Die De-Medikalisierung von Alzheimer 1 Die De-Medikalisierung von Alzheimer Medizinische Deutungskrisen und Chancen fär die Pflege - Diskursanalytische Aspekte 1. Gegenstandsbereich 2. Forschungsprogramm 3. Forschungsfragen Die De-Medikalisierung von Alzheimer 2 Gegenstandsbereich Der Amyloid-Diskurs oder ist Alzheimer eine Krankheit? 1
Die De-Medikalisierung von Alzheimer 3 Modelle der Alzheimer-Demenz Biomedizinisches Modell Demenz ist eine Folge pathologischer VerÄnderungen Dialektisches Modell Demenz entwickelt sich in Folge eines Wechselspiels zwischen Pathologie und Umwelt Beziehungsmodell Demenz ist ein weniger ein Verlust an Kognition denn ein Verlust an Anerkennung und WÅrde. Die De-Medikalisierung von Alzheimer 4 Das Amyloid-Modell der Alzheimer-Krankheit Neuropathologische Korrelate Senile Plaques Neurofibrillen Verlust funktionsfähiger Neuronen - Hirnschrumpfung - Reduktion der Neurotransmitter Genetische Disposition APP-Gen auf Chromosom 21 PSEN1 & PSEN2 auf Chromosom 1 und 14 ApoE-Gen auf Chromosom 19 Krankheitsphasen PrÄklinische Phase Leichte kognitive BeeintrÄchtigung Alzheimer Demenz Konstitution der Alzheimer-Krankheit Alzheimerdiagnose ohne Demenzsymptomatik Alzheimerdiagnose ohne Auschlussdiagnostik (Fiedler u.a. 2011, FrÉhlich 2012, Schmidtke/Otto 2012) Pathogenese Amyloidhypothese. (FÉrstl u.a. 2011, Heneka 2010, Riederer/Hoyer 2012, Whitehouse/George 2009,) 2
Die De-Medikalisierung von Alzheimer 5 EinwÉnde Eine alzheimerassoziierte Neuropathologie findet sich auch bei klinisch gesunden alten Menschen. Letztlich beruht auch die Biomarkerforschung auf der Annahme einer pathologischen Wirkung von Plaques und Fibrillen, ohne diese aber beweisen zu kénnen. Die neurotoxische Wirkung der Plaques ist nicht bewiesen. Die angenommene Kausalkette zwischen Amyloidaggregation, Entstehung von Neurofibrillen, neurotoxischen SchÄden und der Manifestation einer Demenz ist nicht bewiesen. Die Amyloid-Kaskade ist eine forschungspragmatische Vereinfachung. Sie dient der Integration unterschiedlicher Befunde in ein einheitliches Krankheitsbild.. Die Einordnung der neuropathologischen Krankheitszeichen ist umstritten. Aus dem Modell konnten bislang keine BehandlungsmÉglichkeiten abgeleitet werden. (Dillmann 2000, S. 147, Schmidtke/Otto 2012, S. 205, Whitehouse/George 2009, 89ff) Die De-Medikalisierung von Alzheimer 6 EinwÉnde Definitionen von Krank und Gesund basieren auch auf gesellschaftlichen Normen und haben gesellschaftliche Funktionen. Bewertung und Umgang mit dem PhÄnomen Demenz sind nicht Ausdruck medizinischer Erkenntnisse sondern kultureller Muster. Wesentliches Element des reduktionistischen Demenzkonzeptes ist der Verlust kognitiver LeistungsfÄhigkeit. Die Grenze zwischen gesundem und kognitiv beeinträchtigtem Alter ist flieüend und unterliegt gesellschaftlichen Wertungen. (Wetzstein 2005, Kreutzner 2008) 3
Die De-Medikalisierung von Alzheimer 7 Forschungsprogramm Wissenssoziologische Diskursanalyse Die De-Medikalisierung von Alzheimer 8 Theoretische Grundlagen: Grundannahme: Ziele: Wissenssoziologie nach Berger/Luckmann Diskurstheorie nach Foucault Jede Wahrnehmung wird Åber sozial konstruiertes, typisiertes, legitimiertes und objektiviertes Wissen vermittelt. Wissen basiert auf gesellschaftlich hergestellten symbolischen Systemen und Ordnungen, die in und durch Diskurse produziert werden. Rekonstruktion der sozialen Konstruktion von Sinn- Handlungs- und Bedeutungsstrukturen auf der Ebene der Institutionen und Akteure Analyse ihrer gesellschaftlichen Wirkung (Keller 2011b, S. 58f) 4
