Nutzung von Zeitarbeit im Gesundheitswesen und in bisherige Erfahrungen mit dem Einsatz von Zeitarbeitnehmern im Gesundheitswesen bieten. Durch diese Methode der Primärforschung sollten weitergehende und neue Informationen zum Themenfeld gewonnen werden. In dem Interview wurden Fragen zur Bedeutung und Entwicklung von Zeitarbeit im Gesundheitswesen gestellt. Des Weiteren wurde angestrebt, Informationen und Erkenntnisse über die Einsatz- und Tätigkeitsfelder von Zeitarbeitnehmern im Gesundheitswesen, den Stellenwert von hochqualifizierten Zeitarbeitnehmern und die Rolle der Weiterbildung in der Zeitarbeitsbranche zu sammeln. Die im Interview gewonnenen und ausgewerteten Erkenntnisse und Erfahrungen sollen die im theoretischen Teil dargestellten Ergebnisse ergänzen, präzisieren und erweitern und dazu beitragen, die Bedeutung der Zeitarbeit im Gesundheitswesen und mögliche Perspektiven und Entwicklungstendenzen dort besser bewerten zu können. An die Darstellung des Praxisbeispiels schließt sich eine kurze Analyse der Herausforderungen an, welche die Zeitarbeitsbranche und die Personaldienstleistungsunternehmen zu bewältigen haben, um den Stellenwert von Zeitarbeit auch im Gesundheitswesen zu erhöhen (Kapitel 8). Die Diplomarbeit schließt mit der Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse im Hinblick auf die zu Beginn der Arbeit formulierten Fragestellungen und einem Ausblick (Kapitel 9).

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 15 2 Grundlagen und Begriffsbestimmung Da die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und der Wandel der Arbeitswelt entscheidenden Einfluss auf das Wachstum der Zeitarbeitsbranche in den vergangenen Jahren hatte, soll einleitend auf den Wandel der Erwerbsformen und mögliche Ursachen und Folgen der Pluralisierung der Arbeitsformen eingegangen werden (Kapitel 2.1). Anschließend soll eine Einführung in den Untersuchungsgegenstand der Zeitarbeit erfolgen. Dabei wird zunächst eine definitorische Abgrenzung des Begriffs der Zeitarbeit vorgenommen (Kapitel 2.2) und anschließend die Funktionsweise der Zeitarbeit anhand des für die Zeitarbeit charakteristischen Dreiecksverhältnisses zwischen Verleihunternehmen, Entleihunternehmen und Zeitarbeitnehmer dargestellt (Kapitel 2.3). Ein Überblick über die Entstehung und geschichtliche Entwicklung der Zeitarbeit unter besonderer Berücksichtigung der rechtlichen Grundlagen führt weiter in den Untersuchungsgegenstand der Zeitarbeit ein (Kapitel 2.4). Bei der Analyse der Potenziale der Zeitarbeit in Unternehmen muss beachtet werden, dass Zeitarbeit nur eine von zahlreichen Möglichkeiten des Unternehmens zur Flexibilisierung des Personalbestands darstellt. Neben der Zeitarbeit existiert eine Fülle von internen und externen Flexibilisierungsformen, auf die kurz eingegangen werden soll (Kapitel 2.5). 2.1 Wandel der Arbeitswelt Auf dem Arbeitsmarkt haben sich in letzter Zeit Wandlungs- und Veränderungsprozesse abgezeichnet, die schon in den 1980er und 1990er Jahren mit den Schlagwörtern Erosion des Normalarbeitsverhältnisses und Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse analytisch vorweggenommen und diskutiert wurden (vgl. Mückenberger 1985; Hoffmann/Walwei 1998). Die institutionelle Form der Erwerbsarbeit befindet sich im Umbruch und ist durch einen schrittweisen Bedeutungsverlust des Normalarbeitsverhältnisses und durch die stetige Zunahme neuer Beschäftigungsformen gekennzeichnet. Im Folgenden soll die aktuelle Entwicklung der verschiedenen Arbeitsverhältnis-

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 16 se dargestellt und neben Gründen auch Folgen dieses Wandels aufgezeigt werden. 2.1.1 Von der Normalarbeit zur atypischen Beschäftigung Um die Diskussion über die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses verfolgen und bewerten zu können, ist es zunächst hilfreich, den Begriff Normalarbeit zu definieren. Das Normalarbeitsverhältnis zeichnet sich vor allem durch folgende Charakteristika aus (vgl. Mückenberger 1985, S. 422ff.; Däubler 1988; Hoffmann/Walwei 1988, S.410; Hinrichs 1989, S. 12): Vollzeittätigkeit mit entsprechenden Einkommen, wobei der Arbeitsvertrag prinzipiell unbefristet ist; vollständige Integration in die sozialen Sicherungssysteme und die Teilhabe an kollektivvertraglichen Vereinbarungen und betrieblichen Leistungen; Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis. Die folgende Definition fasst diese einzelnen Charakteristika noch einmal zusammen: Unter Normalarbeitsverhältnis wird ein Arbeitsverhältnis von abhängig Beschäftigten verstanden, die vollzeitbeschäftigt und nicht als Leiharbeitnehmer tätig sind und die einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben. Unter normativen Gesichtspunkten bezeichnet der Begriff des Normalarbeitsverhältnisses eine sozial abgesicherte, abhängige Vollzeitbeschäftigung, deren Rahmenbedingungen (Arbeitsrecht, Löhne, Transferleistungen) kollektivvertraglich bzw. arbeits- und sozialrechtlich auf einem Mindestniveau geregelt sind. (Oschmiansky 2007, S. 2) Im Gegensatz dazu werden unter dem Begriff atypische Beschäftigungsverhältnisse all jene Arbeitsformen zusammengefasst, die mindestens eines der zentralen Kriterien des Normalarbeitsverhältnisses nicht erfüllen. Zu den atypischen Beschäftigungsformen zählen vor allem die Teilzeitarbeit, die geringfügige Beschäftigung, die befristete Beschäftigung, die Zeitarbeit und die Selbständigkeit. Neben dem Begriff atypisch werden häufig auch andere Adjektive wie anormal, irregulär, prekär und modern benutzt, um diejenigen Beschäftigungsverhältnisse zu beschreiben, die vom Normalarbeitsverhältnis abweichen (vgl. Hoffmann/Walwei 1998).

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 17 Aktuelle Statistiken zeigen, dass das Normalarbeitsverhältnis an Bedeutung verliert, da sein Anteil an der Gesamtbeschäftigung rückläufig ist, während verschiedene andere Erwerbsformen Zuwächse verzeichnen können (vgl. Alda 2005, S. 245). Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lag die Anzahl der Normalarbeitsverhältnisse in Deutschland im Jahr 2007 bei ca. 22,5 Millionen (vgl. Statistisches Bundesamt 2008a, S. 7). Von 1997 bis 2007 sank die Zahl der Normalarbeitsplätze um ca. 1,5 Millionen (siehe Tabelle 1). Tabelle 1: Abhängig Beschäftigte in der Haupterwerbstätigkeit (1997-2007) Jahr Abhängig Beschäftigte Insgesamt Normalarbeitsverhältnisse (in Klammern: Anteil an Abhängig Beschäftigten insgesamt) Atypische Arbeitsverhältnisse (in Klammern: Anteil an Abhängig Beschäftigten insgesamt) 1997 29,12 Mio. 1999 29,45 Mio. 2001 29,73 Mio. 2003 28,96 Mio. 2005 28,83 Mio. 2007 30,18 Mio. 24,02 Mio. (82,5%) 5,10 Mio. (17,5%) 23,64 Mio. (80,3%) 5,81 Mio. (19,7%) 23,74 Mio. (79,9%) 5,99 Mio. (20,1%) 22,83 Mio. (78,8%) 6,13 Mio. (21,2%) 22,08 Mio. (76,6%) 6,75 Mio. (23,4%) 22,49 Mio. (74,5%) 7,68 Mio. (25,5%) Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Statistisches Bundesamt 2008a, S. 7 In den letzten drei Jahren ist allerdings eine Zunahme von Normalarbeitsverhältnissen zu verzeichnen (+400.000), was jedoch vor allem auf den allgemeinen Beschäftigungszuwachs in diesem Zeitraum zurückzuführen ist (+1.350.000). Die Zahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse lag im Jahr

