Allgemeiner Norddeutscher Arbeitgeberverband e. V. An unsere Mitgliedsunternehmen Büro Hamburg: Kapstadtring 10, 22297 Hamburg Telefon +49 (0) 40 639 1883-500 Durchwahl: +49 (0) 40 639 1883-509 Telefax: +49 (0) 40 639 1883-550 E-Mail: bergmann@chemienord.de Büro Hannover: Güntherstraße 1, 30519 Hannover Telefax: +49 (0) 511 83 35 74 E-Mail: bergmann@chemienord.de Hannover, 06.01.2012 ANA Recht aktuell 1/2012 Sehr geehrte Damen und Herren, in unserem ANA Recht aktuell berichten wir über lesenswerte Urteile zu den folgenden Themen: 1. Urlaubsanspruch darf wegen langfristiger Arbeitsunfähigkeit zeitlich begrenzt werden (EuGH) 2. BAG schließt Widerruf der Bestellung eines Datenschutzbeauftragten faktisch aus 3. Kündigung wegen eines Glaubenskonflikts Im Einzelnen: 1. Urlaubsanspruch darf wegen langfristiger Arbeitsunfähigkeit zeitlich begrenzt werden (EuGH) EuGH vom 22. November 2011 C-214/10 Sachverhalt Der Kläger des Ausgangsverfahrens arbeitete früher als Schlosser. 2002 erlitt er einen Herzinfarkt und wurde arbeitsunfähig. Mitte 2008 endete sein Arbeitsverhältnis. 2009 klagte er für die Jahre 2006, 2007 und 2008 auf Abgeltung seines Jahresurlaubs. Diesen hatte er nicht nehmen können, da er während der gesamten Bezugszeiträume krankgeschrieben war. Der auf den Kläger anzuwendende Tarifvertrag sieht 30 Tage bezahlten Urlaub im Jahr vor, der nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegolten werden kann. Außerdem ist geregelt, dass der Urlaubsanspruch, der wegen Krankheit nicht genommen werden kann, mit Ablauf einer Übertragungsfrist von 15 Monaten nach Ende des Bezugszeitraums erlischt. Das Landes- Seite 1 von 6
arbeitsgericht Hamm stellte fest, dass der Urlaubsanspruch für das Jahr 2006 wegen Ablaufs des Übertragungszeitraums (hier nach 15 Monaten am 31.03.2008) erloschen ist. Der EuGH sollte deshalb im Vorabentscheidungsverfahren klären, ob eine zeitliche Beschränkung des Jahresurlaubsanspruchs im Falle der Arbeitsunfähigkeit mit der Arbeitszeitgestaltungsrichtlinie 2003/88/EG vereinbar ist. Entscheidung Der EuGH hat entschieden, dass eine zeitliche Beschränkung des Jahresurlaubsanspruchs bei langfristiger Arbeitsunfähigkeit zulässig ist. Ein über mehrere Jahre arbeitsunfähiger Arbeitnehmer hat kein Recht, Urlaubsansprüche unbegrenzt anzusammeln. Der EuGH begründet dies mit dem Erholungszweck des Urlaubs. Der Urlaub verliert seine Erholungsfunktion, wenn der Übertragungszeitraum eine gewisse zeitliche Grenze überschreitet. Deshalb steht die Arbeitszeitgestaltungsrichtlinie einer Regelung, die eine zeitliche Begrenzung des Urlaubs vorsieht, nicht entgegen. Vorausgesetzt ist allerdings, der konkrete Übertragungszeitraum gewährleiste den Erholungszweck, soll heißen, er ist angemessen lang. Zur Bemessung der Dauer erläutert der EuGH, dass der Übertragungszeitraum wegen der besonderen Bedeutung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub den spezifischen Umständen Rechnung tragen muss, in denen sich ein langfristig arbeitsunfähiger Arbeitnehmer befinde. Erforderlich ist, dass der Übertragungszeitraum die Dauer des Bezugszeitraums deutlich überschreitet. Auf Seiten des Arbeitgebers ist zu berücksichtigen, dass der Übertragungszeitraum diesen vor der Ansammlung zu langer Abwesenheitszeiträume wegen der damit verbundenen Probleme für die Arbeitsorganisation schützen muss. Ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten - wie ihn die tarifliche Regelung hier vorsieht - steht nach Ansicht des EuGH im Einklang mit dem Erholungszweck des Urlaubsanspruchs und ist daher zulässig. Bewertung In seiner Entscheidung präzisiert der EuGH seine Auslegung im Fall Schultz-Hoff, über die wir bereits mehrfach berichtet haben. Der EuGH macht deutlich, dass eine unbegrenzte Urlaubsübertragung durch Artikel 7 der Arbeitszeitrichtlinie nicht geboten ist. Nachdem das BAG nachfolgend zu der EuGH-Entscheidung die Auffassung vertreten hat, dass 7 Abs. 3 und 4 BUrlG nach den Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG für den Fall einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit für den gesetzlichen Mindesturlaub zukünftig nicht mehr anwendbar sei, wird abzuwarten sein, ob das BAG nach der nunmehr erfolgten Klarstellung des EuGH zu seiner bisherigen Rechtsprechung zurückkehren wird - ggf. durch Verlängerung des derzeitigen Übertragungszeitraumes von 3 auf +/- 15 Monate (sehr umstritten), die angesichts des klaren Wortlauts des 7 Abs. 3 und 4 BUrlG stringent war. Mitgliedsunternehmen, die einen entsprechenden Fall zu entscheiden haben, wird insoweit empfohlen, sich mit dem Verband in Verbindung zu setzen. Seite 2 von 6
2. BAG schließt Widerruf der Bestellung eines Datenschutzbeauftragten faktisch aus BAG vom 23. März 2011 10 AZR 562/09 Sachverhalt Die Klägerin wurde zur Datenschutzbeauftragten ihrer Arbeitgeberin sowie deren 100 %ige Tochtergesellschaft berufen. Diese Aufgabe nahm ca. 30 % ihrer Arbeitszeit in Anspruch. Später wurde die Klägerin Mitglied im Betriebsrat. 2008 beschlossen die Beklagte sowie die Tochtergesellschaft, die Aufgaben des Beauftragten für den Datenschutz zukünftig konzernweit einheitlich durch einen externen Dritten wahrnehmen zu lassen. Sie widerriefen deshalb die Bestellung der Klägerin. Die Arbeitgeberin sprach zudem gegenüber der Klägerin eine Teilkündigung dieser Aufgabe aus. Entscheidung Nachdem das Arbeitsgericht der Klage teilweise entsprochen hatte, hat das Landesarbeitsgericht die Berufung zurückgewiesen, das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und festgestellt, dass der Widerruf der Tochtergesellschaft und der Widerruf und die Teilkündigung der Arbeitgeberin rechtsunwirksam sind. Das BAG hat die Revision zurückgewiesen. Organisationsentscheidung als wichtiger Grund: Das BAG ist der Ansicht, dass der vorliegende Sachverhalt keine Möglichkeit zur Abberufung des betrieblichen Datenschutzbeauftragten gebe. Ausgangslage sind die gesetzlichen Regelungen in 4 f Abs. 3 Satz 4 BDSG, 626 BGB, die dem Beauftragten für den Datenschutz einen besonderen Abberufungsschutz gewähren. Damit soll dessen Unabhängigkeit und die weisungsfreie Ausübung des Amtes gestärkt werden. Eine Abberufung ist danach nur möglich, wenn objektive und schwerwiegende Gründe sie rechtfertigten. Somit muss ein wichtiger Grund vorliegen, aufgrund dessen eine Fortsetzung des Rechtsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar ist. Das BAG betont zwar, dass der Arbeitgeber bei der erstmaligen Bestellung frei ist, ob er einen internen oder externen Datenschutzbeauftragten bestellt. Wenn er aber einen internen Beauftragten bestellt hat, könne er nicht dessen Bestellung allein mit der Begründung widerrufen, er wolle nunmehr einen Externen konzernweit mit dieser Aufgabe beauftragen. Allein in einer solchen Organisationsentscheidung liege kein wichtiger Grund. Spiegelt man diese Wertungsgesichtspunkte auf die Widerrufsgründe des 4 f Abs. 3 BDSG i.v.m. 626 BGB, kann nach Auffassung des BAG ein wichtiger betriebsbedingter Grund nur ausnahmsweise bei einer Stilllegung des Betriebes oder zur Abwendung einer betrieblichen Notsituation in Betracht kommen. Eine solche Situation ist vorliegend aber nicht gegeben. Gleiches gilt für den Widerruf der Bestellung eines externen Datenschutzbeauftragten. Auch dieser könne nur aus wichtigem Grund widerrufen und nicht durch eine derartige Organisationsentscheidung begründet werden. Mitgliedschaft im Betriebsrat: Das BAG stellt außerdem fest, dass die Mitgliedschaft im Betriebsrat und nicht die im EDV-Ausschuss nicht dazu geeignet ist, die Zuverlässigkeit eines Beauftragten für den Datenschutz in Frage zu stellen. Ein Inte- Seite 3 von 6