Die De-Medikalisierung von Alzheimer 9 GrÄnde fär ein diskurstheoretisches Vorgehen WissensbestÄnde sind niemals absolut, sondern werden im Rahmen gesellschaftlicher Prozesse konstituiert, legitimiert, verändert und verworfen. Die Produktion und Bereitstellung von Wissen lässt sich bezåglich der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen befragen, unter denen sie sich vollzieht. WissensbestÄnde lassen sich jenseits ihres Wahrheitsgehaltes oder ihrer lebensweltlichen Deutung als Produkt von Machtstrukturen im Diskurs analysieren. Wirklichkeitseffekte von Diskursen manifestieren sich auch in Form von Regelwerken, Institutionen, GebÄuden etc.. (Foucault 2012, Keller 2001, Keller 2011, S, 192f) Die De-Medikalisierung von Alzheimer 10 Forschungsfragen 5
Die De-Medikalisierung von Alzheimer 11 Forschungsfragen Wie werden PhÉnomene konstituiert? Welches Wissen, welche GegenstÄnde, ZusammenhÄnge, Eigenschaften etc. werden durch den Diskurs als wirklich behauptet? Welche Mittel, z.b. Deutungsmuster, moralische Wertungen, Geschichten werden dafår eingesetzt? Welche alternativen Deutungen werden ausgeschlossen? Wie wird die jeweilige Position legitimiert? (Keller 2011a, S. 265f) Die De-Medikalisierung von Alzheimer 12 PhÉnomenstruktur der Alzheimer-Demenz Dimension Inhaltliche AusfÄhrung Relevanz / Dringlichkeit Medikalisierung Hoch Steigende Fallzahlen - héchste Zeit får neue Therapien Drohende Versorgungskrise Fehlende PrÄvention Demedikalisierung Hoch Steigende Fallzahlen - héchste Zeit får Perspektivenwechsel Drohende humanitäre Katastrophe Mangelnde Vorbereitung auf alternde Gesellschaft Deutung / Ursache Demografischer Wandel Zunahme altersassoziierter Erkrankungen Mehr Alzheimer-Kranke Problemdimension Medizinisches Problem Wissenschaftliches Problem Finanzielles Problem Handlungsapell Forschung FÉrderung Konsequente Behandlung Verantwortung / Politik ZustÄndigkeit Wissenschaft / Medizin / Industrie Geltungsanspruch Wissen wird wissenschaftlich gewonnen und ist daher objektiv Erkenntnisse werden ständig vermehrt und dadurch valider BehandlungsmÉglichkeiten konnten entwickelt werden Subjektpositionierungen Alois Alzheimer BerÅhmte Betroffene Wertorientierung / Wissenschaftliche ObjektivitÄt Menschenbild AltersunabhÄngiges Recht auf Behandlung LebensqualitÄt Erkrankung Alter Praxis Facharztbehandlung FrÅhdiagnostik, Behandlung Orientierte Pflege Demografischer Wandel Soziokultureller Wandel Singularisierung und Entsolidarisierung Gesellschaftliches Problem Ethisches Problem HumanitÄres Problem Intensivierung der Ethikdebatte SolidaritÄt stärken, Integration férdern Gesamtgesellschaftliche Verantwortung Humanistisches Menschenbild Wissenserwerb folgt Leitbildern und ist daher determiniert Erkenntnisse werden immer widerspråchlicher Aktive Betroffene Humanismus / Ganzheitlichkeit Alters- und krankheitsunabhängiges Recht auf Teilhabe, immanente WÅrde Alter Erkrankung Kritische Distanz Aktive Teilhabe, Engagement, politische Einflussnahme Personenzentrierte Pflege (in Anlehnung an Keller 2011, S. 104) 6