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 18 2007 bei ca. 7,68 Millionen (vgl. Statistisches Bundesamt 2008a). Im Vergleich zum Normalarbeitsverhältnis hat die atypische Beschäftigung in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Von 1997 bis 2007 stieg die Zahl der atypisch Beschäftigten um ca. 2,58 Millionen. Nichtsdestoweniger stellt das Normalarbeitsverhältnis weiterhin die dominierende Beschäftigungsform dar. Im Jahr 2007 standen 74,5% der abhängig Beschäftigten in einem Normalarbeitsverhältnis unter Vertrag, während 25,5% einer atypischen Beschäftigung nachgingen. Allerdings wird auch deutlich, dass das Normalarbeitsverhältnis gemessen an seinem Anteil an der abhängigen Beschäftigung in den letzten Jahren schrittweise an Bedeutung verloren hat. So ist der Anteil der normal Beschäftigten in den letzten Jahren von 82,5% auf 74,5% gesunken. Dementsprechend ist die Zahl der atypisch Beschäftigten um 8% gestiegen (von 17,5% auf 25,5%). Die Daten belegen, dass eher von einer Differenzierung bzw. Pluralisierung der Beschäftigungsformen (Keller 2008, S. 333) als von einer Erosion des Normalarbeitsverhältnisses gesprochen werden sollte. 2.1.2 Gründe und Folgen des Wandels der Erwerbsformen Die Gründe für den Wandel des Erwerbssystems sind vielfältig (vgl. Schmid 2000; Struck 2006; Dietz/Walwei 2006; Oschmiansky 2007) und können daher hier nur ansatzweise dargestellt werden. Der Strukturwandel, der auch die Arbeitswelt betrifft, ist gekennzeichnet durch einen zunehmenden nationalen und internationalen Wettbewerb bei fortlaufendem technologischem Fortschritt. Dieser Wandel ist durch folgende Entwicklungen und veränderte Rahmenbedingungen hervorgerufen worden: Die Wirtschaftsentwicklung in den vergangenen Jahren, die bis 2007 durch wirtschaftliche Stagnation, geringes Beschäftigungswachstum und eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet war, hat dazu beigetragen, dass atypische Beschäftigungsformen an Bedeutung gewonnen haben und Arbeitnehmer eher dazu bereit sind, sich auf solche meist unsicheren Arbeitsverhältnisse einzulassen. Neben der konjunkturellen Entwicklung und dem gesamtwirtschaftlichen Strukturwandel ist insbesondere auch die Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahren dafür verantwortlich, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse an Attraktivität gewonnen haben. Durch spezifi-

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 19 sche arbeitsmarktpolitische Regelungen und den Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente ist das Wachstum atypischer Beschäftigungsverhältnisse gezielt gefördert worden (vgl. Bach et al. 2005, S. 1ff.; Dietz/Walwei 2006, S.17; Oschmiansky 2007, S. 1). Die im Zuge der Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz-Gesetze) eingeführten arbeitsmarktpolitischen Regelungen und Instrumente beabsichtigten eine Erhöhung der Arbeitsmarktflexibilität und eine Zunahme der Beschäftigung (vgl. Hartz et al. 2002). Ziel war es, die institutionellen Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes beschäftigungsfreundlicher zu gestalten, da man sich von der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes eine Stabilisierung und allmähliche Ausweitung des Beschäftigungsniveaus erhoffte (vgl. Keller/Seifert 2007, S. 7). Zu diesem Zwecke wurden atypische Beschäftigungsverhältnisse durch spezielle Förderungen, Erleichterungen und Deregulierungen gezielt unterstützt. Die betriebliche Personalpolitik der Unternehmen spielt beim Wandel der Erwerbsformen ebenfalls eine maßgebliche Rolle. Aufgrund des zunehmenden nationalen und internationalen Wettbewerbs wird es für die Unternehmen immer wichtiger, Produktionsfaktoren flexibel einsetzen zu können. Weiterhin sind natürlich auch die Arbeitskosten von Bedeutung, die bei atypischen Beschäftigungsverhältnissen geringer ausfallen (vgl. Pfeifer 2006, S. 201ff.; Nienhüser/Baumhus 2002, S. 80ff.). Aber auch von Arbeitnehmern gehen Impulse aus, die das Entstehen neuer Beschäftigungsformen befördern. Es ist ein Wandel der Arbeitnehmerpräferenzen und -wünsche festzustellen, der zu veränderten Erwerbsbiographien und Lebensstilen führt und folgende Merkmale aufweist (vgl. Schmid 2000, S. 269ff.; Preis 2005, S. 3): Trend zur Individualisierung; Berufswünsche werden immer ungezielter und wandeln sich im Laufe einer Erwerbsbiographie; steigende Frauenerwerbsquoten aufgrund des Wunsches von Frauen nach ökonomischer Unabhängigkeit vom Ehemann/Lebenspartner; wachsende Anforderungen an die Erwerbstätigkeit: Vereinbarkeit mit dem familiären Umfeld und anderen Aktivitäten wie Ehrenamt wird angestrebt

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 20 Daraus folgt, dass sich die Arbeitsverhältnisse von standardisierten zu variablen Arbeitsplätzen (Schmid 2000, S. 269ff.) wandeln. Die Folgen des Wandels der Erwerbsformen werden in der Wissenschaft sowohl positiv wie auch negativ bewertet. In den neuen flexibleren Arbeitsformen wird ein Instrument gesehen, das zum Beschäftigungswachstum beitragen und insbesondere Personengruppen, die über mangelnde Qualifikationen verfügen, den (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglichen kann (vgl. Hoffmann/Walwei 2000, S. 1). Insgesamt soll die Flexibilität des Arbeitsmarktes und dessen Funktionsfähigkeit verbessert werden, um eine Zunahme der Beschäftigung zu erreichen (vgl. Eichhorst et al. 2001; Sachverständigenrat 2005). Negative Auswirkungen durch die steigende Anzahl an atypischen Beschäftigungsverhältnissen werden vor allem im Hinblick auf die soziale Sicherheit des einzelnen Arbeitnehmers und das soziale Sicherungssystem insgesamt befürchtet (vgl. Kommission für Zukunftsfragen 1996; Hoffmann/Walwei 2000, S. 1). Es ist zu beachten, dass atypische Beschäftigungsformen nicht generell als prekäre Beschäftigungsverhältnisse gedeutet werden können, doch weisen sie ein deutlich höheres prekäres Potenzial auf als Normalarbeitsverhältnisse (vgl. Fuchs 2006; Keller/Seifert 2007). Als prekär kann ein Erwerbsverhältnis bezeichnet werden, wenn die Beschäftigten aufgrund ihrer Tätigkeit deutlich unter ein Einkommens-, Schutz- und soziales Integrationsniveau sinken, das in der Gegenwartsgesellschaft als Standard definiert und mehrheitlich anerkannt wird. (Brinkmann et al. 2006, S. 17) Keller und Seifert sind der Meinung, dass eine differenziertere sozial- und beschäftigungspolitische Analyse der betreffenden Beschäftigungsformen notwendig ist, um prekäre Arbeitsverhältnisse identifizieren zu können (vgl. Keller/Seifert 2007, S. 11). Nicht nur das aktuelle Arbeitsverhältnis und seine rechtlich-institutionelle Ausgestaltung, sondern auch das Individualeinkommen, die allgemeinen Lebensbedingungen und die bisherige Erwerbsbiographie sind entscheidende Kriterien für die Identifizierung einer prekären Lebenssituation (vgl. Keller/Seifert 2007, S. 11). Allerdings sind es nicht nur die atypischen Beschäftigungsformen, die die Gefahr eines Abstiegs in die Zone der Prekarität in sich bergen; zu erwähnen ist hier auch die Tatsache, dass zunehmend mehr Vollzeitbeschäftigte mit niedrigem Einkommen von einer

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 21 unsicheren Lebenssituation betroffen sind. Prekarität reicht mittlerweile bis in die Mitte der Erwerbsgesellschaft hinein (vgl. Fuchs 2006, S. 15). 2.2 Begriff der Zeitarbeit Die Bezeichnungen Leiharbeit, Arbeitnehmerüberlassung und Personalleasing werden in Deutschland synonym zu dem Begriff der Zeitarbeit verwendet. Im juristischen Bereich wird der Begriff Arbeitnehmerüberlassung verwendet, während Gewerkschaften oft von Leiharbeit sprechen (Koch 2007, S. 6). Der Begriff Zeitarbeit wird von der Zeitarbeitsbranche favorisiert und ist mittlerweile auch am gebräuchlichsten (vgl. Böhm et al. 2008, S. 12). In der vorliegenden Arbeit werden wechselweise die Begriffe Zeitarbeit, Leiharbeit und Arbeitnehmerüberlassung verwendet. Im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wird Zeitarbeit wie folgt definiert: Werden Arbeitnehmer Dritten zur Arbeitsleistung überlassen und übernimmt der Überlassende nicht die üblichen Arbeitgeberpflichten oder das Arbeitgeberrisiko ( 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3), so wird vermutet, dass der Überlassende Arbeitsvermittlung betreibt. (AÜG 1 Abs. 2) 2.3 Funktionsweise der Zeitarbeit Ein charakteristisches Merkmal der Arbeitnehmerüberlassung ist, dass ein Arbeitgeber (Verleihunternehmen) bei ihm angestellte Arbeitskräfte (Zeitarbeitnehmer) einem Dritten (Entleihunternehmen) für eine gewisse Zeit zur Verfügung stellt, damit sie für diesen eine Arbeitsleistung erbringen. Es wird oft davon gesprochen, dass ein Dreiecksverhältnis zwischen den beteiligten Akteuren besteht (Tenbrock 2005, S. 913). Die Ausgestaltung der rechtlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren ist in Abbildung 1 dargestellt.