ressenkonflikt zwischen beiden Ämtern besteht nicht, so das BAG. Ob der betriebliche Datenschutzbeauftragte gegenüber dem Arbeitgeber zugleich seine Rechte aus dem BetrVG wahrnehme, sei unerheblich. Inwiefern dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten gegenüber dem Betriebsrat Kontrollrechte zukämen, ließ das BAG dahingestellt, da es unerheblich sei. Auch als Mitglied des Betriebsrates könne ein Datenschutzbeauftragter diese Rechte ordnungsgemäß wahrnehmen. Teilkündigung: Die von der Arbeitgeberin zusätzlich ausgesprochene Teilkündigung sei ebenso unwirksam. Der Arbeitsvertrag eines internen betrieblichen Datenschutzbeauftragten werde im Regelfall nach Maßgabe der mit diesem Amt verbundenen Aufgaben erweitert, soweit der Arbeitnehmer das Angebot der Übernahme der Tätigkeit annehme. Hierdurch werde der Arbeitsvertrag für die Zeitspanne der Amtsübertragung geändert und angepasst. Werde die Bestellung wirksam widerrufen, sei die Tätigkeit nicht mehr Bestandteil der vertraglich geschuldeten Leistung. Es bedürfe dann keiner Teilkündigung mehr. Bewertung: Die Entscheidung stellt unangemessen hohe Anforderungen an die Möglichkeit, den einmal eingeschlagenen Weg zu ändern und Datenschutz im Unternehmen zu gestalten. Die Stellung des Datenschutzbeauftragten im Betrieb wird damit über das gesetzlich Vorgegebene hinaus verstärkt. Die Unternehmensentscheidung, Datenschutz extern durchführen zu lassen, wird - hat man sich einmal für die interne Lösung entschieden - faktisch nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll umzusetzen sein. Während das BAG sich in einer früheren Entscheidung (BAG vom 13. März 2007) noch mit der Frage der Teilkündigung bei Widerruf der Bestellung auseinandersetzt, stellt es nunmehr fest, dass es für den Widerruf einer Bestellung zum Datenschutzbeauftragten eine Teilkündigung nicht in Betracht kommt. Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung muss eingehend geprüft werden, ob bei der Erst- oder Neuberufung des Datenschutzbeauftragten die Bestellung einer unternehmensintern beschäftigten Person zum Datenschutzbeauftragten oder die Bestellung eines externen betrieblichen Datenschutzbeauftragten der geeignete Weg ist, den Datenschutz für das Unternehmen zu organisieren. An die personelle Auswahl sind hohe Anforderungen zu stellen. 3. Kündigung wegen eines Glaubenskonflikts BAG vom 24. Februar 2011 2 AZR 636/09 Sachverhalt Der Arbeitnehmer war bei der Beklagten nach diversen anderweitigen Beschäftigungen zuletzt in der Getränkeabteilung tätig, um dort seine Arbeitsleistung zu erbringen. Unter Berufung auf seinen muslimischen Glauben, der ihm den Umgang mit Alkohol verbiete, weigerte sich der Kläger, sich auch um die alkoholischen Getränke zu kümmern. Ebenso reagierte er auf eine schriftliche Aufforderung zur Arbeitsaufnahme. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos sowie hilfsweise fristgemäß Seite 4 von 6
Entscheidung Das LAG hielt die fristlose Kündigung für unwirksam, die ordentliche Kündigung hat es jedoch bestätigt. Das BAG konnte sich der Entscheidung nicht anschließen und hat das Berufungsurteil hinsichtlich der ordentlichen Kündigung aufgehoben und den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen. Verhaltensbedingte Kündigung: Das BAG verneint die Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte Kündigung. Zwar stellt die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers eine vertraglich geschuldete Arbeit aufzunehmen, eine erhebliche Pflichtverletzung dar, die eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt. Die Beklagte habe aber dem Kläger Arbeiten im Getränkebereich nicht wirksam zugewiesen, der Kläger somit seine Vertragspflichten nicht verletzt. Das Weisungsrecht darf nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden. Der Arbeitgeber müsse einen Gewissenskonflikt des Arbeitnehmers bei der Ausübung seines Direktionsrechts berücksichtigen, vorausgesetzt, der Arbeitnehmer lege dar, ihm sei wegen einer aus einer spezifischen Sachlage heraus folgenden