Die De-Medikalisierung von Alzheimer 13 PhÉnomenstruktur der Alzheimer-Demenz Dimension Relevanz / Dringlichkeit Inhaltliche AusfÄhrung Hoch Medikalisierung Steigende Fallzahlen - héchste Zeit får neue Hoch Demedikalisierung Steigende Fallzahlen - héchste Zeit får Relevanz / Hoch Steigende Fallzahlen - héchste Zeit får neue Therapien Hoch Steigende Fallzahlen - héchste Zeit får Dringlichkeit Deutung / Therapien Demografischer Drohende Versorgungskrise Wandel Perspektivenwechsel Demografischer Perspektivenwechsel Wandel Ursache Drohende Zunahme Fehlende PrÄvention altersassoziierter Versorgungskrise Erkrankungen Drohende Soziokultureller humanitäre Wandel Katastrophe Katastrophe Mangelnde Vorbereitung auf alternde Gesellschaft Fehlende Mehr Alzheimerkranke PrÄvention Fehlender Singularisierung Demografiediskurs Problemdimension Medizinisches Problem Gesellschaftliches und Problem Entsolidarisierung Deutung / Ursache Demografischer Wandel Demografischer Wandel Wissenschaftliches Problem Ethisches Problem Zunahme altersassoziierter Erkrankungen Soziokultureller Wandel Handlungsappell Mehr Alzheimer-Kranke Finanzielles Problem F orschung FÉrderung HumanitÄres Singularisierung Problem und Entsolidarisierung Intensivierung der Ethikdebatte Problemdimension Medizinisches Problem Gesellschaftliches Problem Konsequente Behandlung SolidaritÄt stärken, Integration férdern Verantwortung / Wissenschaftliches Politik Problem Gesamtgesellschaftliche Ethisches Problem Verantwortung Finanzielles Problem HumanitÄres Problem ZustÄndigkeit Wissenschaft / Medizin / Industrie Handlungsapell Geltungsanspruch Forschung Wissen FÉrderung wird wissenschaftlich gewonnen und ist Entwicklung Humanistisches einer Ethik der Demenz Menschenbild Konsequente Behandlung daher objektiv SolidaritÄt stärken, Integration férdern Wissenserwerb folgt Leitbildern Verantwortung / Politik Gesamtgesellschaftliche Verantwortung ZustÄndigkeit Wissenschaft Erkenntnisse / Medizin / werden Industrie ständig vermehrt und und ist daher determiniert. Geltungsanspruch Wissen dadurch wird wissenschaftlich valider gewonnen und ist daher objektiv Humanistisches Erkenntnisse Menschenbild werden immer Wertorientierung / Erkenntnisse werden ständig vermehrt und dadurch valider Wissenserwerb folgt Leitbildern und ist daher determiniert BehandlungsmÉglichkeiten Wissenschaftliche ObjektivitÄt konnten entwickelt Humanismus widerspråchlicher / Ganzheitlichkeit BehandlungsmÉglichkeiten konnten entwickelt werden Erkenntnisse werden immer widerspråchlicher Menschenbild werden AltersunabhÄngiges Recht auf Behandlung Alters- und krankheitsunabhängiges Subjektpositionierungen BerÅhmte Betroffene Praxis Facharztbehandlung Alois Alzheimer Aktive Betroffene LebensqualitÄt Recht Kritische auf Teilhabe, Distanz immanente WÅrde Wertorientierung / FrÅhdiagnostik Wissenschaftliche Alter Erkrankung ObjektivitÄt Humanismus Alter Aktive Erkrankung / Teilhabe, Ganzheitlichkeit Engagement Menschenbild Behandlung AltersunabhÄngiges medikamentés Recht auf Behandlung und nichtmedikamentés Alters- Politische und krankheitsunabhängiges Einflussnahme Recht auf Teilhabe, LebensqualitÄt immanente WÅrde Erkrankung Alter Alter Erkrankung Praxis Facharztbehandlung Kritische Distanz FrÅhdiagnostik Aktive Teilhabe, Engagement Behandlung medikamentés und nichtmedikamentés Politische Einflussnahme Die De-Medikalisierung von Alzheimer 14 Forschungsfragen Wie werden PhÉnomene konstituiert? Welches Wissen, welche GegenstÄnde, ZusammenhÄnge, Eigenschaften etc. werden durch den Diskurs als wirklich behauptet? Welche Mittel, z.b. Deutungsmuster, moralische Wertungen, Geschichten werden dafår eingesetzt? Welche alternativen Deutungen werden ausgeschlossen? Wie wird die jeweilige Position legitimiert? Wie werden Diskurse erzeugt? Durch welche Akteure oder Ereignisse und nach welchen Regeln werden Diskurse verbreitet? In welcher Zeit und vor welchem Hintergrund ist der Diskurs entstanden? - 1900 - Anstaltswesen, psychiatrische Leitbilder - 1950 - Gerontologiediskurs - 1970 - Demografiedebatte, Neudefinition der senilen Demenz, GrÅndung des NIA. - 2010? (Ballenger 2010, Dillmann 2000) 7