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 22 Abbildung 1: Zeitarbeit als Dreiecksverhältnis Quelle: Brömser 2008, S. 480 Bei der Arbeitnehmerüberlassung wird die Arbeitgeberfunktion sowohl vom Zeitarbeitsunternehmen als auch vom Entleihunternehmen ausgeübt (vgl. Böhm et al. 2008, S. 14). Dabei sind die Rechte und Pflichten der beiden wie folgt verteilt (vgl. Böhm et al. 2008, S. 15; Bolder et al. 2005, S. 23-24): Zwischen dem Verleihunternehmen und dem Zeitarbeitnehmer wird ein Arbeitsverhältnis beschlossen, das auch bei einer Entsendung des Arbeitnehmers in ein Entleihunternehmen weiter fortbesteht. Damit bleibt das Verleihunternehmen auch während der Verleihphase Arbeitgeber des Zeitarbeitnehmers. Die Hauptpflichten des Arbeitgebers wie Lohnzahlung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und steuerliche arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Pflichten liegen in der Verantwortung des Verleihunternehmens. Ebenfalls obliegt es der Verantwortung und Entscheidung des Zeitarbeitsunternehmens, wann und bei welchem Entleiher der Zeitarbeitnehmer seine Arbeitsleistung zu erbringen hat. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, seine Arbeitsleistung beim Entleihunternehmen zu erbringen, und untersteht dessen Weisungs- und Direktionsrecht, welches vom Zeitarbeitsunternehmen auf den jeweiligen Entleiher übertragen wurde. Zwischen dem Entleihunternehmen und dem Zeitarbeitnehmer besteht somit kein arbeitsvertragliches Verhältnis. Zwischen dem Verleihunternehmen und dem Entleihunternehmen

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 23 wird ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag geschlossen. Dieser Vertrag verpflichtet das Verleihunternehmen zur Überlassung eines Arbeitnehmers und das Entleihunternehmen zur Vergütung der Überlassung. 2.4 Geschichtliche Entwicklung und rechtliche Grundlagen der Zeitarbeit Vor 1967 wurde in Deutschland jede Form von Zeitarbeit dem Bereich der Arbeitsvermittlung zugeordnet und da der Staat ein Monopol auf die Arbeitsvermittlung hatte, welches über die Bundesanstalt für Arbeit ausgeübt wurde, war es privaten Unternehmen verboten, Zeitarbeit an Dritte zu vermitteln. Nachdem eine schweizerische Zeitarbeitsfirma gegen das Verbot geklagt hatte, stufte das Bundesverfassungsgericht am 4.4.1967 dieses als verfassungswidrig ein und hob es damit letztlich auf (vgl. Vitols 2004, S. 12). Das Bundesverfassungsgericht begründete seine Entscheidung mit der Tatsache, dass ein Verbot der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung mit dem in Art. 12 GG enthaltenen Grundrecht auf freie Berufswahl nicht vereinbar sei (vgl. Tenbrock 2005, S. 3). Nach der Aufhebung des Verbots der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung kam es zu zahlreichen Neugründungen von Zeitarbeitsunternehmen. Allein von 1968 bis 1972 stieg die Anzahl der Zeitarbeitsunternehmen von 145 auf 1.046, welches einem Wachstum von ca. 721% entspricht (vgl. Brömser 2008, S. 488). Am 12. Oktober 1972 trat das Gesetz zur Regelung der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung (Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung Arbeitnehmerüberlassungsgesetz [AÜG]) in Kraft, welches bis heute den Verleih von Arbeitnehmern regelt. Zeitarbeitsunternehmen benötigen von der Bundesagentur für Arbeit eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung und sind zu Kontrollauskünften verpflichtet (vgl. Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung). Mit der Einführung des Gesetzes wurde die Arbeitnehmerüberlassung rechtlich geregelt, um eine Ordnung und Kontrolle der Arbeitnehmerüberlassung und einen arbeits- und sozialversicherungspflichtigen Schutz der Zeitarbeitnehmer zu gewährleisten (vgl. Rudolph/Schröder 1997, S. 103; Brömser 2008, S. 488). Zu diesem Zweck wurde die Arbeitnehmerüberlassung strikt reguliert und ein Befristungs-, Wiedereinstellungs- und Synchronisationsverbot erlassen. Diese drei Verbote

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 24 sollten sicherstellen, dass die Verleihunternehmen und nicht die einzelnen Zeitarbeitnehmer das Arbeitgeberrisiko zu tragen haben (vgl. 1 Abs. 2 AÜG). Das Arbeitgeberrisiko besteht u.a. darin, den Zeitarbeitnehmern auch dann einen Lohn zahlen zu müssen, wenn diese aufgrund fehlender Nachfrage nicht an ein Entleihunternehmen verliehen werden können. Das Befristungs-, Wiedereinstellungs- und Synchronisationsverbot wurde eingeführt, um zu verhindern, dass die Zeitarbeitnehmer nur für die Dauer der Arbeitsüberlassung von dem Verleiher beschäftigt werden und damit das Arbeitgeberrisiko auf den Leiharbeitnehmer abgewälzt wird (vgl. Jahn 2008, S. 22; Nienhüser/Baumhus 2002, S. 66). Des Weiteren wurde die Höchstüberlassungsdauer (die ununterbrochene Überlassung an einen Entleihbetrieb) auf drei Monate zeitlich begrenzt. Ziel der Einschränkung der Überlassungsdauer war es zu vermeiden, dass Unternehmen längerfristig auf Zeitarbeitskräfte zurückgreifen. Zeitarbeit sollte nur kurzfristig eingesetzt werden, um damit die mögliche Gefahr einer Substitution von regulären Beschäftigungsverhältnissen zu reduzieren (vgl. Jahn 2008, S. 22). Wegen dieser zahlreichen Restriktionen zählte Deutschland bis Ende der 90er Jahre zu den stärker regulierten Zeitarbeitsmärkten in Europa (vgl. Burda/Kvasnicka 2005, S. 6-7). Seit 1982 wurde das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz stufenweise dereguliert (siehe Tabelle 2). Dies zeigt sich vor allem in der schrittweisen Verlängerung der Überlassungshöchstdauer, die bis 2002 auf 24 Monate ausgeweitet wurde und infolge des Inkrafttretens des Ersten Hartz-Gesetzes am 1.1.2004 abgeschafft wurde.