Gewissensnot nicht zuzumuten, eine vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, so das BAG in seiner Begründung. Es komme nicht darauf an, ob der Glaubenskonflikt vorhersehbar sei. Anders sei der Fall nur zu beurteilen, wenn der Arbeitnehmer bei Vertragsabschluss bereits positiv wusste, dass er die vertraglich eingegangenen Verpflichtungen aufgrund seiner Glaubensüberzeugung sämtlich und von Beginn an nicht würde erfüllen können. Das BAG betont, dass in den Schutzbereich des Art. 4 GG (Religionsfreiheit) auch Verhaltensweisen fallen, die nicht von den Gläubigen allgemein geteilt werden. Es komme nur darauf an, dass das Verhalten wirklich von einer religiösen Überzeugung getragen werde und nicht anders motiviert sei. Berufe sich der Arbeitnehmer auf den Gewissenskonflikt, treffe ihn die Darlegungslast für einen konkreten und ernsthaften Glaubenskonflikt. Auch wenn die Glaubensüberzeugung keiner Nachprüfung anhand von Kriterien wie irrig, beachtlich oder unbeachtlich unterläge, müsse erkennbar sein, dass der Arbeitnehmer den von ihm ins Feld geführten Verboten oder Geboten seines Glaubens absolute Verbindlichkeit beimesse. Personenbedingte Kündigung: Das BAG stellt fest, dass eine personenbedingte Kündigung gerechtfertigt sein könne, wenn der Arbeitnehmer aus persönlichen Gründen außerstande sei, einen Teil seiner vertraglichen Leistung zu erbringen. Der Arbeitgeber sei aber nicht zur Kündigung berechtigt, wenn er den Arbeitnehmer im Betrieb oder im Unternehmen entweder innerhalb des vertraglich vereinbarten Leistungsspektrums oder aber zu geänderten Vertragsbedingungen unter Vermeidung des Konflikts sinnvoll weiter beschäftigen könne. Dies habe das LAG nicht festgestellt, daher war die Zurückverseisung notwendig. Diskriminierung: Eine Diskriminierung i.s.d. AGG liegt nicht vor, die Kündigung ist nicht erfolgt, weil der Kläger Moslem ist, sondern weil er sich außerstande sieht, bestimmte vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen. Unabhängig davon, ist eine solche Kündigung aber auch durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und als Mittel zu dessen Erreichung angemessen und erforderlich. Dies hat das BAG bestätigt. Seite 5 von 6
Bewertung Das BAG konkretisiert mit seinem Urteil seine Rechtsprechung zur Kündigung bei Glaubenskonflikten. Weigert sich ein Arbeitnehmer, eine vertraglich geschuldete Tätigkeit aus Gewissensgründen auszuführen, scheidet eine verhaltensbedingte Kündigung aus, wenn der Arbeitnehmer ernsthafte Gründe für einen unüberwindlichen Glaubenskonflikt vortragen kann. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (vgl. Urt. v. 24. Mai 1989, 2 AZR 285/88, Militärische Forschung ; Urteil vom 10. Oktober 2002, 2 AZR 472/01, Kopftuch ; Urteil vom 22. Mai 2003, 2 AZR 426/02, 46 Totengräber ) kommt in diesen Fällen eine personenbedingte Kündigung in Betracht. Eine solche Kündigung ist wirksam, wenn der Arbeitnehmer nicht anderweitig eingesetzt werden kann. Ein Arbeitgeber ist aber nicht verpflichtet, erhebliche betriebliche Störungen durch die Religionsausübung seines Arbeitnehmers hinzunehmen (vgl. LAG Hamm, 18. Januar 2002, 5 Sa 1782/01, Gebetspausen während der Arbeitszeit ). Eine verhaltensbedingte Kündigung kommt jedoch nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer einen Glaubenskonflikt nicht plausibel darlegen kann. (vgl. LAG Hamm vom 20. April 2011, 4 Sa 2230/10, Jesus hat Sie lieb ). Die Darlegungs- und Beweislast für den unüberwindbaren Glaubenskonflikt liegt beim Arbeitnehmer. Die standardisierte Berufung auf Gewissen und Glauben reicht keinesfalls aus, den Arbeitgeber zu verpflichten anderweitige Einsatzmöglichkeiten zu überprüfen. Ebenso kann nicht verlangt werden, eigene oder die Interessen anderer Arbeitnehmer hinter den Belangen des im Glaubenskonflikt handelten Beschäftigten zurückzustellen. Mit freundlichen Grüßen Silke Wichert Seite 6 von 6