Die De-Medikalisierung von Alzheimer 15 Forschungsfragen Wie werden PhÉnomene konstituiert? Welches Wissen, welche GegenstÄnde, ZusammenhÄnge, Eigenschaften etc. werden durch den Diskurs als wirklich behauptet? Welche Mittel, z.b. Deutungsmuster, moralische Wertungen, Geschichten werden dafår eingesetzt? Welche alternativen Deutungen werden ausgeschlossen? Wie wird die jeweilige Position legitimiert? Wie werden Diskurse erzeugt? Durch welche Akteure oder Ereignisse und nach welchen Regeln werden Diskurse verbreitet? In welcher Zeit und vor welchem Hintergrund ist der Diskurs entstanden? - 1900 - Anstaltswesen, psychiatrische Leitbilder - 1950 - Gerontologiediskurs - 1970 - Demografiedebatte, Neudefinition der senilen Demenz. - 2010? Was sind die Machtwirkungen des Diskurses? Welche lebensweltlichen Objektivierungen werden erzeugt? Welche materiellen Formen nimmt ein Diskurs an? Die De-Medikalisierung von Alzheimer 16 Welchen Nutzen hat eine Diskursanalyse des Demenz-Diskurses? Blickwinkel Ändern Aussagen, Praktiken und Institutionen als Teil eines Dispositivs verstehen Eigene Diskurse auf ihren Ursprung und den Einfluss von Macht untersuchen Die eigene Praxis als Effekt von Diskursen begreifen WissensbestÄnde als vorläufig betrachten Innovationen quer zu aktuellen Diskursen entwickeln und neue Diskurse initiieren Eigenes Wissen als gåltiges Wissen etablieren 8
Die De-Medikalisierung von Alzheimer 17 Literatur Ballenger, Jesse F. (2010): Reframing dementia: the policy implications of changing concepts. In: Downs, M.; Bowers, B. (Hg.): Excellence in Dementia Care. Open University Press, Maidenhead. Dillmann, Rob J.M. (2000): Alzheimer Disease. Epistemological Lessons from History? In: Whtehouse, Peter J.; Maurer, Konrad; Ballenger, Jesse F. (Hg.): Concepts of Alzheimer disease. Biological, clinical, and cultural perspectives. Johns Hopkins University Press, Baltimore, London. FÑrstl, Hans; Kurz, Alexander; Hartmann, Tobias (2011): Alzheimer-Demenz. In: FÉrstl, H. (Hg.): Demenzen in Theorie und Praxis. Springer Verlag, Berlin / Heidelberg. Keller, Reiner (2001): Wissenssoziologische Diskursanalyse. In: Keller, Hirseland, Schneider ViehÉfer (Hg.): Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse Band 1. VS Verlag, Wiesbaden. Keller, Reiner (2011a): Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms. Dritte Auflage. VS Verlag, Wiesbaden. Keller, Reiner (2011b): Diskursforschung. Dritte Auflage. VS Verlag, Wiesbaden. Kreutzner, Gabriele (2008): Demenz und Kultur. DeSS-orientiert 1/08. Nuland, Sherwin B. (1994): Wie wir sterben. Ein Ende in WÅrde. Droemer Knaur, MÅnchen. Riederer, Peter; Hoyer, Siegfried (2012): StÉrung der Neurotransmission bei Demenz. In: Wallesch, C.W.; FÉrst, H. (Hg.): Demenzen. 2. aktualisierte Auflage. Thieme Verlag Stuttgart. Schmidtke, Klaus; Otto, Markus (2012): Alzheimer Demenz. In: Wallesch, C.W.; FÉrst, H. (Hg.): Demenzen. 2. aktualisierte Auflage. Thieme Verlag Stuttgart Wetzstein, Verena (2005): Alzheimer-Demenz Perspektiven einer integrativen Demenz-Ethik Whitehouse, Peter J.; George, Daniel (2009): Mythos Alzheimer. Huber Verlag, Bern. Die De-Medikalisierung von Alzheimer 18 Vielen Dank fär Ihre Aufmerksamkeit 9