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 25 Tabelle 2: Überblick über die Reformen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes Datum Gesetz Änderung 1.1.1982 Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Bauhauptgewerbe 1.5.1985 Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG 1985) 22.12.1989 Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG 1990) 1.1.1994 Erstes Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) 1.4.1997 Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG 1997) 1.1.2002 Job-AQTIV-Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente 1.1.2003 Erstes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz I) Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 3 auf 6 Monate (Regelung gültig bis 31.12.1989) Verlängerung der Regelung des BeschFG zum 1.5.1990 bis 31.12.1995 Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 6 auf 9 Monate Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 9 auf 12 Monate Erlaubnis einmaliger Befristung Zulassung der Synchronisation von Ersteinsatz und Arbeitsvertrag beim erstmaligen Verleih Wiederholte Zulassung lückenlos aufeinanderfolgender Befristungen mit demselben Leiharbeitnehmer Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 12 auf 24 Monate Gleichbehandlungsgrundsatz nach 12 Monaten Wegfall des Synchronisations- und Wiedereinstellungsverbots und der Überlassungshöchstdauer Lockerung des Entleihverbotes im Bauhauptgewerbe Einführung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, soweit nicht ein Tarifvertrag abweichende Regelungen zulässt Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Rudolph/Schröder 1997, S. 103; Antoni/Jahn 2006, S. 2; Brömser 2008, S. 485

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 26 Mit der Verabschiedung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt im Dezember 2002 wurde die gesetzliche Regelung der Zeitarbeit grundlegend verändert. Das Inkrafttreten des Hartz-I-Gesetzes führte zu einer Zeitenwende (Böhm 2008, S. 8) für die Zeitarbeit. Die Hartz- Kommission wollte die beschäftigungspolitischen Potenziale der Zeitarbeit fördern, indem sie bisher bestehende Regulierungen und Restriktionen wie das Synchronisationsverbot, die Beschränkung der Überlassungshöchstdauer, das Wiedereinstellungsverbot nach vorangegangener Kündigung durch den Verleihbetrieb und das Verbot der wiederholten Befristung zum 1.1.2004 abschaffte (vgl. Brömser 2008, S. 489). Durch die Deregulierung sollte die Zeitarbeit als flexible Beschäftigungsform einen entscheidenden Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten (vgl. Hartz et al. 2002, S. 157). Im Gegenzug zu den zahlreichen Deregulierungsmaßnahmen wurde der Grundsatz der Gleichbehandlung eingeführt, der besagt, dass den Zeitarbeitnehmern während ihrer Beschäftigung das gleiche Arbeitsentgelt (Equal Pay) und die gleichen Arbeitsbedingungen (Equal Treatment) wie der Stammbelegschaft im Entleihbetrieb zu gewähren sei. Von diesem Grundsatz darf nur abgewichen werden, wenn das Zeitarbeitsunternehmen einen zuvor arbeitslosen Zeitarbeitnehmer für die Überlassung an ein Kundenunternehmen für die Dauer von insgesamt höchstens sechs Wochen einen Lohn zahlt, der mindestens so hoch ist wie das zuletzt vom Arbeitnehmer erhaltene Arbeitslosengeld, oder wenn ein Tarifvertrag die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsentgelt der Zeitarbeitnehmer regelt (vgl. Jahn 2008, S. 24). Dieser im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz festgeschriebene Ausnahmefall ( 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 AÜG) hatte zu Folge, dass es zu zahlreichen Tarifabschlüssen kam. So haben z.b. die beiden größten Arbeitgeberverbände, der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.v. (IGZ) und der Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e.v. (BZA), mit der DGB- Tarifgemeinschaft einen Tarifvertrag abgeschlossen (vgl. Burda/Kvasnicka 2005, S. 8). Aufgrund der verschiedenen bestehenden Tarifverträge besitzt der Gleichbehandlungsgrundsatz für den Großteil der Zeitarbeitnehmer aktuell keine Gültigkeit (vgl. Brömser 2008, S. 489). Ein weitere Maßnahme, die von der Hartz-Kommission getroffen wurde, war die flächendeckende Einrichtung von staatlich subventionierten Personal-

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 27 Service-Agenturen (PSA) in sämtlichen Arbeitsamtsbezirken in Deutschland (vgl. Burda/Kvasnicka 2005, S. 8). Bei den PSA handelt es sich um Arbeitnehmerüberlassungen, die Arbeitslose an Unternehmen verleihen. Zielsetzung der PSA ist es, Einstiegsbarrieren in den Arbeitsmarkt zu überwinden und die Vermittlung von Arbeitslosen in ein dauerhaftes sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu erleichtern (vgl. Hartz et al. 2002, S. 147). Nachdem im Jahr 2004 noch 56.000 Personen in einer PSA beschäftigt waren, ist die Nutzung des Instruments in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Im Juni 2007 waren nur noch weniger als 4.000 Personen in einer PSA angestellt (vgl. Bernhard et al. 2009, S. 171). Die von der Hartz- Kommission mit der Einführung von Personal-Service-Agenturen erhofften hohen Erwartungen konnten nicht erfüllt werden. So zeigen Analysen, dass sich die Beschäftigungschancen von PSA-Beschäftigten und Arbeitslosen, die nicht in einer PSA tätig sind, nicht unterscheiden (vgl. Bernhard et al. 2009, S. 171). Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass wie im Kapitel 3.1 noch ausführlicher dargestellt werden wird eine stetige Zunahme der Zeitarbeitsunternehmen und Zeitarbeitnehmer Folge der schrittweisen Liberalisierung der Arbeitnehmerüberlassung war. Die vom Gesetzgeber erhoffte positive Wirkung der Deregulierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auf den Umfang der Zeitarbeitsbranche ist somit eingetroffen. 2.5 Flexibilitätsformen und -instrumente Der Flexibilitätsbedarf, d.h. der Bedarf, die Anpassungsfähigkeit der Produktionsprozesse und der Beschäftigungssysteme zu verbessern, ist in vielen Unternehmen aufgrund des zunehmenden Wettbewerbsdrucks, gewandelter Organisationsstrukturen und veränderter Erwerbsorientierungen angestiegen. Der Sachverständigenrat sieht Flexibilität als eine zentrale Voraussetzung für die Bewältigung des Strukturwandels, für wirtschaftliches Wachstum und für den Abbau der Arbeitslosigkeit (vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2005). Demnach soll es das Ziel einer jeden Organisation sein, größtmögliche Flexibilität zu entfalten (vgl. Atkinson 1987). Unter Flexibilität versteht man generell die Fähigkeit von Akteuren und Organisationen, sich durch neue Verhaltensweisen bzw. die Schaffung neuer Arbeitsstrukturen auf veränderte Rahmenbedingungen ein-

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 28 zustellen. Für die betrieblichen Akteure bedeutet Flexibilität die über verschiedene Nutzungsformen von Personal erzielte Anpassungsfähigkeit [...] an Umweltanforderungen (Struck 2006, S. 12). Dabei ist in den letzten Jahren ein Wandel von Ausmaß, Akteuren und Formen der Flexibilisierung (Kratzer/Sauer 2003, S. 125) festzustellen. Was die betrieblichen Anpassungsmaßnahmen betrifft, wird in der OECD-Definition zwischen internen und externen Flexibilisierungsstrategien unterschieden (vgl. Vickery/Wurzburg 1996, vgl. auch Hohendanner/Bellmann 2006, S. 241). Von Bedeutung sind demnach besonders jene Maßnahmen, die within the enterprise or the existing contract-structure of the enterprise getroffen werden können (Vickery/Wurzburg 1996, zitiert nach Flecker 2007, S. 74). 2.5.1 Interne Flexibilität Die interne Flexibilisierung zielt darauf ab, Anpassungsprozesse innerhalb des Unternehmens zu erreichen. Dabei werden die Maßnahmen zur Flexibilisierung des Arbeitsprozesses und zur Anpassung des Arbeitskräfteeinsatzes aufgrund veränderter Angebots- und Nachfragebedingungen mit dem eigenen Personalbestand vorgenommen. Auf einen Rückgriff auf den externen Arbeitsmarkt wird verzichtet. Zu diesen betriebsinternen Maßnahmen zählen u.a. Überstunden und flexible Arbeitszeitmodelle (vgl. Hohendanner/Bellmann 2006, S. 241). Bei den internen Flexibilisierungsstrategien unterscheidet man drei Varianten (siehe Tabelle 3):

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 29 Tabelle 3: Interne Flexibilisierungsmaßnahmen Numerisch Anpassung von Arbeitszeit-, -dauer, -lage, -verteilung Funktional Arbeitsorganisation umfassende Qualifikation und Weiterbildung der Beschäftigten (Stammbelegschaft) Monetär Wegfall von Überstundenzuschlägen, Sonderzahlungen leistungsabhängige Entgeltformen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Massa-Wirth/Seifert 2006, S. 179; Flecker 2007, S. 75; Keller/Seifert 2007, S. 16 2.5.2 Externe Flexibilität Auf den wachsenden Flexibilisierungsbedarf können Unternehmen auch mit externen Flexibilisierungsstrategien reagieren. Externe Flexibilität erstreckt sich vor allem auf Personalanpassung durch Entlassungen und Einstellungen. Dazu gehört auch, dass Arbeitskräfte nur vorübergehend über atypische Arbeitsformen oder über Zeitarbeitsfirmen beschäftigt werden (vgl. Hohendanner/Bellmann 2006, S. 241). Weiterhin kann die externe Flexibilität durch Lohnkostensubventionen verbessert werden. Ebenso wie bei der internen Flexibilität werden auch bei der externen Flexibilität drei Formen unterschieden (siehe Tabelle 4): Tabelle 4: Externe Flexibilisierungsmaßnahmen Numerisch Zahlenmäßige Personalanpassung (z.b. Entlassungen, Einstellungen, atypische Vertragsformen, Zeitarbeit) Funktional Qualifizierung der Beschäftigten Monetär Lohnkostensubventionen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Massa-Wirth/Seifert 2006, S. 179; Keller/Seifert 2007, S. 16

2 Grundlagen und Begriffsbestimmung 30 Ob sich Unternehmen für den Einsatz von internen oder externen Flexibilisierungsstrategien entscheiden, hängt von ihren betrieblichen Kosten-Nutzen- Kalkülen ab. Keller unterscheidet verschiedene Faktoren, die ausschlaggebend dafür sind, welche Flexibilisierungsformen die Unternehmen in welcher Kombination einsetzen (2008, S. 332): Problemkonstellation; Beschäftigtenstruktur; spezifisches Arbeitsmarktsegment; betriebliche Macht- und Aushandlungskonstellationen. Dabei können die verschiedenen Flexibilisierungsformen sowohl in einem komplementären als auch in einem substitutiven Verhältnis zueinander stehen (Keller 2008, S. 332). Auf dem deutschen Arbeitsmarkt werden bevorzugt interne Flexibilisierungsformen in Anspruch genommen (vgl. Dormann 2001, S. 23; Rudolph/Schröder 1997, S.105; Hohendanner/Bellmann 2007; Keller 2008, S. 332). Allerdings hat in den letzten Jahren der Einsatz von externen Flexibilisierungsmaßnahmen zugenommen, was vor allem am Wachstum der Zeitarbeitsbranche festzustellen ist.

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 31 3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland Im Folgenden werden die wichtigsten Daten zur Struktur des Zeitarbeitsmarktes in Deutschland dargestellt, um einen generellen Überblick über die Zeitarbeitsbranche und deren Besonderheiten zu erhalten. Als Datenbasis zur Beschreibung der Struktur und Entwicklung des Zeitarbeitsmarktes dient in erster Linie die Statistik der Arbeitnehmerüberlassung, die halbjährlich von der Bundesagentur für Arbeit herausgegeben wird und welche die gesetzlich vorgeschriebenen Meldungen der Verleihbetriebe auswertet (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008b). In ihr werden Zeitarbeitsunternehmen erfasst, deren Hauptgeschäftsziel die Arbeitnehmerüberlassung ist oder die als ein Mischbetrieb tätig sind. Unter Mischbetrieben sind Unternehmen zu verstehen, deren hauptsächlicher Geschäftszweck nicht die Arbeitnehmerüberlassung ist, die aber eigene Mitarbeiter regelmäßig oder in Einzelfällen anderen Firmen überlassen. Auch aus der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit können einigermaßen verlässliche Aussagen über die Arbeitnehmer von Zeitarbeitsunternehmen gewonnen werden. In dieser Statistik werden sämtliche Arbeitskräfte erfasst, die in Zeitarbeitsunternehmen mit dem Hauptzweck der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt sind, doch wird dort nicht zwischen Stammpersonal und Leiharbeitnehmerschaft differenziert (vgl. Abbildung 2). Das hat zur Folge, dass die Leiharbeitsquote in der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit durchschnittlich ca. 0,1% unter jener der von ihr ebenfalls veröffentlichten Arbeitnehmerüberlassungsstatistik liegt (vgl. Jahn/Wolf 2005, S. 8). In der folgenden Betrachtung der Struktur des Zeitarbeitsmarktes dient daher vor allem die Arbeitnehmerüberlassungsstatistik (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008b) als Datengrundlage.

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 32 Abbildung 2: Erfassung von Leiharbeitern in der Arbeitnehmerüberlassungs- und Beschäftigungsstatistik Quelle: Buch/Niebuhr 2008, S. 1 3.1 Entwicklung der Zeitarbeit Ziel dieses Abschnitts ist es, die quantitative Bedeutung der Zeitarbeit in Deutschland darzustellen. In den letzten Jahren ist die Zahl der Zeitarbeitsunternehmen stark gewachsen (siehe Abbildung 3). Im Dezember 2007 gab es in Deutschland 21.241 Verleihbetriebe. Dies entspricht einem Zuwachs von 12% (bzw. 2.300 Betrieben) gegenüber dem Vorjahr. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Zeitarbeitsunternehmen um 12.100 Betriebe (+133%) angestiegen.

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 33 Abbildung 3: Verleihbetriebe in Deutschland (1995-2007) 25000 Anzahl der Verleihbetriebe 20000 15000 10000 5000 0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Jahr (Stand: 31.12. des jeweiligen Jahres) Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bundesagentur für Arbeit 2008b, S. 14 Betrachtet man die Größenstruktur der Zeitarbeitsunternehmen, zeigt sich, dass ca. 44% der Verleihbetriebe 1 bis 19 Arbeitnehmer und ca. 42% der Verleihbetriebe über 20 bis maximal 99 Arbeitnehmer beschäftigen (siehe Abbildung 4). Abbildung 4: Größenstruktur der Zeitarbeitsunternehmen (Anzahl der Arbeitnehmer in den Verleihbetrieben (Stand: 31.12.2007) über 100 14% 1 bis 19 44% 1 bis 19 20 bis 99 über 100 20 bis 99 42% Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bundesagentur für Arbeit 2008b, S. 28

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 34 Der Anteil der Betriebe, in denen über 100 Arbeitnehmer angestellt sind, liegt bei 14%, d.h. dass in ca. 3000 Verleihbetrieben in Deutschland jeweils über 100 Arbeitnehmer tätig sind. In den letzten Jahren ist ein Wachstum der Betriebe mit über 100 Arbeitnehmern zu verzeichnen, während die Zahl der kleinen und mittleren Betriebe trotz allgemeiner Steigerung der Zeitarbeitsunternehmen leicht rückläufig ist (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008a). Auswertungen des IAB-Betriebspanels 2006 haben ergeben, dass nur ca. 3% aller Betriebe in Deutschland Zeitarbeit nutzen (vgl. Bellmann et al. 2009, S. 392). Zeitarbeitskräfte werden vor allem von größeren Unternehmen beschäftigt. Der Einsatz von Zeitarbeitskräften steigt mit der Betriebsgröße des Unternehmens an. Im Jahr 2006 nutzten 40% der Betriebe mit über 250 Beschäftigten Zeitarbeit (vgl. Bellmann et al. 2009, S. 392). Der Boom der Zeitarbeitsbranche zeigt sich neben der wachsenden Anzahl an Verleihbetrieben vor allem auch an der stark gestiegenen Zahl der Zeitarbeitnehmer (siehe Abbildung 5). Abbildung 5: Bestand an Leiharbeitnehmern (in Tausend) (1996-2007) 800 700 600 631 721 500 465 Anzahl 400 300 200 178 200 232 286 338 303 309 328 389 100 0 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Jahr (Stand: Dezember des jeweiligen Jahres) Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bundesagentur für Arbeit 2008b, S. 15

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 35 Im Dezember 2007 waren 721.000 Zeitarbeitnehmer bei den Verleihbetrieben angestellt. Dies entspricht einem Wachstum von 14% (bzw. 90.000) gegenüber dem Vorjahr und einer Steigerung von 260% (bzw. 521.000) in den letzten zehn Jahren. Insbesondere ab dem Jahr 2004 ist eine starke, kontinuierliche Zunahme der Leiharbeitnehmer festzustellen. Dies dürfte auf das Inkrafttreten des Ersten Gesetzes für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz-I-Gesetz) zurückzuführen sein, mit welchem eine Deregulierung und Förderung der Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland angestrebt wurde (vgl. Antoni/Jahn 2006, S. 2) (vgl. auch Kapitel 2.4). Die Zahl der Arbeitnehmer, die sozialversicherungspflichtig in der Zeitarbeit tätig sind, ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Während Ende 2002 noch 269.000 Zeitarbeitnehmer sozialversicherungspflichtig tätig waren, waren Ende 2007 schon 643.000 Menschen in der Zeitarbeit sozialversicherungspflichtig beschäftigt (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008a, S.15). Dies entspricht einem Wachstum von 139% (+374.000). Auch die Zahl der geringfügig entlohnten Beschäftigten in der Zeitarbeit hat sich erhöht und lag Ende 2007 bei 63.000 Personen. Dabei sind 62% (39.000) ausschließlich als geringfügig Beschäftigte tätig, während 38% (24.000) neben einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung eine geringfügige Beschäftigung ausüben. Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Zeitarbeit an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist von 1,0% im Jahr 2002 auf 2,4% im Jahr 2007 angestiegen. Um das Wachstum der Beschäftigung in der Zeitarbeitsbranche bewerten zu können, muss die Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung mit der allgemeinen Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verglichen werden. Es fällt auf, dass trotz des allgemeinen Beschäftigungsrückgangs in den Jahren 2004 und 2005 die Zeitarbeit Zuwächse verbuchen konnte (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008a, S. 13). So sind in der Zeitarbeitsbranche neue Arbeitsplätze entstanden, womit der allgemeine Beschäftigungsabbau ein wenig kompensiert werden konnte. Entgegen des allgemeinen Beschäftigungsrückgangs entwickelt sich die Leiharbeitsbranche positiv, was insoweit verwundert, als man die Zeitarbeit für gewöhnlich als eine Branche ansieht, die direkt von konjunkturellen und saisonalen Schwankungen betroffen ist (vgl. Burda/Kvasnicka 2006, S. 209; Brenke/Eichhorst

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 36 2008). Buch und Niebuhr erklären dies damit, dass die starke positive Trendentwicklung in der Zeitarbeit in den letzten Jahren deren Abhängigkeit von der konjunkturellen Entwicklung überlagert hat (vgl. Buch/Niebuhr 2008, S. 15-16). Dass die Konjunkturentwicklung für die Entwicklung und Nutzung der Zeitarbeit nichtsdestoweniger weiterhin von Bedeutung ist, belegt die Tatsache, dass die Zeitarbeitsbranche sich zu Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs im Jahr 2006 positiv entwickelt hat. Infolge der positiven konjunkturellen Entwicklung kam es zu einem Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung insgesamt. An dieser allgemeinen positiven Beschäftigtenentwicklung hatte die Zeitarbeit einen großen, wenn auch rückläufigen Anteil. Nachdem im Juni 2006 noch 75% der neu geschaffenen Arbeitsplätze in der Zeitarbeitsbranche entstanden waren, betrug der Anteil der Zeitarbeit am Beschäftigungswachs im Juni 2007 nur noch 25% (vgl. Bellmann et al. 2009, S. 390). Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Anteil der Zeitarbeitnehmer an den Beschäftigungsverhältnissen insgesamt zwar wachsend, aber noch relativ gering ist. Allerdings hat die Zeitarbeitsbranche in den letzten Jahren sowohl absolut wie auch relativ an Bedeutung gewonnen, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass die Zeitarbeit während des allgemeinen Beschäftigungsrückgangs in den Jahren 2004 und 2005 eine der wenigen Branchen war, die ein Wachstum verbuchen konnte. 3.2 Einsatzfelder von Zeitarbeit In diesem Abschnitt soll dargestellt werden, in welchen Tätigkeitsbereichen Leiharbeitskräfte beschäftigt sind und ob sich seit den letzten Jahren Veränderungen bezüglich des branchen- und berufsspezifischen Einsatzes von Zeitarbeitskräften ergeben haben. Der traditionell hohe Anteil von Zeitarbeitern, die als Hilfspersonal eingesetzt werden, bestätigt sich auch bei der Analyse neuester Daten. Im Jahr 2007 wurde ca. ein Drittel aller Zeitarbeitnehmer als Hilfsarbeiter eingesetzt (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008a, S. 8). Diese verrichten Tätigkeiten, für die zumeist keine besonderen Qualifikationen erforderlich sind und die häufig mit körperlichen Belastungen einhergehen. Die Nachfrage nach Zeitarbeitern,

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 37 die als Hilfspersonal eingesetzt werden, ist in den letzten Jahren kontinuierlich leicht angewachsen (siehe Abbildung 6). Abbildung 6: Entwicklung der Einsatzfelder der Zeitarbeitnehmer (1997-2007) (in %) % 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Jahr Metall- und Elektroberufe Dienstleistungsberufe Hilfsarbeiter Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2003, 2005, 2008b; eigene Darstellung und Berechnungen Bis zum Jahr 2002 waren Zeitarbeiter vor allem im Metall- und Elektrobereich beschäftigt. Unter Metall- und Elektroberufen fasst die Bundesagentur für Arbeit Metallerzeuger und -bearbeiter, Schlosser, Mechaniker sowie diesen zugeordnete Berufe wie Elektriker, Montierer und anderweitige, nicht explizit genannte Metallberufe zusammen (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008c, S. 33). Während im Jahr 1997 noch ca. 42% der Zeitarbeiter in diesen Arbeitsbereichen tätig waren, ist in den letzten Jahren ein deutlicher Rückgang der Nachfrage nach Zeitarbeitern im Metall- und Elektrobereich festzustellen. Im Jahr 2007 waren nur noch ca. 23% der Zeitarbeiter in diesen Einsatzbereichen beschäftigt. Der allgemeine Strukturwandel in Deutschland, der durch eine Erhöhung der Beschäftigtenzahlen im tertiären Sektor und eine Reduzierung des Personals im primären und sekundären Sektor gekennzeichnet ist, schlägt sich somit in abgeschwächter Form auch in der Zeitarbeitsbranche nieder. Die Beschäftigung von Zeitarbeitern im Dienstleistungs-

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 38 sektor ist in den vergangenen Jahren von 20% (1995) auf 28% (2007) angestiegen. Folgende Berufsgruppen werden dabei zu den Dienstleistungsberufen gezählt: Warenkaufleute, Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufe, Gesundheitsdienstberufe sowie allgemeine und übrige Dienstleistungsberufe (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008c, S. 33). Im Vergleich dazu betrug der Anteil der Erwerbstätigen, die in Dienstleistungsbereichen tätig sind, im Jahr 2007 ca. 72,4% (vgl. Statistisches Bundesamt 2008d, S. 79). Der Vergleich mit der Gesamtwirtschaft macht somit deutlich, dass Zeitarbeiter in Dienstleistungsbereichen noch unterrepräsentiert sind und daher in diesem weiten Einsatzfeld noch Beschäftigungspotenziale zu vermuten sind. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Haupteinsatzgebiete der Zeitarbeit vor allem im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor liegen. Allerdings sind die Tätigkeitsbereiche der Zeitarbeiter sehr vielfältig und breit gestreut und es werden zunehmend auch hochqualifizierte Zeitarbeiter mit Fachkenntnissen nachgefragt (siehe Tabelle 5). So ist z.b. der Anteil der Zeitarbeiter, die als Ingenieure, Chemiker und Techniker eingesetzt werden, von 3,8% (2003) auf 4,7% (2007) angewachsen, was einer Zunahme von ca. 21.000 Arbeitnehmern entspricht.

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 39 Tabelle 5: Die stärksten Berufsgruppen in der Zeitarbeit in Deutschland (2003-2007) Bestand Anteil an allen Zeitarbeitern in % Berufsgruppen 2003 2005 2007 2003 2005 2007 Hilfsarbeiter ohne nähere Tätigkeitsangabe 94.592 149.994 239.314 28,9 32,3 33,2 Übrige 39.843 59.468 89.936 12,2 12,8 12,5 Schlosser, Mechaniker 51.065 61.264 86.906 15,6 13,2 12,1 Verwaltungs-, Organisationsberufe Büro-, 35.069 48.066 66.757 10,7 10,3 9,3 Elektriker 22.585 29.061 40.922 6,9 6,3 5,7 Übrige Fertigungsberufe 17.368 22.968 39.838 5,3 4,9 5,5 Dienstleis- Ingenieure, Techniker Allgemeine tungsberufe Chemiker, Dienstleistungsberufe 12.551 18.844 33.838 3,8 4,1 4,7 9.500 14.595 25.080 2,9 3,1 3,5 Montierer u. Metallberufe 11.655 15.773 22.669 3,6 3,4 3,1 Metallerzeuger, -bearbeiter 9.121 11.396 18.846 2,8 2,5 2,6 Gesundheitsdienstberufe 2.638 6.073 13.439 0,8 1,3 1,9 Zeitarbeiter insgesamt 327.789 464.539 720.882 Stand: 31.12. des jeweiligen Jahres Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2003, 2005, 2008b; eigene Darstellung und Berechnungen Das steigende Angebot an hochqualifizierten Arbeitskräften ist eine Folge des Strukturwandels der Leiharbeitsbranche in den vergangenen Jahren (vgl. Promberger 2006, S. 45; Sczesny et al. 2008, S. 22). So ist festzustellen, dass die großen Zeitarbeitsanbieter spezialisierte Tochterunternehmen gründen, die sich auf den Verleih von Arbeitskräften für bestimmte Branchen (z.b. Gesundheitswesen, Finanzwesen) oder Berufssegmente (Ingenieure, Techniker) konzentrieren. Weiterhin gründen sich viele neue Zeitarbeitsfirmen, die ebenfalls den Verleih von qualifizierten und fachlich spezialisierten Arbeits-

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 40 kräften anbieten (vgl. Sczesny et al. 2008, S. 23). Promberger spricht davon, dass es in der Zeitarbeitsbranche zum einen die sog. Generalisten gibt, die ein breites und vielfältiges Angebot an Arbeitnehmern besitzen, welche zumeist in klassische Einsatzbereiche verliehen, d.h. überwiegend für niedrigqualifizierte Tätigkeiten im Bereich der verarbeitenden und des Produktionsgewerbes eingesetzt werden (vgl. Promberger 2006, S. 33). Zum anderen gründen sich vermehrt spezialisierte Zeitarbeitsfirmen, deren Verleihspektrum sich auf bestimmte Berufsgruppen konzentriert (vgl. Promberger 2006, S. 36). 3.3 Struktur der Zeitarbeitnehmer Eine Analyse der Geschlechts- und Altersstruktur sowie des Ausbildungsniveaus der Zeitarbeitnehmer soll Aufschluss darüber geben, ob diesbezüglich Regelmäßigkeiten festgestellt werden können. 3.3.1 Geschlechtsstruktur In Abbildung 7 sind die Beschäftigtenanteile von Frauen und Männern in der Arbeitnehmerüberlassung für die letzten Jahre dargestellt. Abbildung 7: Geschlechtsstruktur der Leiharbeitnehmer (in Tausend) 600 528 500 466 400 344 300 200 100 184 161 144 34 39 48 259 223 234 237 250 79 64 69 72 78 292 97 121 165 194 0 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Männer Frauen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bundesagentur für Arbeit 2008b, S. 16ff.

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 41 Bei der Geschlechterverteilung wird eine deutlich höhere Beschäftigung der Männer in der Arbeitnehmerüberlassung deutlich. Im Jahr 2007 waren 73% (528.000 Personen) der Zeitarbeitnehmer männlich. Frauen sind mit einem Anteil von 27% (194.000 Personen) an allen Zeitarbeitnehmern und damit in der Zeitarbeitsbranche bisher deutlich unterrepräsentiert. Zum Vergleich liegt der Frauenanteil an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland im Jahr 2007 bei ca. 45% (vgl. Statistisches Bundesamt 2007b). Im Unterschied zu Deutschland weisen viele europäische Länder einen hohen Frauenanteil in der Zeitarbeit auf. So waren im Jahr 2006 in den Niederlanden ca. 44% und in Großbritannien ca. 48% der Zeitarbeitnehmer weiblich (vgl. European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions 2006, S. 10). Der Grund für die noch vorherrschende ungleiche Geschlechterverteilung bei den Zeitarbeitskräften dürfte die bisher vorrangige Ausrichtung der Zeitarbeitsbranche auf den gewerblichen, industriellen Bereich sein (vgl. Burda/Kvasnicka 2005, S. 17). Mit dem zunehmenden Wandel der Einsatzgebiete von Zeitarbeitnehmern und der Ausdehnung von Zeitarbeit in Dienstleistungsbranchen wird diese auch für Frauen interessanter. Wie die Tabelle 6 zeigt, ist seit dem Jahr 2002 eine kontinuierliche Zunahme der Zeitarbeitnehmerinnen zu beobachten, wobei die Wachstumsraten der weiblichen Zeitarbeitnehmer in den letzten Jahren sogar über denen der männlichen Zeitarbeitnehmer liegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die höheren Wachstumsraten der weiblichen Zeitarbeitnehmer darauf zurückzuführen sind, dass die absolute Zahl der weiblichen Zeitarbeitnehmer deutlich geringer ist als die Zahl der männlichen Zeitarbeitnehmer. Trotzdem wird deutlich, dass in der Beschäftigung von Frauen in der Zeitarbeitsbranche vor allem in personenintensiven Dienstleistungsbranchen wie dem Gesundheitswesen ein enormes Potenzial liegt, da sich die flexible Arbeitsform besonders auch für Frauen anbietet.

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 42 Tabelle 6: Wachstum der Anzahl der Leiharbeitnehmer gegenüber dem Vorjahr nach Geschlecht (2000-2007) (in %) Jahr 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Männer 16,14-9,65 1,28 5,49 16,80 17,81 35,47 13,30 Frauen 23,44-12,66 4,35 8,33 24,36 24,74 36,36 17,58 Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2008b, S.16ff. ; eigene Darstellung und Berechnung 3.3.2 Altersstruktur Ebenfalls interessant ist es, die Altersstruktur der Beschäftigtenstruktur in der Arbeitnehmerüberlassung zu betrachten, um feststellen zu können, ob Zeitarbeitskräfte besondere Charakteristika aufweisen. In der Zeitarbeitsbranche sind vor allem jüngere Arbeitnehmer (20 bis unter 30 Jahre) beschäftigt (vgl. Tabelle 7). Tabelle 7: Altersstruktur der Zeitarbeitnehmer nach Geschlecht Männer Frauen Gesamt 19 Jahre und jünger 2,4 % 2,5 % 2,4 % 20 bis unter 30 Jahre 38,6 % 37,2 % 38,2 % 30 bis unter 40 Jahre 23,7 % 23,5 % 23,6 % 40 bis unter 50 Jahre 21,8 % 25,7 % 22,9 % 50 bis unter 60 Jahre 12,8 % 10,6 % 12,2 % 60 Jahre und älter 0,8 % 0,4 % 0,7 % Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Buch/Niebuhr 2008, S. 42 Die jüngeren Arbeitnehmer (20 bis unter 30 Jahre) stellen mit einem Anteil von 38,2% die größte Beschäftigungsgruppe in der Zeitarbeit dar. Aber auch die Altersgruppen der 30- bis 40-Jährigen und der 40- bis 50-Jährigen sind in der Zeitarbeitsbranche relativ stark vertreten. Eine Untersuchung des Statistischen Bundesamtes, welche eine andere Einteilung der Altersgruppen als die oben in der Tabelle 7 dargestellte vorgenommen hat, kommt zu dem Ergebnis, dass 43% der Zeitarbeitnehmer zwischen 30 und 44 Jahren alt sind

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 43 (vgl. Puch 2008, S. 299). Insgesamt kann festgestellt werden, dass mit zunehmendem Alter (ab 45 Jahren) die Anzahl der Zeitarbeitnehmer deutlich zurückgeht. Eine geschlechtsspezifische Betrachtung der Altersstruktur zeigt, dass sich die Altersstrukturen von Männern und Frauen, die einer Zeitarbeitsbeschäftigung nachgehen weitgehend ähneln. Betrachtet man die Altersstruktur der Zeitarbeitnehmer, wird deutlich, dass Zeitarbeit besonders für junge Arbeitskräfte und Arbeitnehmer im mittleren Alter attraktiv ist. Dies ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass jüngere Arbeitnehmer zunehmend Schwierigkeiten beim Übergang von der Schule/Ausbildung in das erste Beschäftigungsverhältnis haben und die Zeitarbeit somit als Chance zum Einstieg in den Arbeitsmarkt ansehen. Des Weiteren bietet die Zeitarbeit die Möglichkeit, verschiedene Einsatzbereiche kennenzulernen, unterschiedliche Berufe auszuprobieren und dort Erfahrungen zu sammeln, weshalb eine solche Beschäftigungsform gerade jüngeren Erwerbspersonen entgegenkommt, die sich bezüglich ihrer beruflichen Zukunft noch nicht festgelegt haben (vgl. Buch/Niebuhr 2008, S. 43). Die mit zunehmendem Alter rückläufige Anzahl von Zeitarbeitnehmern lässt sich durch die Tätigkeiten erklären, die überwiegend vermittelt werden. So werden Zeitarbeiter oft für Tätigkeiten im Bereich Fertigung und Produktion, die mit körperlichen Belastungen einhergehen, eingesetzt. Zudem ist die Bereitschaft zur räumlichen und zeitlichen Flexibilität bei jüngeren Arbeitnehmern ausgeprägter als bei älteren Erwerbspersonen (vgl. Buch/Niebuhr 2008, S. 43). 3.3.3 Qualifikation der Zeitarbeitnehmer und vorheriger Erwerbsstatus Die neuesten Daten der Bundesagentur für Arbeit belegen, dass Zeitarbeit eine Beschäftigungsperspektive für Arbeitslose, Berufseinsteiger und Berufsrückkehrer darstellen kann (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008a, S. 10). 66% der im Jahr 2007 neu eingestellten Zeitarbeitskräfte waren zuvor keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Dabei zeigt sich, dass insbesondere Arbeitnehmer, die erst seit kurzer Zeit arbeitslos sind, von der Zeitarbeit profitieren. So lag bei 45% der Zeitarbeitnehmer die letzte Beschäftigung maximal ein Jahr zurück. Die Beschäftigungschancen durch Zeitarbeit für Langzeitarbeitslose fallen wiederum geringer aus. 13% der neu eingestellten Zeitarbeitskräfte waren zuvor mindestens ein Jahr ohne Beschäftigung. Dass die Zeitarbeit

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 44 auch für Berufsanfänger und evtl. sogar für Hochschulabsolventen von Interesse sein kann, belegt die Tatsache, dass 8% der Zeitarbeiter zuvor noch nie beschäftigt waren (siehe Abbildung 8). Abbildung 8: Erwerbsstatus vor Beschäftigung in der Leiharbeit (2007) vorher beschäftigt; 33% vorher noch gar nicht beschäftigt; 8% über 1 Jahr ohne Beschäftigung; 13% bis 1 Jahr ohne Beschäftigung; 46% Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2008a, S. 10; eigene Darstellung Untersuchungen zum Qualifikationsstand von Zeitarbeitnehmern im Jahr 2006 haben gezeigt, dass Zeitarbeitnehmer im Vergleich zu den sonstigen Erwerbstätigen insgesamt ein niedrigeres Qualifikationsniveau aufweisen (vgl. Puch 2008). So haben ca. 3% der Zeitarbeitnehmer keinen Schulabschluss, 41% der Zeitarbeitnehmer einen Hauptschulabschluss und 39% die mittlere Reife (siehe Abbildung 9). Nur 17% der Zeitarbeitnehmer besitzen die (Fach-) Hochschulreife, während bei den sonstigen Erwerbstätigen insgesamt fast doppelt so viele diesen Schulabschluss aufweisen (30%).

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 45 Abbildung 9: Schulabschluss von Erwerbstätigen insgesamt und Zeitarbeitnehmer im Vergleich (2006) (in %) 50 45 40 35 30 % 25 33 44 35 39 30 20 15 17 10 5 0 ohne Abschluss / Hauptschulabschluss Mittlere Reife (Fach-) Hochschulreife Erwerbstätige insgesamt Zeitarbeitnehmer Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Puch 2008, S. 300 Betrachtet man den beruflichen Bildungsabschluss, wird ebenfalls deutlich, dass Zeitarbeiter über eine niedrigere Qualifikation im Vergleich zu den Erwerbstätigen insgesamt verfügen (siehe Abbildung 10). Während bei den Erwerbstätigen insgesamt jeder Fünfte keinen Berufsabschluss besitzt, weist jeder vierte Zeitarbeitnehmer keinen beruflichen Bildungsabschluss auf. Auch der Anteil der Arbeitnehmer, die eine berufliche Ausbildung in Form einer Lehre abgeschlossen haben, liegt bei den Zeitarbeitnehmern (64%) um 9% höher als bei den anderen Erwerbstätigen (55%). Andererseits verfügen 25% der Erwerbstätigen insgesamt über einen Abschluss als Meister, Techniker oder einen Hochschulabschluss, während nur 11% der Zeitarbeitnehmer einen solchen Abschluss aufweisen. Es zeigt sich also, dass Zeitarbeitnehmer bei den höheren Schul- und Bildungsabschlüssen im Vergleich zu den Erwerbstätigen insgesamt unterrepräsentiert sind.

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 46 Abbildung 10: Berufsabschluss von Erwerbstätigen insgesamt und Zeitarbeitnehmer im Vergleich (2006) (in %) 70 60 64 50 55 40 % 30 20 19 25 25 10 11 0 kein Abschluss Lehre, Berufsfachschule Meister, Techniker o.ä. und Hochschulabschluss Erwerbstätige insgesamt Zeitarbeitnehmer Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Puch 2008, S. 300 3.3.4 Dauer der Beschäftigung Dass Zeitarbeit vor allem als kurzfristige Lösung von Personalengpässen genutzt wird, ist an der Dauer der Zeitarbeitsverhältnisse erkennbar (siehe Abbildung 11). Im Jahr 2007 waren mehr als die Hälfte (55%) der Arbeitsverhältnisse in der Zeitarbeit nur von kurzer Dauer und betrugen weniger als drei Monate. Dabei waren ca. 11% der Zeitarbeiter sogar nur für eine Woche oder weniger im Einsatzbetrieb tätig (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008a, S. 10). Bei ca. 45% der Zeitarbeiter betrug die Dauer der Beschäftigung drei Monate und mehr.

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 47 Abbildung 11: Dauer der Beschäftigungsverhältnisse in der Zeitarbeit (1997 und 2007) (in %) 60 50 40 % 30 20 10 0 unter einer Woche 1 Woche bis 3 Monate 3 Monate und mehr Beschäftigungsdauer 1997 2007 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bundesagentur für Arbeit 2008a, S. 10 Es wird deutlich, dass die Personalfluktuation in der Zeitarbeitsbranche sehr hoch ist. Während die Zeitarbeit für mehr als die Hälfte der Beschäftigten nur eine kurze Erwerbsphase darstellt, steigt allerdings auch die Anzahl von Zeitarbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse länger andauern (vgl. Antoni/Jahn 2006). In den letzten Jahren hat sich die Verteilung der Beschäftigungsdauern der Zeitarbeitnehmer dahingehend verändert, dass der Anteil der Zeitarbeitskräfte, die länger als drei Monate im Verleihbetrieb beschäftigt sind, angewachsen ist. Zu beachten ist dabei, dass die Beschäftigungsdauer der Zeitarbeiter von der Größe des Verleihunternehmens abhängig ist. So beträgt die durchschnittliche Beschäftigungsdauer bei größeren Verleihunternehmen durchschnittlich ein Jahr (vgl. Spermann 2008, S. 90ff.). Von großem Interesse ist neben der Beschäftigungsdauer auch der Verbleib der Zeitarbeitnehmer nach Ende der Beschäftigung. Dieser Frage wird in Kapitel 6.2.1 im Rahmen der Diskussion um mögliche Motivlagen für die Aufnahme einer Zeitarbeitstätigkeit nachgegangen.

3 Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland 48 3.4 Zusammenfassung im Hinblick auf die Fragestellung Die Zeitarbeit wächst in Deutschland kontinuierlich; sowohl die Zahl der Zeitarbeitnehmer als auch die Zahl der Zeitarbeitsunternehmen hat deutlich zugenommen. Gleichzeitig haben sich die Einsatzfelder von Zeitarbeitskräften ausdifferenziert. Zwar wird ca. ein Drittel der Zeitarbeitskräfte als Hilfskräfte beschäftigt, doch fragen immer mehr Unternehmen nach qualifizierten Zeitarbeitskräften und zunehmend mehr Zeitarbeitskräfte werden im Dienstleistungssektor eingesetzt. Diese allgemeinen Entwicklungstendenzen lassen vermuten, dass auch im Gesundheitswesen Potenziale für den Einsatz von Zeitarbeitskräften liegen. Da viele Einrichtungen und Betriebe im Gesundheitswesen eine hohe Personalintensität aufweisen, kann die Zeitarbeit auch dort ein Personalinstrument darstellen, mit welchem die notwendige Flexibilität verbessert werden kann. Um die Möglichkeiten, Chancen und Grenzen der Nutzung von Zeitarbeit im Gesundheitswesen beurteilen zu können, ist es zunächst hilfreich, sich einen Überblick über die Struktur und die Entwicklungsperspektiven der Gesundheitswirtschaft zu verschaffen.

4 Die Gesundheitswirtschaft in Deutschland 49 4 Die Gesundheitswirtschaft in Deutschland 4.1 Struktur der Gesundheitswirtschaft Zunächst ist es sinnvoll, das Profil der Branche Gesundheitswirtschaft vorzustellen. Das am Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen entwickelte Zwiebel-Modell (siehe Abbildung 12) gibt die drei Bereiche der Gesundheitswirtschaft wieder: Abbildung 12: Gesundheitswirtschaft als Zwiebel-Modell Quelle: Dahlbeck/Hilbert 2008, S. 3 Den Kernbereich bildet die ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung. Diese umfasst die personalintensiven Dienstleistungsbereiche wie z.b. Krankenhäuser, Arztpraxen, stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen